Monitor Nr. 667 vom 02.10.2014

Schwarze Null: Deutschland spart sich kaputt

Bericht: Achim Pollmeier, Jan Schmitt, Kim Otto

Schwarze Null: Deutschland spart sich kaputt

Monitor 02.10.2014 01:17:57 Std. Verfügbar bis 02.10.2099 Das Erste

Georg Restle: „Sparen an sich ist eine gute Sache, auch wenn die mageren Zinsen nicht gerade vielversprechend sind. Sparen an sich ist eine gute Sache, sagt auch die Bundeskanzlerin, jedenfalls für die nächste Generation - und für Europa sowieso. Endlich also steht sie, die schwarze Null. Doch für wen eigentlich? Die neuesten Wirtschaftsdaten verheißen jedenfalls wenig Gutes. Die Konjunkturaussichten sind trübe und auch die Wachstumsprognosen bröckeln gerade erheblich. Spart Deutschland sich also kaputt? Und wer zahlt am Ende die Rechnung? Achim Pollmeier, Jan Schmitt und Kim Otto haben auch mal nachrechnen lassen, wie viele Arbeitsplätze uns die Sparpolitik der Bundesregierung eigentlich kosten könnte.“

Angela Merkel: „Es ist der erste Haushalt ohne neue Schulden seit 1969.“ „Es muss vor allem in die Zukunft investiert werden, in Bildung und Forschung, in die Infrastruktur, in die Zukunft des Landes.“

Stimme aus dem Radio: „A1, Dortmund, Richtung Köln, 9 km Stau. Zwischen Köln-Bocklemünd und Leverkusener Brücke, Baustelle, 6 km stockender Verkehr.“

Der Soundtrack zum Infarkt kommt aus dem Radio. Jeden Tag fährt Thomas Schwab mit dem LKW von Köln ins Ruhrgebiet - Aluminiumschrott ausliefern. Dazu muss er über den Rhein, und das ist das Problem.

Reporter: „Eigentlich müssten Sie jetzt auf die Leverkusener Brücke, hier rechts?“

Thomas Schwab: „Ja, aber die ist gesperrt ab dreieinhalb Tonnen. So muss ich die nächste Gegenrichtung, Richtung Koblenz fahren.“

Reporter: „Und wie viel Umweg ist das dann?“

Thomas Schwab: „Minimum 25 km, weil ich erst in Düsseldorf wieder über den Rhein fahren kann, über die nächste Rheinbrücke, die für den Schwerverkehr geöffnet ist.“

Die Rheinbrücke bei Leverkusen - sie ist zu einem Symbol für den Verfall der deutschen Infrastruktur geworden: marode, ein Wrack. Eine neue Brücke wird frühestens in zehn Jahren fertig. Bis dahin wird notdürftig repariert, und LKW müssen vorerst lange Umwege fahren. Das kostet Zeit und Nerven - und für Unternehmer wie Jens Scharrenberg vor allem Geld.

Jens Scharrenberg, Spedition Scharrenberg: „In Zahlen gesprochen sind das etwa 4.500,- Euro bis 6.000,- Euro im Monat bei dem Fahrzeug, dass Sie jetzt besucht haben. Ganz einfach durch eine immense Umleitungsstrategie und teilweise durch die Innenstädte-Fahrerei. Wir haben eine erhöhte Mineralölsteuer zu zahlen durch den Mehrverbrauch an Diesel, und wir haben sehr viel mehr Maut. Und das Ganze auf den Fuhrpark bezogen würde ich mal beziffern auf ungefähr 25.000,- Euro.“

Das macht 300.000,- Euro im Jahr - nur wegen maroder Straßen und Brücken. Geld, dass er nicht in neue LKW investieren kann und in neue Jobs. Der volkswirtschaftliche Schaden durch Brückensperrungen, schlechte Infrastruktur und Staus geht in die Milliarden. Für Straßen, Schienen und Wasserwege müssten eigentlich knapp 10 Milliarden Euro zusätzlich investiert werden. Die Bundesregierung deckt davon im aktuellen Haushalt gerade mal 1,25 Milliarden ab.

Prof. Gustav Horn, Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK): „Seit über zehn Jahren investieren wir weniger als die Infrastruktur verschleißt. Das heißt, wir leben auf Verschleiß.“

Die Bundesregierung weiß das. Der Verkehrsminister und der Finanzminister haben es ebenso eingestanden wie die Bundeskanzlerin. Deutschland schiebt eine gewaltige Investitionslücke vor sich her. Doch statt mehr zu investieren, wollen sie unter allen Umständen ohne neue Schulden auskommen. Es regiert die Politik der schwarzen Null.

Alexander Dobrinth, Bundesverkehrsminister: „Die schwarze Null steht, die schwarze Null bleibt an dieser Stelle.“

Wolfgang Schäuble: „Und ab dem nächsten Jahr macht der Bund gar keine neuen Schulden mehr.“

Merkel: „Und das ist der beste Beitrag der Generationengerechtigkeit, den wir für die Jungen, für die Kinder und Enkel leisten können.“

Spart die Regierung gerade im Interesse künftiger Generationen? Marcel Fratzscher, Chef des größten deutschen Wirtschaftsforschungsinstituts sieht das anders. Und nicht nur er schlägt Alarm. Die meisten Experten rechnen mit einem Einbruch der Konjunktur im nächsten Jahr. Und die Sparpolitik der Regierung werde das noch verstärken.

Prof. Marcel Fratzscher, Präsident Dt. Institut für Wirtschaftsforschung (DIW): „Wenn diese Investitionslücke in Deutschland bestehen bleibt, dann werden wir unsere wirtschaftliche Zukunft verspielen. Denn dann wird der Wirtschaftsstandort Deutschland an Attraktivität verlieren. Unternehmen werden sich immer stärker ins Ausland orientieren. Bereits heute investieren die 30 größten Unternehmen hauptsächlich in Deutschland. Sie haben letztes Jahr 37.000 neue Jobs im Ausland geschaffen, nur 6.000 neue Jobs in Deutschland. Diese Entwicklung wird sich beschleunigen.“

Eine Entwicklung, die man auch hier besichtigen kann: Eine Baustelle an der A52 im Ruhrgebiet. Ein kleines Stück Autobahn wird notdürftig repariert. Flickwerk statt nachhaltiger Sanierung - im Auftrag des Bundes. Und selbst diese kleinen Bauvorhaben gehen zurück, sagt der Chef - von großen Projekten ganz zu schweigen.

Peter Frohn, Leiter der STRABAG AG in Nörvenich: „Die öffentlichen Aufträge haben sich in diesem Jahr gegenüber dem letzten Jahr verringert. Die Ausschreibungstätigkeit der öffentlichen Aufträge ist zurückgegangen. Und von daher können wir, wenn es sich so weiter entwickeln sollte, für die zukünftige Beschäftigung unserer Mitarbeiter nicht mehr unbedingt garantieren.“

Die Regierung aber pocht auf die schwarze Null. Sie will damit sogar mehr sparen als die Schuldenbremse vorgibt. Die nämlich lässt eine geringe Neuverschuldung ausdrücklich zu. 10 bis 20 Milliarden Euro könnte die Regierung zusätzlich investieren - alles im Rahmen der Schuldenbremse. 20 Milliarden für Verkehr, Bildung, Breitbandausbau. Gustav Horn, Chef des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie, hat errechnet, dass dadurch mittelfristig 170.000 Arbeitsplätze entstehen könnten.

Prof. Gustav Horn, Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK): „Es ist ökonomisch zwingend, dass wir es jetzt, sofort tun. Einmal wegen der wirtschaftlichen Lage. Und zweitens ist es noch nie so günstig wie heute gewesen. Denn die Zinsen sind nahe Null. Wenn wir dafür Kredite aufnehmen müssen, bekommen wir sie so billig wie nie. Das heißt, wir bekommen fast zum Nulltarif eine neue Infrastruktur.“

Prof. Marcel Fratzscher, Präsident Dt. Institut für Wirtschaftsforschung (DIW): „Es werden auch die Jobchancen für zukünftige Generationen mehr gesichert und letztlich würden wir auch langfristig mehr Wohlstand für Deutschland schaffen können.“

Zurück in die Realität - Einfahrt in die Duisburger U-Bahn. Sie gehört zu den Schlagadern des Ruhrgebiets, Hunderttausende fahren mit ihr zur Arbeit, zum Beispiel ins benachbarte Düsseldorf.  Doch der Kollaps ist nur noch eine Frage der Zeit. Dirk Novak-Bress zeigt uns warum. Seit 34 Jahren wacht er über die Sicherungstechnik. Nur wenn die läuft, läuft auch die Bahn. Und dass sie läuft, grenzt an ein Wunder. Alles hier ist völlig veraltet. Es wird gefrickelt, gebastelt - die U-Bahn fährt nach dem Prinzip Hoffnung.

Dirk Novak-Bress, Techniker, Duisburger Verkehrsgesellschaft:„Wenn man das einmal aus Wartungsgründen ausschaltet, und das muss ausgeschaltet werden einmal im Jahr. Dann steht man da und hofft nur, dass es wieder anspringt. Es ist fast unmöglich noch Ersatzteile zu kriegen, weil die Hersteller einfach sagen, es ist nicht mehr möglich, die herzustellen. Weil die Komponenten ja auch weltweit nicht mehr verfügbar sind. Die Technik ist so alt, die kann auch nicht mehr erneuert werden oder ersetzt werden, weil die Rechner einfach nicht mehr hergestellt werden.“

Der Maschinenraum von High-Tech-Deutschland stammt quasi aus der Steinzeit - egal ob in Berlin, Essen oder eben Duisburg. Die neue Technik würde 40 Millionen kosten. Duisburg ist faktisch pleite, wie viele andere Städte auch. Der Bund aber will für die Sanierung des maroden Nahverkehrs kein zusätzliches Geld ausgeben, Sparen geht vor. Wenn nicht bald investiert wird, droht in Duisburg die Schließung der kompletten U-Bahn.

Im Schnitt investieren andere EU-Staaten 2,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in das eigene Land. In Deutschland sind es gerade mal 1,6 Prozent. International sind wir damit fast Schlusslicht.

Prof. Gustav Horn, Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK): „Man glaubt, dass in der öffentlichen Meinung die schwarze Null als große wirtschaftspolitische Leistung angesehen wird, und man will sich das Lob für diese Leistung beim Wähler abholen. Ökonomisch betrachtet ist diese Ansicht völlig falsch. Denn wenn sie erkauft wird mit einer verfallenen Infrastruktur, ist sie genau das Gegenteil von dem, was behauptet wird.“

Stand: 30.09.2014, 14:43 Uhr