MONITOR vom 04.02.2016

Sozialer Sprengstoff: Wie die Bundesregierung die Kluft zwischen Arm und Reich vergrößert

Bericht: Jan Schmitt, Andrea Miosga, David Zajonz

Sozialer Sprengstoff: Wie die Bundesregierung die Kluft zwischen Arm und Reich vergrößert

Monitor 04.02.2016 08:11 Min. Verfügbar bis 05.02.2099 Das Erste

Georg Restle: „Eine der zentralen Fragen der Flüchtlingspolitik lautet: Wer soll das eigentlich alles bezahlen? Vor allem Menschen mit geringen oder mittleren Einkommen befürchten, dass sie es sind, die am Ende mal wieder zur Kasse gebeten werden. Und dass Verteilungskämpfe ausgerechnet zwischen denen drohen, die sowieso schon wenig haben. Nachvollziehbare Ängste, aber sie vernebeln auch den Blick auf das eigentliche Problem. Nämlich die wachsende soziale Ungerechtigkeit im Land, die die Armen immer ärmer und die Reichen immer reicher macht. Jan Schmitt, Andrea Miosga und David Zajonz über sozialen Sprengstoff, gerade in dieser Zeit.“

Deutschland - die untere Hälfte der Gesellschaft. Sascha Pastwa ist Müllwerker in Remscheid, seit zehn Jahren. Gehalt: 2.757,00 Euro brutto, Vermögen: 811,00 Euro, Einkommen aus Vermögen: 0,86 Euro/mtl. Die obere Hälfte der Gesellschaft. Dieter Lehmkuhl, 71, Psychiater im Ruhestand. Und: Erbe. Altersbezüge: 3.904,00 Euro, Vermögen: ca. 1,5 Millionen Euro, Einkommen aus Vermögen: 5.291,00 Euro/mtl., Tendenz steigend.

Dieter Lehmkuhl: „Vermögen haben die fantastische Eigenschaft, wenn man nicht sich ganz dumm anstellt, sich selbst zu vermehren.“

Dieter Lehmkuhls Vermögen vermehrt sich, ohne dass er etwas dafür leisten muss. Er spendet den Großteil seiner Kapitalerträge; denn er findet, er steht auf der Sonnenseite eines ungerechten Systems. Auf der anderen Seite steht er: Sascha Pastwa hat quasi kein Vermögen. Und aufbauen kann er sich auch keins, denn von seinem Gehalt bleiben nach Steuern, Miete und festen Kosten nur knapp 700,00 Euro übrig.

Sascha Pastwa, Müllmann: „Das einzige, was wir momentan haben, ist ein kleiner Bausparvertrag mit 20,00 Euro, damit der Nachwuchs vielleicht auch mal ‘nen Führerschein machen kann, und für uns selber bleibt eigentlich nix, ne.“

Sascha Pastwa und seine Frau fühlen sich mehr und mehr abgehängt. Er macht sich Sorgen um die Zukunft und beobachtet, wie die Sorgen bei anderen in Wut umschlagen. Wut auf die etablierten Parteien, auf den Staat, und vor allem auf noch Ärmere.

Sascha Pastwa: „Wenn ich bei mir im Betrieb mich umhöre, wird viel auf die Flüchtlinge geschimpft, gerade in Bezug auf die finanzielle Situation. Viele haben auch Kinder, und die sagen ganz klar: Für unsere Kinder wird eh nicht so viel getan. Aber die Flüchtlinge, die kriegen jetzt hier einen schönen neuen Bau dahingestellt oder einen renovierten Bau. Da muss immer alles tippi toppi für die sein, die müssen eine anständige Lebensqualität haben, und das bleibt für uns auf der Strecke.“

Die Schere zwischen Arm und Reich - darin steckt sozialer und politischer Sprengstoff. Doch sie geht immer weiter auseinander. Nach einer aktuellen Studie von Oxfam haben die 62 reichsten Menschen der Welt genauso viel Vermögen, wie die ärmere Hälfte der gesamten Weltbevölkerung, 3,6 Mrd. Menschen. Und in Deutschland?

Marcel Fratzscher, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung: „Deutschland steht extrem schlecht da. Deutschland hat eine der höchsten Ungleichheiten der privaten Vermögen in ganz Europa und steht den USA nicht viel nach.“

Das kommt nicht von ungefähr. Etliche Regierungs-Maßnahmen in den vergangenen Jahren gingen zulasten der unteren Mittelschicht, ein immer weiter „sinkendes Rentenniveau“, der „Ausbau von Leih- und Zeitarbeit“, die „Erhöhung der Mehrwertsteuer“.

Prof. Joachim Wieland, Universität Speyer: „Die gesetzlichen Maßnahmen der letzten 20 Jahre haben in Deutschland dazu geführt, dass die Mittelschicht deutlich stärker belastet worden ist, während die großen Vermögen entlastet worden sind.“

Zum Beispiel durch die „Abschaffung der Vermögenssteuer“, die „Senkung des Spitzensteuersatzes“, die „Senkung der Unternehmenssteuern“ und „niedrige Steuern auf Kapitalerträge“. Auch wegen dieser Politik wurde Dieter Lehmkuhls Vermögen immer größer. Er profitiert zwar davon, ist aber trotzdem gegen diese Art der Umverteilung von unten nach oben.

Dieter Lehmkuhl: „Das ist eine große Ungerechtigkeit, weil wir in den letzten zehn, zwanzig Jahren eine Verschiebung haben von der Besteuerung von Kapitaleinkünften und Gewinnen zu einer stärkeren Besteuerung der Arbeitseinkommen.“

Denn wer arbeitet muss bis zu 45 Prozent Einkommensteuer an den Fiskus bezahlen, wer aber in Aktien oder Wertpapiere investiert, muss pauschal nur 25 Prozent Steuern auf seine Gewinne abgeben, selbst wenn er Millionen verdient.

Marcel Fratzscher, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung: „Das schafft ganz klar Fehlanreize. Hilft den Menschen, die eh schon Vermögen haben, sich noch mal zu verbessern, aber bestraft nun letztlich die, die ihr Vermögen, ihr Einkommen durch Arbeit schaffen müssen.“

Jetzt könnte die Regierung umsteuern - zumindest zum Teil - bei der Erbschaftssteuer. Es geht vor allem um die Eigentümer großer Familienunternehmen. Millionäre und Milliardäre wie Liz Mohn bei Bertelsmann, Georg und Maria-Elisabeth Schaeffler oder Friede Springer. In Deutschland werden jährlich 200 bis 300 Milliarden Euro Vermögen vererbt oder verschenkt. Zwar werden private Vermögen wie Spareinlagen oder Häuser stark besteuert, aber die großen Betriebsvermögen reicher Erben kaum. Sie wechseln oft sogar steuerfrei den Besitzer. Diese Ungleichbehandlung ist verfassungswidrig, sagt das Bundesverfassungsgericht. Die Regierung muss also nachbessern. Doch der aktuelle Gesetzentwurf von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble enthält wieder etliche Schlupflöcher für reiche Erben.

Prof. Joachim Wieland, Universität Speyer: „Wenn das Gesetz würde, würde sich die gesellschaftliche Ungleichheit in Deutschland deutlich verstärken. Große Vermögen würden zukünftig von der Steuer verschont, sie würden weiter wachsen, während kleinere Vermögen, die Eigentümer von Häusern etwa mit der Steuer belastet würden. Das ist nicht nur eine Ungleichbehandlung, sondern führt auch zu gesellschaftlichen Ungleichgewichten.“

Noch mehr Vermögensungleichheit? Schon in den letzten Jahren ist sie rasant gewachsen. Die reichsten 10 Prozent der deutschen Bevölkerung besaßen 1998 bereits 45 Prozent des gesamten Privatvermögens. 2013 lag ihr Anteil schon bei 52 Prozent. Die ärmere Hälfte der Bevölkerung hatte dagegen 1998 nur einen Anteil von 3 Prozent am Privatvermögen. Und der ist nochmal auf 1 Prozent geschrumpft, also fast nichts. Offizielle Zahlen des Bundesarbeitsministeriums von Andrea Nahles. Aber die verraten gar nicht die ganze Ungleichheit. Das teilt uns das Ministerium auf Anfrage selbst mit, denn bei den zugrunde liegenden Umfragen würden …

Zitat: „… insbesondere die reichsten Haushalte nicht erfasst“.

Die Statistik ließe

Zitat: „die oberste Einkommensschicht mit einem monatlichen Haushaltsnettoeinkommen von mehr als 18.000,00 Euro (…) aus.“

Statistiken über Reiche ohne die Reichsten?

Marcel Fratzscher, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung: „Die Ungleichheit der Vermögen ist deutlich höher als das, was wir in den offiziellen Zahlen sehen. Wir wissen auch, dass diese Untererfassung der obersten, der reichsten Menschen in Deutschland noch ein gravierenderes Problem ist als in anderen Ländern.“

Nach Schätzungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung besitzt das reichste Zehntel in Deutschland nicht nur gut die Hälfte, sondern sogar bis zu drei Viertel des gesamten Privatvermögens. Die Schere zwischen reich und arm geht immer weiter auseinander. Für Sascha Pastwa und seine Frau sieht auch die Zukunft nicht gerade gut aus. Denn selbst wenn er noch 25 Jahre weiterarbeitet, bekäme er laut Rentenbescheid nur die Hälfte seines jetzigen Einkommens. Möglicherweise wäre er sogar auf soziale Sicherung angewiesen.

Sascha Pastwa: „Größtenteils verdränge ich, ich lebe also eher jetzt wie mit der Zukunft. Weil wenn ich nun wirklich da drüber noch anfange nachzudenken, ich weiß nicht, ob ich da noch Spaß da dran hätte, arbeiten zu gehen.“

Arbeit, die sich nicht mehr lohnt und das Gefühl, abgehängt zu werden. Das kann eine Gesellschaft zerreißen.

Georg Restle: „Und auch dazu führen, dass die politischen Rattenfänger im Land immer mehr Zulauf erhalten.“

Stand: 05.02.2016, 11:33 Uhr