Schutz von Frauen: Nicht im Wahlkampf?

Monitor 23.01.2025 06:48 Min. UT Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste Von Herbert Kordes, Johanna Sethe, Till Uebelacker

MONITOR vom 23.01.2025

Schutz von Frauen: Nicht im Wahlkampf?

Die Gewalt gegen Frauen hat in Deutschland deutlich zugenommen – und die Regierungsparteien sind sich mit Union und FDP weitgehend einig, dass man ihren Schutz durch ein neues Gesetz verbessern muss, etwa um mehr Plätze in Frauenhäusern zu schaffen. Doch das Gesetz droht zu scheitern – offenbar, weil Union und FDP im Wahlkampf keine gemeinsame Sache mit SPD und Grünen machen wollen.

Von Herbert Kordes, Johanna Sethe, Till Uebelacker

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Georg Restle: "Ja, noch gut fünf Wochen sind es bis zur Bundestagwahl und auf eine Frage wird es dann ganz entscheidend ankommen. Wie bündnisfähig sind die demokratischen Parteien untereinander; worauf kann, worauf muss man sich womöglich einigen? Bei einem Thema sollte da eigentlich gar kein Zweifel aufkommen, wenn es nämlich darum geht, dass man Frauen schützen muss, die Opfer von Gewalt geworden sind; Frauen, die dringend Schutzräume brauchen, weil sie von ihren Partnern bedroht, geschlagen oder vergewaltigt werden. Das wollen SPD und Grüne, das will auch die Union. Und einen fertigen Gesetzentwurf dazu gibt es auch schon. Man könnte dieses Gesetz also noch vor der Bundestagswahl verabschieden. Könnte man; aber: es ist ja Wahlkampf. Herbert Kordes, Johanna Sethe und Till Uebelacker."

YouTube-Video: "In Deutschland versucht jeden Tag ein Mann seine Frau oder Freundin umzubringen." – "Prominente werben für ein Gesetz zum Schutz misshandelter Frauen." – Häusliche Gewalt geht uns alle an." – "Worauf warten wir noch?"

Sie wollen nicht länger warten: Die CDU-Zentrale in Berlin heute Morgen. Der Deutsche Frauenrat hat mehr als 100.000 Unterschriften gesammelt – für das Gewalthilfegesetz. Für mehr Schutz von Frauen vor so genannter häuslicher Gewalt. Die Unterschriften gehen an die stellvertretende CDU-Vorsitzende Silvia Breher, denn nur, wenn die Union mitmacht, hat das Gesetz vor der Wahl noch eine Chance.

Judith Rahner, Deutscher Frauenrat: "Wir brauchen das Gewalthilfegesetz, weil es damit endlich einen Rechtsanspruch für Betroffene von Gewalt gibt in Deutschland, dass sie einen Frauenhausplatz finden und dass sie die adäquate Beratung finden können."

Wie wichtig das Gesetz ist, zeigt die Kriminalitätsstatistik – obwohl die nur die angezeigten Fälle ausweist. Allein 2023 wurden demnach mehr als 180.000 Frauen von Partnern oder Angehörigen misshandelt – 5,6 Prozent mehr als im Vorjahr. Es geht um Menschen wie Marie. Die Mutter von drei Kindern möchte nicht erkannt werden. Ihr Partner hat sie nicht geschlagen – er hat sie seelisch misshandelt.

Marie: "Immer wieder sagte er, ich werde Männer zu dir schicken. Die werden dich vergewaltigen und es auf Social Media posten. Sie werden dich umbringen! Manchmal ist das schlimmer als ein Schlag ins Gesicht, weil ständig die Gedanken kreisen: Wird er das wirklich tun? Wie kann ich die Kinder in Sicherheit bringen?"

Marie kam in einem Frauenhaus unter – ein Platz, an dem misshandelte Frauen mit ihren Kindern zur Ruhe kommen können und sicher sind. Doch oft rufen Betroffene vergeblich an. Auf der Online-Plattform ist meist alles rot – alles voll – vor allem, weil Deutschland seine internationalen Verpflichtungen seit Jahren nicht erfüllt. Das zeigt auch eine aktuelle Erhebung von MONITOR. In Baden-Württemberg beispielsweise fehlen demnach rund 2.000 Frauenhausplätze, in Bayern rund 2.600 und in Nordrhein-Westfalen rund 3.100. Marion Steffens leitet ein Frauenhaus im Ennepe-Ruhrkreis.

Marion Steffens, Geschäftsführung GESINE Intervention: "Auf jede Frau, die wir aufnehmen können, sagen wir drei/vier Frauen ab. Und das ist entsetzlich. Wir sehen und hören die Not der Frauen. Dass sie möglicherweise schwer misshandelt sind, die Kinder in Mitleidenschaft gezogen sind, auch die Kinder sehr leiden. Und wir müssen dann einer Frau sagen, tut mir leid, Schutz kannst du bei uns gerade nicht bekommen."

Mit dem Gewalthilfegesetz hatte die Ampel versprochen, Frauen wie Marie besser zu helfen. Sie sollen einfacher einen Platz im Frauenhaus finden, die Kosten für den Aufenthalt sollen für alle Frauen gesichert sein – genau, wie die finanzielle Ausstattung von Frauenberatungsstellen. Die Ampel verhandelte lange, Ex-Finanzminister Lindner wollte offenbar keine zusätzlichen Bundesmittel freimachen. Nach dem Ampel-Aus kommt es deshalb jetzt auf ihn an: Doch CDU-Chef Merz hat Anfang Dezember grundsätzlich klar gemacht, dass die Union nicht zum Mehrheitsbeschaffer für Ampel-Projekte werde.

Friedrich Merz (CDU), Parteivorsitzender, 03.12.2024: "Wir haben in Deutschland eine Regierung ohne Mehrheit im Parlament und die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist hier nicht das Ersatzrad am Wagen, das diesem verunglückten Auto noch zu weiteren Wegstrecken verhilft."

Dabei wollen beide Seiten – Union und Rot-Grün – misshandelte Frauen besser schützen: In zentralen Punkten sind der Gesetzentwurf von Rot-Grün und ein Antrag der Union sogar wortgleich:

Rot-Grün will einen "Rechtsanspruch auf Schutz und fachliche Beratung." Die Union: ebenfalls! Rot-Grün will eine "verlässliche Finanzierung von Frauenhäusern". Die Union: ebenfalls! Wo ist also das Problem? Scheitert das Gesetz nur deshalb, weil Wahlkampf ist? Interview-Anfragen werden abgelehnt, beide Seiten haben Stillschweigen vereinbart. Noch wird verhandelt. Strittig waren zuletzt Fragen wie die elektronische Fußfessel für Täter und ob das Gesetz auch für Trans Frauen gelten soll. Ursula Sautter, Vize-Chefin von UN Women Deutschland und CDU-Bürgermeisterin in Bonn. Sie fordert auch ihre Partei auf, das Gesetz nicht scheitern zu lassen.

Ursula Sautter, UN Woman Deutschland e. V.: "Es ist keine Rechtfertigung zu sagen, wir hängen uns jetzt an einzelnen Punkten, an zum Teil kleinteiligen Punkten auf. Es besteht die Möglichkeit zu sagen, wenn wir uns hier nicht einigen können oder wollen, und dann lassen wir diesen Punkt erstmal beiseite und bringen gemeinsam etwas auf den Weg – das Rumpfgesetz – und dann gehen wir daran, mit mehr Zeit und Kreativität an die Sache zu gehen."

Erstmals würde der Bund dann auch Schutz- und Beratungsstellen direkt mitfinanzieren: geplant mit durchschnittlich 260 Millionen Euro jährlich über zehn Jahre. Aber was, wenn Union und Rot-Grün sich vor der Wahl nicht einigen können? Dann droht wieder eine womöglich jahrelange Hängepartie zulasten der betroffenen Frauen, befürchtet Judith Rahner vom Deutschen Frauenrat.

Judith Rahner, Deutscher Frauenrat: "Wenn das Gesetz nicht mehr kommen würde, dann sitzen wir hier wieder Ende November 2025, beklagen wieder die hohen Betroffenenzahlen, hören wieder betroffene Reden von Politikern. Und bis dahin sind wieder sehr viele Frauen von ihren Partnern teilweise getötet worden, sind Kinder zu Waisen gemacht worden, weil Frauen nicht rechtzeitig Unterstützung bekommen haben und aus diesen Situationen nicht fliehen können."

Marie hat den Weg raus aus der Gewalt gefunden – dank der Hilfe im Frauenhaus.

Marie: "Alles, was ich mir gewünscht habe, habe ich hier bekommen. Bald werde ich mit meinen Kindern in eine eigene Wohnung ziehen – und kann endlich frei leben!”

Georg Restle: "Keine Einigung ausgerechnet bei diesem Gesetz? Das wäre dann doch ein ziemlich bitteres Armutszeugnis für die demokratischen Parteien in diesem Land."

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Stand: 24.01.2025, 12:00 Uhr

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7 Kommentare

  • 7 Aga Bellwald 23.01.2025, 22:31 Uhr

    "Ni una menos - nicht eine weniger!" Es reicht. Eine Schande, wie zum Schutz für gefährdete Frauen ums Geld gestritten wird. Es muss selbstverständlich sein, für Schutzeinrichtungen die Kohle locker zu machen und nicht damit Wahlkampf zu betreiben. Ausgerechnet noch bei einer Partei, die sich christlich nennt.

  • 1 Albers 21.01.2025, 18:54 Uhr

    Ich dachte das Deutschland immer sicherer wird. Stimmt das nicht ?

    • Markus Manfred Rühle 23.01.2025, 17:18 Uhr

      Wohl nicht ganz! Mir will der Eindruck nicht weichen, dass je mehr nur noch geredet wird und man fast nur noch Schöngefärbtes sagen darf, weil nur noch Liebliches zu hören erwünscht ist, unsere Gesellschaft zunehmend verroht. Ich denke, oder maße mir zu wissen an, dass das mit einem gleichfalls zunehmenden Schwund an gegenseitigem Respekt zu tun hat. Ob noch mehr Frauenhäuser die Lösung wären? Solche Häuser können keine Dauerlösung sein, doch leider mangelt es in Deutschland an ausreichend Wohnraum und wäre der vorhanden, ist es dennoch eine heikle Frage, welche Leute bei der Vergabe von Wohnraum den Vorzug erhielten. Aber solange in Deutschland noch klar ist, welche Entwicklung in welches Schwanzende beißen muss, um nicht versehentlich noch jemand anderem weh zu tun ...?

    • Kante 23.01.2025, 22:24 Uhr

      Es ist ein wichtiges Thema. Dass hier aber die häusliche Gewalt von Frauen komplett ausgeklammert wird ist schon erschreckend. Bereits in 2017 wurde in der Ärztezeitung 03/2017 (Gewalt gegen Männer unbeachtet und tabuisiert) berichtet, dass 30 % der Gewalt von Frauen ausgeht. Finden Sie es richtig, dass Sie die 30% einfach so unter den Tisch fallen lassen?