Schmutziger Undercover-Wahlkampf: Türkeiwahlen in Deutschland

Monitor 11.05.2023 08:28 Min. UT Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste Von Silke Diettrich, Andreas Maus, Hüseyin Topel

MONITOR vom 11.05.2023

Schmutziger Undercover-Wahlkampf: Türkeiwahlen in Deutschland

Die Stimmung in der Türkei vor den Wahlen ist aufgeheizt: Beschimpfungen, Schlägereien, Verhaftungen. Um Eskalationen in Deutschland vorzubeugen, sind Wahlkampfauftritte von türkischen Amtsträgern hier drei Monate vor den Wahlen verboten. MONITOR-Recherchen zeigen jedoch: Der lange Arm von Erdogan und seiner AKP reicht bis in jede einzelne deutsche Kommune. Der Wahlkampf findet häufig verdeckt statt, ist jedoch bestens organisiert – und scheut auch hier vor Hetze und Propaganda nicht zurück.

Von Silke Diettrich, Andreas Maus, Hüseyin Topel

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Georg Restle: "Und jetzt zu dieser Wahl, für die in der Türkei solche Massen mobilisiert werden. Manche sagen, es sei die wichtigste Wahl in Europa seit langem. Am Sonntag entscheiden Millionen Türken darüber, ob Recep Tayyip Erdoğan die Macht im Land behalten wird. Von einer fairen Wahl kann dabei keine Rede sein. Viele Oppositionelle sitzen in der Türkei im Gefängnis. Die wichtigsten Medien – vor allem das Fernsehen – sind in der Hand des Präsidenten und seiner loyalen Unterstützer. Trotzdem könnte es eng werden, sagen Beobachter. Und deshalb kommt es für Erdoğan eben auch auf jede Stimme aus Deutschland an. Große Wahlkampfauftritte wurden ihm dieses Mal zwar untersagt, aber da gibt es ja noch ganz andere Möglichkeiten. Andreas Maus, Silke Diettrich und Hüseiyn Topel über einen Wahlkampf, der auch hier alles andere als fair war."

Jubel für Präsident Erdoğan auf dem Weg zur Wahl in Deutschland. Tausende türkische Wahlberechtigte warteten in den letzten Wochen oft stundenlang, um ihre Stimme bei der türkischen Parlaments- und Präsidentenwahl abzugeben; wie hier in Essen. Uns fallen vor allem diese Kleinbusse auf. Jeden Tag bringen etliche solcher Busse die Wähler zu den Wahllokalen, auch aus Holland. Menschen, für die der Weg zu den Wahlurnen sonst zu weit wäre. Aber wer bringt die Leute mit den Bussen hierher? Und in wessen Auftrag? Im Netz finden wir dieses Video. Kein Zweifel, wer hier das Sagen hat.

Sprecher im Video (Übersetzung Monitor): "Es ist an der Zeit, die Feinde der Türkei traurig zu machen, es ist an der Zeit Recep Erdoğan zu wählen. Es ist an der Zeit auf dem Weg zur großen und starken Türkei, Erdoğan zu unterstützen. Gott sei mit euch allen!"

Wahlpropaganda für Erdoğan? Auch in solchen Kleinbussen, die als kostenloser Service angeboten werden? Wir wollen uns selbst ein Bild machen und haben uns für einen der Busse angemeldet – als normale Wähler, nicht als Erdoğan-Anhänger. Von dieser kleinen Moschee aus soll es zum Wahllokal gehen. Im Bus drehen wir mit verdeckter Kamera. Kaum sitzen wir drinnen, bekommen wir eine klare Unterweisung.

Fahrer (Übersetzung Monitor): "Auf diesem Stimmzettel gibst du deine Stimme für Erdoğan ab, auf dem anderen Zettel setzt du deinen Stempel bei der AKP, dort, wo du die Lampe siehst. Die geben dir eine lange Liste. Unter der Lampe stempelst du, faltest den Zettel und steckst ihn in den Briefumschlag."

Und was denkt man hier über die Opposition?

Beifahrer (Übersetzung Monitor): "Versteht mich nicht falsch. Wer die wählt, gehört in die Hölle. Das sind Verräter. Die arbeiten nicht für die Türkei."

Wählerbeeinflussung in Bussen? Hetze gegen die Opposition? Erdoğans Undercover-Wahlkampf. In der Vergangenheit sah das ganz anders aus. 2014 jubelten ihm in Köln 15.000 Menschen zu. Erdoğan mobilisierte offen die Wählermassen. 2017 – Türkische Politiker polarisieren im Wahlkampf zum türkischen Verfassungsreferendum und schüren so Konflikte zwischen in Deutschland lebenden Türken. Auch deswegen wollte man solche Massenveranstaltungen hier nicht mehr haben. Die Bundesregierung verfügte eine "Genehmigungspflicht" für Auftritte von Amts- und Mandatsträgern aus Nicht EU-Ländern und ein generelles "Auftrittsverbot" ab drei Monate vor der Wahl. Die AKP setzt deshalb jetzt offenbar auf eine neue Wahlkampfstrategie – mit Veranstaltungen wie in dieser Neusser Moschee, was Anfang Januar für einen Eklat sorgte. Der AKP-Abgeordnete Mustafa Açikgöz war aus der Türkei gekommen und machte klar, was er von den politischen Gegnern hält.

Mustafa Açigöz (Übersetzung Monitor): "Genauso wie wir ihnen kein Lebensrecht in der Türkei geben, werden wir es ihnen auch in Deutschland nicht geben. Egal wohin sie flüchten, wir werden die Terroranhänger von PKK und Fetö vernichten."

Morddrohungen gegen Anhänger der kurdischen PKK und der Gülen-Bewegung? Nicht immer wird das – wie in diesem Fall – öffentlich. Wir treffen Eren Güvercin. Er hat seit letztem Jahr die Wahlkampfaktivitäten von Erdoğans AKP und seinen Netzwerken in Deutschland dokumentiert. Und kommt dabei auf über hundert Besuche von AKP Abgeordneten und Amtsträgern in deutschen Moscheen und Gemeinden.

Eren Güvercin, Alhambra Gesellschaft: "Sie haben auf diese Massenevents eher verzichtet, um nicht unnötige öffentliche und vor allem auch mediale Aufmerksamkeit auf diesen Wahlkampf zu ziehen. Aber auf der anderen Seite war der Wahlkampf der AKP diesmal in Deutschland so intensiv wie noch nie – in Form von vielen, vielen Veranstaltungen und Aktionen, aber vielen kleinen Veranstaltungen."

Auftritte wie die des türkischen Parlamentsabgeordneten Akif Kilic in Köln; oder des Abgeordneten Efkan Ala beim Fastenbrechen. Und im Ruhrgebiet überbrachte der Abgeordnete Zafer Sirakaya einen ganz besonderen Gruß:

Zitat: "… von der freien Stimme der stillen Welt, von dem, der so echt ist, von dem, der die Kraft aus seinem Volk schöpft, von unserem Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan."

Auftritte wie diese wurden organisiert von der UID, der Union Internationaler Demokraten, die ihren Sitz in Köln hat. Ein Verein, der sich laut eigener Aussage gegen Islamophobie und Rassismus einsetzt. Auf Betreiben von Erdoğan wurde die UID 2004 gegründet und gilt laut NRW-Innenministerium als wichtigste Einflussnahme-Organisation der AKP in Deutschland.

Prof. Burak Çopur, Politikwissenschaftler, Universität Duisburg-Essen: "Die UID ist letztlich auch ein strategischer Brückenkopf zwischen den AKP-Wählerinnen und Wählern und den staatlichen Institutionen der Türkei, wie beispielsweise den Konsulaten. Und die UID versucht natürlich eben, AKP-Wählerinnen und Wähler zu mobilisieren."

Welch enorme Bedeutung die UID gerade für diesen Wahlkampf hat, zeigte sich letztes Jahr. In Ankara schwor der Präsident persönlich ihre Funktionäre auf den bevorstehenden Wahlkampf in Deutschland und Europa ein.

Recep Tayyip Erdoğan, Staatspräsident Türkei, 26.02.2022 (Übersetzung Monitor): "Die größte Aufgabe in dieser Sache liegt bei der Union Internationaler Demokraten, also bei euch. Wir werden – wie schon immer – an eurer Seite stehen. Vergesst nicht: ein Volk, eine Fahne, eine Nation, ein Staat!"

Und noch eine Institution spielt eine zentrale Rolle bei den Präsidentschaftswahlen. Die Religionsgemeinschaft DITIB mit ihren rund 900 Moscheen in Deutschland. Die DITIB untersteht der staatlichen türkischen Religionsbehörde Diyanet und damit direkt dem Präsidenten. Ihre Moscheen leisteten ihm wertvolle Dienste; in etlichen wurde Wahlwerbung für Erdoğan verteilt, auch Busse fuhren von Moscheen direkt zur Wahl. Wir haben die DITIB angefragt. Und auch die UID und AKP – zu allen Vorwürfen, auch wer die Veranstaltungen und die Busse mit welchen Mitteln bezahlt. Antworten haben wir keine bekommen. Klar ist, Erdogans Undercover-Wahlkampf in Deutschland verfügt über Möglichkeiten, die türkische Oppositionsparteien hier nicht haben.

Eren Güvercin, Alhambra Gesellschaft: "Natürlich führen die Oppositionsparteien auch einen Wahlkampf in Deutschland, aber einerseits hat die AKP ganz andere strukturelle Vorteile und auch Zugänge zu solchen Strukturen wie DITIB. Ein anderer Punkt ist natürlich auch, dass die AKP auch alle staatlichen Möglichkeiten mobilisiert und an … auch missbraucht für ihren parteipolitischen Wahlkampf, was die CHP oder andere Oppositionsparteien gar nicht zur Verfügung haben. Also, es findet sowohl in der Türkei, aber auch hier in Deutschland ein sehr unfairer Wahlkampf statt."

Bei der Wahl am Sonntag kommt es für Erdoğan auf jede Stimme an. Zumindest auf seine Anhänger in Deutschland wird er sich wohl verlassen können.

Georg Restle: "Ja, es gibt sicher viele Anhänger Erdoğans, in Deutschland, die auf seinen Sieg setzen. Aber auch nicht wenige hier, die auf eine neue Ära in der Türkei hoffen. Darunter viele, die in den letzten Jahren vor Erdoğans Repressionen nach Deutschland geflohen sind."

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Stand: 11.05.2023, 22:15 Uhr

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9 Kommentare

  • 9 Helmut Lange 12.05.2023, 12:52 Uhr

    Innerhalb der Regeln sehe ich kein Problem aber da Fällt mir sofort die Duisburger Wahlfälschung 2020 der Partei BIG ein. Bei einer Razzia wurden von der Polizei Wahlunterlagen gefunden. Das ist alles nicht mehr so präsent und dann schaut man bei Wikipedia vorbei und findet: Das Bündnis für Innovation und Gerechtigkeit (BIG) „gilt als deutscher Ableger der rechtskonservativen türkischen AKP“; der Partei Erdogan. So weit bin ich noch ganz auf Linie, aber ich habe die Angewohnheit mir auch die zweite Seite der Medaille anzusehen. Wenn hier von „Hetze und Propaganda“ die Rede ist fällt mir die NRW-Wahl 2017 ein, bei der „versehentlich“ Stimmen für die AfD anderen Parteien zugeordnet wurden in einem ungewöhnlich hohen Anteil; vorsichtig formuliert weil das Landesverfassungsgericht NRW zumindest keine „systematische“ Wahlmanipulation gegen die AfD feststellen konnte. Aber da kommen doch Zweifel auf ob wir wirklich so viel besser sind, etwas weniger Schwarz-Weiß wäre gut.

  • 8 Aga Bellwald 11.05.2023, 22:46 Uhr

    Zeit, dass der Möchtegernsultan abgewählt wird und Killicdaroglu ihn ersetzt. Dieses Land muss wieder zur Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zurückfinden, keine Parteien dürfen mehr verboten oder unterdrückt werden und alle politischen Gefangenen müssen ihre Freiheit wieder erlangen dürfen. Journis und Autor*innen sollen wieder frei arbeiten können. Wenn das alles erreicht werden kann, hat das Land eine gute Zukunft.

    • Holm 12.05.2023, 11:37 Uhr

      Und der neue Sultan verspricht seinen Anhängern das er die "syrischen Brüder und Schwestern" innerhalb vo 2,5 Jahren abschieben wird.

    • Alfred 12.05.2023, 12:29 Uhr

      Der Ablauf der Wahl ist der beste Beweis für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Ansonsten gehören Kriminelle (nach einem Gerichtsurteil) ins Gefängnis.

  • 7 Alfred 11.05.2023, 22:38 Uhr

    Ein öffentlich-rechtlicher TV-Sender schleust also Personen ein und belegt, dass die Türken von ihrem demokratischen Stimmrecht Gebrauch machen ... Man könnte dies auch als Bewegung für Demokratie und Freiheit sehen. Die Berichterstattung ist daher tendenziös und kritisch zu betrachten.

  • 6 Anonym 11.05.2023, 22:37 Uhr

    In einer Wahlheimat leben und in einem anderen Land die Politik mit entscheiden in dem ich nicht leben möchte ??? Was stimmt da mit wem nicht. Wer außerhalb Deutschlands wählen möchte sollte dorthin ausgewiesen werden oder bin ich hier in einem absolut falschen Film?

  • 5 Jung geblieben 11.05.2023, 22:06 Uhr

    Wieso verbietet die Regierung den Wahlkampf nicht? Es kann doch nicht sein, daß Erdogan hier Wahlkampf macht. Muss man hier in Deutschland alles tolerieren?

  • 4 Dr. Claus Michael 11.05.2023, 08:19 Uhr

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  • 2 H. Beck 10.05.2023, 12:50 Uhr

    Eskalationen in Deutschland ? Was hat Deutschland damit zu tun ? Billiger Populismus gegen unsere türkischen Mitbürger.

  • 1 Anonym 10.05.2023, 00:10 Uhr

    Dieser Kommentar wurde gesperrt, weil er gegen unsere Netiquette verstößt. (die Redaktion)