Georg Restle: "Saudi-Arabiens mächtigster Mann Mohamed Bin Salman - ein immer begehrter Partner für Regierungschefs der ganzen Welt und auch für die deutsche Bundesregierung. Jetzt allerdings sind diese Bilder hier aufgetaucht: Aufnahmen von Massakern an Flüchtlingen, mutmaßlich verübt von saudi-arabischen Grenzschützern.
Furchtbare Verbrechen sind das. Verbrechen, bei denen auch Deutschland eine nicht ganz unerhebliche Rolle spielen könnte. Darum geht es gleich bei uns. Guten Abend und willkommen bei MONITOR.
Ja, die hohe Bedeutung der Menschenrechte. Kaum ein Tag vergeht, an dem diese Bundesregierung nicht darauf hinweist. Nur irgendwie will das alles nicht so recht zusammenpassen. Freundliche Regierungsbesuche bei einem Mann, der Regierungskritiker wie den Journalisten Kashoggi regelrecht abschlachten ließ. Klar, es geht ums Geschäft, um eine Energiepartnerschaft vor allem. Da passen solche Verbrechen schlecht ins Bild. Flüchtlinge, die an der saudi-arabischen Grenze zum Jemen brutal gefoltert und ermordet werden, Massengräber. Verbrechen, die nun auch die deutsche Bundesregierung in Erklärungsnot bringen - denn die gute Partnerschaft gilt auch für einen Bereich, über den man dann eben nicht so gerne spricht, wie unsere Recherchen zeigen. Shafagh Laghai, Silke Diettrich und Véronique Gantenberg."
Die Grenzregion zwischen dem Jemen und Saudi-Arabien. Diese Bilder haben Menschen aus Äthiopien aufgenommen, auf der Flucht nach Saudi-Arabien - unter ihnen Schwerverletzte. Beim Versuch, die Grenze zu überqueren, seien sie von saudischen Grenzschützern heftig beschossen worden, sagen sie, aus nächster Nähe, auch mit Granaten. Lieber Gott, hab Gnade, sagt dieser Mann. Es sind schwere Vorwürfe: Vorwürfe, die die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch untersucht hat.
Nadia Hardman, Human Rights Watch (Übersetzung Monitor): "Was wir in den letzten zwei Jahren dokumentiert haben, ist eine dramatische Eskalation - in der Art und Weise und auch beim Ausmaß. Dieses Töten ist weit verbreitet und systematisch, und könnte ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen."
Satellitenbilder, die Human Rights Watch ausgewertet hat, zeigen mutmaßliche Massengräber in der Grenzregion. Die Menschenrechtsorganisation schätzt, dass seit März vergangenen Jahres mindestens 655 Menschen getötet wurden. Die tatsächliche Zahl könne viel höher sein. Saudi-Arabien weist alle Vorwürfe zurück, die Aussagen würden auf unzuverlässigen Quellen basieren. Wir machen uns im Osten Äthiopiens selbst auf die Suche nach Augenzeugen. Mustafa Soufian Mohammed ist vor dem Bürgerkrieg, vor Armut und Hunger geflohen, sagt er. In Saudi-Arabien wollte er ein paar Jahre arbeiten, Geld verdienen, für seine Familie. Jetzt hat er ein amputiertes Bein. Das saudische Erschießungskommando habe er nur knapp überlebt.
Mustafa Soufian Mohammed (Übersetzung Monitor): "Sobald wir die Grenze nach Saudi-Arabien überschritten hatten, begegnete uns eine saudische Grenzpatrouille. Es gab absolut keine Warnung - sie haben nichts gesagt. Sie haben einfach ununterbrochen auf uns geschossen. Es war unerträglich zu sehen, wie um mich herum Menschen getötet und verletzt wurden."
Mustafa zeigt uns Bilder von seinen Verletzungen. Er habe nur überlebt, weil andere Flüchtende ihn gefunden und zurück in den Jemen gebracht hätten.
Mustafa Soufian Mohammed (Übersetzung Monitor): "Wir waren 45 Personen, als wir nach Saudi-Arabien aufgebrochen sind. Ich habe mein Bein verloren. Die meisten der anderen haben ihr Leben verloren. Nur drei aus meiner Gruppe konnten ausfindig gemacht werden. Ich vermute, die anderen sind tot."
Schwere Vorwürfe gegen saudische Grenzschützer. Brisant sind die Anschuldigungen aber auch für die deutsche Bundesregierung, denn die setzt gerade auf Annäherung. Vergangenen Herbst reiste Bundeskanzler Olaf Scholz ins Königreich. Die Beziehung sollte neu belebt werden; begleitet wurde er von einer Wirtschaftsdelegation. Im Mai dieses Jahres war Außenministerin Annalena Baerbock zu Besuch. Das Ziel auch hier, die Wirtschaftsbeziehungen ausbauen. Es geht etwa um Rüstungsexporte und eine Energiepartnerschaft mit Saudi-Arabien. Es geht um Geschäfte - in guter alter Tradition. Auch hier in der Grenzregion. Seit Jahren schottet Saudi-Arabien seine Grenzen ab, um sich vor Milizen aus dem Bürgerkriegsland Jemen oder dem Irak zu schützen, wie es heißt. Und, Deutschland spielt dabei eine entscheidende Rolle. Rückblick: 2008 bekommt das europäische Rüstungsunternehmen EADS - heute Airbus - den Zuschlag für den Aufbau einer massiven Grenzanlage in Saudi-Arabien: Schutzzäune, Barrieren zur Personenabwehr. Wie umfangreich die Lieferung war, zeigen Dokumente von damals. Wärmebildkameras, Lasersensoren und Bodenradar. Ein Milliarden-Deal: Modernste deutsche Technik von EADS.
Max Mutschler, Friedensforschungsinstitut BICC: "Deutschland hat eine große Rolle bei der massiven Aufrüstung des saudischen Grenzschutzes gespielt. Ganz, ganz viele verschiedene Technologien sind da geliefert worden. Dinge, die man braucht, um tatsächlich die Grenze wirklich auf modernem, technologischem Niveau zu überwachen."
Und das war nicht alles. Das ARD-Magazin Fakt deckte damals auf: in diesen Wüstencamps wurden saudi-arabische Grenzschützer an der neuen EADS-Technik trainiert, und zwar durch die deutsche Bundespolizei. Die deutschen Beamten waren Teil des EADS-Deals. Ein Vertrag zwischen der Bundesregierung und Saudi-Arabien sollte regeln, was die Bundespolizisten in der Wüste zu tun haben. Erstaunlich ist, die Formulierung ist vage und allgemein. Es wird eine
Zitat: " Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Sicherheitstrainings"
vereinbart. Geheim zugespielte Videos von damals zeigen, deutsche Beamte - hier in blauen Uniformen - trainierten saudische Grenzschützer auch an der Waffe. Schon damals galten saudische Sicherheitskräfte als äußerst brutal. Daran habe sich bis heute wenig geändert, sagen Beobachter.
Max Mutschler, Friedensforschungsinstitut BICC: "Die saudischen Sicherheitskräfte haben, was die Menschenrechtsbilanz angeht, haben sie keinen Record, das sind keine Einheiten, die man mit Rüstungsgütern und mit Sicherheits- und Überwachungstechnologien unterstützen sollte."
Doch genau das tut die Bundesregierung - auch heute noch. Aber hat die Bundespolizei auch Grenzschützer ausgebildet, die an der jemenitischen Grenze auf Flüchtlinge schießen? Was sagt das zuständige Innenministerium?
Sonja Kock, Sprecherin Bundesinnenministerium: "Trainingsmaßnahmen speziell für den saudi-arabischen Grenzschutz finden nicht statt und es haben zu keinem Zeitpunkt Ausbildung oder Trainings der Bundespolizei für den saudi-arabischen Grenzschutz im Grenzgebiet zwischen Saudi-Arabien und Jemen stattgefunden."
Also bildet die Bundespolizei in Saudi-Arabien keine Grenzschützer mehr aus? Uns gelingt es, mit mehreren Bundespolizisten Kontakt aufzunehmen. Sie sind aktuell als Ausbilder in Saudi-Arabien aktiv oder waren es noch vor kurzem. Sie wollen anonym bleiben. Wir protokollieren die Gespräche. Den Aussagen des Innenministeriums widersprechen sie. Ihre Trainings richteten sich "ausnahmslos an saudische Grenzbeamte." Teilnehmer seien durchweg "Offiziere des Grenzschutzes". Die Trainingsinhalte seien "abgestimmt auf die Grenzanlagen" und "an die EADS-Technologie". Und nicht nur das, an ihren Trainings würden auch teilnehmen: "Grenzschützer, die an der jemenitischen Grenze im Einsatz sind". Also doch? Hat die Bundesregierung falsche und irreführende Angaben gemacht? Auf unsere Nachfrage bekommen wir keine konkrete Antwort.
Jan van Aken war 2011 als Abgeordneter der Linken selbst in Saudi-Arabien, um sich ein Bild vom Einsatz der Bundespolizei zu machen. Er fordert ein sofortiges Ende der Ausbildungsmission.
Jan van Aken, Referent für internationale Krisen, Rosa-Luxemburg-Stiftung: "Also wer jetzt in Deutschland entscheidet, in diesem Land in Saudi-Arabien Grenzsoldaten auszubilden, der macht sich mitschuldig an allen Verbrechen, die von diesen Grenzsoldaten begangen werden. Niemand kann noch behaupten, man wisse nicht, was dort in Saudi-Arabien an Menschenrechtsverletzungen passiert, das weiß jeder in Berlin. Trotzdem wurde es entschieden und ich finde, deswegen hat sich diese Bundesregierung auch mitschuldig gemacht."
Das Innenministerium von Nancy Faeser betont, dass es beim Ausbildungsprogramm auch um die Vermittlung von Menschenrechten ginge. Doch mit welchem Erfolg?
Max Mutschler, Friedensforschungsinstitut BICC: "Diese Strategie auch zu sagen, wir machen … wir machen Belieferung, wir machen Ausbildung und dabei wollen wir auch Menschenrechte vermitteln, dass es - wenn es überhaupt ernst gemeint war - dass es kolossal gescheitert ist. Das zeigen ja jetzt die Berichte über die … über die Massaker an der saudischen Grenze."
Berichte über Massenerschießungen von wehrlosen Menschen. Von Menschen, die vor Krieg und Armut fliehen. Berichte, die auch der Bundesregierung seit längerem bekannt sind. Denn die Vereinten Nationen haben schon im Oktober letzten Jahres massive Menschenrechtsverletzungen dokumentiert:
Zitat: "… Saudische Sicherheitskräfte nutzen Scharfschützen-Angriffe auf Migranten in kleinen Gruppen und Granatwerfer oder Bombenbeschuss auf Migranten in größeren Gruppen…"
Konsequenzen hat das alles offenbar nicht. Als Olaf Scholz im vergangenen Herbst in die Golfstaaten reiste, wurde er auch von Guillaume Faury begleitet, dem französischen Vorstandsvorsitzenden von Airbus. Seitdem hat die Bundesregierung die Beschränkungen für den Rüstungsexport nach Saudi-Arabien immer weiter aufgeweicht. Auch aus den eigenen Reihen kommt nun Kritik.
Ralf Stegner (SPD), Mitglied des Bundestages: "Solange Saudi-Arabien als eine blutrünstige Diktatur sich daran beteiligt, Flüchtlinge zu verfolgen, zu foltern, umzubringen, kann das kein Partner für eine privilegierte Zusammenarbeit sein, kann man dahin nicht Waffen liefern und sollte man auch keine Ausbildungsmissionen unterstützen. Und zu sagen, ich vermittle ja die Menschenrechte, leider werden sie da nicht angewandt, ist jedenfalls keine Position, die mit den Grundwerten vereinbar ist, auf die wir unsere Politik jedenfalls stützen."
Grundwerte, die in Saudi-Arabien offenbar nicht gelten.
Georg Restle: "Auf Anfrage schreibt uns das Innenministerium, man nehme die Berichte von Human Rights Watch sehr ernst. An der Ausbildungsmission will man vorerst aber offenbar festhalten. Gleiches gilt für die Energiepartnerschaft. Willkommen in der schäbigen Realität internationaler Politik."
Kommentare zum Thema
Gut wäre wenn Monitor-Redakteure den grausamen Krieg in der Ostukraine mehr thematisieren würden, und zwar neutral, ohne ideologische grün-68er Verfärbung. Die durch meist in ideologisch grün-68er Führung befindlichen Medien einseitig gegen „Russen“ gerichtete Berichterstattung wirkten mir zu arg rassistisch-nationalistisch für die Ukraine. Mir kann niemand glaubhaft erzählen dass es vorwiegend nur bei Menschen bestimmter gebürtiger Herkunft charakterlich fehlgeleitete Menschen gibt. Wir Menschen sind im Grunde erdenkt durchschnittlich gleich, ob es Deutsche, US-Amerikaner, Russen, Ukrainer oder andere sind. Es gibt überall in der Anzahl gleich gute wie böse Menschen. In unseren Medien propagandistisch immer wieder nur Russen als Verbrecher, Vergewaltiger darzustellen dass ist ein ideologisch-rassistisches Unrecht. Der Krieg in der Ukraine „den mehrheitlich Russen wie Ukrainer nicht wollten“ gehört sofort durch diplomatische kompromissbereite Verhandlungen beendet, nicht durch Waffen….
Es ist wirklich erschreckend wie schäbig die Realität ist. Wer hätte das gedacht ? Dabei haben wir uns doch alles so schön vorgestellt.
Auch hier geht es nicht um „Flüchtlinge“, der Film selbst dokumentiert das unübersehbar. Auch hier ist das Ausmaß der Illegalen erschreckend, was der Film ebenfalls überdeutlich gezeigt hat. Die Grenze zum Jemen ist lang und schwierig, religiöser Extremismus auf jeder Seite weit verbreitet und da kann ich sehr gut verstehen, dass man sowohl das Eindringen von Terroristen als auch die illegale Einreise in den saudischen Arbeitsmarkt unbedingt verhindern will. Egal was man von der saudischen Politik allgemein und hier im besonderen hält, ausnahmsweise kritisiere ich in diesem speziellen Punkt mal nicht unsere Bundesregierung wenn es um Unterstützung Saudi Arabiens geht.