Bericht: Stephan Stuchlik, Lutz Polanz
Georg Restle: „Zunächst aber zu einer Bevölkerungsgruppe, über die wir erstaunlich wenig wissen, obwohl sie bei der nächsten Bundestagswahl wahlentscheidend sein könnte, die Aussiedler. Über vier Millionen von ihnen leben in Deutschland. Die allermeisten kommen aus Staaten der ehemaligen Sowjetunion, sogenannte Russlanddeutsche. Bisher haben die meisten von ihnen treu die CDU gewählt, doch das ändert sich gerade. Das zeigt auch ein Blick auf die Wahlergebnisse aus NRW vom Wochenende. Vor allem dort, wo besonders viele Russlanddeutsche leben, hat jetzt die AfD ihre mit Abstand besten Ergebnisse erzielt. Bis zu 18,8 Prozent in Bielefeld-Baumheide, in Duisburg-Neumühl 19,6 Prozent, und in Espelkamp sogar bis zu 23,7 Prozent. Stephan Stuchlik und Lutz Polanz waren in ganz Deutschland unterwegs, um herauszufinden, warum ausgerechnet Menschen, die einmal selbst nach Deutschland einwanderten, jetzt eine Partei wählen, die so massiv gegen Zuwanderer Stimmung macht.“
Espelkamp im Nordosten von Nordrhein-Westfalen, Reihenhaussiedlungen aus den 40er und 50er Jahren, 24.000 Einwohner, fast alle Aussiedler, viele sind schon nach dem 2. Weltkrieg hierhergekommen. Ausgerechnet hier hat die AfD Rekordergebnisse eingefahren, bis zu 23,7 Prozent.
Enttäuschung über die CDU, über die selbsternannte „Aussiedlerpartei“. Jahrelang habe man etwa versprochen, Auswanderer bei der Pension gleichzustellen, passiert sei nichts.
Mann: „Wir haben geschuftet, eingezahlt. Uns hat keiner gefragt, kommst du mit dem Geld aus oder nicht? Ja, also das ist nicht gerecht.“
Misstrauen uns gegenüber. Es dauert eine ganze Weile, bis uns jemand in die Kamera sagt, dass er tatsächlich AfD wählt.
Reporter: „Finden Sie denn die AfD wählbar? Kann man die überhaupt wählen?“
AfD-Wähler: „Ja.“
Reporter: „Haben Sie CDU gewählt früher?“
AfD-Wähler: „Immer CDU jahrelang, ja.“
Reporter: „Warum jetzt AfD?“
AfD-Wähler: „Ein bisschen wechseln, AfD.“
Einfach mal eine andere Partei wählen? Oder ist bei den Russlanddeutschen grundsätzlich etwas ins Rutschen gekommen? Wir fragen nach im russlanddeutschen Reisebüro um die Ecke. Lieber auf Russisch beschreibt Jakob Plett, was seine Kunden gerade umtreibt.
Jakob Plett, Reisebüro Plett (Übersetzung Monitor): „Alle unsere Leute sind ja in den Zeiten von Helmut Kohl hierhergekommen. Und als Zeichen der Dankbarkeit wählen sie bis heute meistens die CDU. Aber ich sage Ihnen, jeder hier fängt zu denken an, warum sie die Flüchtlinge ins Land gelassen haben, die laufen hier den ganzen Tag rum. Wissen Sie, wir haben auch noch Verwandte im Ausland, die wir gerne hierhergeholt hätten, aber uns haben sie das nicht erlaubt. Warum haben sie diese Leute dann ohne weiteres hier reingelassen?“
Benachteiligung, das ist das Thema der Menschen hier. Die AfD machte kaum Straßenwahlkampf in Espelkamp. Das musste sie auch nicht, das Werben findet im Internet statt: Russlanddeutsche für die AfD. Die selbsternannten „Deutschen Patrioten“ werben auf Russisch um Wählerstimmen, als Алтернатива для Германий. Und auf Russisch rufen AfD-Kandidaten zur Verteidigung des deutschen Vaterlandes auf.
Er kümmert sich um die Koordinierung dieser Russlanddeutschen und der AfD: Heinrich Groth, selbst Aussiedler, hier zusammen mit dem Spitzenkandidaten Alexander Gauland. Er sieht ein riesiges Wählerpotential.
Heinrich Groth, Koordinierungszentrum der Russlanddeutschen: „Russlanddeutsche in Deutschland ist eine ganz große Gruppe. Wenigstens vier Millionen Personen. Dieses Koordinierungszentrum soll sich genau mit der Aufklärungsarbeit zwischen Russlanddeutschen beschäftigen, damit sie bei allen Wahlen, die jetzt laufen und besonders bei der Bundestagswahl unsere Landsleute aufrufen, die AfD zu unterstützen. Ganz zielmäßig die AfD.“
Und so sieht Groths Umfeld aus: Berlin-Marzahn, auch hier gibt es überdurchschnittlich viele Russlanddeutsche, die AfD kam genau hier bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus auf 32,6 Prozent.
Es ist eine kleine Parallelwelt mit Russenpop aus den Lautsprechern. Wer hier nicht russisch spricht, fällt sofort auf. Deutschlandweit sprechen 42 Prozent der Russlanddeutschen zu Hause ausschließlich russisch, viele informieren sich vor allem über russische Medien. Besonders der Supermarkt könnte so auch in einer Moskauer Vorstadt stehen. Fünf Meter russische Bonbons, ein Korridor Wodka, die Bewohner haben sich die Welt aus dem Osten importiert. Hier leben andere Menschen als in Espelkamp. Viele hier haben früher Links gewählt, bis jetzt mit den Flüchtlingen auf einmal das Thema „Sicherheit“ in den Vordergrund rückte.
Russlanddeutsche: „Ich hab jetzt Angst vor wann gehen meine Kinder raus. Ja.“
Reporter: „Ja?“
Russlanddeutsche: „Ich hab Angst. Ich hab Angst vor meinen Enkelkindern. Die sind jetzt so acht Jahre, zehn Jahre. Ich kann die auch alleine nicht lassen, jetzt.“
Es ist absurd, alteingesessene Deutsche haben hier Angst vor den Russlanddeutschen, diese haben Angst vor den neuen Zuwanderern. Erstaunlich nur: Nach der jüngsten Statistik der Stadt ist der Bezirk Marzahn-Hellersdorf insgesamt einer der sichersten in ganz Berlin.
Heinrich Groth hat letztes Jahr die Demonstrationen wegen der angeblichen Vergewaltigung des russisch-deutschen Mädchens Lisa mitorganisiert. Zur Zuwanderung hat er eine klare Meinung.
Heinrich Groth, Koordinierungszentrum der Russlanddeutschen: „Wenn man das jetzt nicht stoppt, radikal nicht ändert, dann hat man in 20 Jahren kein Deutschland mehr. Es kommt so ganz bestimmte Umvolkung wie es vor kurzem eine Dame aus der CDU richtig formuliert hat.
Reporter: „Das würden Sie auch so formulieren: „Umvolkung“?“
Heinrich Groth, Koordinierungszentrum der Russlanddeutschen: „Das passt völlig meine Vorstellungen.“
Aber weiß Groth eigentlich, für welche Partei er da wirbt?
Reporter: „Sie haben Russlanddeutsche, Menschen, die wirklich irgendwie auch zum Teil noch aktiv gegen Nazi-Deutschland gekämpft haben. Und in der Partei gibt es jetzt unbestritten Leute, die diese Nazi-Zeit überhaupt nicht mehr kritisch sehen, Herr Groth.“
Heinrich Groth, Koordinierungszentrum der Russlanddeutschen: „Damit muss man leben, es gibt verschiedene Meinungen, in allen Parteien.“
Reporter: „Das ist richtig. Aber ich meine, es ist ein Punkt, ob ich nicht mit der Verkehrspolitik einverstanden bin oder das andere, wo ich mit der Aufarbeitung im Dritten Reich nicht einverstanden bin.“
Heinrich Groth, Koordinierungszentrum der Russlanddeutschen: „Lassen wir den Dritten Reich in Ruhe. Es war nicht die schlechte Zeit, glaube ich, für das deutsche Volk hier im Land.“
Nazi-Parolen. Die Partei schürt die Angst vor Flüchtlingen bei den Russlanddeutschen: 90.000 Sozialhilfeempfänger würden sich jeden Monat auf den Weg nach Deutschland machen. Die Botschaft ist klar: die Sicherheit Deutschlands ist in Gefahr.
In dieser Idylle kann man die Früchte dieser Propaganda besichtigen: Pforzheim-Haidach in Baden-Württemberg. Hochburg der Russland-Deutschen, Hochburg der AfD: 49,3 Prozent bei den letzten Landtagswahlen. Die Menschen haben Angst, auch die neue Heimat Deutschland wieder zu verlieren, erzählen sie uns. Thema Nummer eins: Angst vor den Flüchtlingen.
Reporter: „Was sind denn dann die Sorgen, die damit verbunden sind. Was denkt man da?“
Mann: „Mehr Kriminalität, allgemein.“
Frau: „Alle sitzen und sie haben keine Arbeit. Sie arbeiten nicht. Sie wollen nicht. Sie wollen nicht. Und sie wollen nicht hier integrieren.“
Dabei sieht der Haidach gar nicht nach einem Problemviertel aus. Die Menschen hier gelten als gut integriert, haben Arbeit, es ist sauber und sicher. 33 Flüchtlinge leben hier in einer Unterkunft, doch von denen ist weit und breit nichts zu sehen.
Reporter: „Haben die Leute denn hier so viel Angst vor Flüchtlingen auch tatsächlich?“
Frau: „Was sollen wir vor denen Angst haben? Da sind ja keine. Ich hab da noch keinen gesehen. Da sind 10.000 Einwohner da oben auf dem Haidach, und kein einziger Flüchtling. Ich weiß nicht, vor wem die Angst haben. Aber Propaganda ist Propaganda. Man kann immer die Leute beeinflussen.“
Propaganda, die auch die AfD verbreitet. Waldemar Birkle ist hier der Bundestagskandidat der AfD, geboren in Kasachstan. Dass die Partei jetzt verstärkt auf Russlanddeutsche setzt, sei nur konsequent.
Waldemar Birkle, Bundestagskandidat AfD: „Dass viele Aussiedler jetzt auch auf der Listenplätze sind oder als Kandidaten auftreten, ist einfach der Tatsache geschuldet als Anerkennung der Leistung, die man bisher für die AfD gemacht hat.“
Die Russlanddeutschen sind die größte Zuwanderergruppe mit Wahlrecht. Wenn die AfD sich weiter so konsequent um sie bemüht, könnten Espelkamp, Berlin und Pforzheim erst der Anfang des Erfolges gewesen sein.
Georg Restle: „Nein, natürlich sind nicht alle Russlanddeutsche Anhänger der AfD. Aber vielleicht fangen ja auch mal die anderen Parteien an, sich intensiver um diese Bevölkerungsgruppe zu kümmern. Und nicht nur die Parteien.“
Kommentare zum Thema
Vielleicht sollten die anderen Parteien sich einfach mal um die Sorgen und Nöte der eigenen Bevölkerung kümmern.
Liebe ARD, wie wärs mal mit einem neuen Beitrag zu Russlanddeutschen und (Spät-)Aussiedlern. Mir wird ganz übel, wenn ich diesen Beitrag hier sehe. Wie schon im Beitrag geschrieben, leben 4 Millionen (Spät-)Aussiedler in Deutschland. Und ihr geht an sogenannte "Brennpunkt"-Orte und interviewt die Menschen dort. Sofort ergibt sich das Bild des Russlanddeutschen, der kein deutsch spricht, gegen Flüchtlinge hetzt und Putin liebt. Aber wir sind keine homogene Masse. Genau wie der Rest der Bevölkerung auch nicht. Wir schließen ja auch nicht von Familie Ritter auf den Rest der Bevölkerung. In Russland waren meine Eltern immer die "Scheiß Deutschen", "Scheiß Faschisten". Aber hier bleiben wir die "Scheiß Russen" und werden immer noch nicht akzeptiert. Trotz guter deutscher Sprache, Bildung, Arbeit. Befasst euch mal mit Slawenfeindlichkeit. Educate yourself. Traurig, dass dieses Bild, wie im Beitrag immer noch erhalten bleibt.
Kleine Anmerkung meinerseits: Viele dieser Spätaussiedler oder Aussiedler aus dem Osten haben ihrer Heimat den Rücken gekehrt, weil dort mitunter das gleiche Klientel in der Überzahl war und ihnen dort das Leben schwer gemacht hat, was jetzt von den Wahnsinnigen Machthabern in Deutschland ohne jegliche ernsthafte Erfassung oder Registrierung ins Land gelassen wurde und wird und mithilfe der Plünderung der hier schon länger lebenden Steuerzahler vollversorgt wird. Da kann ich jeden verstehen und unterstützen, der eine Partei wählt, die die Grenzen wieder schützen will und als einzige Partei Volksentscheide wie in der benachbarten Schweiz befürwortet.