MONITOR vom 10.02.2022

Putins Gas: Wie Deutschland sich erpressbar machte

Bericht: Achim Pollmeier, Shafagh Laghai

Putins Gas: Wie Deutschland sich erpressbar machte Monitor 10.02.2022 07:18 Min. Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste Von Achim Pollmeier, Shafagh Laghai

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Georg Restle: "Droht da tatsächlich ein Krieg in der Ukraine oder will Russland nur seine Folterwerkzeuge zeigen beim Kampf um mehr Einfluss in Osteuropa? Darüber sind sich internationale Beobachter noch uneinig. Einig sind sich die meisten dagegen, wenn es um die Beurteilung der deutschen Bundesregierung geht, die da gerade ein höchst eigenartiges Schauspiel aufführt auf internationaler Bühne. Vor allem beim Streit ums Gas und diese Pipeline, deren Namen der Bundeskanzler partout nicht in den Mund nehmen will, wenn es um mögliche Sanktionen gegenüber Russland geht. Es ist das, was man wohl ein beredtes Schweigen nennt, weil es Auskunft darüber gibt, wie abhängig Deutschland mittlerweile von Moskaus Interessen ist. Shafagh Laghai und Achim Pollmeier."

Russische Truppen nahe der ukrainischen Grenze, Militärübungen im ganzen Land. Bilder, die zeigen sollen, Russland ist gut gerüstet für einen möglichen Krieg. Amerikanische Satellitenaufnahmen lassen vermuten, dass rund 110.000 russische Soldaten an der Grenze zur Ukraine stationiert sind. Am Montag, Antrittsbesuch von Bundeskanzler Scholz in den USA. Die wichtigste Frage, welche Sanktionen gegen Russland würde Deutschland im Falle eines Einmarsches in die Ukraine unterstützen? Für den US-Präsidenten ist die Sache klar.

Joe Biden, US-Präsident (07.02.22) (Übersetzung Monitor): "Es wird dann kein Nord Stream 2 mehr geben. Wir werden dem ein Ende bereiten."

Und Deutschland? Der Bundeskanzler bleibt auffällig vage. Vermeidet schon den Namen Nord Stream 2. Die Gas-Pipeline aus Russland ist ein heikles Thema für den Kanzler. Denn die Ukraine-Krise ist zu Hause längst eine Energiekrise geworden.

Diverse Tagesschau-Sprecher: "Angesichts weiter steigender Energiepreise … – Die weltweit steigenden Preise … – Der kräftige Anstieg der Gaspreise hat eine Diskussion über die Ursachen ausgelöst …"

Die Energiepreise sind auf einem Rekordhoch. Viele Menschen in Deutschland werden Tausende Euro mehr im Jahr bezahlen müssen. Ein Energiepreis-Schock, auch weil Russland die Gasexporte nach Deutschland drosselt? Fakt ist, fast 55 Prozent aller deutschen Gasimporte kommen aus Russland. Aber jetzt sind viele Gasspeicher in Deutschland fast leer, auch weil der russische Staatskonzern Gazprom so wenig Gas liefert wie seit sieben Jahren nicht mehr. Aktuell etwa 40 Prozent weniger als vor einem Jahr. Für Russlands Staatschef Wladimir Putin ist klar, mehr Gas gibt es, wenn Nord-Stream 2 genehmigt wird, sagte er bereits im Oktober.

Wladimir Putin, Präsident Russland, 21.10.2021 (Übersetzung Monitor): "Wenn Deutschlands Behörden Nord Stream 2 heute freigeben, dann können wir morgen mit der Gaslieferung starten."

Erpressung auf offener Bühne – Gas als Druckmittel. Dabei geht es Putin längst um weit mehr als nur um Nord Stream 2, sagt die Russland-Expertin Catherine Belton.

Catherine Belton, Russland-Expertin (Übersetzung Monitor): "Russland will die Europäische Antwort auf die Ukraine-Krise schwächen. Und dafür droht es mit der Energie-Waffe und zeigt, wenn ihr uns Probleme macht, dann liefern wir euch weniger Gas."

Der Kreml weist das zurück. Doch laut Internationaler Energieagentur könnte Gazprom sofort 30 Prozent mehr Gas liefern, eine Gasknappheit gibt es in Russland also nicht.

Janis Kluge, Stiftung Wissenschaft und Politik: "Gazprom könnte sehr hohe Gewinne einfahren, wenn es jetzt mehr liefern würde. Aber es liefert nicht, das heißt, es verhält sich hier nicht wie ein profitorientiertes Unternehmen. Das heißt, es zeigt, dass Gazprom auch ein politisches Instrument des Kremls ist."

Und Putins Einfluss reicht bis hierher. Die wichtigsten deutschen Gasspeicher in Niedersachsen, 2015 wurden sie von Gazprom übernommen. Der russische Staatskonzern kontrolliert seither fast 25 Prozent der deutschen Gasspeicher.

Michail Krutichin, Analyst RusEnergy (Übersetzung Monitor): "Wenn ein Unternehmen als politische Waffe der Russischen Regierung agiert und die Kontrolle über einen großen Teil der Speicherkapazitäten übernimmt, dann kann dieses Unternehmen das für politische Erpressung nutzen."

Deutschlands Abhängigkeit von Gazprom macht erpressbar. Aber wie konnte es so weit kommen? Rückblick: 2005 vereinbarten der damals amtierende Bundeskanzler Gerhard Schröder und Wladimir Putin das Pipeline-Projekt Nord Stream 1 – ein rein privatwirtschaftliches Projekt, hieß es damals. Und das obwohl die über 1.000 km lange Pipeline durch die Ostsee ein zentrales politisches Ziel verfolgte, die Ukraine als Transitland künftig zu umgehen. Nord Stream kein politisches Instrument? So sah es auch Schröders Nachfolgerin Angela Merkel. Bei der Einweihung der Pipeline sagte sie:

Angela Merkel: "Bei aller politischen Unterstützung muss man sagen, dass Nord Stream ein Wirtschaftsprojekt ist."

Ein Wirtschaftsprojekt. Diese Sichtweise ändert sich nicht einmal, als 2014 russische Truppen auf der Krim einmarschieren und die ukrainische Halbinsel annektieren. Als der Westen Sanktionen beschließen will, bremst die Bundesregierung und plant noch mehr Geschäfte mit Russland. Denn 2015 folgt der Beschluss zum Bau der nächsten großen Pipeline, Nord Stream 2. Und wieder nennt die Bundesregierung die Gasleitung ein "rein privatwirtschaftliches Projekt".

Janis Kluge, Stiftung Wissenschaft und Politik: "Wenn man sich alle diese Schritte anschaut, dann sieht man eben ein Deutschland, das nur nach wirtschaftspolitischen Maximen gehandelt hat und die politischen Veränderungen, die während dieser Zeit stattgefunden haben – die dramatisch waren – dass diese politischen Veränderungen völlig ausgeblendet wurden, um eben die Geschäfte zu ermöglichen."

Auch Olaf Scholz bezeichnete Nord Stream 2 bis vor kurzem als rein privatwirtschaftliches Projekt. Dass das nicht stimmt, zeigt die Debatte über einen möglichen Krieg, für den da gerade mobil gemacht wird – mitten in Europa.

Kommentare zum Thema

  • Anonym 22.02.2022, 18:10 Uhr

    Kein Wunder, was in Putinland wieder abgeht, so wie das linke dt. naive , geradezu kindliche Milieu bis hin zum Staatsdienst Alles beschönigt und verklärt hat. Trump und der böse Ami waren immer die Erzfeinde und Putin immer der liebe Onkel von Nebenan !Niemand ist bekloppter als die Linken !

  • discovery learning 17.02.2022, 20:07 Uhr

    Gas hin,Gas her: Kapitalismus-Ideologie,vor Jahrzehnten noch einvernehmlich exakt ostfeinbildorientiert, rudert derweilen im eigenen Schlick seiner Widersprüche. Befanden sich Politverein Merkel-Ära und Vorgänger gemäß Adenauerrichtlinien noch exakt gemeinsam auf Kurs gegen die "Nestbeschmutzer" im sog. Osten, jenseits ihrer Macht, gräbt man sich seitdem gegenseitig das Wasser ab. "Kritik" natürlich jetzt von den abgestraften CDU/CSU Eliten. Nichts, aber auch garnichts machen also ihre ungeliebten Nachfolger richtig. Eigene Unfähigkeit von damals>skrupelos exportiert. Jede Machtstruktur kehrt ihren Abfall vor die Haustür der anderen. Schäbig-aber charaktereigen.

  • M. Seebach 15.02.2022, 08:44 Uhr

    Laut Monitor-Lesart versucht also die Ministerpräsidentin von MV, geltendes Recht (Sanktionen der USA) durch juristische Tricks auszuhebeln, um die North Steam 2 zu ermöglichen. Das Gegenteil ist der Fall. Die exterretorialen Sanktionen der USA sind nicht durch geltendes Recht gedeckt und schaden der deutschen Wirtschaft, und MV versucht durch Tricks, die aber durch das Recht gedeckt sind, die Pipeline zu ermöglichen, zum Vorteil der Wirtschaft in MV, wofür die Ministerpräsidentin ihren Eid geschworen hat.