MONITOR vom 27.05.2021
Heimlich eingestellt: Wie gewalttätige Polizisten vor Strafverfahren geschützt wurden
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Kommentieren [84]Bericht: Jan Keuchel, Christina Zühlke
Heimlich eingestellt: Wie gewalttätige Polizisten vor Strafverfahren geschützt wurden
Monitor. 27.05.2021. 06:43 Min.. UT. Verfügbar bis 30.12.2099. Das Erste. Von Jan Keuchel, Christina Zühlke.
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Georg Restle: „Diesem jungen Mann hier ist größtes Unrecht widerfahren. Erst wurde er von Polizeibeamten beleidigt, geschlagen und getreten und dann schwerst gedemütigt. Über seinen Fall haben wir bei MONITOR ausführlich berichtet. Doch statt die Polizeibeamten zu bestrafen, wurde dem Opfer der Prozess gemacht, durch alle Instanzen, weil die Kölner Staatsanwaltschaft sich mit seinen Freisprüchen nicht zufrieden geben wollte. Erst nach dem letzten Urteilsspruch eröffnete man dann doch nochmal ein Ermittlungsverfahren gegen die Polizeibeamten. Jetzt gab es dazu eine Entscheidung, die man nur mit einem Wort beschreiben kann: skandalös! Christina Zühlke und Jan Keuchel.“
Hier im Schatten des Kölner Doms begann der schlimmste Tag seines Lebens. der 3. Juli 2016. Sven will nur zur Toilette, in diesem Schnellrestaurant. Vor ihm werden zwei Frauen bedrängt. Er versucht zu helfen, dann kommt es zu einer Rangelei. Die Mitarbeiter rufen die Polizei.
Sven: „Ich weiß nur, dass das alles sehr schnell ging, dass irgendein Polizeibeamter direkt auf mich zukam, sehr aggressiv – so sind meine Erinnerungen. Und dann kam es schon eigentlich wahrscheinlich zu dem Schlag.“
Sven geht zu Boden, wird nach draußen geschleppt und getreten.
Sven: „Und dann kam dann ein Polizist, der hat dann mich ins Gesicht geschlagen und hat gesagt, das brauchst du doch, Schwuchtel!“
Die Folge: schwere Blutergüsse. Sven wird grundlos eingesperrt, auf der Wache wird ihm zu Unrecht Blut abgenommen. Mitten in der Nacht setzen sie ihn in Unterwäsche vor diese Hintertür. Seine Kleidung ist unerklärlicherweise klatschnass. Doch es kommt noch schlimmer. Eine Oberstaatsanwältin klagt nicht die gewalttätigen Polizisten an, sondern ihn – wegen angeblichen Widerstands. Sein Glück, eine Polizeischülerin, die beim Einsatz dabei war, traut sich, gegen ihre Kollegen auszusagen. Zu den Aussagen der Polizisten notiert die Richterin,
Zitat: „deutliche Zweifel an deren Richtigkeit”.
Und so kommt es 2017, beim Amtsgericht Köln, zum Freispruch für Sven. Aber die Oberstaatsanwältin geht in Berufung. Landgericht Köln 2019, der Richter betont, dass die Polizisten angeklagt gehören. Aufsehen erregt, dass er sich sogar bei Sven entschuldigt, für einen Staat, der einem Bürger so etwas antut. Erneuter Freispruch für Sven. Doch die Oberstaatsanwältin lässt nicht locker, geht in Revision, schickt Sven ein drittes Mal auf die Anklagebank.
Sven: „Da ist mir erst mal richtig schlecht geworden. Ich hatte gehofft, dass dieses sehr nachhaltige Urteil von dem Richter am Landgericht – jetzt auch zum zweiten Mal halt freigesprochen – wirkt.“
Oberlandesgericht im Februar 2020 – und wieder, anstatt Sven zu bestrafen, betont auch dieses Gericht, die Staatsanwaltschaft müsse gegen die Polizisten ermitteln. Sven und sein Anwalt, Jürgen Sauren, fragen danach immer wieder, ob es solche Ermittlungen gibt. Über ein Jahr lang bitten sie die Staatsanwaltschaft Köln um Akteneinsicht – vergeblich. Im April 2021 erfahren sie plötzlich, dass die Staatsanwaltschaft die Verfahren schon Wochen zuvor gegen Geldbuße eingestellt hat. Auffällig ist, ausgerechnet die Oberstaatsanwältin, die dreimal erfolglos gegen Sven vorgegangen war, ermittelte nun gegen die Polizisten, bei denen sie bisher kein Fehlverhalten erkennen wollte. Ihre Einstellung begründet sie damit, dass Zweifel bestünden,
Zitat: „dass es (...) zu einer Verurteilung kommen wird.”
Schwer nachvollziehbar, schließlich hatte schon das Landgericht das Verhalten der Polizisten eindeutig als strafbar bewertet. Das Niederschlagen: „war nicht gerechtfertigt“, Svens Fesselung: „rechtswidrig“, der Tritt und der Faustschlag: „gefährliche Körperverletzung [...] im Amt“, Beschimpfen von Sven als Dumme Schwuchtel: „Beleidigung“, Blutabnahme: „rechtswidrig“, Einsperren: „Freiheitsberaubung (im Amt)“.
Svens Anwalt, Jürgen Sauren, versteht nicht, wieso nach diesen Vorwürfen eine Verurteilung der Polizisten zweifelhaft sein soll.
Jürgen Sauren, Strafverteidiger: „Ich habe festgestellt, dass man drei Jahre, vier Jahre versucht hat, meinen Mandanten mit aller Gewalt zu verfolgen wegen eines … wegen eines winzigen Vorwurfs. Und umgekehrt, dass man die Polizisten nicht mit der gleichen Intensität überprüft, das, was sie gemacht haben sollen. Und das ist schon sehr ernüchternd.“
750,- Euro Geldbuße seien ausreichend, so die Oberstaatsanwältin. Denn an einer Anklage bestehe kein großes, öffentliches Interesse. Kein großes, öffentliches Interesse? Nach MONITOR-Recherchen wurde sogar der NRW-Justizminister regelmäßig informiert, weil der Fall für großes Aufsehen gesorgt hatte. Rechtswissenschaftler Tobias Singelnstein hat für die Begründung der Kölner Staatsanwaltschaft keinerlei Verständnis.
Prof. Tobias Singelnstein, Rechtswissenschaftler Universität Bochum: „Dieser Fall hat erhebliches, öffentliches Aufsehen erregt, es gibt ein erhebliches, öffentliches Interesse, auch allgemein bezüglich rechtswidriger, polizeilicher Gewaltausübung. Und dass man so einen öffentlich bekannten Fall nun auf diese Art und Weise erledigt, anstatt eine öffentliche Hauptverhandlung durchzuführen, ist aus meiner Sicht nicht in Ordnung.“
Zumindest Schmerzensgeld will Sven erhalten und klagt nun gegen das Land NRW – als Arbeitgeber der Polizisten. Doch das Land Nordrhein-Westfalen demonstriert mit beeindruckender Kaltschnäuzigkeit, was es davon hält. Der Anwalt des Landes schreibt Sven, für Schmerzensgeld gebe es keinen Anlass, weil er doch
Zitat: „bereits Genugtuung durch die ergangenen Entscheidungen [...] erlangt hat”.
Genugtuung, nachdem man ihn jahrelang zu Unrecht durch alle Instanzen hindurch verfolgt hat? Und die Polizisten davonkommen lässt?
Sven: „Genugtuung wäre für mich, wenn man mich nicht zum Angeklagten gemacht hätte, und wenn die wahren Täter einfach angeklagt worden wären, von Anfang an.“
Schläge, Misshandlungen und eine jahrelange Tortur durch die Kölner Staatsanwaltschaft. Auf eine Entschuldigung der Behörden wartet Sven bis heute.
Georg Restle: „Gewalttätige Polizeibeamte, die nicht zur Rechenschaft gezogen werden, kommt häufiger vor. Und das wird sich vermutlich auch nicht ändern, solange hier Staatsanwaltschaften ermitteln, die aufs engste mit der Polizei verbunden sind.“
Stand: 27.05.2021, 22:30 Uhr
84 Kommentare
Kommentar 84: Johannes Bach schreibt am 22.04.2022, 22:45 Uhr :
Mir fehlt da mehr zur Vorgeschichte! Warum wird der Anzeigeerstatter geschlagen, wenn er zwei bedrängten Frauen helfen wollte. Da fehlt was!!!
Kommentar 83: Anonym schreibt am 06.04.2022, 22:40 Uhr :
Dieser Kommentar wurde gesperrt, weil er gegen unsere Netiquette verstößt. (die Redaktion)
Kommentar 82: Opfer von Polizeigewalt schreibt am 28.03.2022, 05:34 Uhr :
Ich habe bösartigen Psychoterror und körperliche Gewalt durch zwei Polizistinnen erlebt. Habe es angezeigt. Ich wurde ausgelacht, auch von der Staatsanwaltschaft. "Kein öffentliches Interesse". Ein Richter hat sich bei der einen sogar entschuldigt. Zwei Richterinnen haben Durchblick bewiesen und den beiden Beamtinnen unmissverständlich klar gemacht, besser nichts mehr gegen mich "zu veranstalten", sie befänden sich auf "dünnem Eis". Ich habe den Glauben und das Vertrauen in die Polizei leider verloren. Aber ich kämpfe weiterhin für Aufklärung und Anerkennung. Never give up!
Kommentar 81: J. Rentsch schreibt am 06.03.2022, 23:24 Uhr :
Kein Wunder wenn der Respekt verloren geht, bei derlei vorgehen staatlicher Seite. Kein Wunder dann auch wenn die Wut wächst über das systemische Versagen und bewusste Vertuschen derlei nicht wirklich seltener Vorkommnisse. Demokratie...am A....
Kommentar 80: Frank Kauling schreibt am 10.02.2022, 03:14 Uhr :
Gut gesagt 👍👍👍👍👍👍👍👍👍👍👍👍👍👍👍👍👍👍👍👍👍👍👍👍👍👍👍👍
Kommentar 79: Lutz Lichter schreibt am 06.02.2022, 11:32 Uhr :
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Kommentar 78: Anonym schreibt am 16.01.2022, 17:56 Uhr :
Ich lach mich strack! 750€ für Beleidigung, mehrfache Körperverletzung (Schläge, Tritte, Blutabnahme,...) Freiheitsberaubung. Einen Bürger hätte sich die Staatsanwaltschaft gehörig vorgeknöpft, der darf für 750€ noch nicht einmal "Bulle" sagen.
Kommentar 77: Gequält vom Rechtsstaat schreibt am 05.01.2022, 03:08 Uhr :
Auch wir haben mehrfach erlebt wie die Polizei und Justiz willkürlich unser Leben zerstört haben und eben nicht gegen Beamte vorgehen bzw. Alles im Sande verläuft
Kommentar 76: Grundi schreibt am 10.11.2021, 17:10 Uhr :
Zitat Herr Restle ….“ solange hier Staatsanwaltschaften ermitteln, die aufs engste mit der Polizei verbunden sind… Dazu passt mein Fall aus BW. Da Links gegen die Netiquette Verstoßen hier die Mailadresse wo sie den Link bekommen grundi.seg(at)gmx.de oder nach grundi petitionsplacebo Googeln Ich bin felsenfest überzeugt in einem Rechtsstaat zu leben. Wer versucht Macht und Gewalt zu missbrauchen wird früher oder später doch einsehen dass der Missbrauch aufgedeckt wird. Steter Tropfen höhlt den Stein. Ich werde jedenfalls nicht aufgeben. Aktuell läuft auch eine Petition im Landtag BW mit der Nummer 17/398
Kommentar 75: keine lobby schreibt am 09.11.2021, 15:54 Uhr :
Der Polizei wurde vom Staat das Gewaltmonopol übertragen. Allerdings haben die Beamten auch Pflichten, die die Rechte von Bürgern schützen sollten. Wie viele höchst bedauerliche Vorfälle zeigen, handelt es sich aber nur um schöne Worte. So lange es hierzulande keine unabhängigen Beschwerdestellen gibt und die Justiz uns immer wieder vorführt, dass der Artikel des Grundgesetzes, dass vor dem Gesetz alle gleich sind nur eine Farce ist, sind wir von einem Rechtsstaat sehr weit entfernt
Kommentar 73: Anonym schreibt am 30.08.2021, 10:33 Uhr :
Dergleichen "Hüter von Recht und Ordnung" gehörten entlassen. Und angeklagt wegen Rechtsverstössen im Amt!