Bericht: Frank Konopatzki, Kim Otto
Georg Restle: „24 Menschen starben in den Flammen dieses Krankenhauses: Patienten, Ärzte, Pfleger. Folgen eines US-Luftangriffs in Kundus/Afghanistan vor zwölf Tagen. Bilder vom Tatort eines Kriegsverbrechens? Diesen Vorwurf erhebt jedenfalls die Organisation Ärzte ohne Grenzen. Und dieser Verdacht wird dann auch durch unsere Recherchen erhärtet. Guten Abend und willkommen bei Monitor. Was in der Nacht vom 2. auf den 3. Oktober in Afghanistan tatsächlich geschah, dazu gleich mehr. Zuerst aber zu dem Thema, das die politische Agenda auch heute wieder bestimmt hat - die Flüchtlingskrise. Es gibt da ja eine große Befürchtung in diesem Land, die auch von Regierungspolitikern immer wieder geäußert wird: Unter die Flüchtlinge aus Syrien oder dem Irak könnten sich IS-Terroristen mischen, um hier in Deutschland gezielt Anschläge zu verüben. Auch deshalb müsse sich Europa abschotten, die Grenzen dicht machen. Aber wie real ist diese Gefahr tatsächlich? Und droht Deutschland tatsächlich eine Welle des Terrors, nur weil Flüchtlinge zu uns kommen?“
Sie kommen über tausende Kilometer, fliehen vor Krieg und Terror. Und wer es zu uns schafft, gerät erstmal unter Generalverdacht. Sind das wirklich nur Flüchtlinge - oder sind darunter Terroristen? Eine Vermutung, die Angst macht und die vielleicht Angst machen soll.
Markus Söder, Finanzminister Bayern: „Wir wissen gar nicht, wer im Moment ins Land kommt, und es ist auf Dauer mit der Sicherheit nicht zu vereinbaren.“
Alexander Gauland, Alternative für Deutschland: „Brutstätten der Gewalt, Angriffe auf die Polizei und Agenten des ISS.“
Eine neue Terrorgefahr in Deutschland. Der Verdacht liegt ja nah, sagen manche.
Markus Söder, Finanzminister Bayern: „Dass natürlich auch die Wahrscheinlichkeit besteht, dass nicht nur Bürgerkriegsflüchtlinge, sondern eben auch Bürgerkrieger kommen könnten.“
Selbst große Tageszeitungen sehen Europa als das nächste Schlachtfeld. Angeblich schleusen islamistische Terroristen Kämpfer über Flüchtlingsrouten in die EU. Und auch der frühere Bundesinnenminister warnt vor IS-Kämpfern oder islamistischen Schläfern, die sich unter die Flüchtlinge mischen könnten.
Hans-Peter Friedrich, Bundesinnenminister a.D.: „Also ich glaube, dass es Zeit wird, dass wir in Deutschland über die Gefahr, die da auf uns zukommt, reden.“
Terrorgefahr in Deutschland? Djihadisten, die zu Flüchtlingen werden, um dann in Deutschland zu morden? Für viele scheint längst erwiesen, dass es so ist, doch bisher ist nur die Angst davor real.
Prof. Peter Neumann, Terrorismus-Experte: „Es gibt nicht einen einzigen Hinweis, einen belegten Hinweis darauf, dass sich ein IS-Sympathisant nach Europa eingeschmuggelt hätte. Und es gibt noch weniger Hinweise darauf, dass dies eine aktive Strategie des Islamischen Staates gewesen sei. Und es ist auch wichtig, dass Politiker hier keine Stimmungsmache betreiben und die Ängste der Bevölkerung noch verstärken.“
Doch die Angst vor dem Terror der Flüchtlinge, sie hat es leicht. Niemand kann ausschließen, dass einzelne Flüchtlinge radikal sind oder es in Deutschland werden. Und darum lässt es sich auch leicht behaupten. Manche halten sich lieber an den bloßen Verdacht als an harte Fakten. Lorenz Caffier zum Beispiel, der CDU-Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern behauptete:
Zitat: „Dem BND und befreundeten Diensten liegen Hinweise vor, dass sich unter den Flüchtlingen auch (…) potentielle Gefährder befinden.“
Der BND dementierte, Caffier hatte überzogen. Doch die Behauptung ist in der Welt, Medien, Blogs und Foren treiben sie weiter. Islam-Attentäter kommen als „Flüchtlinge“, schreiben die islamfeindlichen PI-News. Ein anderer Blog schreibt von
Zitat: „3.000 Dschihadisten als Flüchtlinge getarnt auf dem Weg nach Europa.“
Und wieder andere geben vor, die künftigen Attentäter schon identifiziert zu haben. Fotos von Flüchtlingen, die angeblich als IS-Kämpfer enttarnt werden sollen. Auch solche Fotos gehören zu über 80 Hinweisen, denen das Bundeskriminalamt bisher nachgegangen ist.
Holger Münch, Präsident Bundeskriminalamt: „Wir gehen diesen Hinweisen natürlich nach und wir haben nicht einen Fall bislang, in dem sich das bestätigt hat, dass Mitglieder einer terroristischen Vereinigung aus Syrien oder Irak hier nach Deutschland kommen, um gezielt Anschläge zu begehen. Ein solcher Hinweis hat sich bislang nicht bestätigt.“
Keine bestätigten Hinweise. Vieles spricht sogar dagegen, dass der IS oder andere Terrororganisationen gezielt Kämpfer unter die Flüchtlinge schleusen. Es macht schon aus ihrer eigenen Sicht derzeit keinen Sinn, sagt das Bundeskriminalamt.
Holger Münch, Präsident Bundeskriminalamt: „Wenn Sie schauen, welchen Risiken man sich auch aussetzt, wenn man zum Beispiel über das Mittelmeer nach Deutschland kommt, dann glaube ich gibt’s einfachere Möglichkeiten, um hierher zu kommen, wenn man das planen würde. Dafür braucht man keinen Flüchtlingsstrom, den man nutzen muss, das ist das eine. Das andere ist, dass der IS normalerweise auf seine Propaganda auch setzt, um die hier im Land befindlichen radikalisierten Personen anzusprechen.
Prof. Peter Neumann, Terrorismus-Experte: „In den letzten Wochen gab es eine Serie von Videos des Islamischen Staates, wo ganz klipp und klar gesagt wurde, dass Unterstützer des Islamischen Staates im Islamischen Staat bleiben sollen, dass sie nicht versuchen sollen, auszuwandern und dass es diese aktive Einschleusungsstrategie, von der manchmal berichtet wird, dass es die nicht gibt.“
Es gibt eine Terrorgefahr in Deutschland, aber sie geht nicht von den Flüchtlingen aus. Die Euphorie des Spätsommers ist verflogen, zersetzt auch von einer Angst, gegen die Fakten offenbar nicht ankommen.
Sendungsübersicht
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01:35
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- Angst vor Islamisten: Terroristen unter den Flüchtlingen? | tagesschau.de
- Familienvater fürchtet IS-Kämpfer wiedererkannt zu haben | Deutschlandradio Kultur