Bericht: Andreas Maus
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Georg Restle: „Der Fall Oury Jalloh. Was geschah wirklich vor 14 Jahren in dieser Dessauer Polizeizelle? Über den Tod des jungen Asylbewerbers haben wir bei MONITOR schon häufig berichtet. Immer wieder stand der Verdacht im Raum, dass Oury Jalloh von Polizeibeamten umgebracht wurde. Immer wieder gab es neue Erkenntnisse dazu und immer wieder wurden Ermittlungen nicht durchgeführt oder eingestellt. Jetzt gibt es ein neues Gutachten, das diesen Verdacht erhärtet. Andreas Maus über einen endlosen Justizskandal.“
Wie starb Oury Jalloh? Im Januar 2005 verbrannte der Asylbewerber aus Sierra Leone in dieser Zelle qualvoll. Dabei war er an Händen und Füssen angekettet. Trotzdem – so die offizielle Version - soll er sich selbst angezündet haben. Von Anfang an gab es daran Zweifel. Und Indizien, dass möglicherweise Polizisten Oury Jalloh töteten, um zu vertuschen, dass sie ihn vorher misshandelt hatten? Auch der ermittelnde Staatsanwalt wollte deswegen 2017 gegen Polizeibeamten ermitteln – wegen Mordverdachts. Doch dann wurde ihm der Fall weggenommen und letztes Jahr eingestellt. Jetzt könnte es eine weitere Wende geben im Fall Oury Jalloh. Denn es gibt ein neues Sachverständigengutachten, das MONITOR vorliegt. Dieses hat Computertomographien neu ausgewertet – und stellt schwerere Verletzungen fest als bisher bekannt. So etwa einen Bruch der „Nasenscheidewand“, ein „Bruchsystem in das vordere Schädeldach“ und einen „Bruch der 11. Rippe“. Schwerste Körperverletzungen also. Und besonders brisant: Diese seien offenbar „vor dem Todeseintritt“ erfolgt. Wenn das zutrifft, stellt sich jetzt drängender denn je die Frage: wurde Oury Jalloh von Polizisten zuerst misshandelt und dann angezündet?
Prof. Tobias Singelnstein, Strafrechtsexperte, Ruhr Universität Bochum: „Das neue Sachverständigengutachten ist bemerkenswert und bringt eine andere Qualität in das Verfahren, weil sich eben jetzt Dinge deutlich anders darstellen, als es bisher der Fall war. Und das führt aus meiner Sicht dazu, dass eigentlich die Staatsanwaltschaft das Verfahren hier wieder aufnehmen und weitere Ermittlungen anstellen muss, in jedem Fall dieses Gutachten neu bewerten muss.“
Doch das soll nicht passieren. Denn das Oberlandesgericht Naumburg hat jetzt – trotz des neuen Gutachtens – einen Antrag der Nebenklage als unzulässig und weitere Ermittlungen als „unbegründet“ abgelehnt. Es gebe, so das Gericht gegenüber MONITOR, keinen hinreichenden Tatverdacht.
Gabriele Heinecke, Rechtsanwältin der Nebenklage: „Dieser Beschluss ist ein Hau-Ab-Beschluss, muss man sagen. Man nimmt diese neuen Tatsachen aus dem Gutachten, die ja der neuen Technik, der neuen Möglichkeit der Radiologie geschuldet sind, nicht ernst. Man wischt es in wenigen Sätzen weg. Und das setzt etwas fort, was überhaupt in diesem ganzen Verfahren auffällig ist. Es setzt fort, dass man nicht bereit ist, Tatsachen anzuerkennen.“
In dem Gerichtsbeschluss liest sich das so: Bei der Frage nach möglichen Tötungsmotiven von Polizisten heißt es, selbst wenn diese Oury Jalloh den Rippenbruch zugefügt hätten, wäre das
Zitat: „kein nachvollziehbares Motiv für einen Verdeckungsmord“.
Und auch eine Tötung aus fremdenfeindlichen Motiven schließt das Gericht per se aus. So wäre auch das Vorliegen von
Zitat: „institutionellem Rassismus kein Motiv für ein vorsätzliches Tötungsdelikt“.
Gabriele Heinecke, Rechtsanwältin der Nebenklage: „Wie man sagen kann, dass das Motiv des Verdeckungs- … der Verdeckungshandlung nicht infrage kommt, ist mir völlig unerfindlich. Ist glaube ich auch vom Strafrechtlichen, vom Kriminologischen, von allem, wie immer man es anguckt, einigermaßen absurd.“
Prof. Tobias Singelnstein, Strafrechtsexperte, Ruhr Universität Bochum: „Wir führen viele Diskussionen auch über institutionellen Rassismus, individuellen Rassismus in Sicherheitsbehörden, in der Polizei und ich kann nicht nachvollziehen, wie das Gericht angesichts der vorliegenden Faktenlage zu der Entscheidung kommt, dass eine solche Tatmotivation hier unter keinen Umständen eine Rolle gespielt haben könnte.“
Doch zu diesen Vorwürfen wollte sich das Gericht gegenüber MONITOR nicht weiter äußern.
Kommentare zum Thema
Das OLG Naumburg durfte sich im Fall Oury Jalloh auch nicht darauf berufen, es sehe sich durch die entgegenstehende Rechtsprechung des BayVerfGH und des OLG München an einer Anwendung der Vorschriften der EMRK und der VwGO auf das gerichtliche Verfahren gehindert. Denn die entgegenstehende Rechtsprechung des BayVerfGH und des OLG München ist schlicht interessengeleitet. Es geht bei jedem einzelnen Verfahren vor dem BayVerfGH bzw. vor dem OLG München einzig und allein darum, strafrechtliche Ermittlungen gegen einen Münchner Richter oder gegen einen Münchner Staatsanwalt zu verhindern - um jeden Preis. Das ist auch für neutrale Beobachter, die nicht selbst in die Verfahren involviert sind, ohne weiteres zu erkennen. Das OLG Naumburg war deshalb gehindert, sich für das gerichtliche Verfahren im Fall Oury Jalloh darauf zu berufen. Das OLG Naumburg musste deshalb nach dem Grundsatz "iura novit curia" im Fall Oury Jalloh eine Mündliche Verhandlung gem. Art. 6 I 1
Es gibt keine entgegenstehende Rechtsprechung des BVerfG. Das BVerfG schweigt dazu. Vielmehr gebietet die Rechtsprechung des BVerfG exakt seit dem 26. Juni 2014 - Stichwort Tennessee Eisenberg-Entscheidung - dass der "Anspruch auf Strafverfolgung Dritter" (oder wie immer man ihn sonst nennen will) mit Leben erfüllt wird. Dieser Anspruch wird aber nur dann mit Leben erfüllt, wenn dieser Anspruch des Verletzten nicht nur auf dem Papier steht und in Sonntagsreden vorkommt, sondern wenn der Verletzte - ganz praktisch - konkrete prozessuale Verfahrensrechte im Rahmen des Gerichtsverfahrens vor dem OLG erhält. Es reicht dabei vollständig, wenn sich der Verletzte auf konkrete gesetzliche Vorschriften - eben diejenigen der EMRK und der VwGO - berufen kann und nicht dem "pflichtgemäßen Ermessen" (alias freies Belieben) des Gerichts ausgeliefert ist.
Das bedeutet vor allem, dass das OLG Naumburg im Fall Oury Jalloh den Verletzten - zwingend - Richterliche Hinweise gem. § 86 III VwGO erteilen musste. Denn es war angesichts der außerordentlichen Fülle des in diesem Fall aufgelaufenen Verfahrensstoffs von Anfang an schlicht unmöglich, auf Anhieb "vollständig" vorzutragen. Es war die Pflicht des OLG Naumburg gewesen, seine richterlichen Hinweise gem. § 86 III VwGO so konkret abzufassen, dass es den Verletzten ermöglicht wird, darauf ebenso konkret zu antworten. Nur auf diese Weise konnte das OLG Naumburg auch dem Untersuchungsgrundsatz gem. § 86 I VwGO gerecht werden. Nur wenn die Verletzten ihren Vortrag vervollständigen können, kann auch der Sachverhalt einer vollständigen Überprüfung durch das Gericht unterzogen werden.