Online-Glücksspiel: Kein Schutz für Spielsüchtige?

Monitor 06.03.2025 08:56 Min. Verfügbar bis 06.03.2099 Das Erste

MONITOR am 06.03.2025

Online-Glücksspiel: Kein Schutz für Spielsüchtige? 

Der Glücksspiel-Staatsvertrag von 2021 sollte Spielerinnen und Spieler von Online-Glücksspielen vor Spielsucht und ruinösen Einsätzen schützen. Gemeinsame Recherchen von MONITOR mit Investigate Europe und ZEIT ONLINE zeigen, dass die Bundesländer selbst es der Glücksspielindustrie ermöglicht haben, den Spielerschutz an entscheidenden Stellen zu unterlaufen. Das hilft Staaten wie Malta, die Glücksspiel-Unternehmen bis heute hofieren und sogar vor dem Zugriff deutscher Gerichte schützen.

Von Herbert Kordes

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Achim Pollmeier: "Alle fünf Sekunden dürfen sich die Räder beim Online-Glücksspiel drehen. Alle fünf Sekunden kann man dabei einen Euro verlieren. Macht pro Stunde theoretisch schon 720,- Euro und oft genug ist es schnell die gesamte Existenz. Denn am Ende gewinnt immer die Bank, oder besser, die Anbieter von Online-Glücksspielen und Sportwetten. Und sie gewinnen Milliarden. Wie kann das eigentlich sein, dass man in Deutschland in kurzer Zeit zehntausende Euro verlieren kann, obwohl das eigentlich verboten sein sollte? Und warum bekommt man sein Geld selbst dann nicht zurück, wenn man vor Gericht Recht bekommen hat? Die Antworten darauf haben wir in einer bisher geheimen Vereinbarung zwischen deutschen Behörden und der Glücksspielindustrie gefunden - und auf einer kleinen Insel im Mittelmeer. Eine gemeinsame Recherche mit dem Journalistenteam von Investigate Europe und ZEIT ONLINE, erzählt von Herbert Kordes."

Malta - Zentrum der Glücksspielindustrie in Europa. Hunderte Anbieter von Online-Glücksspielen verbreiten ihre Angebote von hier aus zu Millionen Spielerinnen und Spielern - auch in Deutschland - legal und illegal, ein Milliardengeschäft. Die Glücksspielindustrie ist eine wirtschaftliche Macht in Europa, führt viele Spielende in den Ruin. Und die Politik? Nur machtlos? Oder sogar Helfer? Sabine hoffte einfach, einen finanziellen Engpass zu überwinden. Sie will nicht erkannt werden. Die kaufmännische Angestellte hatte gerade ein Haus gekauft, als sie plötzlich den Job wechseln musste und viel weniger verdiente. So fing es an mit dem Glücksspiel, mit Sportwetten.

Sabine: "Man denkt immer, es kommt sicher mal wieder eine Glückssträhne und 'So, jetzt muss es aber doch mal klappen!' Aber ich hab immer mehr Schulden aufgebaut, hab mir von Freunden Geld geliehen. Und der Druck wurde immer größer, bis es irgendwann nicht mehr ging."

Drei Jahre zockte Sabine mit Online-Sportwetten - und verspielte knapp 180.000 Euro beim Anbieter Betway. Dabei hatte Betway zu der Zeit gar keine Lizenz für Online-Glücksspiel in Deutschland, war also illegal auf dem deutschen Markt. Spielerschutz spielte damals offenbar keine Rolle. Sabine sieht sich getäuscht und hat eigentlich Anspruch darauf, ihr Geld zurückzubekommen. Sie klagt, so wie tausende Opfer illegaler Anbieter.

Sabine: "Die haben halt nicht nach den Regeln gespielt und sich bereichert. Ich wusste nicht mal, dass sie die Wetten in Deutschland einfach illegal anbieten konnten."

Zwei deutsche Gerichte haben Sabine schriftlich gegeben, dass Betway mangels Lizenz die knapp 180.000,- Euro Verlust erstatten muss. Doch Betway sitzt auf Malta und zahlt nicht. Geschützt von der maltesischen Regierung, denn die Glücksspielindustrie ist hier inzwischen ein einflussreicher Player. Und die Regierung macht’s ihr leicht - mit geringen Steuern und lockeren Regeln. Alle drei Sekunden bis zu 200,- Euro verzocken? Kein Problem! Vieles, was von Malta aus angeboten wird, ist in Deutschland eigentlich verboten, aber online eben erreichbar. Der Investigativjournalist Julian Bonnici ist auf Malta geboren und hat viel zur Glücksspielindustrie recherchiert. Wie groß ist der politische Einfluss der Unternehmen inzwischen nach seiner Einschätzung?

Julian Bonnici, Journalist, Amphora Media (Übersetzung MONITOR): "Er ist massiv! Wenn man sich die Daten anschaut, dann wird deutlich, dass 12 Prozent der maltesischen Wirtschaft indirekt oder direkt von der Glücksspielbranche abhängen. Das ist enorm! Das ist eine große politische Macht."

Fragt man Julian Bonnici, woran sich das zeigt, nennt er nur ein Stichwort: Bill 55. Es ist ein Gesetz, dass die Regierung der Glücksspielindustrie passgenau geschrieben hat. Experten sind empört. So wie Tobias Hayer von der Uni Bremen. Spezialist für Glücksspielsucht. Was sagt die Bill 55?

Tobias Hayer, Glücksspielforscher, Universität Bremen: "Kurz gefasst bedeutet dieses Gesetz, dass Urteile aus anderen Ländern - auch aus Deutschland - nicht anerkannt werden und nicht vollstreckt werden."

Auf diese Weise schützt der maltesische Staat die Glücksspielindustrie vor Klagen ausländischer Spieler und Spielerinnen, die ihr verlorenes Geld wiederhaben wollen. So, wie Sabine. Viele fordern von der EU-Kommission deshalb, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Malta einzuleiten. Doch seit zwei Jahren unternimmt die EU praktisch nichts. Auf unsere Nachfrage heißt es lapidar, man sei in "konstruktiven Gesprächen". Betway hat inzwischen übrigens eine Lizenz in Deutschland, ist also jetzt legal hier unterwegs. Und profitiert erneut - genau wie alle anderen legalen Anbieter von einer bislang geheimen Vereinbarung mit den Bundesländern. Doch der Reihe nach: 1,3 Millionen Menschen in Deutschland gelten als glücksspielsüchtig, weitere 3,2 Millionen als Risikospieler, also gefährdet. Auch zu ihrem Schutz gibt es den Glücksspielstaatsvertrag, mit dem Ziel, das Entstehen von Glücksspielsucht und Wettsucht zu verhindern. Deshalb soll zum Beispiel kein Normalverdiener mehr als 1.000,- Euro monatlich an Automaten oder bei Sportwetten einzahlen können. Wenn Spieler trotzdem ihr Limit auf 10.000,- Euro erhöhen wollen, müssen sie den Anbietern erst nachweisen, dass sie sich das leisten können - etwa über Einkommenssteuerbescheide oder Einkommensnachweise. Eigentlich ist es deshalb ganz einfach, wer nicht genug verdient, darf sein Limit nicht raufsetzen. So wie Elias - studentischer Mitarbeiter beim WDR. Er hat gut 1.000,- Euro im Monat. Nach dem Gesetz sollte er also nie die Erlaubnis bekommen, sein Limit auf 10.000,- Euro hochzusetzen. Elias macht für uns einen Selbst-Versuch beim Sportwettenanbieter Tipico. Schafft er es, sein Limit hochzusetzen, obwohl er das Geld nicht hat? Per Mausklick beantragt er bei Tipico die Limiterhöhung - und nur knapp zwei Sekunden ploppt ein Fenster auf: Die Limiterhöhung geht klar. Inzwischen ist sie auch in Kraft. Wie ist das möglich? Zu unserem Selbstversuch möchte Tipico sich nicht äußern. Aber, alle Kunden würden einem ständigen Spielerschutz-Monitoring unterliegen. Im Übrigen - schreibt Tipico weiter - handele es sich bei Sportwetten um ein Prepaid-Produkt.

Zitat: "Schon deshalb ist sichergestellt, dass Einzahlungen nur mit Geld erfolgen, über das der Kunde zum Zeitpunkt der Einzahlung auch verfügt."

Geld, über das der Kunde zum Zeitpunkt der Einzahlung auch verfügt?

Tobias Hayer, Glücksspielforscher, Universität Bremen: "Diese Antwort bringt mich ein Stück weit zum Schmunzeln, ist aber auf der anderen Seite auch traurig. Es ist ja nicht die Frage, ob das Geld zur Verfügung steht, weil Glücksspielsüchtige natürlich sind sehr umtriebig in der Geldbeschaffung. (...) woher stammt das Geld und hat diese Person ein Glücksspielproblem? Das sind die entscheidenden Fragen, nicht, dass Geld vorliegt."

Aber wieso konnte Elias sein Limit so einfach hochsetzen? Auf der Tipico-Seite finden wir einen Hinweis, dass für ein höheres Limit eine "Schufa-Glücksspiel Abfrage" erfolgt. Was ist das? Die Schufa-Glücksspielabfrage läuft online - vollautomatisch. Aber was sagt sie über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von Spielenden aus? Die Schufa schreibt:

Zitat: "Über Informationen zu Einkommen oder Vermögen einer Person verfügt die SCHUFA nicht!"

Und trotzdem haben die deutschen Landesregierungen den Anbietern gestattet, mit dieser Abfrage bei der Limiterhöhung zu arbeiten. Stellvertretend für alle schloss das Land Hessen mit Sportwettenanbietern 2022 einen Vergleich vor dem Verwaltungsgericht Darmstadt. Darin wird die

Zitat: "Schufa-Abfrage Glücksspiel (...) als Vermögensnachweis bei der Limiterhöhung auf 10.000,- Euro (...) anerkannt."

Die Klausel war bislang geheim. Der Suchtbeauftragte der Bundesregierung, Burkhart Blienert, wusste bis zu unseren Recherchen nichts von dieser Regelung. Wie findet er sie?

Burkhart Blienert (SPD), Sucht- und Drogenbeauftragter der Bundesregierung: "Wenn man nach langen Diskussionen über viele Jahre genau über den Spielerinnen- und Spielerschutz eben debattiert - und wie kann es sich in einem Glücksspielstaatsvertrag dann noch darstellen - dann macht mich das schon wütend, wenn der aufgeweicht wird. Nicht im Sinne eben, dass es mehr Spielerinnen-und Spielerschutz gibt, sondern eher in die andere Richtung."

Wir haben alle 16 Bundesländer um ein Interview gebeten, niemand wollte vor die Kamera. Viele verweisen schriftlich auf die Zuständigkeit der staatlichen Kontrollbehörde. Nur das Land Bremen fordert, die Nutzung der Schufa-Glücksspielabfrage als Vermögensnachweis sofort zu untersagen. Es wäre ein Schritt zurück zu mehr Spielerschutz. Die Länder werden nun zeigen müssen, ob ihnen der mehr am Herzen liegt als die Interessen der Glücksspielindustrie.

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Stand: 04.03.2025, 16:48 Uhr

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