MONITOR vom 06.09.2018

Schwarz-Blau regiert: Wohin steuert Österreich?

Bericht: Stephan Stuchlik, Jochen Taßler

Schwarz-Blau regiert: Wohin steuert Österreich? Monitor 06.09.2018 08:00 Min. Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste

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Georg Restle: „Die Angst, dass man herausrutschen könnte aus einem Leben, wie man es bisher kannte. Aus solchen Ängsten versuchen vor allem populistische Parteien Kapital zu schlagen. Und sind dabei sogar ziemlich erfolgreich - jedenfalls solange sie in der Opposition sind. Was aber, wenn sie an die Regierung kommen? Wie zum Beispiel in Österreich. Da regiert die rechtspopulistische FPÖ seit knapp neun Monaten in einer Koalition mit der konservativen ÖVP. Angetreten ist sie als Gegner der Migration und als Kümmerer für die Sozialschwachen. Auch deshalb wurden sie von vielen Arbeitern, Arbeitslosen und Geringverdienern gewählt. Was daraus in der Regierung tatsächlich geworden ist, zeigen Ihnen jetzt Stephan Stuchlik und Jochen Taßler.“

Vereidigung der neuen Österreichischen Regierung vor neun Monaten. Das Rechtsbündnis zwischen der ÖVP mit Bundeskanzler Kurz und seinem Stellvertreter Strache von der FPÖ beginnt zu regieren. Ihr Motto: Österreich zuerst!

Und auch die Sozialreformen gehen in diese Richtung, wie Vizekanzler Strache verkündet. „Mehr Geld für Österreicher, weniger für Ausländer“, schreibt er stolz auf Facebook. Deshalb reformiert die Regierung die sogenannte „Mindestsicherung“, ähnlich wie bei uns Hartz4: Die Kürzungen hier sollen vor allem Flüchtlinge treffen. In Wahrheit trifft es aber auch viele Österreicher, vor allem Familien mit vielen Kindern. Eine gezielte Strategie des Sozialabbaus, sagen Experten.

Prof. Emmerich Tálos, Universität Wien: „Sehr viele Heimische werden Opfer der Politik, der Sozialpolitik dieser Regierung sein. Also, insofern ist es eigentlich nur eine Marketingstrategie, ständig zu sagen, es wird alles besser, nur für die Ausländer nicht. Es wird - für viele Österreicherinnen und Österreicher - wird vieles nicht besser, sondern im Gegenteil schlechter.“

Verschlechterungen drohen auch durch die Flexibilisierung der Arbeitszeit. In Österreich soll es künftig möglich sein, deutlich länger zu arbeiten, bis zu zwölf Stunden am Tag und bis zu 60 Stunden in der Woche.

Wir fahren in die Arbeiterstadt Kapfenberg. Die Bauarbeiter, die hier bei 36 Grad im Schatten schuften, sind wütend über die neue Arbeitszeitregelung. Dabei finden viele die neue Regierung eigentlich gut.

1. Bauarbeiter: „Gewisse Sachen finde ich nicht schlecht.“

Reporter: „Wie zum Beispiel?“

1. Bauarbeiter: „Das mit den Flüchtlingen, Ausländer, … deutschsprachig, das finde ich nicht schlecht. Deutschkurse besuchen, damit sie bei uns arbeiten können. Aber das andere, mit den Arbeitszeiten, das haut gar nicht hin. Ein Politiker, der so etwas sagt, der soll einmal zwölf Stunden arbeiten auf der Baustelle, dann weiß er, worum es geht.“

2. Bauarbeiter: „Das ist nicht unbedingt arbeiterfreundlich. Bei diesen Temperaturen zwölf Stunden arbeiten? Da sind acht mehr als genug.“

3. Bauarbeiter: „Ja, die sollen selbst einmal auf den Bau gehen und da einmal 60 Stunden Vollgas arbeiten, dann schauen wir, was sie dann darüber sagen.“

Auf der anderen Seite hat die Regierung bereits Steuererleichterungen, vor allem für wohlhabende Familien beschlossen, für Hoteliers, Immobilien-Investoren und für Großkonzerne.

Mitten in Kapfenberg liegen die Böhlerwerke. Böhler stellt Spezialteile für Flugzeug- und Autobau her, ist hochtechnisiert, hat mehr als 3.000 Mitarbeiter. Man ist gut im Geschäft. Draußen wird ein neues Edelstahlwerk gebaut. Der Geschäftsleitung gefallen die Maßnahmen der neuen Regierung, die neue Politik sei gut für die Unternehmer.

Wolfgang Eder, Vorstandsvorsitzender voestalpine: „Wir haben gerade ein Umfeld derzeit, ein politisches Umfeld, das durchaus unternehmerische Interessen ernst nimmt, war nicht immer so. Das heißt also grundsätzlich, wenn man sich die bisherigen Entscheidungen ansieht, glaube ich schon, dass damit Voraussetzungen geschaffen werden, die den Standort Österreich langfristig wieder attraktiver machen als er das eine Zeitlang war.“

Entlastungen für Unternehmer. Einschnitte für Mieter, Arbeitslose und einfache Angestellte. Die Regierung von ÖVP und FPÖ hat das Aus für ein millionenschweres Langzeitarbeitslosenprogramm beschlossen, die Ruhezeiten für Mitarbeiter im Gastgewerbe gekürzt und sie denkt über die Zulassung von Mietzuschlägen nach.

Das sind Reformen, die vor allem die sogenannten kleinen Leute treffen, wie hier im Wiener Stadtteil Favoriten. Da gibt es sogar in Charlies Beis‘l, in dem fast alle FPÖ gewählt haben, spürbaren Unmut.

Charlie: „Wenn ich heute einen Durchschnittsarbeiter nehme, der hat sicher 1.500 Euro und wenn die Miete dann schon 1.000 Euro ausmacht, was bleibt dann noch fürs Leben? Und der Kühlschrank darf auch nicht kaputt gehen, weil dann wird's eng.“

Reporter: „Also an dem Punkt jetzt nicht unbedingt toll?“

Charlie: „Nein, ich kann nicht sagen, dass es wirklich toll wird.“

In der Stube darf wieder geraucht werden, das hat die Regierung erlaubt, aber insgesamt ist den Gästen die ÖVP/FPÖ-Regierung doch viel zu unternehmerfreundlich.

Gast: „Die FPÖ wollte unbedingt in die Regierung und deswegen haben sie da zugestimmt. Das war schon ein bisschen ein Verrat an den Wählern, das war enttäuschend.“

2. Gast: „Die Ärmeren sind ärmer geworden, ich sage nicht, dass die Reichen reicher geworden sind, aber die Armen sind ärmer geworden, so wird es in zwei Jahren ungefähr aussehen.“

Florian Klenk, Chefredakteur Falter: „Es werden die Leute irgendwann draufkommen, dass sie nicht eine linksliberale oder ökologische Regierung gewählt haben, sondern eine Regierung, die von der Industrie finanziert wird, eine Regierung, die vom Unternehmertum finanziert ist, und ein Anhängsel in der Partei, die rein opportunistisch, rechtspopulistisch immer dort das Fähnchen hinwendet, wo es gerade passt - das ist die FPÖ - und die das aber unglaublich geschickt vermarktet.“

Das heißt auch: Weniger über Sozialabbau reden, dafür mehr über das Lieblingsthema Migration. Nachzulesen auf Facebook-Seiten von FPÖ-Politikern. Wie, muslimische Erntehelfer wollen kein Schweinefleisch essen? Ja, es werden strengere Kontrollen für das muslimische Schächten eingeführt - Ausländerfeindlichkeit in täglichen Dosen, egal wie absurd: 60 Prozent der Hunde in Tierheimen etwa seien aus dem Ausland.

Gottfried Waldhäusl, Regierung von Niederösterreich: „Es wird nicht so sein können, dass wir  alle Hunde der ganzen Welt aufnehmen können in Österreich. Wir haben hier genug Haustiere, wo wir den Platz brauchen und das ist vernünftig, dass wir hier uns dem auch annehmen und als Tierschutzlandesrat ist mir wichtig, dass unsere Tierheime in erster Linie für unsere Hunde, für unsere Katzen, für unsere heimischen Tiere zur Verfügung stehen.“

Hunde mit Migrationshintergrund? Der Mann ist nicht irgendwer. Gottfried Waldhäusl arbeitet als Landesrat der Regierung von Niederösterreich. Er war übrigens der einzige FPÖ-Politiker, der überhaupt mit uns sprechen wollte.

Über Tiere redet die FPÖ gern, über die soziale Streichliste der Bundesregierung weniger, dabei kommen die größten Einschnitte noch. Geplant sind eine Systemumstellung beim Arbeitslosengeld, Kürzungen beim Arbeitsamt, Kürzungen bei der Unfallversicherung und vieles mehr.

Wolfgang Pucher ist achtzig Jahre alt und Österreichs wohl bekanntester Pfarrer. Zeit seines Lebens kämpft er für die Rechte der Schwächsten, hat 40 Einrichtungen für Obdachlose geschaffen. Der Mann, der gerne als „soziales Gewissen Österreichs“ bezeichnet wird, hält das, was die neue Regierung plant, für eine grundlegende Abkehr von der Sozialpartnerschaft, für einen Kulturwandel im Land.

Wolfgang Pucher, Pfarrer, Gemeinde St. Vinzenz: „Es ist ein Einschnitt. Ein schwerwiegender Einschnitt. Weniger in den Details als in der Gesinnung. Man hat eine lange, lange durchgezogene Gesinnung der Solidarität plötzlich aufgebrochen und  hat eher denen, die sich es eben leisten können, die das Leben schaffen, eine Unterstützung gewährt. Und das spürt man. Und damit riskiert, dass diejenigen, die eh schon unter den Rädern liegen, noch mehr unter die Räder kommen.

Georg Restle: „Die AfD bezeichnet die FPÖ übrigens als ihr großes Vorbild. Man wolle in Deutschland genau dahinkommen, wo die FPÖ in Österreich heute schon steht.“

Kommentare zum Thema

  • Erika 15.09.2018, 10:00 Uhr

    Man sollte besser fragen „wohin steuert die Politik der NATO-Staaten“? Unser deutscher Außenminister hat schon wieder die Aggressionspirale gegen Russland gesteigert, im Fall Syrien, Skripal und Ukraine. Er fordert dass Russland Syrien aufgibt und fallen lässt damit die NATO-Staaten freie Habd haben (nicht so ausgesprochen). Warum gibt der Westen nicht seine Unterstützung für die sogenannten Rebellen auf, dann gäbe es Frieden in den letzten Regionen von Syrien. Nein, selbst nicht ein Schritt zurückgehen aber von Russland fordern dass Russland zurückgeht. So kann man keinen Frieden bekommen. Auch im Skripal-Fall, da werden so viele Ungereimtheiten im Internet veröffentlicht, dass die Behauptungen der englischen Regierungen zunehmend unglaubhafter werden.

  • DerBiedermann 14.09.2018, 00:32 Uhr

    Ich bin kein Österreicher. ... Also kann ich keine FPÖ wählen ... Ich werde aber auch keine AfD wählen. Was lesen: Gedicht von Reiner Kunze (1977 als Staatsfeind von Ost nach West vertrieben), mit Rückblick auf den 23Jährigen noch parteifrommen Dichter von 1956 ... Nicht noch einmal / Nicht noch einmal / so verführbar // Nicht noch einmal / so gefährdet // Nicht noch einmal / eine mögliche Gefahr //... aus dem Buch "Verneigt vor alten Bäumen euch".

  • Helmut Kapaun 13.09.2018, 21:00 Uhr

    Mir kommt bei Eurem verlogenen und nicht der Wahrheit entsprechenden Bericht das soeben gegessene wieder hoch, könnt ihr keine normale Arbeiter und Angestellte mal zu Wort kommen lassen und nicht diese Politischen Verlierer rund um Kern und Anhang und deren Anhänger wie den Klenk und Co die das Land ruinierten und deshalb abgewählt wurden