MONITOR vom 28.05.2020

Nukleare Aufrüstung: Deutschlands „Teilhabe“ bei Atomkriegen

Bericht: Jochen Taßler, Stephan Stuchlik

Nukleare Aufrüstung: Deutschlands "Teilhabe" bei Atomkriegen Monitor 28.05.2020 06:31 Min. UT Verfügbar bis 28.05.2099 Das Erste Von Jochen Taßler, Stephan Stuchlik

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Georg Restle: „Nukleare Teilhabe ist das, was man wohl einen klassischen Euphemismus nennt. Ein Wort, das etwas Hässliches meint, aber schön klingen soll. Weniger euphemistisch geht’s dabei darum, ob deutsche Kampfjet-Piloten auf den Knopf drücken sollen, wenn es um die atomare Auslöschung ganzer Regionen geht. Und: Sollen Atomsprengköpfe aus der Eifel daran beteiligt sein? Darüber ist in der Großen Koalition ein Streit entbrannt. Anlass ist ein milliardenschwerer Auftrag an die US-Rüstungsindustrie; neue Kampfjets, um den Atomschlag aus Deutschland auf einen neueren Stand der Technik zu bringen. Aber, brauchen wir das wirklich? Jochen Taßler und Stephan Stuchlik.“

Der Luftwaffenstützpunkt Büchel in der Eifel. Hier lagern sie, die verbliebenen US-Atomwaffen auf deutschem Boden. Streng bewacht, immer einsatzbereit. Im Einsatzfall würden sie unter deutsche Flugzeuge montiert und von deutschen Piloten auf feindliche Ziele abgeworfen. „Nukleare Teilhabe” heißt das Konzept. Es stammt aus dem Kalten Krieg. Damals sollten die Bomben dazu dienen, einen Vormarsch der Panzer der Roten Armee in Richtung Westeuropa zu stoppen.

Ulrich Kühn, Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik Universität Hamburg: „Das hat damals Sinn ergeben. Heute hat sich aber die Zeit deutlich verändert. Heute gibt es solche Szenarien mit riesigen Panzerschlachten, wie sie sich damals noch vorgestellt wurden, nicht mehr.”

Trotzdem gehört die „Nukleare Teilhabe” bis heute zur Abschreckungsstrategie der NATO. Die Bundesregierung plant deshalb Milliardeninvestitionen. Derzeit können nur Tornados die US-Atombomben tragen. Die sind aber in die Jahre gekommen und müssen bald ersetzt werden. Die Bundesregierung plant dafür die Anschaffung amerikanischer F-18 Kampfjets. Aber ist das wirklich sinnvoll? Welche Rolle spielen die US-Atombomben auf deutschem Boden noch? Und wollen wir überhaupt Teil einer nuklearen Abschreckung sein?

Befürworter sagen, die nukleare Abschreckung sei unverzichtbar. Vor allem, weil Russland unter Präsident Putin seit Jahren aggressiv auftrete. Der Ukraine-Krieg, die Annexion der Krim, Provokationen im Baltikum. Atombomben seien darauf aber die falsche Antwort, sagen Fachleute.

Ulrich Kühn, Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik Universität Hamburg: „Wenn man sich die Bedrohungen anschaut, die von Russland ausgehen, dann sind die meiner Meinung nach vor allem im konventionellen Bereich, weil Russland in der Region – vor allem ums Baltikum – konventionell deutlich überlegen ist.“

Die NATO aber setzt zur Abschreckung weiter auf Atomwaffen. Und betont, dafür seien auch die US-Bomben auf deutschem Boden entscheidend. Aber stimmt das auch? Allein angesichts der Zahlen ist es kaum vorstellbar. Russland verfügt derzeit über rund 1.600 einsetzbare Atomsprengköpfe, die USA über 1.750. In Deutschland sind im Rahmen der „Nuklearen Teilhabe” nicht mehr als 20 stationiert. Und Experten bezweifeln, dass die deutschen Bomber, die sie tragen sollen, im Einsatz überhaupt an der russischen Luftabwehr vorbeikämen. Von einer glaubwürdigen Abschreckung könne man da kaum sprechen, sagt Hans Kristensen. Der Direktor des „Nucleaer Information Project” gilt als einer der anerkanntesten Experten für Atomwaffen in den USA.

Hans Kristensen, Nuclear Information Project, Federation of American Scientists (Übersetzung Monitor): „Ich glaube nicht, dass diese Mission für die NATO-Abschreckung unverzichtbar ist. Die Abschreckung insgesamt hängt nicht davon, und auch nicht die Fähigkeit, Russland von Angriffen abzuhalten.”

Die NATO will dennoch daran festhalten. Generalsekretär Jens Stoltenberg sagt sogar, es sei für alle Bündnispartner „von entscheidender Bedeutung“, dass die Nukleare Teilhabe „in vollem Umfang” gewährleistet bleibe. Man habe dann auch mehr Mitsprache, sagen Befürworter. Aber ist das so? Unter Präsident Trump machen sich die USA weiter unabhängig. Sie führen gerade neue, kleinere Atomsprengköpfe auf U-Booten ein. Sie sind explizit auch für einen Einsatz gegen Russland vorgesehen. Ohne, dass jemand mitreden muss. Als Vorteil der neuen Waffe betont das aktuelle US-Nuklearkonzept explizit, sie erfordere…

Zitat: „… weder die Unterstützung noch die Zustimmung einer Nation, in der sie stationiert wird.”

Ulrich Kühn, Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik Universität Hamburg: „Dass die Amerikaner jetzt neue Raketen und neue Sprengköpfe auf U-Booten stationieren, ist für mich ein Zeichen dafür, dass das Pentagon in einer akuten Krise freie Hand haben will. Hier will man nicht erst noch mal bei der Bundeskanzlerin nachfragen, ob Deutschland denn mit an Bord sei.“

Weder echter Nutzen noch Mitsprache also. Für die Bundesregierung gibt es aber noch andere Gründe, an der nuklearen Teilhabe festzuhalten. Die NATO dürfe nicht geschwächt werden. Außerdem habe die deutsche Stimme dort dann mehr Gewicht. Etwa beim Thema nukleare Abrüstung. Deutschland säße ansonsten bei den „entscheidenden Debatten nicht mehr mit am Tisch”, sagte Bundesaußenminister Heiko Maas dem SPIEGEL. Das Ziel bleibe eine „atomwaffenfreie Welt”. Aber dafür brauche es „internationale Vereinbarungen”. Und an denen arbeite man. Atomwaffen in Deutschland, um sie weltweit abschaffen zu können also? Das hat zuletzt zumindest nicht funktioniert. Die US-Regierung kündigte in den letzten Jahren ein Nuklearabkommen nach dem anderen auf. Abkommen, die Deutschland allesamt erhalten wollte oder will.

Hans Kristensen, Nuclear Information Project, Federation of American Scientists (Übersetzung Monitor): „Die amerikanische Regierung interessiert sich nicht wirklich für das, was ihre Verbündeten sagen. Sie wird ihre Entscheidungen treffen. Das sehen wir immer und immer wieder. Natürlich können die Deutschen sagen, dass mehr auf sie gehört werde, solange sie eine militärische Rolle in der nuklearen Teilhabe haben. Aber, wo wurde denn auf Deutschland gehört? Was sind die Beispiele? Ich kenne keine. Hier wird einfach ein Statement aus der Schublade gezogen. Mit der Realität hat das aber nicht das Geringste zu tun.”

Die Bundesregierung will trotz all dem an den US-Bomben auf deutschem Boden und der Milliardeninvestition in die F18-Jets festhalten. Beatrice Fihn hält das für einen Fehler. Sie setzt sie sich seit Jahren für eine atomwaffenfreie Welt ein. Als Direktorin der Organisation ICAN hat sie dafür 2017 den Friedensnobelpreis entgegengenommen.

Beatrice Fihn, International Campaign to Abolish Nuclear Weapons (ICAN) (Übersetzung Monitor): „Im Kriegsfall wären es deutsche Piloten, die die Atombomben mit ihren Jets abwerfen würden. Damit wird das dann auch eine Frage für die Soldaten und das deutsche Militär: Sind sie bereit, auf den Befehl von jemandem wie Trump ganze Städte auszuradieren, das Kriegsrecht und die Genfer Konventionen zu brechen und Zivilisten anzugreifen? Und zwar nicht nur einige wenige. Wir reden von hunderttausenden, vielleicht Millionen. Es wird dann auch zu ihrer Verantwortung.”

Mit einem Abzug der US-Bomben würde Deutschland einen Atomkrieg nicht verhindern. Und auch nicht die neue, nukleare Aufrüstung. Aber Deutschland könnte entscheiden, nicht länger Teil davon zu sein.

Kommentare zum Thema

  • Manfred E 19.02.2022, 13:15 Uhr

    Heute ist der 19-02-22 und dieser Beitrag ist Geschichte und zeigt, wie naiv die westliche Welt sich von Diktatoren vorführen lässt.

  • Martin Michalek 12.06.2020, 11:56 Uhr

    Es ist Menschen nun mal nicht so einfach, Eigenschaften wie irrationale Angstzustände oder Unterwürfig- und Hörigkeit abzulegen. Also mündig zu werden, im juristischen Sprachgebrauch würde man Souveränität und Unabhängigkeit sagen. Auch leiden insbesondere Demokratien an Trägheit - der wissenschaftlichen Erkenntnisgewinnung und deren Umsetzung (ein friedliches und ganz anders geartetes Beispiel ist die Abschaffung der Zeitumstellung, egal ob auf immerwährende "Winter- oder Sommerzeit"). Ist es nicht der Bundesregierung peinlich, dass ausgerechtnet - auf Druck vom Volk auf der Strasse Ende 1989- das DDR-Regime "einsichtig" war, nicht den Schießbefehl gab und sich "freiwillig" zurückzog, während kurz darauf auch die Sowjetunion (das war sie noch kurzzeitig), etwas später auch GUS genannt, ihre rote Armee inklusive aller Waffen aus (Ost-)Deutschland abzog? Es muss wohl auch an der Überheblichkeit und am Narzissmus der westlichen Demokratien liegen.

  • Klaus Ersfeld 01.06.2020, 14:44 Uhr

    Gibt es eigentlich bei Monitor keinen Faktencheck, bevor hier eindeutig falsche, irreführende Aussagen an Millionen von Laien (= Fernsehzuschauer) rausgeblasen werden?? Da sagt die vermeintliche Expertin Beatrice Kahn u.a.: " Sind sie (= das deutsche Militär) bereit, auf den Befehl von jemandem wie Trump ganze Städte auszuradieren...". Das ist entweder eine erschreckende Unkenntnis der Nuklearen Teilhabe oder eine bewusste Irreführung. Ein wenig Recherche hätte ergeben, dass die Amerikaner zwar die Bomben stellen, Deutschland aber die Trägerflugzeuge nur dann einsetzt, wenn eine entsprechende Entscheidung der Regierung / des Parlaments vorliegt. Gerade dieses Zwei-Schlüssel-Konzept ist doch der ganze Sinn der Teilhabe !!