MONITOR vom 29.09.2016

Neue Flüchtlingspolitik: Geringerer Schutz für syrische Flüchtlinge

Bericht: Adrian Oeser, Andreas Maus, Frank Konopatzki

Neue Flüchtlingspolitik: Geringerer Schutz für syrische Flüchtlinge Monitor 29.09.2016 06:10 Min. Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste

Georg Restle: „Hunderttausende Tote, gezielte Angriffe auf Zivilisten, Krankenhäuser oder Hilfstransporte, fast eine Million Menschen eingekesselt. Der Krieg in Syrien dauert heute ungefähr schon so lange wie der gesamte Zweite Weltkrieg - ohne Aussicht auf Frieden. Bei allen Auseinandersetzungen um die Flüchtlingspolitik, gab es an einem Punkt immer Konsens. Flüchtlinge, die aus diesem zerstörten Land kommen, sollen in Deutschland ausreichenden Schutz erhalten. Die Wahrheit allerdings ist, die Bundesregierung tut schon seit Monaten alles dafür, dass Menschen, die vor dem Krieg in Syrien fliehen wollen, praktisch keine Chance mehr haben, auf legalem Weg nach Deutschland zu kommen. Andreas Maus und Adrian Oeser.“

Bilder eines eskalierenden Krieges. Aleppo, Syrien in diesen Tagen. Die 32-jährige Manal ist dem Horror entkommen, in die Sicherheit einer kleinen Gemeinde in Niedersachsen. Ihr Mann Passam hat es nicht geschafft. Er ist in Syrien auf der Flucht und muss sich verstecken. Manchmal hört Manal tagelang nichts von ihm.

Manal (Übersetzung Monitor): „Ich kann nicht aufhören, an ihn zu denken. Ich habe schreckliche Angst um ihn. Auch in meinen Träumen wünsche ich nur, dass Passam endlich bei uns wäre.“

Bei ihr und ihrem Sohn. Manal war im siebten Monat schwanger, als sie floh. Ihr Sohn kam hier in Deutschland zur Welt.

Manal (Übersetzung Monitor): „Er hat seinen Vater noch nie von Angesicht zu Angesicht gesehen. Das ist doch das Recht eines Kindes! Das Kind braucht doch einen Vater an seiner Seite.“

Seit Monaten kämpft sie dafür, dass ihr Mann zu ihr kommen kann. Vergeblich. Denn obwohl der Krieg täglich schlimmer wird, dürfen selbst engste Familienangehörige nicht mehr nach Deutschland kommen. So will es Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Im März 2016 hatte er dafür gesorgt, dass der Familiennachzug gestoppt wurde.

Thomas de Maiziere, 19.02.2016: „Die Einschränkung des Familiennachzugs mag hart erscheinen. Sie ist aber notwendig, um eine Überlastung der Aufnahmesysteme in unserem Land zu verhindern.“

Überlastung der Aufnahmesysteme - Bürokratendeutsch eines Ministers, was für ihren Mann Passam in Syrien den Tod bedeuten könnte. Denn hinter diesen Worten verbirgt sich für syrische Kriegsflüchtlinge eine dramatische Verschärfung des Asylrechts. Bis Ende 2015 erhielten Syrer Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention. Da ihnen auch „individuelle“ Verfolgung in der Heimat droht, bekamen sie ein Aufenthaltsrecht für „drei Jahre“ und das Recht auf „Familiennachzug“. Doch seit März ist das anders. Die meisten bekommen jetzt nur noch „subsidiären Schutz“. Das bedeutet: Es bestehe keine Gefahr mehr von individueller Verfolgung. Daher gibt es nur noch Schutz für „ein Jahr“ und der „Familiennachzug“ wurde bis 2018 ausgesetzt.

Maximilian Pichl, Pro Asyl: „Das hat für die betroffenen Personen natürlich unglaubliche Härten. Die Familien werden in den Krisen und Kriegsgebieten zurückgelassen und der Familiennachzug war ja eigentlich mittlerweile der einzige legale und sichere Weg für Flüchtlinge, nach Europa zu gelangen. Und genau dieser Weg wird jetzt gekappt.“

Die neue deutsche Abschottungspolitik? Das Bundesinnenministerium teilt uns dazu mit, dass bei syrischen Flüchtlingen vermehrt „kein individuelles Verfolgungsschicksal“ vorliege. Seit Anfang des Jahres bekommen deshalb immer mehr Syrer nur noch den schwächeren, subsidiären Schutz. Waren es im März gerade mal zwei Prozent, sind es im August bereits rund 70. Für Manal ist diese Anerkennungspraxis ein Schock. Dabei war sie so dankbar, dass sie nach Deutschland kommen konnte. Mit ihrem Sohn in Sicherheit zu sein, eine Lebensperspektive zu haben.

Manal (Übersetzung Monitor): „Ich weiß nicht, was mit mir passieren wird. Seit ich erfahren habe, dass ich vielleicht nur ein Jahr bleiben darf, bin ich verzweifelt, und ich fühle mich vollkommen verloren. Wir alle fühlen uns verloren.“

Zu ihrer Angst um den Ehemann kommt jetzt die Furcht, selbst wieder mit ihrem Kind zurück zu müssen. Denn bei einer Rückkehr drohen vielen Flüchtlingen Gefängnis, Folter und Tod durch die eine oder andere Kriegspartei.

Prof. Nora Markard, Völkerrechtlerin, Universität Hamburg: „Wir müssen nach wie vor davon ausgehen, dass Syrer und Syrerinnen bei der Rückkehr von politischer Verfolgung bedroht sind. Und wenn das Bundesamt trotzdem nur subsidiären Schutz gewährt und keinen Flüchtlingsstatus, dann ist das natürlich ein Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention.“

Das sehen mittlerweile auch viele Gerichte so. In einem richtungsweisenden Urteil stellte das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern fest, dass syrischen Flüchtlingen durchaus Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention zusteht. Denn - so das Gericht - die Flucht wird als Ausdruck „regimefeindlicher Gesinnung“ gewertet. Und der Flüchtling habe bei der Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit „Verfolgungsmaßnahmen“ zu rechnen.

Prof. Nora Markard, Völkerrechtlerin, Universität Hamburg: „Die Gerichte entscheiden erstaunlich schnell im Moment. Die gehen davon aus, dass die Sach- und Rechtslage absolut klar ist und entscheiden zum Teil sogar ohne mündliche Verhandlung oder gar durch Gerichtsbescheid, weil sie eben davon ausgehen, die Sache ist klar. Das Bundesamt handelt hier rechtswidrig, hier ist Flüchtlingsstatus zu gewähren, da brauchen wir nicht groß verhandeln.“

Das Bundesinnenministerium verweist darauf, dass es auch vereinzelt Gerichte gebe, die anders entschieden. Beim Koalitionspartner SPD ist man dennoch alarmiert. Die SPD-Fraktion hatte der Aussetzung des Familiennachzugs im März noch zugestimmt. Doch damals, so heißt es heute aus der Fraktion, sei man vom Bundesinnenminister getäuscht worden.

Frank Schwabe, Menschenrechtspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion: „Und in der Situation war Herr de Maizière in der SPD-Fraktion und hat uns eindeutig versichert, auch auf mehrfache Nachfrage, dass es keine Veränderung der Anerkennungspraxis geben wird. Aus heutiger Sicht war das ein Wortbruch. Die Situation hat sich dramatisch verändert und deswegen muss die Koalition die Kraft aufbringen, diese Gesetze auch wieder zu verändern.“

Eine Hoffnung für Manal und ihren Mann? Vielleicht. Immer wieder versucht sie, ihn zu erreichen. An diesem Tag vergeblich.

Kommentare zum Thema

  • don.corleone 01.10.2016, 16:20 Uhr

    -----------------MANAL muß m.Naxhwuchs so schnell wie möglich wieder nachhause, sobald d. Bomber am Boden eingemottet werden . Ihr Noch-Gatte kann in d. Heimgang eingebunden werden = Kostenübernahme ! Ansonsten begrüße ich außerordnetlich d. Direktive von Thomas d. M. ! Das Dt. Asylgesetz muß sowieso ganz NEU geschrieben werden = 1 DINA-4-Seite reicht ! § 1 -der wichtigste- = d. Dt. Staat hat i.Recht, darum sind Widersprüche etc. ausgeschlossen (d. RAW werden wohl weinen ,,,,ihr Abo a. Widersprüche(Flüchtlingsindustrie) versiegt dann vollends, schnell u. leicht verdientes Geld ist nicht .

  • Waffenstopp 29.09.2016, 23:26 Uhr

    Grundsätzlich gilt es , Leben zu erhalten. Dazu ist es unabdingbar, gefährdete Leben zu retten und sie nicht ihrem eigenen Schicksal zu überlassen. Integration ist wieder eine andere Baustelle. Ich halte es für unrealistisch, alle Flüchtlinge zu integrieren, zumal die meisten Flüchtlinge in ihr Herkunftsland zurück kehren möchten, sobald die Kriegszeiten vorüber sind. Dazu steht die gesamte EU allerdings auch in der Pflicht, die Ursachen der Flucht oder Wirtschaftsmigration zu bewältigen, was durchaus möglich ist, wenn die EU einheitlich und solidarisch handelt. Solidarisch ist für mich nicht mit diktaturähnlichen Regimes wie der Türkei mehr als fragwürdige Flüchtlingsabkommen zu schließen. Genauso fatal und scheinheilig halte ich die Halung einiger sogenannter politischer Eliten in Europa, das Ende der Kriege in Syrien zu fordern, gleichzeitig aber belegbare Waffenlieferungen an Al Nusra oder zwiespältige Bündnispartner wie Saudi-Arabien zu tätigen. Was unseren mehr als unfeinen F ...

  • Lisa Nolte 29.09.2016, 23:21 Uhr

    Afghanistan, Ägypten, Pakistan etc. - alle sollen also Ihrer Meinung nach sich aufmachen können, um hier in Deutschland oder evtl. Europa Asyl zu bekommen. Wie stellen Sie sich das eigentlich vor? Habe gerade vergangene Woche einen Bericht im TV gesehen, in dem deutsche Hartz IV-Empfänger aus ihren Wohnungen ausziehen mußten, weil dort neue Häuser entstehen sollen, die für Flüchtlinge gebaut werden. Die Deutschen mußten in mehrere Altbauten umsiedeln. So etwas fördert natürlich ungemein die Aufnahmebereitschaft der Bevölkerung!!!!! Gucken Sie sich mal im Ruhrgebiet um!!! Wollen Sie mir dann immer noch erzählen, dass wir ALLE aufnehmen müssen? Ich hoffe, doch nicht. Wirklich bedrohte Flüchtlinge ja, aber Migranten bitte nein. Auch in Saudi-Arabien gibt es Gewalt. Kommen die dann auch alle zu uns? Solange wir wegschauen, wenn Erdogan die Kurden in seinem Land bombadiert, aber bei Assad, der Rebellen bekämpft, diese Rebellen mit der USA noch unterstützen, können wir doch wohl nicht ...