MONITOR vom 27.04.2017

Todeszone Mittelmeer: Sind die Retter schuld?

Bericht: Naima El Moussaoui, Nikolaus Steiner

Todeszone Mittelmeer: Sind die Retter schuld? Monitor 27.04.2017 03:15 Min. UT Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste

Georg Restle: „Diese Aufnahmen haben uns über die Ostertage erreicht. Sie zeigen eine der bisher dramatischsten Rettungsaktionen der letzten Jahre. Über 80 Stunden lang kämpften private Helfer Tag und Nacht bis zur Erschöpfung um das Leben von tausenden Menschen, die dort in Seenot gerieten. Rund 8.000 wurden am Ende gerettet. Unter den Helfern waren auch viele junge Leute, die am Ende tatenlos mit anschauen mussten, wie zahllose Menschen, darunter viele Kinder, zurückgelassen werden mussten, weil sie sie nicht mehr aufnehmen konnten.“

Julian Pahlke, „Jugend Rettet“: „Viele Menschen, die wir an dem Tag gerettet haben, waren in sehr schlechter Verfassung. Also viele dehydriert natürlich, unterernährt. Dann viele Schusswunden, die uns die Menschen die zeigen, die wir behandeln müssen. Aber auch andere, ja, Verletzungen, die vermutlich von der Gewalt in Libyen stammen. Dazu eben auch noch schwangere Frauen, die wir an Bord behandelt haben. Es ist einfach eine Situation, die man glaube ich, nur ganz schwer beschreiben kann.“

Georg Restle: „Eigentlich hätten diese Helfer einen Orden verdient. Stattdessen geraten sie aber immer stärker in die Kritik, und das nicht nur von Anhängern der AfD. Die freiwilligen Helfer seien wesentlich mit dafür verantwortlich, dass sich zehntausende Menschen auf den lebensgefährlichen Weg übers Meer machen, weil sie mit ihrer Rettung rechnen könnten. So hat zum Beispiel der Chef des BND laut Reuters gesagt.“

Zitat: …dass die alleinige Rettung von Flüchtlingen aus dem Mittelmeer ein Anreiz für die gefährliche Überfahrt nach Europa ist.

Und der österreichische Außenminister meinte sogar:

Zitat: „Der NGO-Wahnsinn muss beendet werden“.

Ähnlich äußerte sich bereits 2014 auch der deutsche Bundesinnenminister zum staatlichen Seenotrettungsprogramm „Mare Nostrum“.

Thomas de Maizière (CDU), Bundesinnenminister (Dezember 2014): „Zugleich hat sich erwiesen, dass diese Aktion sich als „Brücke nach Europa“ dargestellt hat. Sie war ein Anreiz für Schlepper, Menschen auf überfüllte Boote zu schicken.“

Georg Restle: „Also mehr Menschen sterben lassen, nur damit andere Flüchtlinge abgeschreckt werden? Wäre mehr als zynisch. Die Frage ist allerdings, ob die These überhaupt stimmt. Zwei Wissenschaftler aus Oxford und Florenz wollten das jetzt ganz genau wissen und haben deshalb verglichen, ob zu Zeiten des großen Seenotrettungsprogramms „Mare Nostrum“ tatsächlich mehr Menschen übers Meer  kamen als in der Zeit danach, als deutlich weniger Helfer auf dem Mittelmeer unterwegs waren. Das Ergebnis der Studie ist beeindruckend eindeutig: In Zeiten als viele Flüchtlinge gerettet wurden, kamen rund 45.000 Menschen übers Mittelmeer, in Zeiten als sich die Seenotrettung zurückgezogen hatte, kamen dagegen deutlich mehr, nämlich über 63.000.

Wie diese Zahlen zu bewerten sind, das haben wir einen der beiden Wissenschaftler gefragt.

Elias Steinhilper, Migrationsforscher, SNS Florenz: „Unsere Studie zeigt, dass nach Mare Nostrum, das heißt als weniger Menschen gerettet wurden, sich nicht weniger Menschen auf den Weg nach Europa gemacht haben. Das zeigt, Menschen lassen sich nicht abschrecken und machen ihre Entscheidung nicht davon abhängig, ob mehr oder weniger gerettet wird.“

Georg Restle: „Es ist schon erbärmlich, dass man das überhaupt sagen muss: Die jungen Seenotretter vom Osterwochenende und alle anderen Helfer auf dem Mittelmeer, sie haben mit Fluchtursachen nichts zu tun. Und deshalb sollten wir sie auch als das bezeichnen, was sie tatsächlich sind: Die wahren Helden unserer Zeit.“

Kommentare zum Thema

  • Anonym 04.07.2018, 09:26 Uhr

    Warum "fliehen" diese Menschen - von denen höchstens die Hälfte tatsächlich verfolgt ist - nicht in das reiche Saudi-Arabien? Oder Kuwait? Oder Oman? Keine Verfolger und gute Behandlung, auch da oft Glaubensbrüder (Nächstenliebe, wie sie im Koran gefordert ist). Weil sie wissen, dass sie da NICHT reinkommen, also versuchen sie es erst gar nicht. Wenn ich als "Flüchtling" wüsste, dass, egal, wie ich es anstelle - mit einem guten Boot bis an die südeuropäische Küste oder mit einem schlechten Boot bis zu den Abholern an der 3 Meilenzone, würde ich mein Geld doch sparen (die gesamte "Flucht" kostet mehrere Tausend Dollar = das drei oder zehnfache Jahreseinkommen!) und - bei wirklich Verfolgten - andere Wege bemühen. Die Transitzonen sind ein sehr guter Weg. Auch sollten die UNHCR-Lager wesentlich besser unterstützt werden. 1 Euro hilft vor Ort aufgrund der Kaufkraft 10 mal so viel, wie die Finanzierung eines erfolglosen, (und drogendealenden) Glücksritters in Deutschland.

  • Ahab 23.07.2017, 14:41 Uhr

    Würden die Damen und Herren von Monitor bitte erläutern warum sie und diese "Wissenschaftler" die Vergleichszeiträume zum Seenotrettungsprogramm in der Art und Weise dargestellt haben wie sie es taten? Wenn man nämlich die gesamte Laufzeit des Programmes mit dem exakt selben Zeitraum im nächsten Jahr vergleicht ist festzustellen, dass tatsächlich weniger Menschen die Überfahrt gewagt und auch weniger Menschen ertrunken sind. Ich stelle also fest: Die Helfer sind für den Tod von hunderten von Menschen verantwortlich, da sie eben doch einen Pull-Faktor darstellen.

  • Martin Lauritzen 29.05.2017, 23:20 Uhr

    Da zeigt sich die hässliche Fratze der fetten Kinder von Europa. Ich bin Sprach und Fassungslos, was deutsche Politiker von sich geben und es wird mir übel, wenn ich bedenke, dass ich die auch mitbezahle! Geht gar nicht mehr!