MONITOR vom 15.06.2017

Aggressiv und rücksichtlos: Das brutale Vorgehen der libyschen Küstenwache

Bericht: Nikolaus Steiner, Andreas Maus

Aggressiv und rücksichtlos: Das brutale Vorgehen der libyschen Küstenwache Monitor 15.06.2017 07:56 Min. Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste

Georg Restle: „Und jetzt zu den Abgründen europäischer Flüchtlingspolitik draußen auf dem Mittelmeer. Über die neuen Partner der EU haben wir bereits berichtet. Libysche Milizen, die Flüchtlinge foltern und vergewaltigen und immer wieder auch Geschäfte mit Menschenhändlern machen. Schon das müsste uns eigentlich fassungslos machen. Aber jetzt scheint die EU sogar noch einen Schritt weiterzugehen. Immer häufiger übernehmen diese libyschen Milizen die Seenotrettung jetzt auch in internationalen Gewässern, wobei das, was Beobachter uns berichten, mit Seenotrettung nur wenig zu tun hat. Dafür umso mehr mit einem kühl einkalkulierten Bruch des Völkerrechts. Nikolaus Steiner und Andreas Maus.“

Theresa Leisgang, Rettungsorganisation Sea-Watch: „Ich stand oben auf der Brücke und habe nur gesehen, krass, die schneiden wirklich gerade unseren Bug. Die sind wie die Cowboys irgendwie vor uns hergefahren in einem Manöver, was uns alle umbringen hätte können.“

Es sind nur Zentimeter, die am 10. Mai eine Katastrophe verhindern. Die libysche Küstenwache will mit dem riskanten Manöver offenbar vermeiden, dass die Organisation Sea-Watch Menschen in internationalen Gewässern aus Seenot rettet. Theresa Leisgang war eine der Retterinnen an diesem Tag. Das aggressive Vorgehen der Libyer schockiert sie bis heute, sagt sie.

Theresa Leisgang, Rettungsorganisation Sea-Watch: „Wir haben auch alle erst im Nachgang in den Überwachungsvideoaufnahmen zum Beispiel gesehen, wie krass das wirklich war und wie knapp das war und wie viel Glück wir hatten, dass wir nicht alle gestorben sind. Und das Schlimme für uns ist aber, nicht nur, dass die uns in Gefahr bringen, sondern dass die halt regelmäßig auch Gewalt anwenden gegen Flüchtende, gegen Migranten.“

Nach dem gefährlichen Manöver zwingen die Libyer die Flüchtlinge zum Teil mit Waffengewalt an Bord ihres Schiffes, um sie mit zurück ins Bürgerkriegsland Libyen zu nehmen. Mittlerweile gibt es sieben bekannte Fälle von Übergriffen durch Mitglieder der libyschen Küstenwache. Und das, obwohl deren Angehörige seit Monaten von europäischen und deutschen Soldaten ausgebildet werden. Im Februar bekamen die ersten Libyer ihre Urkunden überreicht. Offiziell, damit die Küstenwache künftig mehr Menschen aus Seenot retten kann.

Lotte Leicht, EU-Direktorin, Human Rights Watch (Übersetzung Monitor): „Das Training der libyschen Küstenwache wird humanitär verpackt, indem man sagt, wir bekämpfen so Menschenschlepper, die rücksichtlos gegen Migranten vorgehen. Aber in Wirklichkeit ist die Strategie dahinter zu verhindern, dass Menschen nach Europa kommen.“

Ende Mai beschließt die Bundesregierung die Verlängerung der deutschen Beteiligung an der EU-Militäroperation Sophia. Eine zentrale Aufgabe der Bundeswehr soll es weiterhin sein:

Zitat: „Unterstützung der Ausbildung der libyschen Küstenwache“

zu leisten.

Thomas de Maizière (CDU) Bundesinnenminister, 24.04.2017: „Ähnlich wie das mit dem Türkei-Abkommen gelungen ist, brauchen wir ähnliche Abkommen mit anderen Staaten. Wir brauchen eine Ertüchtigung der libyschen Küstenwache. Und an all dem arbeiten wir.“

Wozu diese „Ertüchtigung“ führen kann, zeigen die Ereignisse vom 23. Mai. Aufnahmen eines italienischen Fernsehsenders. Hunderte Menschen geraten an diesem Tag in internationalen Gewässern in Seenot.

Michael Stanley, Jugend Rettet: „Wir haben versucht, Flüchtlingsboote zu retten, also zuerst mit Schwimmwesten auszustatten und dann die Flüchtlinge an Bord zu nehmen. Und während dieser Versorgung sind zwei libysche Küstenwache-Boote, aufgekreuzt und sind dann zwischen den Flüchtlingsbooten hin und her gefahren, haben geschossen in die Luft, ins Wasser. Und das hat große Angst ausgelöst bei den Flüchtlingen und die sind daraufhin ins Wasser gesprungen.“

Angehörige der libyschen Küstenwache bedrohen Retter und Flüchtlinge und zwingen sie mit Waffengewalt zurück nach Libyen. Offenbar ganz im Sinne der EU. Denn deren Schiffe würden sich derweil zurückziehen, kritisieren die Seenotretter.

Michael Stanley, Rettungsorganisation „Jugend Rettet“: „Der Eindruck, den die Kapitäne und die nautischen Offiziere ganz klar haben ist, dass die Kriegsschiffe der EU sich mehr zurückhalten, sich weniger einbringen in die Rettungsaktionen.“

Theresa Leisgang, Rettungsorganisation „Sea-Watch“: „Seit diesem Jahr haben wir kaum mehr Schiffe von Frontex oder der Operation Sophia im Einsatzgebiet gesehen, das heißt, die EU zieht sich komplett zurück aus dem Mittelmeer“

Der Vorwurf der zivilen Seenotretter: Während sich die europäischen Militär- und Grenzschutzschiffe immer weiter zurückzögen, würden die Libyer immer weiter rausfahren, um Menschen auch aus internationalen Gewässern zurück nach Libyen zu bringen.

Lotte Leicht, EU-Direktorin Human Rights Watch (Übersetzung Monitor): „Die libysche Küstenwache erledigt das dreckige Geschäft für Europa. Kein europäisches Schiff darf Menschen dorthin bringen, wo ihnen schlimmste Folter, Misshandlungen oder Missbrauch drohen. Und genau das droht den Menschen in Libyen. Die Europäer bezahlen jetzt die libysche Küstenwache dafür, etwas zu tun, was europäische Schiffe gemäß internationalem Recht nicht tun dürfen.“

Ein kalkulierter Völkerrechtsbruch? Schwere Vorwürfe. Die EU-Kommission schreibt uns, man halte sich an internationales Recht. Die EU-Schiffe würden sich nicht zurückziehen. Im Gegenteil: „Schiffe der Operation Sophia sind voll in Rettungseinsätze eingebunden“, heißt es. Dagegen spricht: Die Kooperation mit der libyschen Küstenwache soll massiv ausgebaut werden. Noch in diesem Jahr soll sie Informationen der europäischen Militärs über Schlepperrouten bekommen. Satellitenbilder, Radardaten, Luftaufklärung. Ziel:

Zitat: „… damit ein Informationsaustausch nahezu in Echtzeit stattfinden kann und beide Seiten ihre Patrouilleneinsätze abstimmen können.“

Also eine Arbeitsteilung? Die Europäer liefern künftig die Positionen der Flüchtlingsboote und die Libyer bringen die Menschen zurück nach Afrika? Für die Völkerrechtlerin Nora Markard ist klar: Die Bundesregierung bricht mit ihrer Unterstützung der libyschen Küstenwache das Völkerrecht.

Prof. Nora Markard, Völkerrechtlerin, Universität Hamburg: „Der Europäischen Union und der Bundesregierung sind die Verhältnisse in Libyen natürlich bekannt, sind die Rückholaktionen bekannt, und es ist auch bekannt, dass zurückgeholte Migranten und Migrantinnen dann zum Teil eingesperrt, in Lagern festgehalten und misshandelt werden, und indem sie dazu Unterstützung leisten, in dem Wissen, was da passiert, sind sie auch völkerrechtlich mit haftbar und machen sich mitschuldig.“

Denn die libysche Küstenwache bringt Migranten oft zurück in Gefängnisse wie dieses. An solchen Orten sind laut einem aktuellen UN-Bericht Vergewaltigungen, Folter und Zwangsarbeit an der Tagesordnung. Und jetzt gibt es auch noch Hinweise, dass die Küstenwache selbst in kriminelle Aktivitäten verstrickt ist. Monitor liegt eine vertrauliche Antwort der Bundesregierung vor. Darin schreibt sie, dass ihr Vorfälle bekannt seien, bei denen

Zitat: „… Angehörige von Teilen der libyschen Küstenwache mit Schleusernetzwerken zusammen gearbeitet haben.“

Angehörige der von der EU ausgebildeten Küstenwache machen gemeinsame Sache mit Schleppern? Wie kann das sein? Eine Antwort auf diese Frage bekommen wir nicht. Allgemein heißt es von der Bundesregierung, man setze sich dafür ein, dass

Zitat: „Seenotrettungseinsätze der libyschen Küstenwache im Einklang mit dem internationalen Recht erfolgen.“

Barbara Lochbihler (Bündnis 90/Grüne), Vize-Präsidentin EU-Menschenrechtsausschuss: „Deutschland und andere Mitgliedsstaaten wissen jetzt sehr genau, dass die libysche Küstenwache auch Mitverantwortung trägt, dass die Flüchtenden wieder in diese Folterlager kommen, dass teilweise auf See auf Flüchtlinge geschossen wird. Wir können also nicht so weitermachen und so tun, als wüssten wir das nicht. Tun wir das trotzdem, haben wir eine Mitverantwortung.“

Die libysche Küstenwache hält im Mittelmeer Menschen von Europa fern. Für viele Migranten bedeutet das: zurück in den Bürgerkrieg, zurück in libysche Foltergefängnisse.

Georg Restle: „Allein auf der zentralen Mittelmeerroute starben in diesem Jahr bereits 1.717 Flüchtlinge. Und jeder einzelne ist einer zu viel.“

Kommentare zum Thema

  • don.corleone 14.02.2019, 16:57 Uhr

    Die Schleussermaßnahmen d. d. teilweise kriminellen NGO u. d. Dt. Staates/Merkel u.co., locken immer mehr Asylanten a. Afrika u. Co. nach D. . Es ist aussschließlich D., weil merkel dafür gesorgt hat, dank ihrer Polit-Macht, d.d. asylanten hier das Schlaraffenland d. Erde bereitet wird, bezahlt v. hartmalochenden Deutschen Steuerzahler, der als Rentner Flascshen sammeln muß ! Solange d. Zahlungen a.d. Aslyanten nicht gravierend eingestellt wird, o. knallharte Grenz-Außensicherung , kommen i.mehr . 66,789 Mio warten in Afrika a.d. Reise na.Deutschland ! Na ? sagt merkel dann wieder. "Wir schaffen das " ? einen dämlicheren Satz in d.Kontext habe ich Lebzeit nicht gehört ! Macht endlich Schluß m. d. Fl.-Tsunami nach D.

  • Kaffeetrinker 23.06.2017, 02:03 Uhr

    Das ist Abschottung auf grausame Art und Weise... Kriegs- und Wirtschaftsflüchtlinge werden sich trotzdem weiter in die Boote setzen... Ein Ende der Flüchtlingswelle wird es erst geben, wenn in Syrien der Krieg beendet ist und die Ausbeutung Afrikas ein Ende hat.......... An die Redaktion/Herrn Restle , danke für die Recherche und Aufklärung..........

  • M M Wagner 17.06.2017, 21:27 Uhr

    Ein Blick auf die Videos aus dem Mittelmeer genügt, zu sehen, dass es sich bei den wenigsten der Menschen in den Gummibooten um syrische Flüchtlinge handelt, dass wahrscheinlich kaum Flüchtlinge im Sinne des Völkerrechts unter ihnen sind, sondern es sich fast ausschliesslich um Migranten handelt. Zweitens - und das ist das wirklich Traurige an Ihrem Bericht - bedarf es keines besonderen Scharfsinns, zu erkennen, dass die so gutgesinnten "Helfer" das Geschäftsmodell der Schlepper erst ermöglichen, die ihre "Kunden" einfach damit anwerben können, dass sie ja nur eine kurze Strecke fahren müssen, bevor Sie 10 Seemeilen vor der Küste von den Fähren der Hilfsorganisationen abgeholt und nach Europa gebracht werden. Dass zu diesem Geschäft auch die Bundesmarine beiträgt, ist skandalös. Drittens ist es allerhöchste Zeit, dass sich der Bundestag endlich mit einem Einwanderungsgesetz wie z.B. in Australien oder Kanada auseinandersetzt und damit aufhört, Migranten zu behandeln, als seien sie ...