MONITOR vom 30.01.2020

Kampf ums Erdöl: Wie Europa den Bürgerkrieg in Libyen befeuert

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Bericht: Nikolaus Steiner, Frank Konopatzki

Kampf ums Erdöl: Wie Europa den Bürgerkrieg in Libyen befeuert

Monitor 30.01.2020 06:53 Min. UT Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste Von Nikolaus Steiner, Frank Konopatzki

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Georg Restle: „Nein, der Krieg in Libyen ist nicht vorbei. Es wird weiter gekämpft, es wird weiter getötet, es werden weiter Waffen geliefert. Damit sind die schönen Beschlüsse der Berliner Libyenkonferenz jetzt schon gebrochen. Woran das liegt? Wer das verstehen will, muss auch auf den unermesslichen Reichtum dieses Landes schauen, die gigantischen Rohölvorkommen, von denen alle profitieren wollen: Die Kriegsparteien, deren internationale Unterstützer und die Öl-Konzerne, die auch in Kriegszeiten beste Geschäfte machen. Nikolaus Steiner.“

Krieg um Libyens Hauptstadt Tripolis. Bilder aus den vergangenen Monaten. Trotz offizieller Waffenruhe wird auch aktuell weiter gekämpft. Die Kriegsparteien werden weiter mit Waffen beliefert. Bilanz der Kämpfe bislang: Mehr als 2.200 Tote, mehr als 140.000 Zivilisten sind im eigenen Land auf der Flucht. Auf der Libyen-Konferenz Mitte Januar in Berlin sollte eine politische Lösung gefunden werden. Vor allem der Stellvertreterkrieg sollte beendet werden: Russland, Türkei, Frankreich, die Emirate und andere sollten aufhören, sich in Libyen einzumischen. Im Fokus – das Waffenembargo und ein Waffenstillstand. Aber kaum beachtet von der Öffentlichkeit, ging es in Berlin noch um etwas ganz anderes. In dem Abschlusspapier heißt es bei Punkt 39:

Zitat: „Wir stellen uns jedem Versuch entgegen, Libyens Erdölinfrastruktur zu beschädigen…“

Und:

Zitat: „Wir fordern die transparente und gerechte Aufteilung der Erdöleinkünfte.“

Libyen ist eines der weltweit wichtigsten Ölförderländer. Es geht um massive ökonomische Interessen – auch für Deutschland. Libyen war im vergangenen Jahr der viertwichtigste Rohöllieferant für die Bundesrepublik. Noch vor Kasachstan, Nigeria, den USA oder Saudi-Arabien.

Claudia Gazzini, International Crisis Group (Übersetzung Monitor): „Hinter der Fassade dieses militärischen Konflikts in Libyen tobt ein anderer Kampf, bei dem es um die Kontrolle der Staatseinnahmen geht. Das heißt, es geht um Gelder aus dem Öl-Geschäft.“

Das sind die Bürgerkriegsparteien in Libyen: Auf der einen Seite stehen General Chalifa Haftar und mit ihm verbündete Milizen, die weite Teile des Landes kontrollieren. Auf der anderen Seite die sogenannte Einheitsregierung von Präsident Fajis al-Sarradsch in Tripolis, der wenig Macht hat und sich auf loyale, bewaffnete Milizen stützt. Offiziell unterstützen Deutschland, die EU und die USA die so genannte Einheitsregierung von Präsident Sarradsch in Tripolis. Tatsächlich aber setzt Frankreichs Präsident Macron offenbar auf dessen Gegner, General Haftar, ebenso wie US-Präsident Donald Trump. Der sagte in einem Telefongespräch im vergangenen Jahr, er sehe Haftars „wichtige Rolle“, bei der „Sicherung der libyschen Öl Ressourcen“. Libyen ist ein bedeutender Ölproduzent. Fördert bis zu 1,2 Millionen Barrel am Tag. Öl- und Gaseinnahmen allein im vergangenen Jahr: mehr als 22 Milliarden Dollar.

Tim Eaton, Polit. Analyst, Chatham House (Übersetzung Monitor): „Libyen ist ein sehr wichtiger Öl-Produzent, hat massive Reserven und liegt sehr nah an Europa. Deshalb sind viele große Öl-Konzerne dort präsent. Es ist ein hochprofitables Geschäft.“

Trotz Bürgerkriegs sind nach wie vor viele internationale Öl-Konzerne in Libyen aktiv oder an Projekten beteiligt. ENI aus Italien zum Beispiel, REPSOL aus Spanien, TOTAL aus Frankreich, OMV aus Österreich – und Wintershall Dea aus Deutschland.

Tim Eaton, Polit. Analyst, Chatham House (Übersetzung Monitor): „Libyens Öl wird auf den internationalen Märkten und vor allem in Europa verkauft. Europäische Märkte unterstützen so den libyschen Staat. Der libysche Bürgerkrieg wird somit auch mit Geldern aus dem Öl- und Gasgeschäft mit Europa finanziert.“

Mehr als 90 Prozent der libyschen Staatseinnahmen stammen aus dem Öl-Verkauf. Davon werden Schulen, Krankenhäuser, Straßenbau bezahlt, aber auch die Kriegsparteien profitieren. General Haftar und seine Verbündeten kontrollieren den Großteil der libyschen Ölproduktion im Osten und Südwesten. Und die „Einheitsregierung“ in Tripolis Teile der Öl und Gas-Infrastruktur im Nordwesten. Besonders wichtig aber, in Tripolis befindet sich die Zentralbank des Landes, die das Geld aus den internationalen Öl-Geschäften einnimmt. Beide Seiten sind aufeinander angewiesen beim Öl-Geschäft. Und beide profitieren.

Tim Eaton, Polit. Analyst, Chatham House (Übersetzung Monitor): „Es gibt eine wechselseitige ökonomische Abhängigkeit der Bürgerkriegsparteien in Libyen. Die Armee von General Haftar und seine Verbündeten kontrollieren große Teile der Öl- und Gasinfrastruktur. Und die Einheitsregierung kontrolliert vor allem die Verbreitung und Vermarktung des Öls über Tripolis. Das eine funktioniert nicht ohne das andere. Beide Parteien brauchen einander, damit das Öl-Geschäft funktioniert.“

Ein großer Teil der Öl-Einnahmen stammt aus Europa und landet in der Zentralbank von Tripolis. Damit werden unter anderem die staatlichen Angestellten des Landes bezahlt. Davon profitieren sowohl Kämpfer der sogenannten Libyschen Nationalarmee von General Haftar als auch seine Gegner. Nämlich die Milizen, die sich loyal zur Einheitsregierung bekennen. Die Offensive von General Haftar auf die Hauptstadt Tripolis, hat somit auch zum Ziel, die Zentralbank und damit die Verteilung der Öl-Gelder unter seine Kontrolle zu bringen, sagen Experten.

Claudia Gazzini, International Crisis Group (Übersetzung Monitor): „Die Kontrolle über die Staatsfinanzen ist ein wichtiger Grund, warum Haftar seine Offensive auf Tripolis gestartet hat. Aus seiner Perspektive finanziert die Regierung in Tripolis im Moment seine militärischen Gegner. Deshalb will er Tripolis kontrollieren, weil er dann die Macht hat. Und das heißt auch: Kontrolle über die staatlichen Gelder.“

Milliardengeschäfte mit libyschem Öl und Gas – für die Kriegsparteien und für die Öl-Konzerne.

Omid Nouripour (Bündnis90/Grüne), Mitglied Auswärtiger Ausschuss: „Wenn man bedenkt, dass wir in Europa große Geschäftsgewinne machen mit dem libyschen Öl und damit aber auch dazu beitragen, dass der Krieg immer weitergeht, weil wir den mitfinanzieren durch diese Geschäfte, dann müssen wir endlich aufhören so zu tun, als würde uns der Bürgerkrieg in Libyen überhaupt nichts angehen. Wir haben eine große Verantwortung, weil wir mit dazu beitragen, dass dieser Krieg immer weiter geht. Und dieser Verantwortung müssen wir uns stellen.“

Die Ölvorkommen als Treibstoff des Krieges – und als Waffe: Seit einigen Tagen blockieren Verbündete von General Haftar wichtige Ölfelder und Export-Terminals in Libyen, um deren Gegner unter Druck zu setzen. Ein Ende des Krieges ist noch lange nicht in Sicht.

Stand: 31.01.2020, 15:00 Uhr

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6 Kommentare

  • 6 Hans-Jürgen Polikowski 08.10.2021, 13:51 Uhr

    Warum reden Sie hier von Europa? Bennen Sie doch die global agierenden Firmen und Ihre Aktionäre und die vielen anderen Investoren. Das gibt dem ganzen ein Gesicht, welches sich an jdem Kriesenherd der Welt wiederholt.

  • 5 Fischers, Fritz 05.02.2020, 12:02 Uhr

    Ich denke dass der Krieg in Libyen (aber auch in Syrien sowie andere bekriegte Staaten) kein Bürgerkrieg im bisherig verstandenen Sinne ist. Kaum jemand spricht eine klare Sprache. So war es auch in den anderen Kriegen wie zum Beispiel auch in Afghanistan. Dieser Krieg wurde von deutschen Politikern immer wieder nur als „Auslandeinsatz“ bezeichnet, so dargestellt als würden unsere Soldaten nur Schulen, Kindergärten sowie Brunnen bauen. Dann kam auch noch eine Aussage welche man eher von Nazis ausgesprochen vermutet: „Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt“. Betreff Libyen / Syrien ist es kein Geheimnis dass Politiker der guten „Westlichen Wertegemeinschaft“ (vorwiegend aus den USA) deren Regierungen stürzen wollten. Hierfür wurde offensichtlich ein sogenannter Bürgerkrieg inszeniert, vergleichbar wie es in der Ukraine geschah. Die heutig provozierten Revolutionen, Regierungsstürze (auch Sanktionen, mehr Verantwortung tragen) sind Kriege für eine Durchsetzung eigener Interessen.

  • 4 Rudi Buchholz 02.02.2020, 21:14 Uhr

    Öl ist nicht die einzige Finanzquelle für den Krieg. 700.000 Afrikaner wollen nach Europa und diese Quelle ist für die Regierung bedeutender als Öl. Das steht in einem Artikel in der Luzerner Zeitung, „Nachrichten aus der Hölle: Wie Migranten in Libyen überleben“ von Cedric Rehman, Medenine, 29.06.2019. „Der italienische Filmemacher Michelangelo Severgnini hält über Whatsapp Kontakt mit Tausenden Migranten in Libyen.“ Schon in der Sendung von Anne Will schien mir die Darstellung über Libyen nicht vollständig zu sein und da bin ich nach Suche auf diesen Artikel gestoßen, der plausibel erscheint. Am besten selbst lesen aber kurz zusammengefasst; die offizielle Regierung ist abhängig von Milizen die, Geschäfte mit der Migranten machen und auch die Folterlager betreiben. Nach dem Artikel sind die 700.000 Afrikaner in Libyen bedeutender als Öl. Der abtrünnige General will die offizielle Regierung von dieser Geldquelle abschneiden. Europa befeuert den Bürgerkrieg also nicht nur mit Öl.

  • 3 Fritz Kurz 31.01.2020, 23:21 Uhr

    Die Friedenstifter sind viel prinzipieller als wegen wirtschaftlicher Interessen unterwegs – zumal das Öl während fast 10 Jahren vom Westen mit der kriegerischen Zerstörung des Gaddafi-Staates angefachten Bürgerkrieges und erst recht unter letzterem mehr oder weniger zuverlässig geflossen ist. Es doch auffallend, dass unter Punkt 4 des Abschlusspapiers der Libyenkonferenz v.a. von den West-Staaten nicht bestellte Weiterungen des Staatsruins aufgezählt werden wie , dass der Ausbreitung von „Terrorismus“ der Nährboden bereitet worden sei und „destabilisierende Zunahme illegaler Migration in der Region“ moniert wird. Was man früher mal als Imperialismus zu kennzeichnen pflegte, macht sich so geltend, dass über die Kriegsparteien vor Ort hinweg, von Mächten außer- halb diese darauf festgelegt werden sollen, sich als Erfüllunggehilfe dafür herzugeben, unerwünschte "Kollateralschäden" der vom Westen veranlassten kriegerischen Ruinierung des Landes den maßgeblichen Mächten fern zu halten.

  • 2 Karla Kritikus 31.01.2020, 00:09 Uhr

    Der Aufruf zu Frieden hat zum Ausgangspunkt, dass diejenigen, die sich als Friedensbringer aufspielen, in Gestalt der EU-Größen Frankreich und England und anderer den Gaddafi-Staat gründlich zertrümmert haben und so mit dafür gesorgt haben, dass Restbestände des zerfallenen Staates um die Hinterlassenschaften desselben gegeneinander kriegerisch schon seit Jahren angetreten sind. Der Störenfried in Bezug auf die westlichen Ordnungsinteressen damals wurde aus dem Weg geräumt; mit dem militärischen Gerangel der Parteien vor Ort nach eigenen Berechnungen konnten die Westler offenbar leben, haben sich sogar die Dienste von Milizen zur Flüchtlingsabwehr mit deren rabiaten Einsperrung der Massen von Elendsgestalten in Lagern zunutze gemacht und dafür mit Gerät ausgerüstet. Frieden ist der Titel für ein neues Aufsichtsinteresse der Großmächte, unter Absehung von den internen Anfeindungen der Bürgerkriegsparteien diese unter dieses zu beugen wg. Unhandlichkeit derselben in Bezug auf dieses.

    • Müller 05.02.2020, 12:16 Uhr

      Ja, es gab keine Nachrichtensperre. Nachrichtenbeobachter könnten dadurch Gründe erkannt haben. Der Gaddafi war Politikern aus den USA, Frankreich und England nicht gefügig genug. Um diesen Diktator zu beseitigen starben unzählige Menschen und Millionen Menschen flohen in die Länder der Westlichen Wertegemeinschaft“. Für weltbeherrschenden Politiker zählen Menschenleben nicht, für sie gilt nur Machtausnutzung zum eigenen Vorteil. So sehen wir es überall, ob Syrien, Afghanistan, Ukraine, Irak, Jugoslawien, mittelamerikanische Staaten, vorher Korea, Vietnam usw..

  • 1 Rudolf Wolff 29.01.2020, 11:09 Uhr

    Es war schon immer so wenn es um Wirtschaftliche Interesse geht kennen die Bosse kein Skrupel und die Politik Agiert als Handlanger der Bosse.r.wolff

    • Karla Kritikus 30.01.2020, 23:45 Uhr

      Es ist allzu simpel und realitätsfremd dazu, die westlichen Staaten würden federführend eine ;Friedenskonferenz; veranstalten nach 10 Jahren Kriegszustand dort, den sie übrigens mit der kriegerischen Zerstörung des Gaddafi-Staates selber hervorgebracht haben und offenbar bis jetzt gut leben konnten, auf einmal ihre wirtschaftlichen Interessen- und noch dazu unter Unterdrucksetzung durch die ;Bosse; - entdecken. Das Öl und dessen Sicherung ist nicht der Grund für den Handlungsbedarf der westlichen Staatengemeinde- was man schon daran sehen kann, dass die Bürgerkriegsparteien angesichts des einzig auf diesen Rohstoff sich gründenden Land damit dem Sachzwang folgen, unter allen Umständen diesen verkaufen zu müssen an die westlichen Metropolen; ihres materiellen Selbsterhalts willen dem nicht entkommen, also Sicherung des Öls durch den Westen ein einziger Selbstläufer ist und keinen gesonderten Interventionsbedarf erfordert.