Bericht: Torsten Reschke, Kim Otto
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Georg Restle: „Und jetzt geht’s um Ihr Geld, genauer um Ihre Rente. Dass die längst nicht mehr sicher ist, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Auch wenn die Bundesregierung gerade alles dafür tut, um Zweifel zu zerstreuen. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hatte im Juli noch beruhigt. Das Renten-Niveau bleibe stabil und der Beitragssatz auch.
Hubertus Heil: „Dazu gehört auch für die Jüngeren, dass wir den Beitrag stabilisieren. Er soll höchstens 20 Prozent bis in die Mitte der 20er Jahre betragen.“
Georg Restle: „Alles stabil? Bis in die Mitte der 20er Jahre. Was aber dann? Dann, wenn die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen? Wissenschaftler haben das jetzt für uns sehr genau nachgerechnet. Bliebe der Beitragssatz bis 2045 stabil, würde das Renten-Niveau ohne staatliche Zuschüsse deutlich sinken, auf 37,8 %. Mit anderen Worten, im Vergleich zum Einkommen bliebe dann gerade noch mal ein gutes Drittel übrig. Keine guten Aussichten. Was also tun? Private Altersvorsorge lautete jahrzehntelang das Mantra der Politik. Aber jetzt droht auch hier das böse Erwachen. Viele Versicherungskonzerne geraten nämlich immer mehr unter Druck, auch wegen der andauernden Niedrigzinsphase. Deshalb wollen mehr und mehr Versicherer ihre Lebensversicherungen jetzt abstoßen in so genannte Run-Off-Gesellschaften - zu Deutsch: Abwicklungsgesellschaften. Klingt nicht gerade vertrauenserweckend, und vielleicht ist es das auch nicht. Kim Otto und Torsten Reschke.“
Gerhard Schröder: „Wir müssen damit leben, dass wir mehr privat vorsorgen müssen.“
Angela Merkel im Bundestag: „Ihr braucht als zusätzliche Säule die private Vorsorge.“
Ursula von der Leyen: „Private Vorsorge zahlt sich in jedem Fall aus.“
Erika Rajewski hat an die Versprechen der Politik geglaubt und vor zwanzig Jahren eine private Rentenversicherung abgeschlossen - zugunsten ihres Sohnes Lutz. Damals wurden ihr 4 Prozent Zinsen garantiert, und eine satte Gewinnbeteiligung versprochen. Ihr Vertragspartner war damals die Volksfürsorge, später übernahm dann die Generali. Jetzt soll die Altersvorsorge für ihren Sohn schon wieder verkauft werden - diesmal an eine Versicherung, von der sie noch nie gehört hat. Erika Rajewski macht das Angst.
Erika Rajewski: „Was die mit den Leuten machen, finde ich unverschämt. Ich sag immer eine Versicherung, wenn die verkauft und die andere kauft‘s auf, beide wollen Gewinn haben. Und woher wird der Gewinn geholt? Von den Versicherten. Das ist meine Meinung.“
Berechtigte Sorgen? Fakt ist: Wegen der langanhaltenden Niedrigzinsphase können Lebensversicherer wie die Generali die zugesagten Renditen für langjährige Kunden nicht mehr erwirtschaften. Deshalb hat der Konzern jetzt vier Millionen hochverzinste Lebensversicherungen wie die von Erika Rajewski an eine sogenannte Run-Off-Gesellschaft verkauft. Das sind kleinere, eigenständige Firmen, die dafür da sind, Versicherungsverträge zu verwalten. Das soll kostengünstiger sein, so begründet es jedenfalls der Gesamtverband der Deutschen Versicherer.
Peter Schwark, Gesamtverband der deutschen Versicherer: „Das Geschäftsmodell beruht ja gerade darauf, die Kosten zu reduzieren im Bestandsmanagement dadurch, dass man verschiedene kleine Bestände zusammenführt und entsprechend Vorteile erwirtschaften kann daraus, dass sich die Kosten auf mehr Schultern verteilen.“
Für Generali-Kunden bedeutet das, sie werden jetzt Kunden von Viridium, einer Tochter eines britischen Finanzinvestors. Der muss zwar die gesetzlichen Vorgaben für Eigenkapital einhalten, hat aber nicht so viele Rücklagen wie die großen Versicherungen. Kein Problem, sagt Viridium auf MONITOR-Anfrage und verspricht, die Gesellschaft werde
Zitat: „…zu jedem Zeitpunkt angemessen stark kapitalisiert sein.“
Finanzexperten dagegen befürchten, dass allgemein das Risiko von Insolvenzen steigt. Sven Enger etwa. Er war Geschäftsführer und Vorstand bei mehreren Versicherungskonzernen und kennt den Markt.
Sven Enger, ehem. Versicherungsmanager: „Die deutschen Lebensversicherer lagern ihre Altbestände an Lebensversicherungen aus. Das ist ungefähr so, als wenn Sie den Schrott, den Sie besitzen, auf eine Müllkippe bringen und dort wird er dann entsprechend professionell entsorgt. Letztlich ist es so, dass sie diese neugegründeten Firmen in die Situation bringen, dass die Renditen, die versprochen wurden bzw. die Renditen, die sie erzielen, nach wie vor im Missverhältnis stehen und damit in die Wahrscheinlichkeit einer Insolvenz laufen.“
Ein Risiko, das immer größer werden könnte. Denn immer mehr Versicherungen lagern ihre teuren Policen aus. 2013 schon trennte sich die Skandia Leben von ihren hochverzinsten Lebensversicherungen. Es folgten weitere Gesellschaften. Aber die Generali mit 4 Millionen Verträgen, das bedeutet jetzt einen Dammbruch. Auf Anfrage verspricht die Generali:
Zitat: „Für die Kunden ändert sich nichts. Unsere Lösung der Branchen-Partnerschaft könnte daher eine Blaupause für den gesamten Markt werden.“
Gerhard Schick (B‘90/Grüne), MdB: „Die Run-Off-Gesellschaften rechnen damit, dass der Markt wächst für sie. Das heißt, dass es immer mehr Unternehmen gibt, die ihre Verträge abstoßen wollen und damit wird das ganze System natürlich instabiler, denn diese Run-Off-Gesellschaften haben häufig eine niedrigere Kapitalausstattung, das Pleite-Risiko ist da sozusagen größer.“
Die Unternehmen bestreiten das. Tatsächlich aber geht es der Branche so schlecht, dass die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, kurz BaFin, derzeit 34 von 85 Lebensversicherern intensiv überwacht. Darunter auch neun große Anbieter. Laut Bundesfinanzministerium handelt es sich um Konzerne,
Zitat: „bei denen sich aus der jährlichen Prognoserechnung ergibt, dass sie mittel- bis langfristig finanzielle Schwierigkeiten haben könnten.“
Axel Kleinlein, Bund der Versicherten: „Wenn in den nächsten Jahren sich nichts ändert, die Zinsen weiter so niedrig sind, dann werden wir in fünf, sechs Jahren die ersten Unternehmen sehen, die direkt vor einer Pleite stehen. Dann geht’s nicht mehr um die Überschüsse, die sind jetzt ja schon oft gestrichen, dann geht’s um die Garantiezinsen.“
Erika Rajewski befürchtet, dass jetzt auch der Garantiezins für die Alterssicherung ihres Sohnes gefährdet sein könnte. Also die 4 Prozent, die ihr verbindlich zugesichert wurden. Sie holt sich Rat bei der Verbraucherzentrale. Dort versucht man, sie zu beruhigen. Schließlich gebe es eine von der Versicherungswirtschaft getragene Auffanggesellschaft, den so genannten Protektor. Er soll in Zahlungsnot geratene Konzerne vor dem Absturz schützen. Aber kann er das auch? Das System funktioniert so. Je nach Größe zahlen alle Versicherungen, auch die Run-Off-Gesellschaften, in den Protektor ein, um im Notfall andere Versicherer aufzufangen. Im Topf sind derzeit gut 930 Millionen Euro. Bei Bedarf müssten die Konzerne laut Gesetz noch einmal so viel nachschießen, insgesamt also rund 2 Milliarden Euro.
Sven Enger, Ehem. Versicherungsmanager: „Ich denke, dass der Protektor in der Lage sein wird, zwei bis vier Insolvenzen deutscher Lebensversicherer auszuhalten. Ich denke gleichzeitig aber, dass es wesentlich mehr geben wird, dazu braucht man sich eigentlich nur die aktuellen Zahlen anzuschauen.“
Geriete etwa Viridium ins Wanken, ginge es um rund 37 Milliarden Euro. Kämen weitere Run-Offs in Zahlungsschwierigkeiten, würde sich die Summe schnell weiter erhöhen. Zwar wäre nicht das gesamte Kapital gefährdet, aber der Protektor stieße wohl schnell an seine Grenzen. Auf Kosten der Versicherten.
Gerhard Schick (B‘90/Grüne), MdB: „Bei einer Schieflage einer Lebensversicherung, wenn die Verträge auf Protektor, auf die Sicherungseinrichtung, übertragen werden, können die garantierten Leistungen um fünf Prozent gekürzt werden, so steht das im Gesetz für Protektor. Sie können aber auch darüber hinaus noch gekürzt werden - auch das steht im Gesetz - so dass der Garantiezins dann eben nicht mehr garantiert ist, sondern dann wird gekürzt.“
Die Finanzaufsicht BaFin genehmigt die Verkäufe an Run-Off-Gesellschaften trotzdem. Ein Interview will uns die Behörde nicht geben. Schriftlich bestätigt sie aber, im Notfall sei die BaFin berechtigt…
Zitat: „(…) die Verpflichtungen aus den Versicherungen herabzusetzen. Für den Umfang der Herabsetzung gibt es keine Höchstgrenze.“ (Quelle: BaFin)
Gerhard Schick (B‘90/Grüne), MdB: „Die Finanzaufsicht prüft solche Verkäufe. Aber ich meine, das reicht nicht, es braucht neue gesetzliche Regelungen. Es kann ja nicht sein, dass die Gesellschaft einfach neue Lebensversicherungsgesellschaft betreibt und die alten Versicherungsverträge wegschiebt. Da braucht es einen stärkeren gesetzlichen Schutz der Kunden, zum Beispiel eine Zustimmungserfordernis.“
Das Bundesfinanzministerium sagt, dass man das Thema Run-Off im Auge habe. Man behalte sich vor,
Zitat: „… erforderlichenfalls gesetzliche Regeln vorzuschlagen.“
Für Erika Rajewski käme das zu spät. Sie hat die Nase voll und will ihre Police verkaufen. Statt 35.000 Euro würde sie nur 18.000 erhalten. Ein hoher Verlust, aber sie hat einfach kein Vertrauen mehr…
Erika Rajewski: „Ich meine, die Politiker, wofür haben wir die? Die sollen uns doch schützen. Aber der Versicherte ist nicht geschützt, nur die Versicherung, die ist geschützt, die können machen was sie wollen. Ne, das find ich nicht gut.“
Georg Restle: „Bloß keine Kurzschlussreaktionen. Wenn Sie nicht wissen, was Sie mit Ihrer Lebensversicherung jetzt anstellen sollen, wenden Sie sich am besten an eine Verbraucherzentrale oder lassen sich anderswo beraten.“
Kommentare zum Thema
Wenn hier immer wieder die "verschuldeten" Südstaaten (Europa) genannt werden und Draghis verfehlte Zinspolitik, bitte ich zu beachten, das diese Zinssenkungen das System Lebensversicherung "am Leben" halten. Was denkt Ihr, wer die Zinsen für Eure Lebensversicherungen bezahlt ??? Da wird natürlich die Staatsanleihe (die müssen von den Lebensversicherern gekauft werden !) am höchsten verzinst, welche das höchste Risioko trägt. Ich bemühe mal meine "Glaskugel.... 1. Werden die nicht mehr einzuhaltenden Versprechnungen der Versicherungen an sog. Run - Off Firmen verkauft. 2. Die "Werte" der Papiere werden erst beliehen und zu Krediten umgewurschtelt. 3. Die Papiere werden entweder gebündelt und "geratet" von S&P, Moody´s oder sonstigen. und zum Schluß,wenn "nichts mehr Geht ", wird der § 314 VAG (Versicherungsaufsichtsgesetz) bemüht, um den Kunden bei "schieflage" des Unternehmens, die Leistung zu verweigern !!! DAS ENTBINDET DEN Vers.Nehmer ABER NICHT VON WEITEREN ZAHLUNGEN !!!
Ich war 56 Jahre alt, als die Bank wegen des verschuldeten Hauses meine Lebensversicherungen als Deckung übernahm.. Diese waren als Altersvorsorge gedacht, da die Rente nicht ausreichend ist. Im Notfall muss also der Staat zahlen, weil die Bank die Versicherung übernahm.
Insolvenzen? In 5-6 Jahren? Da passe ich voll rein. Dann ist ja auch mein eingezahltes Geld weg??? Frau Merkel stellt sich vor die Versicherungen und hält die gefährdeten auch noch geheim! Wann ist denn das Gesetz erlassen worden, dass die Versicherungen nicht mehr eins sind sondern nur noch einzelne Sparten? Nach der Finanzkrise? Damit die schlechten Versicherungen ausgelagert werden können? Allerdings denke ich nicht, dass es ein alleiniges CDU-Gesetz ist. Altersvorsorge. Ha! Da kann ich nur lachen. Die Versicherungen haben unser Geld und der Staat kommt für die Grundsicherung auf. Es wäre schön gewesen, wenn im Bericht auch Lösungen genannt werden würden.