Lauterbachs Pharmagesetz: Milliardengeschenk für Konzerne?

Monitor 13.06.2024 09:47 Min. UT Verfügbar bis 13.06.2099 Das Erste Von Achim Pollmeier, Markus Grill, Harald Schumann, Nico Schmidt, Maxence Peigné

MONITOR am 13.06.2024

Lauterbachs Pharmagesetz: Milliardengeschenk für Konzerne?

Die Preise für patentgeschützte Medikamente steigen in Deutschland seit Jahren stark an. Früher forderte der heutige Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach mehr Transparenz bei den europaweiten Pharmapreisen – jetzt will ausgerechnet er den Pharmakonzernen ermöglichen, die in Deutschland erstatteten Medikamentenpreise geheim zu halten. Kritiker sprechen von einem Milliardengeschenk an die Pharmabranche und warnen vor verheerenden Folgen in ganz Europa.

Von Achim Pollmeier, Markus Grill, Harald Schumann, Nico Schmidt, Maxence Peigné

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Georg Restle: "Stellen Sie sich vor, Sie leiden an einer schweren Krankheit und es gäbe da ein Medikament, das Ihnen nachweislich helfen könnte. An das Sie aber nicht rankommen, weil es viel zu teuer ist und Ihnen niemand die Kosten erstattet. So etwas erleben viele Menschen in Europa jeden Tag. Weil Pharmakonzerne traumhafte Gewinne machen wollen und dabei von der Politik tatkräftig unterstützt werden, auch von der deutschen Bundesregierung. Klar, schließlich geht es ja auch um den Pharma-Standort Deutschland. Was das für schwerkranke Patienten bedeuten kann, das zeigen wir Ihnen jetzt mal am Beispiel dieses kleinen Mädchens, das an einer sehr bedrohlichen Krankheit leidet. Ein Medikament könnte ihr helfen. Aber an dieses Medikament kommt sie nicht ran – und das nur, weil sie zwar mitten in Europa, aber da im falschen Land lebt. Achim Pollmeier mit Recherchen von WDR, NDR, SZ und Investigate Europe."

Das Tablet macht es halbwegs erträglich. Zweimal am Tag wird Milda eine halbe Stunde lang durchgeschüttelt von ihrer pinken Weste. Wenn es ihr schlecht geht, auch doppelt so oft. Das soll den Schleim in ihren Lungen lösen. Milda hat eine unheilbare, oft tödlich verlaufende Krankheit. Mukoviszidose. Das bedeutet, dass zähflüssiger Schleim Mildas Organe verstopft. Die Eltern sind in ständiger Sorge.

Urtė Gylienė (Übersetzung Monitor): "Ihr Leben ist immer in Gefahr, weil irgendein fieses Bakterium ihre Lunge angreifen könnte. An einem Tag ist sie noch gesund und am nächsten könnte sie schon in der Notaufnahme sein."

Ständig nimmt Milda Medikamente, Kapseln, Säfte. Wenn alles so bleibt, wie es ist, wird Milda kaum älter als Mitte 20, sagen die Ärzte. Dabei gäbe es ein Mittel, das ihr Leben um Jahrzehnte verlängern könnte, weil es die Fehlfunktion ihrer Körperzellen korrigiert. In Deutschland bekäme sie es längst über die Krankenkassen, doch Milda und ihre Familie leben in Litauen. Für sie ist es unerschwinglich.

Urtė Gylienė (Übersetzung Monitor): "Es ist zu teuer, einfach zu teuer. Es kostet rund 17.000 Euro pro Monat. Wenn man das zusammenrechnet, sind das mehr als 200.000 Euro pro Patient pro Jahr."

200.000 Euro pro Patient, pro Jahr verlangt der Hersteller für die Therapie mit diesem Medikament: Kaftrio. Viel zu viel für eine normale Familie und so viel, dass auch die Krankenkassen in Litauen es nicht zahlen können oder wollen. Obwohl in der EU zugelassen, kann Milda das Medikament nicht bekommen. Und so wie Milda geht es zahlreichen Patientinnen und Patienten in Europa - bei vielen verschiedenen Krankheiten. Das zeigen gemeinsame Recherchen von WDR, NDR, Süddeutscher Zeitung und dem Rechercheteam Investigate Europe. Es geht um die ungerechte Verteilung lebenswichtiger Arzneimittel und Traumrenditen der Pharmakonzerne - auch mit Hilfe der deutschen Bundesregierung. Denn Deutschland spielt eine wichtige Rolle dafür, dass die Preise in Europa so hoch sind. Weil der deutsche Preis oft maßgeblich für andere Länder ist.

Wenn ein neues Medikament in der EU eine Zulassung bekommen hat, kann der Hersteller dafür in Deutschland zunächst einen x-beliebigen Preis verlangen. Diesen so genannten Listenpreis kann er beliebig hoch ansetzen und die Kassen müssen ihn erstmal bezahlen. Erst danach wird in einer offiziellen Nutzenbewertung geschaut, wieviel besser ein neues Medikament im Vergleich ist und dann handeln Hersteller und Krankenkassen einen niedrigeren Erstattungspreis aus, also den Preis, den die Kassen für das Medikament fortan bezahlen. So entstehen in Deutschland hohe Preise, die für andere Länder zum Problem werden, sagt Clemens Auer - viele Jahre war er im österreichischen Gesundheitsministerium zuständig für die europäische Pharmapolitik.

Clemens Auer, European Health Forum, Präsident: "Die Industrie hat ein ganz einfaches Ziel. Sie möchte ihr Investment möglichst schnell wieder verdienen. Und Deutschland spielt immer eine Rolle als Schützerin der Pharmaindustrie, also des Pharmastandorts Deutschland. Den Vorteil hat nur die Industrie und einige wenige Länder, die starke Pharma-Standorte haben und wo genug Geld im Gesundheitssystem ist, die hohen Preise auch bezahlen zu können."

Eine Therapie mit Kaftrio kostete in Deutschland zunächst laut Listenpreis 259.000 Euro pro Jahr, durch die Verhandlungen wurde der Erstattungspreis auf 207.000 Euro gesenkt. Immer noch extrem hoch für das Gesundheitssystem in Litauen, wo Mildas Eltern seit Jahren auf das Medikament warten. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf liegt hier nur etwa halb so hoch wie in Deutschland. Aber mit der Hälfte des Preises will der Hersteller Vertex sich offenbar nicht zufriedengeben. Vertex begründet das mit den hohen Entwicklungskosten und dem großen Wert des Medikaments für die Patienten. Fakt ist, Vertex macht damit Milliardengewinne. Die Umsatzrendite - also die Gewinnmarge nach Abzug aller Kosten für Forschung, Entwicklung und Produktion - lag zuletzt bei 36 Prozent. Fünfmal so viel wie beim Volkswagen-Konzern. Und das ist kein Einzelfall. Kaum eine Branche ist so profitabel wie die Pharmaindustrie.

Milliardengewinne für Pharmakonzerne, während viele Menschen keinen Zugang zu neuen, oft lebenswichtigen Medikamenten haben - etwa gegen Mukoviszidose oder Krebs: Das zeigt auch eine europaweite Untersuchung des Rechercheteams. Von 32 ausgesuchten, wirklich innovativen Medikamenten, die seit 2019 in der EU zugelassen wurden, fehlt in Deutschland und Österreich kein einziges. In zehn Staaten werden drei bis fünf dieser Medikamente nicht von den Kassen erstattet. In vier Staaten fehlen sogar mehr als zehn neue und hochwirksame Medikamente - also mehr als ein Drittel. Und künftig könnte es in der EU noch ungerechter zugehen - auch dank der Bundesregierung. Alzey in Rheinland-Pfalz, Anfang April. Spatenstich für einen Megadeal. Der US-Pharmariese Lilly will fast 2,5 Milliarden Euro in ein neues Werk in Deutschland investieren. Und der Kanzler gibt ein Versprechen:

Olaf Scholz (SPD), Bundeskanzler, 08.04.2024: "Was immer wir als Bund tun können, um den Pharmastandort Deutschland noch weiter zu stärken, das werden wir tun."

Tatsächlich hat die Bundesregierung ein Gesetz auf den Weg gebracht, das Lilly und andere Pharmakonzerne sich explizit gewünscht haben und das ihnen zusätzliche Profite verschaffen könnte. Wieder geht es um den Erstattungspreis, den Krankenkassen für ein Medikament tatsächlich bezahlen. Seit Jahren versucht die Pharmaindustrie ihn geheim zu halten, denn er zeigt, wie groß der Rabatt auf den offiziellen Listenpreis ist. Andere Länder können bei Preisverhandlungen darauf verweisen, um mindestens die gleichen, wenn nicht noch höhere Rabatte zu erhalten.

Prof. Josef Hecken, Vorsitzender Gemeinsamer Bundesausschuss: "Andere Staaten können darauf referenzieren und sagen, bezogen auf unsere Kaufkraft, die wir haben, kann dann der Betrag bei uns bei maximal einem Fünftel oder einem Sechstel oder bei der Hälfte des deutschen Preises liegen. Diese zentrale Wirkung, die ganz, ganz wichtig ist, damit auch in - ich sage jetzt mal einfach - ärmeren Ländern zu erschwinglichen Preisen Arzneimittel dann verfügbar sind, geht völlig verloren. Und das ist ein völlig falsches Signal für Deutschland und Europa."

Tatsächlich: Geht es nach der Regierung, soll der Erstattungspreis für ein Medikament künftig geheim gehalten werden, wenn der Hersteller das so möchte. Andere EU-Länder machen das schon jetzt - auf Druck der Pharmakonzerne. Aber warum jetzt auch Deutschland? Durch die Geheimhaltung könne man höhere Rabatte mit den Herstellern verhandeln, sagt Gesundheitsminister Karl Lauterbach im Interview mit unserem Rechercheteam.

Prof. Karl Lauterbach (SPD), Bundesgesundheitsminister: "Diese Rabatte sind auch deshalb möglich, weil eben die Preise als Referenzpreise dann keine Rolle spielen. Wenn wir so großzügig sind und sagen, jedes neue Medikament kommt sofort auf den Markt, dann muss es so sein, dass wir auch wirklich gute Rabatte verhandeln können. Und dazu trägt die neue Regelung bei."

Höhere Rabatte durch weniger Transparenz? Selten wurde ein Gesetzesvorhaben so einhellig von Fachpolitikern, Experten und Verbänden kritisiert. Auch vom wichtigsten Gremium im deutschen Gesundheitswesen, dem Gemeinsamen Bundesausschuss.

Prof. Josef Hecken, Vorsitzender Gemeinsamer Bundesausschuss: "Hier wird damit gewunken, dass wir möglicherweise einen Rabatt kriegen. Ob wir den kriegen, wissen wir ja gar nicht. Dafür öffne ich aber Tür und Tor, dass auf europäischer Ebene dann eben keine Transparenz mehr über die deutschen Preise besteht. Damit Einzelne ein Maximum an Profit am Ende des Tages für Dinge, die mehr oder weniger Wert haben, erzielen können, das ist der falsche Weg."

Schon heute bekommen Kinder wie Milda lebenswichtige Medikamente nicht. Doch alle Versuche, das europaweite System von Ungleichheit und Intransparenz aufzubrechen, sind mit dem neuen Gesetz in Deutschland wohl endgültig gescheitert.

Georg Restle: "Man möchte der kleinen Milda alles Glück dieser Welt wünschen - und der Politik ein Einsehen, dass Standortpolitik eben nicht alles sein kann, vor allem, wenn es um das Leben von Menschen geht."

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Stand: 11.06.2024, 15:46 Uhr

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5 Kommentare

  • 5 Jochen Schwarz 14.06.2024, 03:32 Uhr

    Der Kapitalismus ist ein Milliardengeschenk an die Reichen und wird von 95 % der Abgeordneten im Bundestag vertreten. In Brüssel sieht es nicht besser aus.

  • 4 Aga Bellwald 13.06.2024, 22:36 Uhr

    Unglaublich, wie die Pharmaindustrie bestimmt oder bestimmen will, was die Politik zu tun hat. Und diese macht brav mit. Sehr enttäuschend und gefährlich für alle, die auf die völlig überteuerten Medis angewiesen sind. Es muss wieder die Politik das Sagen haben und keine Pharmalobbyist*innen, nur so könnte es für die Betroffenen eine bezahlbare Lösung geben.

  • 3 Mill House 12.06.2024, 20:39 Uhr

    Geheime Deals auf nationaler Ebene sind ein Problem. Es ist nicht akzeptabel, dass unsere Politiker, die zum Wohle des deutschen Volkes handeln müssen, bei genauem hinschauen das Wohl von Unternehmen, Banken und Investoren mit möglicherweise eigenen Interessen höherwertig ansetzen. Am Ende zahlt der "Deutsche Michel". Vielen Dank schon mal, Herr Lauterbach.

  • 2 Albers 12.06.2024, 19:35 Uhr

    Dann kann man die sPd ja wohl nicht mehr wählen und die Koalitionspartner der sPd ? Auch nicht.

  • 1 Globalisierungsgegner 12.06.2024, 12:09 Uhr

    Entweder Milliardengeschenk an die Pharmaindustrie, oder Abhängigkeit von China und Indien, oder Planwirtschaft im Pharmasektor. Wieder geht es um Lohndumping. Arbeitskosten in China und Indien sind geringer, auch wenn im Gegensatz zum gemeinsamen Markt auch noch Zollgebühren anfallen sollten. Nichts gegen Kapitalismus in Form einer Sozialen Marktwirtschaft aber der Rest Soziales der Sozialen Marktwirtschaft endet Deutschlands Grenzen. An einigen Stellen wir es eng mit der Marktwirtschaft, wenn es um Daseinsvorsorge geht. Ein „Milliardengeschenk für Konzerne“ finde ich auch nicht gut aber eine elegantere Lösung habe ich auch nicht.