Bericht: Achim Pollmeier, Elke Brandstätter, Andreas Maus, Lutz Polanz
Hier finden Sie ab Freitagnachmittag den vollständigen Beitragstext.
Georg Restle: "Kühe auf engstem Raum in einem hochmodernen Melkstand. Bilder wie dieses zeigen, dass Landwirtschaft in Deutschland vor allem eins ist: eine auf Effizienz getrimmte Lebensmittelproduktionsindustrie. Ausgerichtet auf einen Weltmarkt, auf dem Tierwohl, Umwelt und Naturschutz nur noch als Kostenfaktoren gelten. Nicht erwünscht, geschäftsschädigend. Jetzt soll das alles anders werden, hat die Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner versprochen – zuletzt in Brüssel bei den Verhandlungen über die Gemeinsame Europäische Agrarpolitik. Grüner und nachhaltiger. Wirklich wahr? Oder doch nur grüner Schein? Achim Pollmeier und Elke Brandstätter."
Hoch im Norden, Löwenstedt bei Flensburg. Das ist der Hof von Kirsten Wosnitza. Milchbäuerin, das ist ihr Wunschberuf. Vor 17 Jahren hat sie mit ihrem Mann den Hof gekauft. 120 Milchkühe sind es inzwischen. Wenn möglich, gehen sie auf die Weide, es soll ihnen gut gehen. Doch der Hof bringt kaum noch Geld ein.
Kirsten Wosnitza: "Das ist so eine Art Selbstausbeutung. Also, wenn man selber dann eben weniger entnimmt aus dem Betrieb für das private Leben, wenn man auf Sachen verzichtet und vor allem auch, wenn man für den Betrieb auf etwas verzichtet. Also da wird dann einfach das Geld deutlich, was einem fehlt."
Denn der Milchpreis deckt seit Jahren nicht die Kosten. In Deutschland wird viel mehr Milch produziert als verbraucht wird. Der Rest geht in den Export. Das Überangebot drückt den Preis. Doch möglichst viel und billig produzieren, das war immer die Leitlinie, auch vom Deutschen Bauernverband, sagt sie.
Kirsten Wosnitza: "Der Bauernverband hat gemeinsam mit der Agrarindustrie große Versprechungen gemacht und Hoffnung erweckt. Nämlich das Ding, wenn du fleißig bist, wenn du mitwächst, wenn du deine Stückkosten senkst, wenn du wettbewerbsfähig bist am Weltmarkt, dann wirst du überleben. Und für viele Bauern – gerade für die Tierhalter – ist das nicht aufgegangen, sonst hätten nicht so viele aufgehört."
Weichen oder wachsen, sagen sie dazu in der Landwirtschaft. Dragun in Mecklenburg-Vorpommern. Dieser Milchviehbetrieb etwa will gerade seine Größe verdoppeln. Auf fast 1.200 Milchkühe – zehnmal so viel wie bei Kirsten Wosnitza. Auf die Weide kommen diese Kühe nicht. Ansonsten gibt der Landwirt sich verschlossen, kein Zutritt, kein Interview. Über ein Drittel der Milch- und Schweinebauern haben in den letzten zehn Jahren aufgegeben, andere sind gewachsen. Umwelt und Tierwohl blieben dabei oft auf der Strecke. Eine bundesweite Auswertung der Deutschen Umwelthilfe zeigt, trotz unsicherer Rahmenbedingungen werden bundesweit aktuell 50 neue Großställe gebaut oder geplant. Milchbetriebe, Rindermast, Schweine, vor allem Geflügel. Für insgesamt 3,3 Millionen Tiere.
Reinhild Benning, Deutsche Umwelthilfe: "Die Durchschnittsgröße liegt in aller Regel weit oberhalb der Durchschnittsgröße, die wir in Deutschland schon haben. Das heißt, die Tierhaltung wandert von bäuerlichen Betrieben hin in die Hände von industriellen Tierhaltungen."
Hochleistungslandwirtschaft – das Tier wurde dem System angepasst. Eigentlich verstößt es gegen das Tierschutzgesetz, Puten die Schnäbel zu beschneiden, Schweinen die Ringelschwänze zu kürzen oder Sauen in solchen Kastenständen zu halten. Dank Ausnahmeregelungen ist es trotzdem Alltag. Die Bundesregierung verspricht seit Jahren Besserung. Doch statt Gesetzen kamen Kommissionen, zuletzt die Zukunftskommission Landwirtschaft – mit dabei, der Deutschen Bauernverband. Ihre Vorschläge für die "Zukunft": hat es alle schon gegeben. Bessere Tierhaltung, Subventionen nur noch für mehr Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Tierwohl. Vorschläge, die politisch nicht umgesetzt werden, nützen wenig, sagen Fachleute wie Harald Grethe. Er war Vorsitzender vom wissenschaftlichen Beirat des Landwirtschaftsministeriums.
Prof. Harald Grethe, Agrarökonom, Humbold Universität Berlin: "Aber es reicht ja nicht, Expertenkommissionen einzusetzen oder wissenschaftliche Beiräte arbeiten zu lassen. Irgendwann muss politisch gehandelt werden und wir können feststellen, dass wieder eine Legislaturperiode verloren ist. Denn wir sind in der Sache kaum weitergekommen."
Stillstand. Zulasten kleinerer Betriebe, die nachhaltig wirtschaften wollen. Martin Schulz betreibt eine konventionelle Schweinemast in Niedersachsen – aber mit klar geregelten Haltungsstandards. Billiges Importfutter ist tabu, die Schweine haben Innen- und Außenbereiche mit Stroh und mehr als doppelt so viel Platz wie vorgeschrieben. Für Schulz rechnet sich das, denn er verkauft sein Fleisch über regionale Direktvermarktung. Eine Ausnahme. Doch solange mehr Tierwohl nur möglich ist, wenn der Verbraucher dafür zahlt, dann werde sich nicht viel ändern, sagt Schulz.
Martin Schulz, Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft: "Wir brauchen finanzielle Anreize, damit die Betriebe umstellen und wir brauchen aber auch ordnungsrechtliche Maßnahmen bzw. Ziele, wann bestimmte Haltungsverfahren Standard werden."
Das Problem: Fast die Hälfte des deutschen Schweinefleischs geht in den Export, bei der Milch ist es ähnlich. Auf dem Weltmarkt lässt sich mit Naturschutz und Tierwohl aber kaum Geld verdienen.
Reinhild Benning, Deutsche Umwelthilfe: "Der Export zahlt nicht für Tierschutz und Klimaschutz. Das sind auf dem Weltmarkt keine Zahlungskategorien. Daher muss man ganz klar sagen, das Fleisch geht in den Export, aber die Gülle bleibt hier. Das Tierleid findet hier statt und der Klimaschaden insgesamt bleibt bestehen, solange diese Politik auf Exportorientierung fixiert bleibt."
Am Ende müssten die Bauern mit einer besseren Tierhaltung Geld verdienen – aber nicht mit einer einseitigen Ausrichtung auf Export und Masse, sagen Fachleute.
Prof. Harald Grethe, Agrarökonom, Humboldt Universität Berlin: "Dass wir auch mit den Mengen dringend runter müssen – und zwar sowohl in der Produktion wie auch im Konsum – das ist leider noch immer kein offensiv proklamiertes Ziel der deutschen Agrar- und Ernährungspolitik."
Im Gegenteil, immer mehr und immer billiger – auch der Bauernverband hat jahrelang dieses Motto verfolgt, sagen Kritiker. Auf MONITOR-Anfrage sieht sich der Verband eher als Getriebener. Intensivierung und Preisdruck seien das
Zitat: "Ergebnis von internationalisierten Märkten, starker Preisorientierung (...) des Lebensmittelhandels und der Verbraucher."
Der Bauernverband als Opfer der Verhältnisse?
Claire-Waldoff-Straße, Berlin. Hier sitzt der Deutsche Bauernverband und – im gleichen Haus – zwei Verbände der Deutschen Lebensmittelindustrie. Sie ist der drittgrößte Lebensmittelexporteur weltweit. Während Bauern hohe Preise wollen, braucht die Industrie möglichst billige Rohstoffe wie Milch, Fleisch und Gemüse. Und trotzdem alle unter einem Dach. Und nicht nur das, Industrie und Bauernverband unterhalten auch gemeinsame Vereine, wie das "Forum moderne Landwirtschaft". Der Verein soll ein möglichst gutes Bild von der "Modernen Landwirtschaft” vermitteln. Was man darunter versteht wird deutlich, wenn man auf die Führungsriege schaut. Im Vorstand der Bauernpräsident, im Aufsichtsrat Vertreter der Konzerne Südzucker, Bayer und BASF. Bauernpräsident Joachim Rukwied hat etliche Funktionen in Vereinen und Verbänden und bezieht Vergütungen als Aufsichtsrat bei Lebensmittelkonzernen, Banken, Messen und Versicherungen.
Martin Häusling (Bündnis90/Grüne), Europaabgeordneter: "Wenn man sich mal die Vorstandsetage des Deutschen Bauernverbandes anschaut, da wird man sehen, dass viele Bauernfunktionäre sehr eng mit der Ernährungsindustrie verflochten sind. Also die sitzen in den Aufsichtsräten der großen Molkereien, der großen Agrarhändler und überall da drinnen sitzen Bauernvgerbandsvertreter. Und dann ist halt die Frage, vertreten die eigentlich da die Bauern oder vertreten sie am Ende die Firmeninteressen?"
Kirsten Wosnitza jedenfalls fühlt sich vom Bauernverband nicht mehr vertreten. Sie hofft auf eine Politik, die auf Wettbewerb und Nachhaltigkeit setzt – für die Tiere, die Umwelt und die Bauern.
Georg Restle: "Ernährung, Landwirtschaft und Agrarpolitik. Ein großes Thema, über das es noch jede Menge zu erzählen gibt."
Kommentare zum Thema
Die unmenschlichsten Säugetiere der Erde sind wir Menschen.
Ja, die sogenannte Weidemilch ist eine schlimme Verbrauchertäuschung. Man sehe sich mal die Bedingungen an: an mindestens 120 Tagen im Jahr für mindestens 6 Stunden 720 Stunden Weidegang. Das Jahr hat bei 365 Tagen 8760 Stunden. Der Weideaufenthalt beträgt damit nur mindestens 8,219%. Wenn wir von der Zeit zwischen den Melkzeiten ausgehen wären theoretisch 10 Std. möglich, also 3650 Stunden im Jahr denkbar. Auch wenn man Extremwetterlagen und Probleme mit extremen Bodenbedingungen abrechnet, kämen bestimmt weit mehr als die 720 Stunden zusammen. Ich schlug im Vorfeld der Kampagne für die Weidemilch dem Grünlandzentrum vor, die teilnehmenden Betrieb durch entsprechende Hofschildern erkennbar zu machen. Das wurde abgelehnt. Warum wohl? ... und noch dies: Man hätte auch dem österreichischen Beispiel folgend im Sommer mit "Weidemilch" und im Winter mit „Heumilch“ werben können, äh, oder besser bzw. zutreffender mit "Silagemilch".
Schon allein das Foto von den armen Kühen im Melk-Rondell zeigt doch diese absolut grausame Tierausbeutung! Von oben sieht man, wie die Haut der Tiere nur noch so um ihre Knochen hängt. Sie sehen aus wie Skelette. Von der Seite würde man an so einer Kuh dann noch einen riesigen Euter, prall gefüllt und bis zum Boden hängend sehen. Diese Tiere können kaum noch gehen mit diesem prall gefüllten 'Sack' zwischen ihren Beinen. Diese Mütter durften niemals ihre Kinder sehen und umsorgen. Sie werden behandelt wie "Milchmaschinen" und in den Prospekten der Zuchtverbände auch oft so bezeichnet. Sie werden andauernd geschwängert, damit sie Milch 'produzieren', mit 5-6 Jahren, weit vor ihrer natürlichen Lebenserwartung, werden sie zu den großen Schlachthöfen gekarrt. Zu viele werden fehlbetäubt und bei vollem Bewusstsein aufgeschnitten, sie versuchen, noch am Haken hängend verzweifelt um sich schlagend und blickend, zu entkommen - meist mit dem nächsten Kälbchen im Bauch.... Zeigt das!