MONITOR vom 15.03.2018

Unter Generalverdacht: Kurden in Deutschland

Bericht: Stephan Stuchlik, Andreas Maus

Unter Generalverdacht: Kurden in Deutschland Monitor 15.03.2018 07:57 Min. Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste

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Georg Restle: „Wenn Sie jetzt meinen, das sei ein bedauernswerter Einzelfall, sollten Sie unseren nächsten Film sehen. Man kann in diesem Land nämlich ziemlich schnell ins Visier der Sicherheitsbehörden geraten; zum Beispiel, wenn man ganz normale Nachrichten über den Krieg der Türkei gegen die Kurden in Syrien verbreitet. Wenn dabei solche Symbole, wie Sie sie hinter mir sehen, enthalten sind, dann können Sie ganz schnell unangenehmen Besuch von der Polizei erhalten. Dabei handelt es sich um eine in Deutschland völlig legale Organisation syrischer Kurden, die so genannten YPG. In der Türkei allerdings gelten sie als Terroristen, und deshalb fordert der türkische Präsident immer wieder, dass deren Anhänger auch in Deutschland verfolgt werden. Genau diesen Gefallen hat ihm die Bundesregierung jetzt offensichtlich getan. Stephan Stuchlik und Andreas Maus.“

Hier spielt ein angeblicher Sympathisant von Terroristen. Johannes König ist Cellist der Münchener Philharmoniker. Jetzt ermittelt der Staatsschutz gegen ihn.

Johannes König, Cellist, Münchener Philharmoniker: „Ich habe am 21. Februar einen Anruf bekommen, der mich sehr überrascht hat von einem Kommissar des Staatsschutz, der mir gesagt hat, sie befänden sich gerade in Facebook-Ermittlungen und es geht um einen Post, der zu beanstanden sei. Es ist ein Artikel des Bayerischen Rundfunks, der mit einer Flagge der YPG bebildert ist.“

Die YPG Flagge ist das Symbol von kurdischen Kämpfern in Syrien. Der Bayerische Rundfunk hatte einen Artikel über kurdische Organisationen mit der Flagge illustriert. Die YPG ist in Deutschland nicht verboten und der Bayerische Rundfunk darf auch solche Bilder verwenden. Nur das Teilen solcher Artikel kann strafbar sein - also manchmal.

Reporter: „Das heißt, der Bayerische Rundfunk darf es einstellen mit der Flagge, aber ich darf es nicht teilen?“

Anne Leiding, Oberstaatsanwältin: „Die Frage ist dann tatsächlich, wie Sie es teilen. Und da kann ich Ihnen keine - ja, wie soll ich sagen - nicht sagen, nicht für alle Fälle sagen, wie Sie es teilen können und wie Sie es nicht teilen können.“

Bei dieser Wohngemeinschaft im Münchener Norden stand die Polizei vor der Tür. Morgens früh um sechs. Auch hier ging es um die Verwendung der YPG-Symbole.

Nargez Nassimi: „Die haben total laut gesagt: Polizei! Polizei! Machen Sie die Tür auf, und ein paar bedrohliche Sachen auch. Und dann, als die reingekommen sind, wir sind wegen Benjamin hier. Wo ist er? Wo ist er? Er war nicht zu Hause. Ich habe mich gefragt: Was hat der gemacht? Was ist los?“

Was hatte Benjamin Russ gemacht? Der 32-jährige hatte die YPG-Flagge der kurdischen Kämpfer in Syrien als persönliches Hintergrundbild bei Facebook verwendet.

Benjamin Russ: „Das habe ich aus Solidarität mit dem Kampf der Kurdinnen und Kurden gegen die Besatzer in ihren Gebieten gemacht. Also weil ich den Kampf ums nackte Überleben zumindest in dem Fall digital unterstützen möchte.“

Die Organisation ist erlaubt, das Symbol verboten. Wie kann das sein? Das Bundesinnenministerium hatte ursprünglich nur untersagt, die Symbole der verbotenen PKK zu zeigen. Seit einem Jahr aber ist die Verwendung von Symbolen weiterer kurdischer Vereine strafbar, falls sie ersatzweise von der PKK benutzt werden. Darunter auch die Flagge der YPG, der Kämpfer der syrischen Kurden. Wer ist die YPG? Es sind die kurdischen Kämpfer, die sich seit dem Januar gegen den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der Türkei in Afrin und Umgebung wehren. Und, die YPG-Kämpfer sind die wichtigsten Verbündeten der USA im Kampf gegen den so genannten Islamischen Staat. Wie hier in Raqqa feierten sie gemeinsam den Sieg über die Islamisten. Und als sie 2014 die Jesiden befreiten, dankten ihnen deutsche Politiker noch öffentlich.

Angela Merkel, Bundeskanzlerin, 01.09.2014: „Am Ende haben kurdische Kräfte mutig eingegriffen. Nur so konnte ein Großteil der Jesiden die Flucht aus den Bergen gelingen.“

Thomas Oppermann, damals SPD-Fraktionsvorsitzender, 01.09.2014: „Ich möchte an dieser Stelle meinen Respekt für die Tapferkeit der Kurden bekunden. Sie haben sich den Terrormilizen mutig entgegengestellt.“

Eine Tapferkeit, an die sich heute keiner mehr erinnern will. Für die kurdische Gemeinde in Deutschland ist das Verbot des YPG-Symbols widersinnig.

Ali Ertan Toprak (CDU), Bundesvorsitzender kurdische Gemeinde: „Insofern finde ich das absurd, dass ein Teil der NATO mit dieser Gruppe gegen den Islamischen Staat kämpft, und wiederum Deutschland als NATO-Staat gegen Symbole dieser Gruppe vorgeht. Das kann man, glaube ich, keinem objektiven Beobachter wirklich erklären.“

Wie massiv die Polizei gegen die YPG-Symbole vorgeht, war im niedersächsischen Meuchefitz zu beobachten. Zwei Dutzend Fahrzeuge und 80 Bereitschaftspolizisten wurden aufgeboten, um dieses Transparent mit YPG-Aufschrift abnehmen zu lassen. Der ehemalige Bundesinnenminister Baum kritisiert nicht nur die Polizeieinsätze. Er hält das Verbot der YPG-Flagge schlechthin für unsinnig.

Gerhart Baum, ehem. Bundesinnenminister: „Das sind übereifrige Überinterpretationen des PKK-Verbots. Entweder man verbietet die … die Vereinigung der syrischen Kurden, dann wäre man konsequent. Das kann man aber nicht, weil es keinen Anlass dazu gibt. Dann kann man auch nicht Leute bestrafen, die dieses Symbol benutzen.“

Wie aber kommt es zu solchen Regelungen? Die Außenminister Çavúşoğlu und Gabriel in Goslar, als es um die Befreiung des Journalisten Deniz Yücel ging. Immer wieder hatte die türkische Regierung gefordert, auch Deutschland müsse massiv gegen kurdische Vereinigungen wie die YPG vorgehen. Ein Wunsch, der von der Bundesregierung offensichtlich erfüllt wurde.

Udo Steinbach, ehem. Leiter deutsches Orient-Institut: „Man kommt vor dem Hintergrund dieser Freundschaft den Türken da entgegen, wo der Schuh besonders drückt, und das ist bei der Bewertung der Frage, was ist eigentlich die PKK, was ist die Kurdenfrage; in der Bewertung, dass man selbst darauf einschwenkt und sagt, ja, sie sind Terroristen.

Aber es geht nicht nur um Symbole. Auch kurdische Feste stehen jetzt unter Verbotsvorbehalt. Wie Newroz, das wichtigste Fest der Kurden; eine Mischung aus Weihnachten und Silvesterparty. Nicht nur, weil hier vielleicht YPG-Flaggen geschwenkt werden könnten. Nein, dieses neue Papier des Bundesinnenministeriums vom Januar rückt nun das gesamte Newroz-Fest in den Bereich des Verbotenen. Es sei bei den Aktivitäten in der Regel stets ein PKK-Bezug anzunehmen. Aber noch mehr: In der jüngsten Anweisung des Innenministeriums gibt es sogar eine Art Generalklausel, mit der sich beinahe jede kurdische Veranstaltung verbieten lässt.

Zitat: „Schließlich kann der PKK-Bezug einer Versammlung auch dann anzunehmen sein, wenn er sich weder nach der Person der Anmelder, noch aus dem Versammlungsmotto, (…) sondern erst aus dem tatsächlichen Verlauf der stattfindenden Versammlung erschließt.“

Gerhart Baum, ehem. Bundesinnenminister: „Das geht absolut zu weit. Wir haben ein weitgehendes, sehr weit gehendes Demonstrationsrecht in Deutschland. Selbst wenn von einer Demonstration Gewalt zu befürchten ist, muss sie genehmigt werden. (…) Von vorne herein zu sagen, wir unterstellen, dass das Verbot missachtet wird, das geht nicht. Das ist verfassungswidrig.“

Cellist Johannes König ficht das nicht an. Er sei durch die Polizeiermittlungen gegen ihn etwas bekannter geworden, so sagt er - aber eben auch etwas politischer.

Georg Restle: „Und auch das gehört zum Thema: Der Krieg der türkischen Armee gegen die Kurden in Syrien wurde heute mit unverminderter Härte weitergeführt. Ein Krieg, den man auch als das bezeichnen sollte, was er tatsächlich ist: Ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg.“

Kommentare zum Thema

  • heiko 29.03.2018, 15:22 Uhr

    Die Kurden sind das größte Volk (25-30 Mill.) ohne eigenen Staat! Der Westen (GB,Frankreich usw.) hat wahllos die Grenzen mitten durch die Kurdengebiete gezogen.Welche heute zu Konflikten führen und Autonomie versprochen (Vertrag von Lausanne).Die Kurden wurden seit Jahrhunderten autonom durch ihre eigenen Fürsten verwaltet.Das war auch eine Form von Autonomie!Was die TR in Afrin macht geht in Richtung Verteibung,ethnische Säuberung?Man will hunderttausende Araber und Türkmenen ansiedeln.Man schafft die Islamisten und ihre Familien aus Ost- Ghouta jetzt schon nach Afrin, dazu sollen tausende Islamisten die im dienste der Türkei gekämpft haben mit ihren Familien in Afrin bleiben.Die selben Kämpfer die schon für Nusra und den IS gekämft haben ?Das sind die neuen Besatzer.Man lässt die Kurden nicht nach Afrin zurück.Die Kinder in den Schulen bekommen eine Gehirnwäsche und eine türkische Fahne in die Hand.Ich glaube nicht,dass die Kurden sich das gefallen lassen und der Westen schaut zu !

  • Someri/ Babili 26.03.2018, 01:23 Uhr

    Das was die Türkei in Afrin gemacht hat, hat er letztes Jahr in den kurdengebiete der Türkei auch getan. Da müsste sich die PKK aus den betroffenen Gebieten zurückziehen, da die Armee/ Faschisten die Zivilbevölkerung getötet hat. In Afrin dagegen haben sich die ypg/ypj nicht zurückgezogen, sie haben lediglich die Zivilbevölkerung in sichere Orte evakuiert, um anschließend gerillastrategie anzuwenden. Das heißt Mann gegen Mann. Afrin wird für die Besatzer kein gutes Ende haben. Denn Erdogan will wie das osmanische reich ganze kurdengebiete unter seine macht bekommen. Er hat sich zum Diktator entwickelt. Selbst die Türken werden Schmerz und leid zu spüren bekommen. Denn das böse Spiel wird eines Tages ein Ende haben.In Afrin leben nicht nur Kurden, sondern auch turkmenen, Araber, Aramäer. Diese hatten alle friedlich und demokratisch unter dem Schutz der ypg/ypj leben können. Doch das müsste zerstört werden, da die TR sich vor die fürchtete.Kurdistan wird in den nächsten Jahren entstehen

  • EinBiedermann 20.03.2018, 23:18 Uhr

    .Dilan. / Einmarsch der Türkei. wie der Auftritt einer Besatzungsmacht. Herr Erdogan feiert sich in der (seiner) türkischen Presse: " Tag des Sieges, Tag des Stolzes, wir haben Geschichte geschrieben, heroische Schlacht. Die Türkei hat auch die USA und Russland besiegt (Erdogan-Berater)." YPG zog sich beinahe ohne Widerstand zurück. Herr Erdogan könnte in Syrien bald eine ähnliche Erfahrung machen, wie sein amerikanischer Amtskollege G.W. Bush im Irak. Es ist leichter in ein Land einzumarschieren, als wieder herauszukommen. Putin/Ukraine/Krim? Erdogan/Syrien/Afrin? Ich warte seit Tagen auf die Antwort der UN, wo bleibt das Recht auf Menschenrechte der Bevölkerung? Die ganze Welt schaut zu.