Krise bei ThyssenKrupp: Alles für die Aktionäre?

Monitor 05.12.2024 06:30 Min. UT Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste Von Herbert Kordes

MONITOR am 05.12.2024

Krise bei ThyssenKrupp: Alles für die Aktionäre?

Die Nachricht vom Abbau Tausender Stellen traf die Beschäftigten von ThyssenKrupp wie ein Schlag. 11.000 Jobs weg – das Werk in Kreuztal-Eichen soll ganz dicht gemacht werden. Und das, obwohl dort rund um die Uhr produziert wird. Viele junge Familien treibt die Entscheidung der Konzernspitze in die Verzweiflung. Sind die kurzfristigen Interessen der Aktionäre dem Konzern wichtiger als die langfristige grüne Transformation des Unternehmens?

Von Herbert Kordes

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Georg Restle: "Große Sorgen um die Zukunft; die machen sich nicht nur die Beschäftigten bei VW, sondern auch die des Stahlkonzerns thyssenkrupp. Auch hier droht der Vorstand damit, Werke zu schließen; auch hier protestieren die Beschäftigten dagegen. Und auch hier stellt sich die Frage, was läuft da eigentlich schief und wer ist dafür verantwortlich? Denn auch hier träumt man von einer grünen Zukunft, von grünem Stahl, der kostengünstig mit Wasserstoff produziert werden kann. Langfristige Ziele sind das, die aber offenbar im Widerspruch stehen zu den sehr kurzfristigen Gewinnerwartungen einiger Aktionäre. Herbert Kordes."

Daniel Argandona: "Mein Name ist Daniel Argandona. Ich bin 37 Jahre alt, ich bin gelernter Industriemechaniker und arbeite bei thyssenkrupp. Ich bin verheiratet und habe zwei Kinder, Lionel und Malia, die vier Jahre alt ist. Also zwischen den ganzen Bäumen gucke ich halt auf das thyssenkrupp-Gelände, wenige Laufmeter von mir entfernt, von meinem Zuhause."

Für Daniel Argandona schien das Leben perfekt zu sein - in Kreuztal im Siegerland. Glücklich verheiratet, tolle Kinder, vor ein paar Jahren ein Haus gekauft. Alles super - bis diese Nachricht kommt. Ein Kollege schreibt: "Standort Eichen wird geschlossen."

Daniel Argandona: "Wo die Nachricht kam, fühlte man sich so wie ins kalte Wasser geschmissen, weil ohne Vorankündigung ohne nichts. Ihr werdet geschlossen - fertig!"

Karoline Argandona: "Man hat halt Haus, Kinder, will sich was aufbauen, hat Pläne, möchte gern noch so viel erleben und ja, das wird einem dann so kurz vor Weihnachten dann erstmal alles … ja genommen."

Das sichere Leben, die Arbeit: Im thyssenkrupp-Werk in Kreuztal arbeiten 600 Menschen. Sie beschichten Stahlbleche - etwa für Autos oder Kühlschränke. Seit Generationen arbeiten die Menschen hier, oft die ganze Familie. Die Nachricht von der Schließung setzt die Stadt unter Schock, es gibt nur ein Thema; auch auf dem Weihnachtsmarkt. Viele arbeiten hier bei thyssenkrupp oder sie kennen Leute, die dort arbeiten. Und alle sind sauer auf den Chef des Konzerns.

Passantin: "Weil klar, es wird denen so vor die Füße geknallt. Aber auch sehr, sehr sauer, einfach weil man nicht damit gerechnet hat."

Passant: "Er kann sich ja mal hier umgucken, wie lange das hier noch so ist, dass wir uns so einen Weihnachtsmarktbesuch leisten können. Der macht ja hier den ganzen Standort kaputt."

Gemeint ist Miguel Lopez, seit eineinhalb Jahren Chef der thyssenkrupp AG. Der Manager gilt als Macher, der die verlustreiche Stahlsparte loswerden und die Aktionäre zufriedenstellen will. Im letzten Jahr schüttete der Konzern über 90 Millionen Euro Dividende an die Aktionäre aus - trotz Milliardenverlusten! Die größte Anteilseignerin - die Krupp-Stiftung in der Essener Villa Hügel - finanziert mit den Ausschüttungen Kunst und Kulturprojekte. Die Journalistin Kirsten Bialdiga beobachtet den Konzern seit über 20 Jahren.

Kirsten Bialdiga, Wirtschaftskorrespondientin, Manager Magazin: "Diese Krupp Stiftung hat nur eine einzige Einnahmequelle - und das sind die Dividenden von thyssenkrupp. Die müssen dann auch aus der Substanz zum Teil ausgeschüttet werden. Das tut keinem Konzern gut und einem Unternehmen wie thyssenkrupp, das jetzt um jeden Cent im Grunde feilscht, wo es darum geht, dass die Arbeitnehmer auf 10 Prozent ihrer Gehälter verzichten sollen - in dieser Situation - ist das natürlich ein ganz schlechtes Signal."

Geld für die Aktionäre. Geld, das dem Konzern fehlt: wohl auch für dieses Megaprojekt - grüner Stahl. Diese Anlage soll thyssenkrupp auf dem Stahlmarkt wieder in die Spur bringen - Stahlerzeugung mit klimafreundlichem Wasserstoff. Vergangenes Jahr kam Wirtschaftsminister Habeck mit einem gewaltigen Scheck zu thyssenkrupp: zwei Milliarden Euro vom Steuerzahler. Aber in diesem Herbst stand das Projekt plötzlich wieder infrage - weil thyssenkrupp offenbar die Kosten scheut. Man kann eben jeden Euro nur einmal ausgeben, sagt der Ökonom Jakob Hafele. Und kurzfristige Gewinne seien heute oft wichtiger als langfristig angelegte Investitionen.

Jakob Hafele, Institut für zukunftsfähige Ökonomien: "Unternehmen sind heutzutage häufig so strukturiert, dass den kurzfristigen Shareholder-Gewinnmaximierungsinteressen viel Gewicht gegeben wird im Verhältnis zu den notwendigen langfristigen Entscheidungen, um Unternehmen grün umzubauen. Und in der Situation ist es im Prinzip auch kein Wunder, dass Arbeitnehmerinnen-Interessen in Entscheidungen dann nicht ausreichend einbezogen werden."

Freitagabend, Heimspiel der Kreuztaler Handballer in der zweiten Bundesliga. Der Betriebsratschef des Werkes in Kreuztal-Eichen - Helmut Renk - ist auch hier. Nachdenklich steht er auf der Tribüne. Die Spielpause will Renk nutzen, denn er und seine Leute brauchen die Solidarität der Menschen in Kreuztal - nicht nur in Gesprächen, sondern auch bei einer großen Protestkundgebung am 11. Dezember.

Helmut Renk: "Es wird eine Riesen-Veranstaltung. Wir werden dem Management und der Politik zeigen, dass man so mit uns und Siegerländern auf keinen Fall umgehen kann. Wir werden kämpfen für den Erhalt des Standortes. Dankeschön! Ich hoffe, Ihr kommt alle!"

Daniel und Karoline Argandona versuchen unterdessen, mit ihren Sorgen klarzukommen, ohne die Kinder zu belasten.

Daniel Karoline Argandona: "Man selber, innerlich ist am Zweifeln, ist alles sehr schwer, aber man versucht halt … stark zu sein für andere, dass die nicht merken, dass es einem schlecht geht … ist wirklich so!"

Wenn die beiden für sich sind, zerbrechen sie sich den Kopf - aber einen Plan gibt es noch nicht. Diese Ungewissheit, sagen sie, die mache einen fertig.

Georg Restle: "Ob Thyssenkrupp oder VW, beide Beispiele zeigen: es ist nicht der Klimaschutz, der Arbeitsplätze kostet. Ganz im Gegenteil, Unternehmen, die sich nicht rechtzeitig darauf einstellen, werden wohl immer größere Probleme haben, im internationalen Wettbewerb zu bestehen."

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Stand: 05.12.2024, 22:15 Uhr

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