MONITOR vom 14.09.2017

Krankenpfleger gegen Kanzlerin

Bericht: Frank Konopatzki

Krankenpfleger gegen Kanzlerin Monitor 14.09.2017 03:38 Min. Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste

Georg Restle: „Ein junger Krankenpfleger fordert die Bundeskanzlerin heraus, und das vor einem Millionenpublikum. Ein couragierter Auftritt, der den jungen Mann über Nacht berühmt machte. Hallo und willkommen bei MONITOR. Vielleicht haben Sie es ja am Montag gesehen, wie ein 21-jähriger Krankenpfleger aus Hildesheim der Bundeskanzlerin das ganze Drama des Pflegenotstands in wenigen Sätzen drastisch vor Augen führte. Falls nicht - schauen Sie nochmal:“

Alexander Jorde, Krankenpfleger:„Im Artikel 1 des Grundgesetzes steht ‚Die Würde des Menschen ist unantastbar‘. Jetzt habe ich es in einem Jahr ungefähr - ein bisschen mehr ist es schon - jetzt im Krankenhaus und in Altenheimen erlebt, dass diese Würde tagtäglich in Deutschland tausendfach verletzt wird. Und ich finde, das ist ein Zustand, der ist nicht haltbar. Es gibt Menschen, die liegen stundenlang in ihren Ausscheidungen. Das sind Menschen, die haben dieses Land aufgebaut nach dem Weltkrieg. Die haben dafür gesorgt, dass wir diesen Wohlstand haben, den wir heute haben. Die Pflege ist so überlastet und Sie sind seit zwölf Jahren an der Regierung und haben in meinen Augen nicht viel für die Pflege getan.“

Georg Restle: „Zu wenig Pflegekräfte, zu schlechte Bezahlung und Patienten, die diesem Notstand hilflos ausgeliefert sind. Das wollten wir uns genauer anschauen und haben den jungen Krankenpfleger in Hildesheim besucht.“

Pflegeschüler Alexander Jorde zu Hause. Kurz vor der Arbeit noch eine Portion Spaghetti, seine Spätschicht dauert acht Stunden, da sollte man nicht mit leerem Magen auftauchen. Das Treffen mit Angela Merkel vor Millionen von Zuschauern fand er enttäuschend.

Alexander Jorde, Krankenpfleger: „Ich war eigentlich überhaupt nicht zufrieden mit den Antworten der Kanzlerin, weil für mich waren das keine Antworten, die mich weitergebracht haben. Sie ist wie immer unkonkret geblieben, sie hat teilweise Dinge gesagt, die nicht ganz richtig waren, wie mit dem Pflegestandard bzw. dem Personalstandard auf Intensivstationen. Das gibt’s bis jetzt nur für Frühchen-Stationen. Wie gesagt, es hat mich einfach so nicht befriedet und hat mir auch nicht weitergeholfen.“

Erstaunlich kritisch war der 21-jährige mit der Bundeskanzlerin umgegangen. Aber wenn er die fünf Minuten zur Arbeit ins Sankt-Bernward-Krankenhaus in Hildesheim fahre, betrete er regelmäßig eine Welt, die die Politik nicht wahrhaben wolle. Sogar auf seiner gut organisierten Station fühlt sich Jorde manchmal überfordert.

Alexander Jorde, Krankenpfleger: „Wenn jemand klingelt, dann klingeln auch gleichzeitig vielleicht noch zwei, drei andere und benötigen bei irgendwas Hilfe. Und dann kann man sich natürlich nicht zerteilen. Dann geht man zum ersten, zum zweiten. Und wenn man dann beim dritten ankommt, wartet der vielleicht schon eine ganze Weile. Und je nachdem, was der hat, kann es natürlich auch was Gefährliches sein, das heißt, es könnte ein Notfall sein und man ist zu spät da. Das kann passieren.“

13 Patienten kommen in Deutschland auf einen Pfleger im Krankenhaus. Damit liegt Deutschland im europäischen Vergleich ganz weit hinten. Geändert hat sich daran in den letzten Jahren wenig. Die Lage sei insgesamt dramatisch, sagt Jorde, von seinen Forderungen an die Politik rückt er nicht ab. Er hat klare Vorstellungen davon, was gebraucht wird.

Alexander Jorde, Krankenpfleger: „Wir müssen unbedingt mehr Personal in der Pflege gewinnen, und wir brauchen unbedingt bessere Patientenpflegeschlüssel. Weil letztendlich wenn es weniger noch werden, als es jetzt schon sind - und das werden sie werden, wenn wir nicht jetzt was ändern - dann ist es am Ende nicht mehr gewährleistet, dass die Würde des Menschen unangetastet ist. Und das zu schützen ist halt auch Verpflichtung des Staates, und der ist jetzt gefordert.“

Er liebt seinen Beruf, sagt Alexander Jorde. Aber von der Politik fühlt er sich im Stich gelassen. Von der Bundeskanzlerin insbesondere.

Kommentare zum Thema

  • WerhatSchuld 04.10.2017, 05:18 Uhr

    Schuld ist u.a. die sog. Fallpauschale, Honorar-Ärzte, teure medizinische Geräte (Anschaffungskosten müssen in der Bilanz positiv in Erscheinung treten), frühzeitige Patientenentlassungen. Krankenhäuser, Altenheime sollten nicht dazu gezwungen sein, Profit zu erwirtschaften. So wird halt Personal gekürzt oder entlassen. Krankenpfleger die ihren Beruf zur Berufung machen, setzen sich großer Belastung aus... Immer mehr Überstunden, 3-Schicht-Betrieb, immer mehr Bürokratie, immer weniger Personal, immer mehr Verantwortung. Ohne Änderung des Profitsystems werden sich Auszubildende gegen ihre Berufung entscheiden. _____ An die Radaktion. Mit " Alexander Jorde" in Kontakt bleiben. Seine Bitte: "Frau Kanzlerin folgen Sie mir einen Tag als Schatten!!!" Das könnte auch Herr Gröhe aus Sicht der Humanität gegenüber Herrn Alexander Jorde übernehmen.

  • Anwalt der Alten 01.10.2017, 12:26 Uhr

    Ich glaube gar nicht, dass der Kanzlerin dieses Problem vorher noch unbekannt war. Das ist ja das miese, dass sie das einfach ignoriert. Viele dieser alten wehrlosen Menschen haben Deutschland durch Leistung Fleiß zum fruchtbaren Land gemacht, von dem traurigerweise nur ein Teil der Bevölkerung profitiert. Die verantwortlichen, die zu den Profiteuren gehören, sollten sich schämen, mit diesen pflegebedürftigen Menschen so unwürdig umzugehen.

  • Hannes T. 23.09.2017, 16:56 Uhr

    Schade, dass Sie für die Zuschauer nicht für mehr Transparenz über die Gründe für viele Defizite im deutschen Gesundeheitswesen sorgen! Deutschland hat nach wie vor die höchste Bettenzahl je Einwohner und eine der höchsten Krankenhausfallquoten der westliche Industrienationen. Eine Ursache ist unser föderales System. Die Bettenplanung endet an der Grenze des Bundeslandes. Für die Fallzahlen sorgen dann schon die Krankenhauscontroller! Die Kritik des Herrn Jorde ist absolut berechtigt und gilt nicht nur im Krankenhaus sondern auch in Pflegeheimen. Die Politiker sind einfach zu feige, für eine sinnvolle, länderübergreifende Versorgung in Krankenhäusern zu sorgen. Das würde auch heißen: Krankenhäuser zu schliessen oder weitere Wege zum Krankenhaus! Unsere Medizin ist nun mal in mehr auf dem Stand der 60er-Jahre - aber die Topmedizin lässt sich nun mal nicht in der letzten Ecke von Deutschland (Emsland oder Bay.Wald) bereit halten!!!