Georg Restle: "Keine Frage: Migration ist das alles beherrschende Thema in diesen Monaten. Fast 50 % der Bevölkerung stellen es bei Umfragen ganz nach oben. Andere Themen sind dagegen weit abgeschlagen. Und das ist dann doch erstaunlich, weil es dabei schließlich auch um Themen geht, die jede und jeden von uns sehr unmittelbar betreffen. Das Gesundheitswesen zum Beispiel. Gerade mal 6 Prozent der Bevölkerung finden das ein wichtiges Thema. Und das, obwohl wir die Folgen von jahrzehntelangem politischen Versagen hier tagtäglich am eigenen Körper erfahren können. Marode Krankenhäuser, die überfordert sind, weil Geld und Personal fehlen. Unterversorgung, Fehlversorgung, Zweiklassenmedizin. Das will dieser Mann ändern: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach mit seiner Krankenhausreform – dringend nötig, sehr teuer, 50 Milliarden Euro. Und jetzt kommt eine ganz entscheidende Frage: Wer soll das alles bezahlen? Und, wie gerecht geht es dabei eigentlich zu? Lutz Polanz."
Matthias Voth, Geschäftsführer Harzklinikum: "Es brennt an allen Ecken und Enden. Die Architektin hat mir gerade erzählt, wir haben zwei Dächer zu sanieren, jedes Dach über eine Millionen Euro Kosten."
Wir sind in Quedlinburg im Harz. Unterwegs mit Geschäftsführer Matthias Voth. In diesem Gebäude befindet sich sein Arbeitsplatz. Das Haus nebenan müsste eigentlich abgerissen werden. Kein Wohnhaus, es gehört zum größten Krankenhaus im Landkreis, dem Harz-Klinikum.
Matthias Voth, Geschäftsführer Harzklinikum: "Also, ich glaube, wenn man das richtig – und das ist ja nur eine grobe Schätzung – reden wir sicher von 50 bis 60 Millionen, um das wieder auf Vordermann zu kriegen."
Reporter: "Können Sie das schaffen alleine?"
Matthias Voth, Geschäftsführer Harzklinikum: "Wir schaffen das alleine nicht."
Die Krankenhauslandschaft in Deutschland – ein Sanierungsfall. In Quedlinburg geht es nicht nur um marode Dächer oder tropfende Klimatechnik. Selbst im modernsten Teil der Klinik kämpfen die Ärzte im Herzkatheter-Labor mit Platzmangel und anfälliger Technik.
Jens Fabian, Leitender Oberarzt: "Es war früher so, dass wir zweimal im Jahr eine Wartung hatten. Jetzt haben wir fast monatlich irgendwas, das ausfällt. Die Röntgenröhre ist kaputt, die Blenden funktionieren nicht, sodass jeden Monat fast eine Reparatur notwendig wird."
Dabei steht das Harzklinikum noch vergleichsweise gut da, investiert regelmäßig, und fährt trotzdem auf Verschleiß. Drei Standorte mit mehr als 40 Gebäuden hat die Klinik – historisch gewachsen. Das bedeutet: weite Wege, teure Doppelstrukturen, auch beim Personal. Deswegen hat Geschäftsführer Matthias Voth einen Plan. Statt drei Kliniken soll es künftig eine neue geben – zentral gelegen in der Mitte des Landkreises.
Matthias Voth, Geschäftsführer Harzklinikum: "Wir hätten gerne ein Zentralkrankenhaus, weil wir die Besonderheit hier im Landkreis Harz haben, dass wir mit diesem Zentralkrankenhaus die gesamte stationäre Versorgung für die gesamte Bevölkerung von 207.000 Einwohnern abwickeln können."
Die Pläne des Harzklinikums sind so etwas wie die Blaupause für die Krankenhausreform, die Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach in ganz Deutschland umsetzen will.
Karl Lauterbach (SPD), Bundesgesundheitsminister (27.06.2024): "Wir werden deutlich bessere Behandlungsergebnisse haben. Wir werden die Krankenhäuser wieder so aufbauen, dass die Medizin im Vordergrund steht."
50 Milliarden Euro hat der Minister dafür eingeplant, in einem sogenannten Transformationsfonds. Doch wer soll das bezahlen? Ursprünglich wollte sich der Bund die Ausgaben mit den Ländern teilen, davon ist jetzt keine Rede mehr. Für die eine Hälfte – 25 Milliarden Euro – bleiben zwar die Länder zuständig, die anderen 25 Milliarden trägt aber nicht mehr der Bund, stattdessen sollen nun die gesetzlich Krankenversicherten mit ihren Kassenbeiträgen dafür zahlen – und zwar nur sie. Privatversicherte und Beamte bleiben außen vor, zahlen von diesen 25 Milliarden keinen Cent.
Ulrike Elsner, Vorstandsvorsitzende Verband der Ersatzkassen (vdek): "Die aktuelle Ausgestaltung des Transformationsfonds ist tatsächlich ein Griff in die Sozialkassen, in das Geld der Beitragszahler. Mit der Folge, dass diejenigen, die in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind, höhere Beiträge haben, weil sie für etwas bezahlen müssen, für das die Krankenversicherung gar nicht zuständig ist."
Der Bund bestellt, aber nur die gesetzlich Versicherten sollen die Rechnung begleichen. Menschen wie Dennis Spangenberg etwa. Er liegt gerade mit gebrochenen Fersen im Harz-Klinikum.
Dennis Spangenberg: "Da ist wirklich immer so dann die Frage, was hat das für einen Hintergrund? Also ist Deutschland so schlecht aufgestellt, dass es am Ende wieder bei uns hängen bleibt? Und wenn ja, warum? Ja, ich finde es einfach ungerecht."
Ungerecht. Der Bundesrechnungshof geht in einer Stellungnahme sogar noch weiter.
Zitat: "Von einer neuen Kliniklandschaft profitieren auch privat Versicherte und Mitglieder anderer Versorgungssysteme. Damit ergeben sich systematische Zweifel an der rechtlichen Zulässigkeit …"
Hartmut Reiners, Gesundheitsökonom:"Also das ist ja ein Umverteilungsproblem. Zum einen, vom Staat, also vom Bundeshaushalt zu den Krankenkassen. Aber auch innerhalb der Versicherten geht das zu Lasten der unteren und mittleren Einkommen."
Eine Umverteilung von unten nach oben. Warum macht ausgerechnet ein Minister der Sozialdemokraten das? Und warum sollen Besserverdienende und Beamte gar nichts zahlen? Wir fragen ihn bei einem Ortstermin in Solingen.
Karl Lauterbach (SPD), Bundesgesundheitsminister (17.06.2024): "Zunächst einmal ist es so, dass auch Privatversicherte Steuern bezahlen, und die andere Hälfte wird ja durch die Länder bezahlt. Das sind im wesentlichen Steuermittel, da bezahlen auch Privatversicherte mit."
Eine kuriose Begründung, finden Fachleute.
Ulrike Elsner, Vorstandsvorsitzende Verband der Ersatzkassen (vdek): "Das hieße, dass die Privatversicherten privilegiert werden, weil sie de facto nur die Hälfte zu bezahlen haben."
Hartmut Reiners, Gesundheitsökonom: "Es sagt ja niemand, dass sie sich daran in gar keiner Weise beteiligen. Die Frage ist nur, ob diese Beteiligung unter sozialen Gesichtspunkten okay ist. Und das ist sie keineswegs."
Aber warum ist Lauterbach nicht bei einer Steuer-Finanzierung aus dem Bundeshaushalt geblieben?
Karl Lauterbach (SPD), Bundesgesundheitsminister (17.06.2024): "Ganz klar ist, eine andere Finanzierung ist derzeit nicht darstellbar."
Soll heißen, nicht durchsetzbar. Eine Finanzierung über Steuergelder scheitert wohl – wieder mal – an der Schuldenbremse.
Hartmut Reiners, Gesundheitsökonom:"Das Problem liegt ganz einfach darin, dass diese Summen, die da anstehen, vom Bundeshaushalt nicht finanziert werden sollen. Da ist der Finanzminister davor. Und es gibt schon genug Ärger mit Herrn Lindner innerhalb der Koalition. Und da ist ganz klar, den Ärger will sich Lauterbach und vor allen Dingen auch – nehme ich mal an – der Kanzler nicht auch noch aufladen."
Da lädt man es lieber den gesetzlich Versicherten auf. Im nächsten Jahr rechnen die Krankenkassen mit erheblichen Beitragssteigerungen. Im Schnitt könnten die Beitragssätze von 16,3 Prozent auf 17,1 Prozent steigen. Für den Durchschnittsverdiener bedeutet das 216 Euro pro Jahr obendrauf. Maßgeblich wegen der Krankenhausreform. Aber auch, weil die Bundesregierung ein wichtiges Versprechen nicht eingelöst hat. Die gesetzlich Versicherten zahlen nämlich auch an anderer Stelle die Rechnung für staatliche Aufgaben. Der größte Batzen: Die Krankenversicherung für Bürgergeldempfänger. Der Bund zahlt zwar Beiträge für sie an die Kassen. Aber die reichen bei weitem nicht aus. Den Löwenanteil finanzieren auch hier seit Jahren die gesetzlich Versicherten. Und zwar praktisch nur sie. Die Bundesregierung wollte das ändern und die gesetzlich Versicherten entlasten. So steht es im Koalitionsvertrag:
Zitat: "Wir finanzieren höhere Beiträge für die Bezieherinnen und Bezieher von Arbeitslosengeld II, heute Bürgergeld-Empfänger, aus Steuermitteln."
Doch passiert ist bis heute nichts.
Andreas Storm, Vorstandsvorsitzender DAK-Gesundheit: "Der Bund erstattet nur ein Drittel des Aufwands, den die Krankenkassen für Bürgergeld-Empfänger haben. Würde er – wie das im Koalitionsvertrag ja vereinbart ist – eine ausreichende Erstattung vornehmen, dann hätten die Krankenkassen 9,2 Milliarden Euro mehr pro Jahr zur Verfügung. Und alleine wenn das umgesetzt würde, bräuchten wir im nächsten Jahr so gut wie keine Beitragserhöhungen."
Fassen wir zusammen: die Kassenbeiträge werden steigen, weil der Bund die gesetzlich Versicherten zahlen lässt, für Aufgaben, die er selbst übernehmen müsste. Und zu Lasten von Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen, auch bei der Krankenhausreform.
Georg Restle: "Die eher reicheren Privatpatienten schonen und die gesetzlich Versicherten doppelt bezahlen lassen? Ja, vielleicht liegt es ja auch schlicht daran, dass private Versicherungsunternehmen gegen ein solches Gesetz klagen könnten. Die gesetzlichen Krankenversicherungen dagegen nicht."
Kommentare zum Thema
Muss man notgedrungen ins Krankenhaus wird man oft schon nach zwei Nächten entlassen. Die ambulanten Behandlungen wurden gegenüber den stationären extrem gesteigert. Wünscht man als Patient ein Zimmer mit Einzelbelegung wird es einem verweigert, meist mit der Begründung dass keine Zimmer frei sind. Viele vorhandene Krankenzimmer wurden in Büroräume für hierarchisch höhergestellte Mitarbeiter der Krankenhäuser zweckentfremdet. Die Zimmerkosten sind preislich teurer als Hotelzimmer trotzdem wünschen Patienten diese und bezahlen sie auch. Die meisten Kosten für ein Krankenhaus werden durch medizinische Gerätschaften und Personal verursacht, nicht durch Krankenzimmer. PKV-Versicherte wünschen oft Einzelbelegung, Für mich sichtbar werden diese Zimmer oft nur für angeblich „höherwertige“ Parteifunktionäre reserviert. Dreißig Prozent leer stehende Zimmer? Belegt diese stationär, weniger ambulante Versorgung, schickt keine kranken Menschen nach Hause und es kommt wieder Geld herein.
Ich frage mich langsam wirklich wie dass in unserem Land noch weiter gehen soll. Herr Lauterbach schon mitbekommen das auch Pflichtversicherte Steuern zahlen !! Was sollen den die Pflichtversicherten noch alles zahlen ? Vielleicht auch mal die Beamten und Privatversicherten in die Pflicht nehmen ! Es wird Zeit das diese Regierung zurück tritt !
Tja - jetzt haben wir endlich einen Fachmann (selbst krank) als Krankheitsminister - und wieder ein Griff ins Klo ... Was aber auch heutzutage ein Buhei um kleinste Wehwehchen gemacht wird ist schon schlimm. Eine Platzwunde am Knie habe ich mir früher selbst genäht, heute wird gleich geröntgt und sonst was. So kann man natürlich Kosten hochtreiben. Nicht so zimperlich sein, dann klappt's auch mit den Kosten ... Im Übrigen sagt doch die Kirche immer, Nichts geschehe ohne Gottes Wille - soll sie doch, als Vertreterin, für die Kosten aufkommen ...