MONITOR vom 02.05.2019

Das große Artensterben: Wie die Agrarpolitik Julia Klöckners die Artenvielfalt bedroht

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Bericht: Elke Brandstätter, Shafagh Laghai, Achim Pollmeier

Das große Artensterben: Wie die Agrarpolitik Julia Klöckners die Artenvielfalt bedroht

Monitor 02.05.2019 07:56 Min. UT Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste Von Elke Brandstätter, Shafagh Laghai, Achim Pollmeier

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Georg Restle: „Es sind dramatische Appelle rund um die große Artenschutz-Konferenz der Vereinten Nationen, die gerade in Paris stattfindet. Die Artenvielfalt sei weltweit so stark bedroht wie nie zuvor in der Geschichte der Menschheit. Über eine Million Pflanzen- und Tierarten drohen für immer zu verschwinden. Arten, wie wir sie in Deutschland auf solchen Blumenwiesen finden, von denen es aber kaum noch welche gibt. Stattdessen oft solche Flächen: Intensiv genutzt von der Landwirtschaft, ohne Schutz und Nahrung für Insekten, Vögel oder Kleintiere. Eine Agrarwende fordern Wissenschaftler jetzt immer dringlicher, um zu retten, was noch zu retten ist. Aber damit beißen sie sich an einer Ministerin die Zähne aus, die oft nicht mal auf den Rat ihrer eigenen Berater hören will. Elke Brandstätter, Achim Pollmeier und Shafagh Laghai.“

Ein sonniger Morgen im Rheinland. Wir sind mit dem Biologen Christian Chmela von der Biologischen Station Bonn/Rhein-Erft auf der Suche nach dem Vogel des Jahres. Die Feldlerche, früher ein Allerwelts-Vogel, heute eine gefährdete Art.

Christian Chmela, Biologische Station Bonn/Rhein-Erft: „Sie findet immer weniger Nahrung und das hängt mit dem Verschwinden von Strukturen zusammen. Das hängt mit immer effizienterer Landwirtschaft zusammen und sie braucht diese Strukturen, blütenreiche Säume und so weiter, um ein Insektenangebot für die Jungenaufzucht zu haben.“

Ein typisches Beispiel wie intensive Landwirtschaft in Deutschland viele Arten bedroht. Am Feldrand nur schmale Grasstreifen, auch im Feld keine Blüte, kein Kraut,  stattdessen immer größere Felder, Monokulturen. Vielen Tieren geht so die Lebensgrundlage verloren. Das Artensterben in Deutschland ist in vollem Gange. Fast die Hälfte aller Wildbienenarten ist gefährdet, auf der roten Liste stehen auch der Feldhamster und viele Vogelarten wie das Braunkehlchen, der Kiebitz, das Rebhuhn. Seit Montag berät in Paris der Welt-Biodiversitätsrat der Vereinten Nationen. Weltweit könnten eine Million Arten verloren gehen. In Deutschland sei dafür maßgeblich die Landwirtschaft verantwortlich, sagt Josef Settele, einer der Autoren des Berichts, der hier beraten wird.

Prof. Josef Settele, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung: „Wir können uns das eigentlich nicht leisten, die Arten zu verlieren, da sie für uns ein wesentliches Versicherungselement für die Zukunft sind. Also, Insekten als Beispiel haben ganz viele Funktionen, ganz viele Leistungen, die wir selbstverständlich in Anspruch nehmen. Schädlingsbekämpfung ist einer davon, Bestäubung das andere. (...) Und wenn wir über Veränderungen eben dann keine Art mehr haben, die einspringen können, wenn andere ausfallen, dann haben wir uns zu stark ins Risiko begeben.“

Mehr Artenschutz in der Landwirtschaft - das verspricht auch Ministerin Julia Klöckner seit ihrem Amtsantritt. Und beteuert:

Zitat: „Bei Entscheidungen sind für mich wissenschaftliche Daten und Fakten ausschlaggebend, nicht das Bauchgefühl oder Stimmungen.“

Wirklich? Selbst eigene Berater der Ministerin beklagen ganz offen, dass wissenschaftliche Erkenntnisse einfach ignoriert würden. Bei den Agrarsubventionen, bei Pestiziden oder bei der Düngung.

Prof. Friedhelm Taube, Agrarwissenschaftler, Uni Kiel: „In diesem Bereich passiert nichts. Ganz einfach deshalb, weil der Einfluss der Lobbyverbände so stark ist, dass die Umsetzung in vernünftige, wissenschaftsbasierte Politiken nicht stattfindet.“

Das Problem mit der Düngung. Zu viel Gülle wird auf Wiesen und Äckern entsorgt. Das belastet das Grundwasser, es entsteht Feinstaub - und auch für die Artenvielfalt ist das ein großes Problem. Ministerin Klöckner spielt auf Zeit, will strengere Vorgaben der EU noch wegverhandeln, verweist auf die vor zwei Jahren geänderte Düngemittelverordnung. Doch die würde nur wenig ändern, warnen Experten. Friedhelm Taube ist Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Agrarministeriums. Seit Jahren überschreitet Deutschland die Grenzwerte, seit Jahren fordern Taube und seine Kollegen politisches Handeln. Vergeblich, sagt er.

Prof. Friedhelm Taube, Agrarwissenschaftler, Uni Kiel: „Wenn wir die EU nicht hätten und die EU-Kommission nicht hätten, die Deutschland auf die Finger schaut, dann wäre jetzt ja auch in Bezug auf die Düngeverordnung gar nichts passiert. Dann hätte man so weiter gewurschtelt, um es mal vereinfacht auszudrücken.“

Beispiel Pestizide. Experten fordern, den Einsatz drastisch zu reduzieren. Die Landwirtschaftsministerin will das auch, sagt sie. Vor allem, wenn es um ein Insekt geht.

Julia Klöckner, Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft: „Bienen sind systemrelevant. Und was der Biene schadet, muss vom Markt.” „Und ich sage auch immer, das was dann der Biene schadet, das muss dann weg vom Markt, denn die Biene ist systemrelvant.“ „Wenn die Biene - und was nachgewiesen ist - systemrelevant ist, müssen wir an die Ursache rangehen.“

Julia Klöckner, die Freundin der Biene. Bei der Reduzierung der Pestizide verspricht sie Erfolge. Seltsam, bereits 2017 hat ihr Ministerium an die EU-Kommission gemeldet, das Risiko etwa für Wasserorganismen durch den Einsatz von Pestiziden sei deutlich gesunken. Professor Mathias Liess kann das nicht nachvollziehen. Er ist ausgewiesener Experte für Auswirkungen von Pestiziden auf Wasserorganismen - und wissenschaftlicher Berater des Landwirtschaftsministeriums. Schon damals hatte er der Einschätzung des Ministeriums widersprochen.

Prof. Matthias Liess, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung: „Mit gewissen Schwankungen gibt es eine Zunahme des Risikos, des Pestizidrisikos über die Jahrzehnte hinweg. Es ist also meiner Ansicht nach überhaupt nicht nachzuvollziehen, dass es dort eine Abnahme gibt.“

Und es geht nicht nur um Gewässer: Unabhängige Berechnungen zeigen: Die Giftbelastung auf deutschen Ackerflächen nimmt seit Jahren zu, nicht ab. Mit verheerenden Folgen für die  Artenvielfalt. Darauf müsse die Politik schnell reagieren, fordern Berater des Ministeriums nahezu einhellig.

Prof. Matthias Liess, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung: „Das heißt also, wir müssen versuchen, Zulassungen zu verbessern und nicht nur die Zulassung zu verbessern, sondern auch die Bewirtschaftung zu verändern.“

Immer mehr Gift und Gülle auf den Äckern, die Artenvielfalt bedroht. Und kaum solche Flächen: Christian Chmela untersucht ein Feld, das ein Landwirt eigens für den Artenschutz angelegt hat. Viele verschiedene Blühpflanzen - und damit auch Insekten.

Christian Chmela, Biologische Station Bonn/Rhein-Erft: „Wir treffen auf sehr viel positives Wollen und arbeiten mit viel Landwirten sehr, sehr gut zusammen und versuchen das jetzt sozusagen von unten aufwachsen zu lassen, aber einen echten Schwenk, eine echte Kehrtwende im Verlust der Artenvielfalt werden wir erst erreichen, wenn sozusagen auch von oben eine grundlegende Änderung in der Agrarpolitik eingeleitet wird.“

Es geht um die Agrarsubventionen. Ministerin Klöckner will die Subventionen künftig stärker an Umwelt- und Klimavorschriften binden, sagt sie. Bisher hat sie ihre Möglichkeiten dazu allerdings nicht ausgeschöpft. Weiterhin sollen die Subventionen nach Ansicht der Ministerin vor allem die Einkommen der Landwirte verbessern - auch dabei ignoriert sie den Rat ihrer Experten.

Prof. Friedhelm Taube, Agrarwissenschaftler, Uni Kiel: „Also sämtliche wissenschaftlichen Organisationen, die sich mit der Gemeinsamen Agrarpolitik beschäftigen, haben seit vielen, vielen Jahren empfohlen, das jetzige System abzuschaffen und das zu ersetzen durch ein System mit zum Beispiel Gemeinwohlprämien. Das bedeutet, dass Landwirte dann wirklich über Ökopunkte dokumentieren. Ich habe die und die und die Leistung für die Gesellschaft zusätzlich erbracht, vollgemerkt zusätzlich, für die ich bezahlt werde.“

Das Landwirtschaftsministerium teilt uns schriftlich mit, es sei wichtig, unterschiedliche Expertisen anzuhören. Trotzdem könne man nicht immer einer Meinung sein.

Georg Restle: „Na ja, vielleicht würde es ja schon reichen, mehr auf die Meinung der Wissenschaftler zu geben, die eindeutig unabhängig sind.“

Stand: 02.05.2019, 22:15 Uhr

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35 Kommentare

  • 35 Zukunftswünsche 14.05.2020, 08:50 Uhr

    Wäre es zu vielleicht sinnvoll, Politiker als "systemrelevante" Gruppe von versteckten Gefährdern der Demokratie und Volksgesundheit fernzuhalten? Also fern von diesen im Dunkeln verborgenen mit dunklen Machenschaften beschäftigten Lobbyisten. Und nur Besuchsrecht wie im Altenheim? Eine Person pro Tag, halbe Stunde, Abstand halten und ein Verbraucherschützer sitzt immer mit am Tisch. Und wie beim normalen Steuerzahler auch: Geschenke bis max 40 Euro. Also ich wäre dafür.

  • 34 Nele Kempfer 13.05.2020, 18:34 Uhr

    Diese Person ist nicht geeignet um die Öffentlichkeit zu präsentieren. Die Pestizide und Gifte vernichten die schon absolut wenige Nahrung von Tieren.Es müssen Politiker mit Empathie für Tiere an die Öffentlichkeit. Und das mit der tierquälerischen Tierhaltung, indem sich die Tiere nicht bewegen und Strecken können,das das von dieser Person nicht eindeutig verboten wird als Tierquälerei,was allmählich jedem bewusst ist, das ist die Situation.

  • 33 Luise Charlet 12.05.2020, 11:45 Uhr

    Der G(K)löckner von Notre Dam(n) (Agricultural Politics)...... :/ Den Glöckner von Notre Dame hat sein Äußeres, sein Buckel hässlich gemacht. Das Innere war fein. Hier sind es Taten, die hässlich machen.. oder besser gesagt - das Unterlassen der Taten.

  • 32 Franz Kirchen 12.05.2020, 09:34 Uhr

    Offensichtlich benutzt Frau Klöckner ihren Job um auf unsere Kosten in ihre eigene Tasche zu wirtschaften. Man sollte sie vor Gericht zerren.

  • 31 Monika Fraunhofer 06.06.2019, 16:26 Uhr

    Machen wir es doch wie die Österreicher: wenn die Politiker nichts taugen, dann holen wir uns Experten, die die Geschicke lenken..... das würde viel Geld sparen.

  • 30 Anonym 28.05.2019, 16:21 Uhr

    Naja, alles Recht und gut aber vielleicht sollte man einfach zu den Wurzeln zurück. Wir alle in der EU haben Überproduktion und dadurch Lebensmittelnvernichtung im großen Stil. Land ist genug da, egal wo, einfach zurück zur Kleinbetriebswirtschaft. Die einfache Menschheit ist lange schon bereit mehr zu bezahlen für GESUNDE Nahrung !!!! Nur die Großindustrie WILL das nicht weil sie dann keine Gewinne mehr machen. Und die Politik schon gleich gar nicht da sie von dehnen geschmiert wird. Wenn die großkopferzen keine Luft mehr kriegen und nix mehr zu fressen haben, dann wachen sie auf doch dann ist es zu spät.

  • 29 Jürgen Kruse 27.05.2019, 10:28 Uhr

    Vor allem das Recht auf körperliche Unversehrtheit/Gesundheit wird besonders für die Menschen auf dem Lande nicht gewährleistet! Ständig entweder Ammoniakreizungen oder Giftgeruch und Feinstaub und resistente Keime, oft noch die Schadstoffe aus den Feinstaubschleudern in Form von Kaminöfen.....

  • 28 Elke Thurnhofer 24.05.2019, 13:33 Uhr

    Wenn in einem Betrieb ein Angestellter seinen Job nicht gut macht, wird er rausgeschmissen. Nicht so in der Regierung . Durch Nicht Handeln hält die Klöckner sich beschämend im Amt .

    • Reiner Oley 28.05.2019, 13:27 Uhr

      Stimmt - hier spielt auch eher eine Rolle, wer ausschlagebend ist für die Beurteilung von gutem Handeln - der Volkstribun oder der Geldtycoon. Von wem ist eine JK abhängiger?

  • 27 Karin Schroh-Bulle 24.05.2019, 07:37 Uhr

    Überall in der Politik sitzen mittlerweile die falschen Menschen am Hebel. Parteien, in denen Lobbyisten das Sagen haben und es nur noch um den Profit geht. Ich weiss nicht, ob es in der Politik jemals so etwas wie Ehrlichkeit und Glaubwürdigkeit gab, im Moment sind wir davon weit entfernt.

  • 26 Bernd 23.05.2019, 22:07 Uhr

    Bei dieser Lobbypolitik werden weitere Arten verschwinden...

  • 25 Udo Groen 23.05.2019, 15:23 Uhr

    Was ich wirklich sehr verwerflich finde, ist dass auf der Facebook Seite von Frau Klöckner Kritik gelöscht und Kritiker gesperrt werden. So versteht man in der CDU wohl Meinungsfreiheit. Sehr bedenklich.