MONITOR vom 02.05.2019

Verbrannt in der Gefängniszelle: Welche Rolle spielte die Polizei Kleve?

Bericht: Andreas Maus, Julia Regis

Verbrannt in der Gefängniszelle: Welche Rolle spielte die Polizei Kleve? Monitor 02.05.2019 05:28 Min. UT Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste Von Andreas Maus, Julia Regis

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Georg Restle: „Was passierte in diesem Gefängnis in Kleve, in dem ein junger Syrer unter ungeklärten Umständen verbrannte, und der dort niemals hätte inhaftiert werden dürfen? Diese Frage beschäftigt uns bereits seit Monaten, und jetzt auch einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss in Düsseldorf. Eine entscheidende Frage dabei: Wie konnte ein hellhäutiger, unschuldiger Syrer mit einem dunkelhäutigen Mann aus Mali verwechselt werden, der in Hamburg per Haftbefehl gesucht wurde? Oder war es gar keine Verwechslung? Für NRW-Innenminister Herbert Reul wird es jetzt langsam eng. Denn offensichtlich wurde von Nordrhein-Westfalen aus eine Datenveränderung in einem polizeilichen Fahndungssystem herbeigeführt, die zur unrechtmäßigen Inhaftierung des jungen Syrers führte. Neue Recherchen von Andreas Maus und Julia Regis.“

Wochenlang saß Amad A. im Sommer 2018 in Kleve im Gefängnis. Nach einem Brand in seiner Zelle starb er wenige Tage später. Dabei hätte der Syrer niemals im Gefängnis sein dürfen. Es sei bei seiner Verhaftung zu einer tragischen Verwechslung gekommen, so die offizielle Version. Und so soll es abgelaufen sein: Bei der Polizei Kleve wird Amad A. überprüft. Dabei taucht in den Datenbanken angeblich auch dieser Mann aus Mali auf, der in Hamburg mit zwei Haftbefehlen gesucht wird. Zwischen den beiden völlig unterschiedlich aussehenden Männern soll es eine Übereinstimmung in den Datensätzen geben. Die Polizisten in Kleve gehen davon aus, dass es sich um ein und dieselbe Person handelt und fordern die Haftbefehle vom LKA Hamburg an. Die Fotos der beiden hat man in Kleve offensichtlich nicht verglichen. Anfang April zeigten Monitor-Recherchen, dass die Verwechslung so nicht möglich war. Denn die Übereinstimmung in den Datenbanken wurde erst nach der Verhaftung hergestellt. NRW-Innenminister Herbert Reul räumte die Datenveränderung ein. Allerdings habe die Polizei Hamburg die Daten verändert, die Polizisten in NRW treffe hier keine Schuld.

Herbert Reul (CDU), Innenminister NRW: „Da wo die Polizisten versagt haben, Fehler gemacht haben in Kleve, habe ich das benannt, da bleibts auch bei. Aber es geht nicht, dass wir denen was an die Backe kleben, was sie nicht zu verantworten haben. Bleibt die Frage offen, warum haben die das in Hamburg verändert? Die Frage kann ich aber nicht beantworten, sondern die müssen die Hamburger beantworten. Ist ja klar.”

Waren also allein Hamburger Beamte für die Änderungen verantwortlich? In einem internen Papier des LKA NRW wird zwar gesagt, dass die Datenveränderung in Hamburg stattfand. Doch heißt es darin auch, die Veränderungen seien laut LKA Hamburg „aufgrund der übersandten Papierlage der Polizei Kleve” übernommen worden.

Stefan Engstfeld (B‘90/Grüne), Parlamentarischer Untersuchungsausschuss: „Natürlich trägt die Hauptverantwortung für alles, was passiert ist, in diesem Fall Nordrhein-Westfalen und nicht Hamburg. Und wenn wir uns die Papierlage angucken, stellt sich immer wieder die Frage, warum sollte Hamburg denn Sachen gemacht haben? Doch nur, weil es einen Zusammenhang gibt mit den Vorgängen aus Nordrhein Westfalen.”

Aber was ist mit der „Papierlage aus Kleve“ gemeint? Welche Unterlagen gingen von der Polizei Kleve nach Hamburg? Bei unserer Recherche entdecken wir ein Fax. Auf der ersten Seite: die sogenannte Anforderung der Haftbefehle. Darin bitten die Klever Polizisten das LKA Hamburg um die Übersendung der Haftbefehle. Auf diese Seite folgt dann ein mehrseitiges Dokument. Es sieht aus wie die Personen-Datei des Syrers Amad A. aus einer polizeilichen Datenbank. Doch merkwürdig, der Amad A., der hier beschrieben wird, soll mal hellhäutig und dann wieder schwarz sein. Unbegreiflich. Tatsächlich finden sich in diesem einen Datensatz Merkmale von zwei verschiedenen Personen. Zum einen die des Syrers Amad A., 1,72 m groß, westasiatisch und hellhäutig. Zum anderen die des mit Haftbefehl gesuchten Maliers, 1,80 m groß, afrikanisch und schwarzhäutig. Und diese beiden gegensätzlichen Beschreibungen wurden offensichtlich von der Polizei in NRW in diesem Dokument zu einem Datensatz zusammengefasst und dem unschuldigen Syrer Amad A. zugeordnet.

Annette Brückner, IT-Expertin für Polizeisysteme: „Also man hat sozusagen in diesem Ausdruck zwei Personen überlappen lassen und es so aussehen lassen, als wäre es ein und dieselbe Person, und das ist so befremdlich daran.“

Annette Brückner ist Expertin für polizeiliche Datensysteme. Für sie ist nicht nachvollziehbar, wie ein solches Dokument überhaupt entstehen konnte, und dann auch noch von Kleve nach Hamburg geschickt wurde.

Annette Brückner, IT-Expertin für Polizeisysteme: „Da muss man ja von vorne herein schon mal fragen, welches Interesse hatte eine Kriminalpolizei Behörde in Kleve, es so aussehen zu lassen, als sei der Syrer identisch mit dem Malier, obwohl nach der Aktenlage und auch nach der realen Welt das überhaupt nicht der Fall sein konnte. Und auch das lässt mich zu dem Schluss kommen, dieses Dokument ist auf merkwürdige Weise produziert worden.“

Hätten aber nicht die Hamburger Behörden misstrauisch werden müssen? Hamburg verweist zurück auf NRW, für eine einwandfreie Identifizierung seien die ermittelnden Beamten vor Ort verantwortlich. Und das waren in diesem Fall die Polizisten in Kleve.

Georg Restle: „Und damit bleiben wohl nur noch zwei Varianten übrig: Entweder wir haben es in Kleve mit Polizeibeamten zu tun, die die simpelsten Regeln der Polizeiarbeit nicht kennen - oder aber: Man wollte den unschuldigen, jungen Syrer gegen alle Regeln unbedingt ins Gefängnis bringen. Die Frage ist nur, welche der beiden Varianten ist eigentlich die beunruhigendere?“

Kommentare zum Thema

  • Rudolf Wolff+ 09.05.2019, 17:53 Uhr

    Erst Oury Jalloh und jetzt Amad A. zwei mal sind Menschen die in Polizeigewahrsam verbrannten hier kann man von Willkür reden, denn von gewissenhafte Aufklärung kann man nicht reden. Überhaupt bei Polizeiübergriffe werden über 90% von der Staatsanwaltschaft Eingestellt für mich ein Zeichen das dieses Politisch so gewollt ist, die Frage ist nur warum, kann es sein das die Politik die Polizei in einer Abhängigkeit bringen will, aber jeder weiss es doch das eine Abhängige Polizei kein Vertrauen mehr bei den Bürger hat, sind das vieleicht die ersten Schritte in einer Autoritären Politik denn die Übergriffe der Polizei werden immer schlimmer und die sogenannten versehentliche Tötungen im Amt auch vermehrt an Alten Menschen sind für mich persönlich Rechtswidrige Tötungen., deshalb sind die Recherchen von Monitor für mich wichtig, ja mehr als wichtig, denn ich möchte esnicht haben das meine Kinder vieleicht noch in einer Diktatur Aufwachsen, wie schnell das geht wissen wir alle. r.wolff

    • Bruno Schillinger-Safob 11.05.2019, 16:59 Uhr

      Hinweis: Im Polizeirevier in Dessau kam es bereits vor O. Jalloh zu Todesfällen - was allerdings erst NACH Entdeckung durch die Presse zugegeben wurde. Auch die Verwicklungen der Polizei in den Mordfall an der chinesischen Studentin sind dubios. Oder nehmen Sie den Missbrauchsfall Campingplatz Lüdge - da kam heraus dass ein pädophilier Polizist aktiv war. Der war NUR degradiert und versetzt worden, statt ihn rauszuwerfen. Muss man nun bei einem Notruf verlangen, dass die entsandten Polizisten eine weiße Weste haben und dies in ALLEN Bereichen, auch NSU 2.0/rechte Aktivitäten? Oder haben Amtsträger einen automatischen "Persilschein"/sind unantastbar/allmächtig & Gott gleich per Amt? Falls nicht, hätten die involvierten Behörden SOFORT ihre Finger rausgenommen, es gäbe eine neutrale und öffentliche Überwachung und die Versager im Amt würde man sofort rauswerfen!

  • Ulrike 09.05.2019, 15:16 Uhr

    Wie der WDR berichtet führt die neue Spur nun nach Siegen. Dort war Amad A. erstmals gemeldet worden nach seiner Einreise. Er kam im Aufnahmezentrum Burbach unter. Am 4. Juli, zwei Tage vor dem Aufgreifen in Geldern, änderte offenbar die Sachbearbeiterin der Kreispolizeibehörde Siegen die Eintragung in der Datei, indem sie die Daten beider Männer in einem Datensatz zusammenfasste! Man sollte die Ermittlungen erst abwarten,außerdem wurden Disziplinarstrafen eingeleitet ! Grund für das Chaos war aber auch das Amad einen falschen Namen und Geburtstag hatte der exakt mit dem des Malias übereinstimmt (1.1.1992) also auch das Jahr stimmt ! Die Frage ist doch auch warum Amad jede Hilfe ablehnte und nichts für seine Freilassung tat?Seine wahre Identität ist bis heute nicht bekannt.Er hätte doch nur seinen Anwalt anrufen brauchen und wäre dann sehr schnell freigekommen! Die Zelle hat laut Gutachter Amad selber angezündet ! Auch gab es ja noch die Strafanzeigen der 4 Mädchen gegen ihn !

    • Rudolf Wolff+ 10.05.2019, 10:14 Uhr

      Ulrike, auch wenn Amad A. Straftaten begangen hat gibt es den Ermittlungsbehörden noch lange nicht das Recht einen MENSCHEN in der Verbrennen zulassen, ich sage dieses mit den hintergrund das sich ziemlich viele Rechtsradikale in der Polizei rumtummeln aber keiner will es wahr haben, das ist für mich ein Armutszeugnis dies ist ein Tip an unseren Innenministern denn sie sind nicht als Gott ähnlich anzusehen. r.wolff

  • Niel Püsch 08.05.2019, 14:18 Uhr

    Dies also ist des Corpses Geist.

    • Rudolf Wolff+ 09.05.2019, 18:08 Uhr

      Man sollte es nicht vergessen das ein Corps Geist für uns Bürger sehr gefährlich sein kann. r.wolff