Georg Restle: "Während Russland seinen blutigen Krieg gegen die Ukraine gerade mit aller Härte weiterführt, hilft die Europäische Union dabei, dass Putins Kriegskasse stets gut gefüllt bleibt. Weil weiterhin jede Menge Erdgas aus Russland importiert wird. Nicht nur über Pipelines, sondern mehr und mehr auch in flüssiger Form; über solche Frachtschiffe, die das Gas in europäische Häfen liefern. 13 Sanktionspakete haben die EU-Mitgliedstaaten gegen Russland bereits geschnürt, Sanktionspakete, die nicht nur jede Menge Schlupflöcher offenlassen, sondern gleich riesige Scheunentore, durch die selbst solche Mammutfrachter mühelos hindurchpassen. Andreas Spinrath und Lutz Polanz."
San Remo, 4. März 2022, keine zwei Wochen nach dem russischen Überfall auf die Ukraine. Italienische Polizisten greifen zu und beschlagnahmen eine Luxusyacht; Europa demonstriert Entschlossenheit gegen russische Oligarchen. Die "Lena" wird festgesetzt, die Yacht von Gennadi Timtschenko, einem der reichsten Männer Russlands, Mitglied der intimen Clique um Präsident Putin. Bei Charity-Eishockeyspielen wie hier in Sotschi führen die beiden als Kapitäne russische Prominente aufs Eis.
Zeebrügge, Belgien, vor wenigen Tagen. Ein anderer EU-Hafen, ein anderes Schiff, im Auftrag desselben Oligarchen: Timtschenko. Das ist die "Christophe de Margerie". Allerdings wird dieses Schiff nicht festgesetzt. Dabei bringt die Ladung bei jeder Fahrt nach Europa mindestens 30 Millionen Euro ein. Keine Luxusyacht, aber viel bedeutender für Russlands Angriffskrieg. Denn dieses Schiff ist ein LNG-Tanker. Er transportiert Flüssigerdgas vom Polarkreis nach Europa. Der Tanker ist eisbrechend und so wichtig, dass er von Wladimir Putin persönlich in den Dienst gestellt wurde:
Wladimir Putin, Russischer Präsident, 03.06.2017 (Übersetzung Monitor): "Ich möchte darauf hinweisen, dass dieses Projekt nicht nur für unser Land wichtig ist, nicht nur für Europa, sondern für uns insgesamt als ein sehr positiver Beitrag zur Entwicklung der globalen Energiewirtschaft."
Das Schiff ist eines von 15 Eisbrecher-Tankern, die für Timtschenkos Unternehmen Novatek im Einsatz sind. Sie bringen russisches Flüssigerdgas nach Europa. Mindestens 1 Milliarde pro Monat bringt das ein, schätzen Experten. MONITOR und der Nichtregierungsorganisation "urgewald" liegen Daten vor, die zeigen, wie genau das Gas in die EU gelangt.
Wir sehen, dass die 15 Schiffe im Dauerbetrieb von den russischen Gasfeldern in Jamal durch das Eismeer pendeln. Ihr Ziel: Europäische Häfen wie Montoir-de-Bretagne, Bilbao und – ganz wichtig – Zeebrügge. Dort wird es eingespeist in das europäische Gasnetz und kommt so auch nach Deutschland. Der Anteil russischen LNGs am gesamten Gasverbrauch beträgt in Belgien 11 Prozent, in Frankreich 13, in Spanien sogar 25 Prozent. In Deutschland sind es immerhin 4 Prozent.
Sebastian Rötters, urgewald e. V.: "Aus meiner Sicht kann es nicht sein, dass wir diesen Zustand weiter aufrechterhalten. Wir haben gesagt, wir unterstützen die Ukraine, wir richten uns gegen das russische Regime und im Gasbereich haben wir keinerlei Sanktionen. Das heißt, hier muss dringend nachgeschärft werden. Hier muss auch die Bundesregierung sich klar positionieren und sagen, russisches Flüssiggas hat in europäischen Häfen nichts mehr verloren."
Russisches Gas wird von der EU bis heute nicht sanktioniert. Dabei kündigte die Kommissionspräsidentin zu Beginn des Angriffskrieges sehr entschlossen harte Sanktionen an.
Ursula von der Leyen (CDU), EU-Kommissionspräsidentin, 14.09.2022 (offizielle Übersetzung): "Das ist der Preis für Putins Spur des Todes und der Vernichtung. Und ich möchte keinen Zweifel daran lassen, dass die Sanktionen von Dauer sein werden. Das ist die Zeit für Entschlossenheit, nicht für Beschwichtigungen."
Entschlossenheit? Zwei Jahre nach Kriegsbeginn hat die noch immer nicht zu Gassanktionen geführt. Weiterhin verdient Russland Milliarden mit dem Verkauf nach Europa. Geld für Putins Kriegswirtschaft und den Nachschub für seine Truppen in der Ukraine. Die feiern dort gerade Durchbrüche an der Front. Russland – so scheint es – ist aktuell im Aufwind; auch mit Hilfe der europäischen Gasgeschäfte. Bis heute gelangt russisches Gas nicht nur als LNG nach Europa, sondern auch durch zwei Pipelines. Eine führt durch die Ukraine, eine andere durch die Türkei. Wie drückt sich das in Zahlen aus? Der Import von Pipeline-Gas ist zwar um 80 Prozent gesunken, vor allem wegen des Ausfalls der Nordstream-Pipeline. Aber die LNG-Lieferungen sind nach Kriegsbeginn deutlich gestiegen. Unter dem Strich stammen so noch immer 15 Prozent des in der EU verbrauchten Gases aus Russland. Und LNG ist für den Kreml mit geschätzten 12 Milliarden Euro pro Jahr inzwischen fast so wichtig wie die verbliebenen Einnahmen aus dem Pipeline-Geschäft; und das soll erst der Anfang sein.
Wladimir Putin, Russischer Präsident, 12.09.2023 (Übersetzung Monitor): "Bis 2030 soll sich die LNG-Produktion in der russischen Arktis verdreifachen."
Wladimir Sliwjak hat die Brutalität des Putin-Regimes selbst erlebt. Der Umweltaktivist musste 2021 aus Russland fliehen, ihm drohte Lagerhaft. Seine Arbeit ist mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet worden. LNG hält er für einen Schlüssel in Putins Kriegsstrategie:
Wladimir Sliwjak, Russischer Umweltaktivist (Übersetzung Monitor): "Wladimir Putin will LNG zu seiner nächsten großen Einnahmequelle machen. Er will, dass es das für ihn wird, was vorher das Pipeline-Gas war."
Wieso dreht die EU Putin diese Einnahmequelle also nicht ab? Die Antwort ist typisch europäisch, man kann sich nicht einigen. Spanien etwa beruft sich auf bestehende LNG-Verträge. Und Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán hat mit Putin erst vor einem Jahr einen neuen Vertrag zum Gasimport via Pipeline abgeschlossen. Und die deutsche Position? MONITOR hat auch Robert Habecks Wirtschaftsministerium um eine Stellungnahme gebeten. Das Ministerium fordert weiterhin keine Sanktionen und beruft sich auf
Zitat: "… gravierende Schwierigkeiten bei der Gewährleistung der Energieversorgungssicherheit der Europäischen Union …"
Versorgungsunsicherheit? Zumindest in Bezug auf russisches LNG stimmt das nicht, sagen Branchenexperten. Man könne durchaus darauf verzichten.
Georg Zachmann, Energieexperte, Denkfabrik Bruegel (Übersetzung Monitor): "Also beim LNG wäre das völlig unproblematisch möglich. Es gibt auf dem Weltmarkt jetzt wieder ein gutes Angebot von LNG. Die, die Preise für LNG sind deutlich gesunken und wenn man kein russisches LNG mehr kaufen würde in Europa – was eh nur quasi von drei Ländern in der europäischen Union importiert würde – könnten die mit der gleichen Importinfrastruktur anderes LNG importieren."
Doch unsere Daten zeigen noch mehr, nämlich dass Russland europäische Häfen sogar benutzt, um das LNG auch in Länder außerhalb der EU weiterzuverkaufen. Zeebrügge etwa dient als zentraler Umschlagplatz für russisches LNG zum Weitertransport. Auch das LNG der "Christophe de Margerie" – dessen Entladung wir im Hafen von Zeebrügge filmen – wird weiter nach China exportiert. Der Energieexperte Angelos Koutsis erläutert, wie wichtig diese Praxis für Russland ist:
Angelos Koutsis, Umweltorganisation "Bond Beter Leefmilieu" (Übersetzung Monitor): "Wenn man das Gas nicht mehr auf andere Schiffe umladen würde, müssten die Eisbrecher-Tanker einen großen Umweg bis in die Türkei machen, da ist der nächste geeignete Hafen. Das würde bedeuten, doppelte Fahrtzeit. Und wir wissen, dass der Transport mit diesen Eisbrechern wesentlich teurer ist. Und es gibt nur wenige davon. Die Kosten würden dann um 70 Prozent steigen."
Ohne die EU würde Russlands Absatz also einbrechen. Der LNG-Export empfindlich beeinträchtigt. Die Wirtschaftsweise Ulrike Malmendier fordert ein entschlossenes Vorgehen Europas.
Prof. Ulrike Malmendier, Sachverständigenrat Wirtschaft der Bundesregierung: "Ich würde mir sehr wünschen, dass die EU gemeinschaftlich sich darauf einigt, den Import von russischem Gas zu stoppen. Lasst uns nichts unversucht lassen, was wir im wirtschaftlichen Instrumentarium haben. Die Alternative sind die rein militärischen Mittel. Da würde ich mir schon wünschen, dass wir auch das wirtschaftliche Instrumentarium voll ausnutzen."
Erst in dieser Woche trafen sich die EU-Energieminister – mal wieder ohne konkretes Ergebnis. Die Yacht von Timtschenko liegt wohl noch immer festgesetzt im italienischen San Remo. Aber seine 15 Eisbrecher-Tanker, voll mit Flüssigerdgas, die fahren und fahren und fahren.
Georg Restle: "Und das hat natürlich Folgen: Weil auch dadurch Putins Kriegswirtschaft am Laufen gehalten wird. Weil auch deshalb russische Truppen in der Ukraine gerade mehr und mehr Landgewinne machen."
Kommentare zum Thema
Sehr gute Sendung. Es zeigt die Verlogenheit der Politik. Wenn es um Geld geht sind alle Mittel recht. Wen wundert es wenn der Mann,Frau von der Strasse jede Achtung vor Politikern verloren hat. Es braucht dringend Führungspersönlichkeiten mit Charakter, die eine erliche und dadurch auch erklärbare Politik machen. Gut gibt es solche Berichte die auch Unangenehmes schonungslos aufdecken. Europa verliert so jegliche Glaubwürdigkeit in allen drittwelt Staten. Ich schäme mich für Europa.
In jedem Smartphone steckt Coltan von kongolesischen Kindersklaven und eine Wanze der NSA. Die Partei im Bundestag, die einer Durschschnittsfamilie am meisten von den 81 % des Vermögenszuwachses, das an 1 % der Deutschen geht, übrig lässt, hat die wenigsten Stimmen. Wenn das brutale NATO-Regime dem brutalen Putin-Regime die Neutralität der Ukraine zugesichert hätte, wäre es gar nicht zum Krieg gekommen. Aber der Kapitalismus fährt und fährt und fährt.
"Tolle" Solidarität mit der Ukraine durch die EU. Dieser Gasbezug befeuert und verlängert natürlich diesen unseligen Krieg unglaublich und die Gefahr für Europa durch die Kriegsgurgel Putin und seine Gefolgschaft steigt damit weiter an. Aber eben: lieber zuerst an sich und sein Wohl denken, als Putin den Geldriegel zu schieben und kein Gas mehr zu beziehen. Wo mag das alles bloss enden? 🤔
Wo das enden mag ? Nun, in einem Friedesnvertrag in dem die Ukraine wohl auf Land verzichten muß oder mit Raketen zunächst auf Moskauer Ministerien und dann als Antwort auf (?) und dann natürlich deutsche Soldat(innen) an die Ukrainische Front und dann schauen wir mal was passiert wenn die USA bei dem Poker gegen eine Atom Supermacht nicht mitmacht. Konnte man alles nicht ahnen ? Doch, doch, konnte man.