MONITOR vom 12.10.2017

Westdeutsche bevorzugt: Kaum Ostdeutsche in Spitzenpositionen

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Bericht: Jan Schmitt, Andreas Maus, Manuel Mehlhorn

Westdeutsche bevorzugt: Kaum Ostdeutsche in Spitzenpositionen

Monitor 12.10.2017 07:46 Min. Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste

Georg Restle: „Seit 27 Jahren ist diese Grenze mitten durch Deutschland Geschichte. Und doch scheint sie seit der Bundestagswahl wieder sehr lebendig. Wie anders lässt sich die Ratlosigkeit vieler Menschen im Westen über die Wahlergebnisse im Osten erklären? Dabei steht eine Frage immer wieder im Vordergrund: Woher eigentlich kommt die Wut vieler Ostdeutscher auf die Eliten im Land - und wie kann es sein, dass 27 Jahre nach der Wiedervereinigung immer noch so viele Menschen in Ostdeutschland mit dem gesamtdeutschen Establishment fremdeln? Eine Antwort darauf könnte sein, dass die meisten Ostdeutschen schlicht keine Chance haben, Teil dieses Establishments zu werden. Andreas Maus, Jan Schmitt und Manuel Mehlhorn mit Zahlen, die nachdenklich machen.“

Jes Möller auf dem Weg zum Gericht. Der 56-Jährige arbeitet in Potsdam als Jurist. Und er hat etwas geschafft, was Leute von dort, wo er herkommt, eigentlich nicht schaffen. Möller kommt aus Ostdeutschland - und er ist Präsident eines deutschen Landesverfassungsgerichts. Der einzige von 16 Präsidenten eines Verfassungsgerichts mit einer ostdeutschen Biografie.

Jes Möller, Präsident Landesverfassungsgericht Brandenburg: „Die Zahlen sind wirklich erschreckend. Man kann das wahrscheinlich nur mit dem Frauenanteil in Führungspositionen in den 50er Jahren in der Bundesrepublik vergleichen, wo es damals als eine völlig normale Angelegenheit angesehen worden ist - und wo man heute sagt, wie konnte man das so jahrelang hinnehmen - dass tatsächlich eine extreme Unterrepräsentation von Frauen in gesellschaftlichen Führungspositionen da war. Und so ähnlich ist das heute mit den Ostdeutschen.“

Rund 20 Prozent der deutschen Bevölkerung stammt aus Ostdeutschland. Aber kaum einer von ihnen gehört zur sogenannten „Elite“ im Land. Beispiel Wirtschaft. In den Vorständen der dreißig Dax-Unternehmen kommen Manager aus dem Osten so gut wie gar nicht vor. Von den 201 Vorstandsmitgliedern stammen nur vier aus Ostdeutschland. In der Wissenschaft das gleiche Bild. Von 89 Rektoren und Präsidenten an deutschen staatlichen Universitäten kommt kein einziger aus Ostdeutschland. Vor wenigen Tagen, am 3. Oktober in Mainz. Festakt zum Tag der Deutschen Einheit. Eine spektakuläre Show zum 27. Jahrestag. Doch nach der Bundestagswahl macht sich auch Ernüchterung breit.

Frank-Walter Steinmeier: „Am 24. September wurde deutlich, es sind andere Mauern entstanden, weniger sichtbare, ohne Stacheldraht und Todesstreifen - aber eben doch Mauern, die unserem gemeinsamen „Wir“ im Wege stehen.“

In den vordersten Reihen lauscht die Elite der deutschen Politik. Und auch da stammen die meisten aus dem Westen. Mauern niederreißen? Chancengleichheit? Nehmen wir die Staatssekretäre der Bundesregierung: Von 64 kommen nur drei aus Ostdeutschland. Bei den Abteilungsleitern in Bundesministerien das gleiche Bild: Von 109 haben gerade mal vier eine ostdeutsche Biografie. Frank Richter ist ostdeutscher Bürgerrechtler der ersten Stunde und war Chef der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung. Seit Jahren beobachtet er die Entwicklung der Elitestrukturen in Deutschland.

Frank Richter, ehem. Direktor Sächsische Landeszentrale für pol. Bildung: „Viele Westdeutsche haben in Ostdeutschland Karriere gemacht und Ostdeutsche gleichermaßen in Westdeutschland nicht. Das kann nicht nur an der mangelnden Qualität der Ostdeutschen liegen. Das liegt auch an strukturellen Umständen. Den Westdeutschen ist es offenbar gut gelungen, Netzwerke zu bilden, die es ihnen leichter macht, hier in Ostdeutschland in die obersten Etagen der wichtigen gesellschaftlichen und politischen und ökonomischen Bereiche zu kommen.“

Und in Ostdeutschland selbst? Nicht mal dort haben Ostdeutsche die gleichen Aufstiegschancen wie Menschen aus Westdeutschland. 75 Prozent der Abteilungsleiter in ostdeutschen Ministerien stammen aus dem Westen, nur aus Brandenburg liegen uns keine Daten vor. 77 Prozent der Führungskräfte in den neuen Bundesländern kommen aus Westdeutschland oder dem Ausland. Und sogar 94 Prozent der Vorsitzenden Richter an den obersten Gerichten sind Westdeutsche.

Wolfgang Thierse (SPD), Bundestagspräsident a.D.: „Ein Vierteljahrhundert nach der Deutschen Vereinigung ist das ein erschreckendes, wenn nicht auch trauriges Faktum. Auch wenn man über die Gründe nachdenkt, die das erklären, bleibt trotzdem der verständliche Ärger und die Feststellung, dass das eine wirkliche Benachteiligung von Menschen mit ostdeutscher Herkunkft ist.“

Gute Gründe gab es tatsächlich: 1990 nach der Wende. Damals wurden in Ostdeutschland praktisch die gesamten Eliten ausgetauscht und durch Westdeutsche ersetzt. Aber wie kann es sein, dass diese Netzwerke sich bis heute, 27 Jahre nach der Wiedervereinigung, gehalten haben?“

Wolfgang Thierse (SPD), Bundestagspräsident a.D.: „Diejenigen die zu uns kamen, bringen ihre Personenkenntnis und ihre Netzwerke mit. Und das heißt natürlich auch bei weiteren Berufungen, Bewerbungen werden eher die bevorzugt, die man schon kennt. Und die kennt man aus seiner beruflichen Biografie aus dem Westen.“

Was das für die Menschen bedeutet, erlebt er jeden Tag: Tobias Wolf ist Reporter bei der Sächsischen Zeitung in Dresden und täglich in der Stadt und im Land unterwegs. Er weiß, was die Menschen hier denken und wie sie fühlen.

Tobias Wolf, Journalist, Sächsische Zeitung: „Man spürt bei vielen hier, dass es immer noch eine Verärgerung über eine gefühlte oder tatsächliche Benachteiligung gibt, weil viele Chefs in den Verwaltungen etc. aus dem Westen kommen. Das war deutlich zu spüren in den Geschichten, die wir nach der Wahl gemacht haben, wo wir Menschen gefragt haben, was die Gründe für Protestwahlen sind. Da haben aber auch teilweise CDU-Wähler gesagt, dass sie es als unmöglich empfinden, dass 27 Jahre nach der Wende immer noch so viele Führungspositionen von Westdeutschen besetzt werden.“

Die Chefs aus dem Westen. Und keine fairen Aufstiegschancen. Viele Menschen hier meinen genau das, wenn sie von Fremdbestimmung reden.

Frau auf der Straße: „Dieser ganze Rechtsruck, den wir hier in Sachsen haben, ist damit auch bedingt, weil diese Führungsposition aus Westdeutschland nicht um diese Probleme im Osten Bescheid wissen.“

Mann auf der Straße: „Das ist aber klar, dass ein gewisser Frust entsteht, siehe Pegida, siehe AfD-Wähler. Das ist Frust, hausgemachter Frust.“

Die Wut auf die Eliten und das westlich geprägte Establishment - ein Grund, warum so viele hier die AfD gewählt haben. Eine Partei, die diese Wut ganz bewusst schürt, obwohl die meisten Spitzenpolitiker der AfD ebenfalls aus dem Westen kommen.

Prof. Raj Kollmorgen, Soziologe, Hochschule Zittau/Görlitz: „Auf dieser Klaviatur spielt jetzt die AfD höchst erfolgreich. Nicht nur im Osten, aber eben insbesondere im Osten. Also insofern ist es schon eine Melange verschiedener Faktoren. Aber noch einmal, ich würde auch sagen, dass die fehlende Vertretung von Ostdeutschen in wichtigen Elitesektoren mit Sicherheit ein Grund dafür ist, dass wir diese distanzierte Beziehung, dieses aufgebrochene Misstrauen in Ostdeutschland vorfinden, was dann auch zu den Wahlergebnissen der AfD geführt hat.“

Ein Problem mit Zukunft. Denn die Dominanz westdeutscher Eliten im Osten nimmt in vielen Bereichen immer weiter zu.

Georg Restle: „Klar, vor einfachen Erklärungen sollte man sich hüten. Aber vielleicht lohnt es ja doch, sich intensiver mit der Frage zu beschäftigen, inwieweit die höhere Durchlässigkeit einer Gesellschaft das beste Mittel ist gegen einen Populismus, der diesen Staat verachtet. Und das gilt ganz sicher nicht nur für Ostdeutschland.“

Stand: 10.10.2017, 14:54 Uhr

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20 Kommentare

  • 20 Lilli Put 07.02.2019, 19:01 Uhr

    Irgendwie müssen doch die Lücken und Verluste geschlossen werden die die nach den USA, GB, Frankreich, Österreich, Australien, und den skandinavischen Länder ausgewanderten Akademiker aus dem Osten gefüllt werden. 90% meiner akademischen Arbeitskollegen wanderten in diese Länder mit ihren Familien aus und machten dort glänzende Karieren. Und bis zum heutigen Tag haben ihre Nachfolger nicht den Wissensstand erreicht den diese Kollegen vor 30 Jahren schon hatten und mitnahmen.

  • 19 TREVIRENSIS 12.11.2017, 16:30 Uhr

    das ist die revanche für 1815!! Haha.

  • 18 Miriam S 15.10.2017, 10:36 Uhr

    Dieter Lanz wann hat den Frau Merkel ihren Doktor gemacht und wo????

  • 17 Anonym 14.10.2017, 10:00 Uhr

    nur mal so: ich schlenderte durch Leipzig, sah mir das geschäftige Treiben an und mir fiel auf, dass ich in allen Ecken beim Bau Werkswagen mit westdeutschen Kennzeichen sah, u.a. aus meiner westdeutschen Nachbargemeinde...als ich näher kam, hörte ich dann auch aus dem Gespräch der Arbeiter , dass es kein Dialekt der Gegend war und dass man sich lustig machte, über Flickwerk der DDR-Zeit. ok, das hat nix mit Spitzenpositionen zu tun; aber selbst in den unteren Etagen wies man gleich von Anfang an unsern Brüdern und Schwestern im Osten ihren Platz an...

  • 16 Hedwig 13.10.2017, 20:27 Uhr

    Um Leistung ging und geht es nicht, wenn Führungspositionen in Ostdeutschland fast ausschließlich mit Westdeutschen besetzt werden. Es ist auch kein Geheimnis, das von wenigen Ausnahmen die die Regel bestätigen, nur zweit oder drittklassiges Westpersonal in den Osten gekommen ist. Es ist ein Ammenmärchen, daß dies nur damit zu tun hätte, daß die Westdeutschen besser ausgebildet wären. Das mag für ältere Juristen gelten, ansonsten ist es in erster Linie nur die "Verkaufsausbildung" die die Westdeutschen den Ostdeutschen vorraus haben. Man beklagt, Fremden- oder "Wessifeindlichkeit" im Osten. Was ist mit den Ostdeutschen die im Westen unter Diskriminierung zu leiden haben, weil sie aus dem Osten kommen? Man stelle sich, vor, es wäre umgekehrt gewesen, der Osten hätte den Westen "übernommen" und Spitzenpositionen in den westlichen Bundesländern wären fast ausschließlich in ostdeutschen Händen.

  • 15 Dr. Scherzer-Hartz 13.10.2017, 16:25 Uhr

    Dank an Barbara Lewicki (Kommentar v. 12.10.17, 22.03 Uhr). Sie hat als Einzige den eigentlichen Skandal bemerkt; dass nämlich ausschließlich Männer die begehrten Posten erhalten haben. 51 % der Deutschen sind weiblich; ihre Vertretung in Führungspositionen in Ostdeutschland: Ebenfalls 0 %.

  • 14 Dieter Lanz 13.10.2017, 11:29 Uhr

    Der Beitrag über die Unterrepräsentanz von Bürgern aus den "neuen Bundesländern" in den bundesdeutschen Eliten ist gut gemeint, gleichwohl von Ahnungslosigkeit im Umgang mit Statistiken geprägt. Es wird eine Momentaufnahme: "Aus welchen Bundesländern kommen die amtierenden Verfassungsrichter?" gemacht, ohne den dahinter liegenden Prozess, der in der Zeit abläuft, wirklich zu betrachten. Beispiel: Von den 16 Richtern des Bundesverfassungsgerichts und auch von den 5 Richtern des Verfassungsgerichtshofs des Freistaats Sachsen haben bis auf zwei Richter alle ihr 1. Staatsexamen von der Wende gemacht. Auch die Ausnahmen haben zumindest vor der Wende mit dem Studium begonnen . Geht man jetzt davon aus, dass die Juristenausbildung und Richterpraxis der DDR keine Grundlage für die höchsten Verfassungsorgane eines demokratischen Rechststaats gewesen sind, so wird doch deutlich: Es kann (fast) keine Verfassungsrichter aus den neuen Bundesländern geben. Mit Netzwerken hat das nichts zu ...

  • 13 Miriam S 13.10.2017, 09:55 Uhr

    die westlichen Großinvestoren haben in der "Übernahme " gleich auch noch ein Muster für die von Merkel in punkto aktueller Entwicklungshilfe für Afrika angebotenen privaten Anlegemöglichkeiten. ( zum Aufhalten von Flüchtlingsströmen ) auch dort wird es so gehen wie einstmals : " wir vergolden eure Fassaden, ihr verliert euren Job und damit eure Existenz...ist doch ein fairer Handel, gelle! " und "wir", die Großen, sind auch noch arrogant genug euch zu diffamieren: seid es ja selber schuld.

  • 12 Fabian B. 13.10.2017, 08:20 Uhr

    Es ist ein Problem, dass nach 27 Jahren zuviele Westdeutsche in Führungspositionen in Ostdeutschland sitzen? Für mich ist es ein Problem das ich, nachdem ich mir 25 Jahre lang in der ostdeutschen Provinz den Hintern für den Aufbau Ost aufgerissen habe, immer noch als Wessi gelte und das Wessi sein offensichtlich etwas Schlechtes ist. Das Problem sind nicht zuviele Westdeutsche, das Problem ist ostdeutsche Fremdenfeindlichkeit. Und das Monitor da mitmacht. Kommen demnächt auch Berichte darüber, wo überall zuviele nicht in Deutschland Geborene sitzen? Ob ich mich als Gesamtdeutscher oder Ostdeutscher fühle ist egal, ich werde als Wessi gelabelt. Erzählen sie doch mal das Türken, die sich hier 30 Jahre totgearbeitet haben, nicht hierher gehören. Da gäbe es aber zu Recht richtig Ärger. Wo wäre denn Ostdeutschland ohne westdeutsches Geld und ohne in Westdeutschland geborene Akademiker, Firmengründer, Beamte? Wollen sie die alle in Hartz 4 treiben? Und wer soll sie dann ersetzen?

  • 11 Blamingo 13.10.2017, 06:10 Uhr

    Wurden nicht ab '89 nur noch gesamtdeutsche Kinder geboren? Wie&Warum definiert ihr eigentlich Osteutsche? Als "im Osten Deutschlands" geboren? Oder als "Kind eines DDR-Deutschen"? Kann man dann auch Beides sein, oder muss man "reinblütig" sein? Ist man Ostdeutscher, wenn man in West-Berlin geboren wurde? Was ist, wenn Eltern mit ihrem Kind nach '89 von West- nach Ostdeutschland gezogen sind und das Kind dort aufgewachsen ist? Oder was ist mit einem "Republikflüchtlingskind", dass voll im Westen integriert ist? Und wann ist ein Unternehmen eigentlich ostdeutsch? Reicht irgendeine Filiale irgendwo im Osten? Ostdeutsche Städte haben jahrzehntelang um "Westdeutsche Studierende" und um "Westdeutsches Kapital" geworben. Die Studierenden sollten bleiben und Unternehmen gründen. Sind diese Gründer jetzt alles Invasoren und Unterdrücker? Diese Blut&Boden-Ideologie, die Monitor hier vertritt, ist sowas von peinlich. Aber in der nächsten Sendung dann wieder Europafeindlichkeit beklagen, klar.

  • 10 Klaus 13.10.2017, 01:06 Uhr

    Es fehlt die oberste Zeile über den Ministern: Chef von allen Ministern u. Staatssekretären: 100 % in 'Osthand'