Jaber Albakr: der dubiose Tod eines mutmaßlichen Terroristen Monitor 24.08.2017 12:35 Min. Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste

MONITOR vom 24.08.2017

Jaber Albakr: der dubiose Tod eines mutmaßlichen Terroristen

Bericht: Naima El Moussaoui, Jan Schmitt, Lutz Polanz

Georg Restle: „Tatort Leipzig: In dieser Gefängniszelle starb vor knapp einem Jahr ein Mann, der als einer der gefährlichsten Terroristen in Deutschland galt: Jaber Albakr. Drei Tage nach seiner Festnahme fand man ihn hier vor, erhängt an einem Gitter.

Guten Abend und willkommen bei Monitor. Ja, wie konnte das passieren? Diese Frage stellte sich im Oktober 2016  ganz Deutschland. Vielleicht erinnern Sie sich ja noch an die Schlagzeilen über den 22-jährigen Syrer, dessen Festnahme erst desaströs scheiterte, der dann von drei syrischen Flüchtlingen überwältigt wurde und schließlich unter dubiosen Umständen zu Tode kam.

Collage Nachrichtensendungen: „Jaber Albakr, 22, syrischer Flüchtling aus Chemnitz“ … „steht im Verdacht, einen Bombenanschlag vorbereitet zu haben.“ „Wie soeben bekannt wurde, hat Jaber Albakr in der Justizvollzugsanstalt Leipzig Suizid begangen.“ „Es handele sich um eine beispiellose Aneinanderreihung von Polizei- und Justizversagen.“

Justizversagen, dem jetzt ein neues Kapitel zugefügt wird. Monatelang haben wir recherchiert, was in den Tagen vor Albakrs Tod tatsächlich geschehen ist. Und wie es sein konnte, dass sich der junge Syrer in einer Gefängniszelle erhängen konnte. Ein Mann, der möglicherweise einen der schlimmsten Anschläge in Deutschland geplant hatte, und von dem sich die Sicherheitsbehörden wichtige Erkenntnisse über den islamistischen Terrorismus in Deutschland erhofft hatten. Naima El Moussaoui und Jan Schmitt über die letzten drei Tage von Jaber Albakr.“

Leipzig, am Abend des 12. Oktober 2016. Ein Leichenwagen verlässt die Justizvollzugsanstalt. Jaber Albakr ist tot. Der wichtigste Untersuchungshäftling der Republik. Nach nur drei Tagen in der Obhut der sächsischen Justiz. Wie konnte das geschehen? 2016 hält Jaber Albakr das ganze Land in Atem. Er soll kurz vor einem Selbstmordanschlag gestanden haben.

Peter Frank, Generalbundesanwalt: „Wir hatten mit Jaber Albakr eine Person, die 1,5 Kilogramm TATP hergestellt hat. Ein hochgefährlicher Sprengstoff, aus dem sich ja zig Einzelsprengsätze hätten konstruieren lassen.“

Hans-Georg Maaßen, Präsident Bundesamt für Verfassungsschutz: „Durch den Selbstmord des Jaber Albakr ist eine - ich sage mal - Erkenntnisquelle für uns verloren gegangen, um mehr zu erfahren über die Tatplanung des IS gegen Deutschland, mögliche Hintermänner und mögliche Komplizen.“

Die Vorgeschichte: 8. Oktober 2016. In diesem Chemnitzer Wohnhaus stellen die Fahnder den Sprengstoff sicher. Albakrs vermeintliches Anschlagsziel: Der Berliner Flughafen Tegel. Die Festnahme des 22-jährigen Syrers wird zum Desaster. Trotz eines Großaufgebots von Polizei, Spezialkräften und LKA Sachsen kann Albakr entkommen.

Am 10. Oktober 2016 wird er gefasst, nicht durch die Polizei. Syrische Flüchtlinge überwältigen ihn und liefern ihn den Behörden aus.

Am selben Tag gegen 15:30 Uhr. Die Justizvollzugsanstalt Leipzig. Hierhin bringen Spezialeinheiten Jaber Albakr. Er trägt einen Papieranzug und eine Augenbinde, ist gefesselt.

Alexander Hübner. Pflichtverteidiger von Jaber Albakr: „Für mich war offenkundig, dass der Mandant unter Stress steht. Dass ihm vorgeworfen wird, er hätte ein Selbstmordattentat geplant. Dass er die Nahrungsaufnahme verweigert, das sind alles für mich absolut deutliche Hinweise darauf, dass die Möglichkeit besteht, dass der Mandant sich das Leben nehmen könnte.“

Schon die Haftrichterin stellte zuvor fest: „Es besteht Gefahr für Selbsttötung“. Und ordnete deshalb an: „Bitte umgehend dem Anstaltsarzt vorführen“. Doch das wird nie passieren. Ein klarer Gesetzesverstoß, sagt Katharina Bennefeld-Kersten. Die Psychologin gehört einer Kommission an, die den Fall Albakr untersucht hat.

Kathrina Bennefeld-Kersten, Psychologin: „Da isst einer nix, da trinkt einer nix. Der muss doch dem Arzt vorgestellt werden.“

Im Haftausweis der JVA bekommt Albakr, für jeden einsehbar, eine sogenannten S-Kennzeichnung: „S“ für „suizidgefährdet“. Das heißt, er darf nie allein gelassen werden. Zugleich gilt er als fremdgefährdend - im Ausweis mit „F“ gekennzeichnet.

Kathrina Bennefeld-Kersten, Psychologin: „Und deswegen hätte er entweder im BGH - das ist ein besonders gesicherter Haftraum - untergebracht werden müssen mit Kontrollen. Oder in einem anderen Haftraum, in einem normalen Haftraum mit einer Sitzwache.“

Aber der besonders gesicherte Haftraum sei belegt gewesen. Und der stellvertretende JVA-Leiter entscheidet sich gegen die Sitzwache, für einen Haftraum mit Zwischengitter. Ein Gitter, das die Beamten vor Jaber Albakr schützen soll, ihn selbst aber gefährdet.

Kathrina Bennefeld-Kersten, Psychologin: „90 Prozent aller Suizide in Haft sind durch Erhängen vollzogen worden. Das ist also die am weitest verbreitetste Methode. Und wenn ich einen suizidgefährdeten Menschen in einem solchen Haftraum unterbringe, dann mache ich ihm es sehr leicht, sich zu erhängen.“

Und genau das passiert: An der Seite des Zwischengitters soll sich Jaber Albakr erhängt haben. Dabei hätte er nie in diese Zelle gesperrt werden dürfen.

Zwischen dem Syrer und den Beamten ist keinerlei Verständigung möglich. Er spricht kein Deutsch. Nur ein einziges Gespräch führt die Anstalts-Psychologin im Beisein eines Dolmetschers mit ihm. Später hält sie fest:

Zitat: „Keine Hinweise auf akute Suizidalität.“

Von dieser Einschätzung rückt die JVA nicht mehr ab. Auch dann nicht, als sich Hinweise auf einen möglichen Suizid verdichten. Jaber Albakr hat sich an seinem Todestag Verletzungen am linken Handgelenk zugefügt. Das ergibt die spätere Obduktion. Aber womit? Eine tägliche Zellendurchsuchung blieb aus - trotz Vorschrift. Die Schnitte hätten auffallen müssen, sagt Bernd Kopetz. Der Rechtmediziner hat sich für MONITOR den Obduktionsbericht angeschaut.

Dr. med. Bernd Kopetz, Rechtsmediziner: „Es sind ja auch mehrfache Schnitte. mehrfache Probierschnitte. Es sind ja nicht nur … so ein dezenter. Und man muss auch davon ausgehen, dass eine gewisse Blutung eingesetzt hat. Sicherlich nicht so massiv, aber eine geringe Blutung ist zu unterstellen.“

Doch gesehen haben will diese Verletzungen in der JVA niemand. Am zweiten Hafttag ein weiterer, ernster Zwischenfall. Jaber Albakr reißt offenbar die Lampe in der Zelle runter. Sie wird entfernt, der Strom ausgeschaltet. Aber die Beamten durchsuchen die Zelle erst am Folgetag - wieder entgegen der Dienstanweisung. Jetzt erst entdecken sie, dass die Kabel in der Steckdose rausgezogen und mit Papier umwickelt sind. Warum? Dem hätte man nachgehen müssen, heißt es im vertraulichen Bericht der Expertenkommission. Es sei notwendig gewesen, …

Zitat: „(...) den Gefangenen zum Hergang der Beschädigung und zu seinen etwaigen Motiven zu befragen, um gegebenenfalls die Eigengefährdungseinschätzung zu aktualisieren.“

Doch es gibt kein erneutes Gespräch und auch keine Neubewertung der Suizidgefahr. Hat man den Suizid Albakrs möglicherweise sogar in Kauf genommen? In den Akten befindet sich die Aussage eines Mithäftlings über die herunter gerissene Deckenlampe. Und sie belastet JVA-Beamte schwer. MONITOR liegt eine Audio-Aufnahme der Aussage vor.

Häftling: „Die Lampe hing runter, so. Die Lampe, die hing. Die war abgerissen und hing durch das Kabel, das noch an den Lüsterklemmen war. … Und dieses Feinripp-T-Shirt, zerrissen, hing noch dran, so.“

Ein Feinripp-T-Shirt? Ein weiterer Suizidversuch? Und die Reaktion des JVA-Beamten?

Häftling: „Und da hat er gesagt, und das kommt weg. Schneid ab, das wird abgeschnitten. Das

kommt weg. Und wehe einer redet darüber, dass da was umgebunden war. Wehe einer sagt was, so.“

Das kommt weg? Sollte etwa ein Selbstmordversuch vertuscht werden?

Häftling: „Jeder weiß, dass er sich da aufhängen wollte. Und ich hab gesagt, ihr wollt den doch jetzt nicht tatsächlich hier wieder reinbringen? - Doch!“

Der Häftling habe die Lampe erneut angebracht, sagt er - dieses Mal besonders stabil, damit sie in keinem Fall wieder runterkommt.

Häftling: „Ich hab dem gesagt, ich hab jetzt hier 10er Schrauben und 10er Dübel. Da kannst du 300 Kilo dranhängen und da reißt nichts raus. Ey, ich hab gedacht, der meint das als Witz. - Ja, wenn er das noch mal probiert, dann hält das.“

Haben die JVA-Mitarbeiter den Suizid von Albakr tatsächlich forciert? Gegenüber MONITOR bekräftigt der Häftling seine Aussagen. Überprüfen können wir sie nicht. Die Inhalte sind aber auch der Staatsanwaltschaft bekannt. Das zeigen die Akten, die MONITOR vorliegen. Doch der Aussage wurde offenbar nicht weiter nachgegangen.

Prof. Thomas Feltes, Kriminologe Universität Bochum: „Wenn ich solche Hinweise habe auf eine alternative Tatversion oder auf wichtige Details im Vorfeld, dann muss ich dem nachgehen und muss entweder Bedenken ausräumen, indem ich andere Personen vernehme oder aber dieser Spur nachgehe.“

Der 12. Oktober 2016 - zwei Tage nach seiner Inhaftierung stirbt Deutschlands wichtigster Häftling durch Erhängen. Gibt es Hinweise auf Fremdverschulden? Aufschluss darüber könnte das Strangwerkzeug, also die Schlinge, geben. Aber ausgerechnet das wichtigste Beweisstück, sein T-Shirt, mit dem er sich erhängt haben soll, ist nicht angemessen untersucht worden.

Dr. med. Bernd Kopetz, Rechtsmediziner: „Das ist auch im Nachhinein nie rekonstruiert worden. Die Abläufe unmittelbar im Zusammenhang mit dem Herstellen des Strangwerkzeugs, das ist offen. Das kann man so nicht beantworten. Weil wir das eben das nicht haben.“

Im Gegenteil: Der Tathergang wird nicht rekonstruiert, stattdessen die Reste des Strangs auseinander genommen. Und es gibt noch mehr Unstimmigkeiten in der JVA, die nicht aufgeklärt werden. Jaber Albakr wurde zuletzt alle 30 Minuten kontrolliert. Was er tut, muss detailliert dokumentiert werden. So heißt es im sogenannten Kontroll- und Beobachtungsbogen, der MONITOR vorliegt, um 19:00 Uhr noch ausführlich:

Zitat: „liegt zugedeckt im Bett, Arme hinter Kopf verschränkt, Blickrichtung Haftraumtür, Licht war aus.“

Doch ausgerechnet bei der letzten Kontrolle um 19:30 Uhr, als Albakr noch gelebt haben soll, fehlt der Eintrag. Nur dieses Zeichen. Warum?

Prof. Thomas Feltes, Kriminologe Universität Bochum: „Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder die Beobachtungen wurden nicht durchgeführt und die Kontrolle, oder aber sie wurde durchgeführt und der Bedienstete hat etwas gesehen, was er nicht aufschreiben wollte. Eine andere Möglichkeit sehe ich hier nicht.“

Der fehlende Eintrag im Kontrollbogen, die Unterbringung in der ungeeigneten Haftzelle, der Vorfall mit der Lampe, die Aussage des Mithäftlings. Am Ende bleiben viele Fragen. Vor allem eine: Hat die JVA ihre Sorgfaltspflicht verletzt? Ein klares Fazit der Expertenkommission: Sie stellt fest, dass...

Zitat: „(...) wiederholt gegen gesetzliche Vorgaben, allgemeine Richtlinien sowie Weisungen verstoßen wurde. (...) es wurde Sachverhalten nicht nachgegangen, die als Anzeichen für die Entwicklung einer Suizidgefahr hätten wahrgenommen werden können.“

Ein Verstoß gegen Sorgfaltspflichten? Fahrlässige Tötung? Das wollte die Staatsanwaltschaft Leipzig klären. Doch trotz aller offenen Fragen sind die Ermittlungen vor kurzem eingestellt worden. Auf MONITOR-Anfrage heißt es, es hätten sich:

Zitat: „(...) keine hinreichenden Anhaltspunkte für ein strafbares Unterlassen im Zusammenhang mit dem Suizid des Jaber A. ergeben.“

Jaber Albakr galt als gefährlicher Terrorverdächtiger. Einer der wenigen, die lebend gefasst wurden. Doch was sich genau in der Haft abspielte, wird vermutlich nie aufgeklärt werden.

Georg Restle: „Dass es in deutschen Gefängnissen immer wieder zu folgenschweren Versäumnissen kommt, ist schon schlimm genug. In Leipzig aber haben wir es offensichtlich mit einem Komplettversagen der Verantwortlichen zu tun, und das beim damals wichtigsten Untersuchungshäftling der Republik. Dass dies jetzt nicht mal ordentlich ermittelt wird, macht die Sache dann endgültig zum Justizskandal.“

Kommentare zum Thema

  • Lola4ever 07.11.2019, 21:50 Uhr

    Chemnitz, ...dass dieser junge Mann ein hochgefährlicher Terrorist sein soll, ist einfach lächerlich! Ein bisschen Menschenkenntnis reicht aus um zu erkennen, dass dies in dem Fall nicht richtig ist. Ich unterstelle , dass die Fehler keine Fehler sind , sondern dass hier ein Fall konstruiert wurde , um gegen Ausländer mobil zu machen. Wie leicht kann man jemandem Sprengstoff unterjubeln. Und sich hinterher als erfolgreicher Terrorbekämpfer hinzustellen! Es gib ja noch nicht mal Beweise für den geplanteTerroranschlag. Es gibt vermehrt Fälle, in denen Syrer in ihren Zellen sterben, obwohl es eigentlich nicht hätte möglich sein können. Immer Selbstmord, ohne Grund! Immer hatten sie Feuerzeug , Schnürsenkel, Brandbeschleuniger mit in der Zelle und immer bekommt die Aufsicht nichts mit, während die Mitgefangenen die Schreie kaum aushalten! Sicher gibt es auch bei den Mithäftlingen die Möglichkeit die Aufsicht zu rufen! Hat das auch keiner getan! Es sind alles nur Märchen von A-Z!

  • Marina Heckmann 08.09.2017, 13:35 Uhr

    aus menschlicher Sichtweise kann man Kommentare vieler Schreiber nachvollziehen.......... Aber.... da kann man sich nur der Abschiedsrede von Herrn Lammert anschließen: für ein demokratisches, freies Deutschland/EU mit offenen Grenzen und Rechtsstaatlichkeit. Ein kostbares Gut.... Ergo, sind solche Schlampereien nicht zu akzeptieren. Aussagen, Verhöre wären zur Feststellung evtl. Organisation/Hintermänner/Netzwerkverbindungen/weitere Gefährder etc. von Vorteil gewesen. "Eggerten" mehr Zeilen benötigt mein Kommentar nicht. Das hat "Eggerten" klar ausgedrückt.

  • Erik 28.08.2017, 18:04 Uhr

    Den "Investigativjournalisten" bei Monitor sollte mal langsam auffallen, dass in den letzten Jahren bei quasi allen Terroranschlägen der oder die mutmaßlichen Täter immer erschossen wurden oder anderweitig sterben. Das allein wäre schon mal eine statistische Auswertung wert. Von den ganzen zu oft liegengelassenen oder zufällig verlorenen Ausweisen ganz zu schweigen. Offensichtlich besteht nie Interesse, die Verdächtigen zu verhören und ihnen einen Prozess zu machen. Eigentlich müssten die Sicherheitskräfte ein hohes Interesse haben, die Täter lebend zu bekommen. Dann könnte man ja auch mal was über die Organisation und die Hintermänner erfahren. Naja, vielleicht soll sowas ja gar nicht rauskommen.