MONITOR vom 08.09.2016

Geschäfte mit Todkranken: Der boomende Markt der Intensiv-Pflege

Bericht: Lutz Polanz, Jochen Taßler

Geschäfte mit Todkranken: Der boomende Markt der Intensiv-Pflege Monitor 08.09.2016 10:35 Min. Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste

Verdeckte Aufnahmen bei ambulanten Pflegediensten. Wir wollten wissen: Wie ernst nehmen solche Einrichtungen Patientenverfügungen von Schwerstkranken, die sich selbst nicht mehr äußern können? Vor allem, wenn es um lukrative Fälle geht...

Gedächtnisprotokoll: „Wenn Sie sagen, die Patientenverfügung spielt jetzt keine Rolle mehr, dann müsste sie nach meiner Meinung auch irgendwie … weg.“

Georg Restle: „Also weiter behandeln um jeden Preis? Auch um den Preis der Menschenwürde? Guten Abend und willkommen bei Monitor. Das Geschäft mit todkranken Menschen in Deutschland boomt. Längst ist daraus ein Milliardenmarkt geworden. Davon profitieren Pharmakonzerne, Ärzte und private Pflegeeinrichtungen. Und je länger ein Mensch künstlich beatmet oder ernährt wird, desto mehr kann an ihm verdient werden. Das mag gerechtfertigt sein, solange es dem ausdrücklichen Willen eines Patienten entspricht. Kriminell wird es allerdings, wenn dieser Wille schlicht ignoriert wird. Monatelang waren wir in Deutschland inkognito unterwegs bei ambulanten Pflegediensten. Das Ergebnis unserer Recherchen zeigt, wie weit manche Einrichtungen gehen, um mit schwerstkranken Menschen Kasse zu machen. Lutz Polanz und Jochen Taßler."

Zu Hause bei Familie Thiemann in Witten. Heinrich Thiemann ist 82 Jahre alt und schwerst pflegebedürftig. Rund um die Uhr braucht er Betreuung durch einen Pflegedienst. Ohne künstliche Beatmung würde er sterben. Eigentlich wollte Heinrich Thiemann das so nicht. Nach einer Operation hielten ihn die Ärzte trotzdem am Leben. Für seine Frau damals ein Albtraum. Aber die Entscheidung, die Geräte abzustellen, brachte sie nicht übers Herz.

Gisela Thiemann: „Ich wollte ihm das Leben nicht nehmen, aber er wäre besser dran gewesen, wenn er eingeschlafen wäre. Es wären ihm viele Qualen erspart geblieben.“

Reporter: „Wäre das auch sein Wille gewesen?“

Gisela Thiemann: „Damals ja.“

Inzwischen hat sich sein Zustand stabilisiert. Die Familie hat entschieden, dass die Beatmungsmaschine an bleibt. Bei Komplikationen will Heinrich Thiemann aber nicht mit allen Mitteln am Leben gehalten werden. Einer seiner wichtigsten Ärzte ist Matthias Thöns. Der Palliativmediziner sorgt dafür, dass Menschen wie Heinrich Thiemann möglichst keine Schmerzen haben. Er kennt viele Fälle, in denen unheilbar Kranke aufwändig weiter behandelt werden, obwohl sie das nie wollten.

Matthias Thöns, Palliativmediziner: „Ich erlebe immer mehr, dass Patienten eben nicht nach ihrem Wohl behandelt werden, sondern zunehmend als Objekt gesehen werden, damit man anhand dieser Krankheiten und den dann möglichen Operationen möglichst viel Geld einnehmen kann.“

Eigentlich sind die Regeln sehr einfach. Entscheidend für jede Behandlung ist allein der Patientenwille. Den müssen Ärzte und Angehörige in jedem Fall beachten. Wenn er in einer Patientenverfügung festgeschrieben ist, ist das bindend. In der Praxis läuft es oft anders, sagt Thöns.

Matthias Thöns, Palliativmediziner: „Meine Erfahrung mit Patientenverfügungen bei größeren Eingriffen ist, dass sie oft nicht beachtet werden. das heißt, Kollegen beachten sie gar nicht oder aber interpretieren sie so lange um, bis es für sie passend ist.“

Gerade in der Intensivpflege, bei Patienten, die sich nicht mehr äußern können, gilt das Missbrauchsrisiko als hoch. Werden Patientenverfügungen hier wirklich missachtet? Um das herauszufinden, entwerfen wir einen Fall. Er beruht auf einer echten Geschichte. Angeblich geht es um unseren Vater, Helmut Feldmann, 68 Jahre alt. Nach einem Unfall liegt er im Wachkoma, Aussicht auf Besserung gibt es nicht. In seiner Patientenverfügung hat er eindeutig festgeschrieben, dass er in diesem Fall nicht künstlich am Leben gehalten werden möchte. Pflegedienste dürften ihn also nicht beatmen.

Wolfgang Putz, Rechtsanwalt: „Die künstliche Lebensverlängerung, egal ob mit Medikamenten, Maschine oder beidem, gegen den Willen des Patienten ist rechtlich gesehen eine strafbare Körperverletzung.“

Wir wenden uns an sechs ambulante Pflegedienste, überwiegend Betreiber so genannter Beatmungs-Wohngemeinschaften. Formal sind die Patienten hier nur Mieter und werden durch einen Pflegedienst versorgt und beatmet. Die Zahl dieser Pflege-WGs ist in den letzten Jahren sprunghaft angestiegen. Fachverbände gehen davon aus, dass derzeit rund 15.000 Patienten ambulant invasiv beatmet werden. Vor allem für die Pflege-WGs ein riesiges Geschäft. Sie bekommen pro Beatmungs-Patient 20.000 bis 25.000 Euro im Monat. Ein Milliardenmarkt.

Thomas Sitte, Deutsche Palliativstiftung: „Die Beatmungspatienten sind die Joker, kann man sagen. Die allerattraktivsten Patienten, wenn man abrechnen möchte. 15.000 Patienten mal 20.000 Euro für die Pflege. Da kommt noch was dazu, für den Arzt, für Ernährung, und so weiter. Sagen wir 15.000 mal 25.000 - das macht 300 Millionen Euro. Eine ganze Menge Holz. Aber nicht pro Jahr, pro Monat! Das sind dann mindestens 3, 4, vielleicht sogar 5 Milliarden Euro pro Jahr.“

Ist es für unsere Pflegedienste so lukrativ, dass sie den Patientenwillen ignorieren würden? Fünf antworten prompt und bieten an, unseren fiktiven Vater zu betreuen. Wir machen Beratungstermine und dokumentieren die Treffen mit versteckter Kamera. Man empfängt uns freundlich. Als wir auf die Patientenverfügung zu sprechen kommen, gibt es gleich klare Ratschläge.

Gedächtnisprotokoll: „Also, ich würde ihnen raten, die Patientenverfügung neu zu verfassen.“ - „Aber wie können wir die denn neu verfassen? Mein Vater kann sich doch jetzt gar nicht mehr dazu äußern.“ - „Das ist auch nicht nötig. Sie sind doch der gesetzliche Betreuer, wenn ich das richtig verstanden habe.“

Mit den Aussagen konfrontiert sagt der Pflegedienst später, man habe einen „entsprechenden Willen das Patienten“ angenommen. Seltsam bei einem Wachkoma-Patienten. Alle Einrichtungen weisen darauf hin, dass über eine Behandlung letztlich nur ein Arzt entscheiden könne. Stimmt. Trotzdem darf auch ein Pflegedienst nicht wissentlich gegen eine Patientenverfügung verstoßen. Und wir bekommen Tipps, wie man die ändern kann.

Gedächtnisprotokoll: „Man kann gucken, dass man diese Patientenverfügung dann nochmal etwas anders formuliert. Dass man zum Beispiel sagt, dass er in gewisser Form Lebenswillen zeigt. Er zeigt ja einen Lebenswillen allein dadurch, dass er jetzt schon Jahre mit diesem Krankheitsbild lebt.“

Mehrfach wird uns auch vorgeschlagen, die Patientenverfügung einfach unter den Tisch fallen zu lassen.

Gedächtnisprotokoll: „Wenn Sie sagen, die Patientenverfügung spielt jetzt keine Rolle mehr, dann müsste sie nach meiner Meinung auch irgendwie … weg.“

Dazu bemerkt der Pflegedienst, man habe nicht dazu geraten, die Patientenverfügung zu ignorieren.

Zitat: „Vielmehr wurde abstrakt erörtert, ob und inwieweit eine Patientenverfügung (…) unberücksichtigt bleiben könne.“

Wolfgang Putz, Rechtsanwalt: „Was Ihnen diese beteiligten Einrichtungen gesagt haben, ist nichts anderes als eine Anstiftung einerseits zu einer Urkundenunterdrückung der echten Urkunde des Vater, andererseits zu einer Urkundenfälschung durch Erstellen einer neuen Urkunde. Und es wird auch dadurch nicht rechtmäßig, dass man das als Modifizierung schön redet. Das ist eine schwere strafbare Handlung.“

Ein Anbieter wirbt sogar damit, dass er bereits Patienten gegen deren Willen betreut.

Gedächtnisprotokoll: „Wir haben auch Patienten im Wachkoma, die vorher gesagt haben, ich möchte nie in diesen Zustand kommen. Die haben auch eine solche Patientenverfügung, aber sie sind trotzdem bei uns. Also da haben wir weniger Probleme mit.“

Auch diese Aussage bestreitet der betroffene Pflegedienst. Alle weisen im Übrigen darauf hin, dass ihnen die Patientenverfügung nicht vorgelegt worden sei. Richtig - wir hatten sie dabei, es hat aber niemand danach gefragt.

Den Palliativmediziner Matthias Thöns überrascht unser Ergebnis nicht. Mit einer ähnlichen Legende hat er ambulante Pflegedienste bundesweit angeschrieben. Von 214 befragten Diensten antworteten 155. Nur 15 davon lehnten es ab, seinen fiktiven Patienten aufzunehmen. 140 stimmten zu - 90 Prozent. Obwohl auch hier eine Patientenverfügung vorlag, die das unmissverständlich verboten hätte.

Behandlung wider Willen. Für die Betroffenen kann es eine unendliche Qual sein. Das zeigt der Fall von Claudia Schmalisch. Obwohl dement und schwer krebskrank wurde sie mehrfach notoperiert und künstlich beatmet. Gegen ihren Willen, sagt ihr Mann. Immer wieder habe er versucht, das den Ärzten zu vermitteln. Aber sie hätten nicht auf ihn gehört. Vor einigen Wochen ist Claudia Schmalisch gestorben. Eine Erlösung für sie, sagt ihr Mann. Wie die Ärzte seine Frau und ihn behandelt haben, macht ihn immer noch fassungslos.

Herbert Schmalisch: „Mein Wunsch war, als ich die Frau so liegen sah, dass man sie sterben lässt. Und da hat man mir vorgeworfen, ich könne meiner Frau doch nicht den Tod wünschen."

Reporter: „In welchem Zustand war sie denn da?“

Herbert Schmalisch: „Erbärmlich, man konnte das kaum mit ansehen. Mit Kabeln. Sie konnte kaum atmen. Das war ganz traurig, ganz traurig. Mir kamen so die Tränen.“

Das Milliardengeschäft mit Pflege und Beatmung. Befördert wird es durch ein fragwürdiges Finanzierungssystem. Denn die Politik stellt ambulante Intensivpflege finanziell deutlich besser als

stationäre. In stationären Einrichtungen liegen die Gesamtkosten insgesamt bei 5.000 bis 6.000 Euro pro Monat und Beatmungspatient. Ambulante Einrichtungen sind deutlich teurer. Hier werden die genannten 20.000 bis 25.000 Euro fällig. Beim Eigenanteil, den Patienten und ihre Familien selbst tragen müssen, sieht es dagegen völlig anders aus. In stationären Einrichtungen müssen sie die Hälfte der Kosten selbst zahlen. Bei ambulanter Betreuung dagegen übernehmen den Großteil die Krankenkassen, bis auf Miete und Nebenkosten. Günstig für die Betroffenen, lukrativ für die Anbieter. Kein Wunder, dass der Markt wächst.

Als langjähriger gesundheitspolitischer Sprecher der SPD hat Karl Lauterbach diese Entwicklung aufmerksam verfolgt. Und hält den aktuellen Trend für gefährlich.

Karl Lauterbach: „Das ist ganz klar ein Fehlanreiz. Wir haben das damals nicht bedacht, dass das so einen starken Sog für die Patienten ausüben würde in Richtung der WGs. Das war einfach nicht zu erwarten, dass man so stark drauf reagieren würde. Und daher beobachten wir jetzt eine teurer werdende Versorgung, die zum Teil schlechter ist als die, die wir vorher hatten, bei gleichzeitiger Zunahme der Patientenzahlen. Da müssen wir auf jeden Fall etwas machen.“

Das Gesundheitsministerium sieht das anders. Ein Interview möchte man nicht geben. Auf Anfrage heißt es, eine Änderung der Leistungen sei nicht geplant. Der Fehlanreiz soll also bleiben. Das hilft vor allem den Pflegediensten - nicht den Patienten.

Georg Restle: „Solange ein Arzt für einen Hausbesuch bei einem Todkranken 30 Euro Zuschuss  bekommt, eine künstliche Beatmung aber 25.000 Euro im Monat bringt, solange wird sich an solchen Geschäftspraktiken wahrscheinlich nur wenig ändern.“

Wie erstellt man eine Patientenverfügung richtig?

Um sicherzustellen, dass im Fall des Falles auch wirklich nur die ärztlichen und pflegerischen Maßnahmen getroffen werden, die man möchte, ist es sehr wichtig, eine wasserdichte Patientenverfügung zu haben. Der Bundesgerichtshof hat in einem aktuellen Urteil gerade präzisiert, welche Anforderungen dabei zu erfüllen sind. Wenn Sie auch eine Patientenverfügung erstellen oder Ihre bestehende aktualisieren wollen: Hier die Tipps, worauf zu achten ist!

Kommentare zum Thema

  • Christoph 16.12.2016, 03:06 Uhr

    Ich arbeite nun mehr als 5 Jahre in der ambulanten Intensivpflege. Ich bin schockiert, wie in diesem Bericht die Pflegedienste in eine kriminelle Ecke gedrängt werden. Es wird der Eindruck erweckt, dass die Pflegedienste schuld sind, dass massenweise Patientenverfügungen ignoriert werden. Das stimmt somit gar nicht. Die Entscheidung ,ob ein Mensch dauerhaft künstlich am Leben gehalten wird, wird im Krankenhaus zwischen den Ärzten und den Angehörigen getroffen. Die Pflegedienste sind das letzte Glied in diesem System und haben mit dieser Entscheidung nichts zu tun. Das eigentliche Problem ist die Politik, die die Krankenhäuser zu einem Wirtschaftsunternehmen gemacht haben und den kranken Mensch somit zur Ware.

  • Alexandra Krause 08.11.2016, 10:03 Uhr

    Auch hier beißt sich wieder einmal die Regierung den eigenen Schwanz ab. Will Geld eintreiben mit pflegebedürftigen vergisst aber dadurch, dass somit das Geld in den Privathaushalten mein Ziel war es geringer sein wird. Denkt auch wieder nicht daran, dass die Menschen in kürzester Zeit um ein Vielfaches kränker sein werden als sie es bis dato sind. Wenn wir die Regierungen so weiter agieren lassen, wird das der Untergang der Menschheit sein. Der Mensch wird teilweise so krank sein, dass er nicht mehr zu heilen ist. Wer wird dann überleben? Nur Politiker? Eben immer nur solche Leute, die von nichts eine Ahnung haben? Was wird dann sein? Liebe Leute, wir dürfen uns das alles nicht länger gefallen lassen! Auf uns kommt es an! Die Regierungen als solche furzen einfach immer nur in den Sessel und haben von nichts und wieder nichts eine Ahnung. Die Bürger weltweit wissen weitaus mehr als alle Politiker zusammen. Schwur mitunter von Angela Merkel: „Ich schwöre, dass ich meine Kraft de ...

  • Jörg Brambring 21.09.2016, 13:52 Uhr

    „Schwerstkranke Menschen künstlich am Leben zu erhalten, um damit Geld zu verdienen, ist menschenverachtend.“ Dieser Aussage des Monitor-Beitrages „Geschäfte mit Todkranken: Der boomende Markt der Intensiv-Pflege“ vom 8. September 2016 stimmen wir, der Führungskreis der Heimbeatmungsservice Brambring Jaschke GmbH, ohne Einschränkung zu. Aber warum werden in diesem Bericht vorrangig die ambulanten Pflegedienste angeprangert? Die Patienten werden doch nicht von uns Pflegediensten „gemacht“! Alle unsere Klienten kommen aus Kliniken, in der Regel nach mehrmonatigen Aufenthalten auf Intensiv- und Rehastationen! Wieso werden im Bericht nicht die Vergütungsmodelle der Kliniken hinterfragt? Ist hier jede OP, jede Untersuchung angemessen? Und wie oft wurde in der Klinik, bevor wir die Patienten aufnehmen, bereits der Patientenwille missachtet? Wir wissen es nicht. Wenn Hr. Lauterbach von Fehlanreizen spricht, dann sollte er zuerst hinterfragen, ob es falsche Anreize gibt, die nach de ...