Bericht: Herbert Kordes, Lisa Seemann, Rihan Rodosthenous
Kommentare zum Thema, weiterführende Links und der Beitragstext als PDF
Georg Restle: "Dies sind Bilder einer nur schwer zu ertragenden Tragödie. Das Haus der Lebenshilfe in Sinzig, in dem während der Flutkatastrophe zwölf Menschen starben, weil sie nicht rechtzeitig gewarnt, ihr Haus nicht evakuiert wurde. Eine von so vielen schrecklichen Geschichten dieser Hochwasserkatastrophe. Guten Abend und willkommen bei MONITOR.
Nicht erwartbar, nicht vorhersehbar, nicht in diesem Ausmaß vorhersehbar. Das sind die Sätze, die in den letzten beiden Wochen oft rechtfertigen sollten, was nur schwer zu rechtfertigen ist: Dass sich Hunderttausende Menschen sehr allein gelassen fühlten, als der Regen nicht aufhören wollte und kleine Flüsse zu reißenden Strömen wurden. Als hätte man wirklich nichts ahnen können, als hätte man die Menschen nicht besser darauf vorbereiten können auf das, was Meteorologen immerhin schon mehr als 48 Stunden zuvor angekündigt hatten. Ein Unwetter nämlich bisher kaum bekannten Ausmaßes – jedenfalls für diese Region. Herbert Kordes, Lisa Seemann und Rihan Rhodestenous mit der Chronik einer angekündigten Katastrophe."
Sinzig in Rheinland-Pfalz Anfang dieser Woche. In diesem Haus spielte sich eine der größten Tragödien der Flutkatastrophe ab. Ein Haus für Menschen mit Behinderungen. Zwölf Bewohner starben hier, weil Warnungen sie zu spät erreichten, weil das Erdgeschoss nicht rechtzeitig evakuiert wurde. Direkt gegenüber wohnt Ulrich Martin. Er hat gesehen, wie hoch das Wasser das Haus umspült hatte.
Ulrich Martin: "Und danach war die Feuerwehr im Grunde auch hilflos, weil das Wasser da noch stand, die konnten die Tür nicht öffnen und mussten warten, bis das Wasser abgesunken war, um dann die Leichen zu bergen."
So sah es an dem Wohnheim am Morgen nach der Flutnacht aus. Einige Anwohner sagen, Feuerwehrleute seien am Abend vor der Flut mit Warnungen von Haus zu Haus gegangen. Am 14. Juli, tagsüber, fahren Feuerwehrwagen mit Durchsagen durch Sinzig.
Feuerwehr-Durchsage: "Achtung, Achtung – hier spricht die Feuerwehr. Wir erwarten im Bereich der Ahr für den morgigen Donnerstag ein sehr schweres Ahr-Hochwasser. Bereiten Sie sich darauf vor. Räumen Sie ihre Keller und Garagen entsprechend leer. Danke!"
Keller und Garagen leer räumen, aber keine Evakuierungen? Haben sie die Gefahr unterschätzt? Viele Rettungskräfte im Hochwassergebiet sehen sich jetzt genau mit solchen Vorwürfen konfrontiert. Ein Mann der Freiwilligen Feuerwehr Sinzig schreibt uns – und widerspricht ihnen. Wir sollen seinen Namen nicht nennen:
Zitat Feuerwehrmann: "Wir Rettungskräfte fühlen uns oft allein gelassen. Gerade wenn es um Evakuierungen geht, müssen die Entscheidungen von oben getroffen werden, von spezialisierten Fachleuten. Sowas kann man nicht einer kleinen Feuerwehr vor Ort aufbürden."
Alleingelassen vor Ort? Ein Gefühl, das auch die Menschen in Swisttal-Odendorf in Nordrhein-Westfalen kennen. Ella Wiebe und ihr Mann stehen vor dem Nichts. Ihr Haus liegt direkt am Orbach – ein Bächlein, das in normalen Zeiten nur wenige Zentimeter hoch durch den Ort fließt. Am 14. Juli zerstörte der Orbach hier alles.
Peter Wiebe: "Die Welle war einfach … die ist von durch den Tor gekommen und in drei Meter Breite da durchgeflossen und hier durchgezogen. Es war schlimm."
Auf der Straße in Odendorf treffen wir auf die Bürgermeisterin, die vor allem ihre eigene Hilflosigkeit beschreibt.
Petra Kalkbrenner, Bürgermeisterin Swisttal: "Selbst wir im Rathaus, die die Dinge vorbereitet haben, sind von der Flutwelle umspült worden und es gab dann keinerlei Möglichkeiten mehr, Handy kein Netz, selbst der Digitalfunk funktionierte nicht mehr. Das war eine aus meiner Sicht noch nie dagewesene Situation."
Eine nie dagewesene Situation. Sind Bürgermeister und Einsatzkräfte in dieser Krise zu sehr auf sich allein gestellt geblieben? Hätte die Landesregierung mehr tun müssen? Für NRW-Innenminister Reul war das Ausmaß der Katastrophe jedenfalls nicht zu erwarten.
Herbert Reul (CDU), Innenminister NRW, (19.07.21): "Das Wesen von Katastrophen ist, dass sie nicht vorhersehbar sind. Das Wesen von Naturkatastrophen ist, dass sie erst recht nicht vorhersehbar sind. Das ist doch vollkommen klar. Sie können aufgrund von Warnungen vor Unwetter nicht einschätzen, wie sich die Lage tatsächlich vor Ort entwickelt. Das ist mindestens genauso schwierig, wenn nicht gar unmöglich."
Ganze Landstriche überschwemmt, eine Talsperre bei Swisttal läuft über, droht zu brechen, zerstörte Existenzen in Odendorf, 181 Tote in der gesamten Hochwasserregion. Und das alles war wirklich nicht vorhersehbar?
Rückblick: Mehr als 48 Stunden vor der Flut zeigen die Wetterkarten großflächig violette Farben – höchste Gefahr. Der Deutsche Wetterdienst warnt vor dauerhaftem Starkregen mit bis zu 200 Liter Wasser pro Quadratmeter – das Mehrfache eines Monats. Die Katastrophe so nicht vorhersehbar? Meteorologen widersprechen:
Özden Terli, Meteorologe ZDF: "Das war ja kein Erdbeben, was man nicht vorhersagen konnte. Wir wussten relativ genau, wie viel Regen runterkommt und in welchen Gebieten. Und das war ja auch noch flächendeckend. Also die Anzeichen, dass hier eine ganz große Sache, eine Katastrophe, sich anbahnt, das konnte man schon sehen. Und zu sagen, das war überhaupt nicht … das war überhaupt nicht sichtbar, ist schlichtweg nicht richtig."
Also doch vorhersehbar? Aber wer war zuständig? Deutschland hat ein Bundesamt für Katastrophenschutz, das ist aber nicht zuständig. Katastrophenschutz ist Ländersache. Doch die Länder verweisen weiter nach unten. Am Ende sind es die Landräte oder Bürgermeister in den Kommunen, die über Evakuierungen und Maßnahmen vor Ort entscheiden müssen. Auch wenn weite Landstriche betroffen sind? Die Landesregierung hätte rechtzeitig eingreifen müssen, kritisiert die Opposition in NRW.
Verena Schäffer (B'90/Grüne), Fraktionsvorsitzende Grüne, Landtag NRW: "Ja, also auffällig ist, dass es eigentlich vorgesehen einen Krisenstab der Landesregierung gibt für Katastrophenlagen. Und selbst bei dieser schlimmsten Katastrophe, die Nordrhein-Westfalen getroffen hat, ist dieser Krisenstab der Landesregierung nicht aktiviert worden. Und dann frage ich mich schon, wenn dieser Krisenstab bei dieser Katastrophe nicht aktiviert wird, warum halten wir dann eigentlich einen Krisenstab vor?"
Zurück in Sinzig in Rheinland-Pfalz: Am 14. Juli um 23:09 Uhr warnt eine App, dass Menschen, die 50 Meter rechts und 50 Meter links von der Ahr wohnen, ihre Wohnungen verlassen sollen. Das Problem: Das Heim der Lebenshilfe liegt weiter als 50 Meter weg von der Ahr. Warum es nicht trotzdem evakuiert wurde? Darauf bekommen wir keine Antwort. Gegen 2:00 Uhr in der Nacht, sagen Anwohner, lief dieses Wohngebiet mit dem Lebenshilfehaus rasend schnell voll. Warum konnte das niemand vorhersehen? Ein Grund dafür liegt womöglich in so genannten Hochwasserrisikokarten. Die Umgebung des Lebenshilfehauses gilt laut dieser Karte als deutlich weniger gefährdet, als es sich dann während der Flutkatastrophe herausstellte. Auf solchen Karten aber basieren Risikoanalysen, Warnungen und Evakuierungen. Solche Karten sind für kleinere Flüsse aber nicht ausreichend, sagt Wolfram Geier vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe.
Wolfram Geier, Abteilungspräsident Risikomanagement, Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe: "Was wir in der Tat brauchen sind eben Risikokartierungen, Gefahrenkartierungen. Für die großen Flüsse haben wir das alles, das ist aufgrund einer EU-Richtlinie, musste das durchgeführt werden im Rahmen des Hochwasserrisikomanagements. Dort haben Sie entsprechende Karten, dort haben Sie die eingezeichneten Überflutungsgebiete, aber wir haben das eben nicht verbindlich für die kleinen Flüsse, für die kleinen Fließgewässer."
In Odendorf hätten sie niemals damit gerechnet, dass der kleine Fluss einmal ihr ganzes Haus zerstört. Dass sie nichts retten konnten, als ihnen das Hochwasser plötzlich alles nahm.
Peter Wiebe: "Von der Behörde her keine Warnung, nix, keine … wenigstens sagen können, dann hätte man ganz anders reagiert, aber nix, gar nix."
Die Menschen hier begreifen nicht, dass niemand sie rechtzeitig und ausreichend gewarnt hat. Auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk steht dabei in der Kritik – warum er sein reguläres Programm nicht früher unterbrochen habe, näher bei den Menschen war.
Emanuela Penev, stellv. Unternehmenssprecherin WDR: "Der WDR hat deutlich gewarnt, auch wiederholt gewarnt in seinem Programm. Wir haben aber auch sofort eingeräumt, wir hätten mehr machen können, engmaschiger berichten müssen, über alle Kanäle hinweg. Das arbeiten wir intern auf. Wir gucken aber auch nach vorne und wollen den Katastrophenschutz in Zukunft besser unterstützen, sind dazu auch mit den Behörden im Gespräch."
Ob Sinzig oder Odendorf, mehr als 48 Stunden hätten Behörden auf Bundes- und Landesebene Zeit gehabt, den betroffenen Kommunen mehr zu helfen. Gebündelte Expertise, übergreifende Krisenstäbe, bessere Warnkarten – all das könnten Lehren sein, könnte Leben retten.
Georg Restle: "Nein, es geht hier ganz sicher nicht um vorschnelle Schuldzuweisungen. Sondern eher darum, sich nicht wegzuducken vor einer Verantwortung, die künftig Menschenleben retten kann."
Kommentare zum Thema
Es ist aus meiner Sicht einfach nur unglaublich beschämend, eine unglaubliche Frechheit und von größter Skrupellosigkeit begleitet, wie sich politisch Verantwortliche hier aus der Verantwortung stehlen wollen. ….nach dem Motto: „ein anderer war es“! Schämt Euch - wer auch immer hier die politische Verantwortung trägt!!!
Irgendwie komme ich mir derzeitig vor als sähe ich in einem Kino und schaue mir einen nach Drehbuch inszenierten Film an. „Die schlimme Flutkatastrophe, die vielen verheerenden Feuerbrände rund um den Erdball mal ausgeklammert“ habe ich den Eindruck als würden bestimmte ideologisch-politische Kräfte uns Wähler unter Ausnutzung der momentan stattfindenden Umweltkatastrophen unter psychischen Druck setzen um die anstehende Bundestagswahl für sich entscheiden zu lassen. Erst die detaillierte, werbehafte Vorstellung einer von der UNO beauftragten Organisation welche anhand ihrer Berechnungen festgestellt hat dass die stattfindende Erderwärmung von Menschen gemacht wurde. Folgend Steigerungen von Horrormöglichkeiten um uns Wähler per Angsteinflößung in der anstehenden Bundestagswahl „richtig“ wählen zu lassen. Es geht ein Wandel vor sich. Die bisher annähernd funktionierende Demokratie in Deutschland wandelt sich in eine autokratische Demokratie. Ungläubigkeit wird nicht mehr erlaubt.
Nun gibt es neue Anschuldigen, die sich vor allem gegen den Landrat des rheinland-pfälzischen Landkreises Ahrweiler, Jürgen Pföhler (CDU), richten. Die Verantwortung für die Einsatzleitung sei abhängig von der Warnstufe. Ab dem Vormittag des 14. Juli habe im Kreis die Warnstufe vier gegolten - wodurch die Verantwortung dann bei der Kreisverwaltung, damit bei Pföhler läge. Der Landkreis Ahrweiler ist laut dem Bericht vor der Flutkatastrophe in der Nacht auf den 15. Juli präzise gewarnt worden, habe jedoch nicht rechtzeitig reagiert. Es seien bei der Kreisverwaltung mehrere automatisierte E-Mails des rheinland-pfälzischen Landesumweltamts eingegangen. Auch Warnungen über das Katwarn-System und Veröffentlichungen im Internet habe es gegeben, In den E-Mails an die Kreisverwaltung sei gegen 21.30 Uhr ein erwarteter Pegelstand von fast sieben Metern genannt worden. Dennoch habe der Landkreis erst gegen 23 Uhr den Katastrophenfall ausgerufen und Evakuierungsmaßnahmen eingeleitet.