MONITOR vom 15.09.2022

„Heißer Herbst“: Protest von links oder rechts?

Bericht: Julia Regis, Andreas Maus

"Heißer Herbst": Protest von links oder rechts? Monitor 15.09.2022 09:38 Min. UT Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste Von Julia Regis, Andreas Maus

Georg Restle: "Eine unbändige Wut, eine, die viele Menschen auf die Barrikaden bringt. Und das ist durchaus wörtlich zu verstehen. Der Protest formiert sich – auch bei den Linken. Ein "heißer Herbst" wurde da angekündigt. Peinlich nur, dass die gleiche Parole schon von den Rechtsextremisten rund um die AfD verwendet wurde. Und das ist nicht die einzige Gemeinsamkeit, auch ansonsten klingt vieles eigenartig ähnlich, was Teile der Linkspartei und Rechtsextreme da gerade fordern. Vor allem Sahra Wagenknecht und ihre Leute liefern sich gerade einen populistischen Überbietungswettbewerb mit der AfD vor allem wenn es ums Thema Wirtschaftssanktionen gegen Russland geht. Das alles sehr zum Entsetzen großer Teile der Linkspartei. Die treibt vor allem eine Sorge um: Dass die Grenzen zum rechten Rand verwischen und am Ende Rechtsextremisten die politische Ernte einfahren könnten. Julia Regis und Andreas Maus."

Leipzig, Montag vergangene Woche. Die Linkspartei demonstriert gegen steigende Energiekosten, Inflation und Armut. Mehrere tausend Menschen sind gekommen, Auftakt zum sogenannten "Heißen Herbst". Zeitgleich demonstrieren auf demselben Platz mehr als 1.000 Menschen aus der rechten und rechtsextremen Szene. Auch sie reden vom "Heißen Herbst", die Forderungen: Nord Stream 2 öffnen, Sanktionen beenden, Verhandlungen mit Russland. Und – sie suchen dabei den Schulterschluss mit der Linken.

Frank Haußner: "Menschen drüben vor der Oper, lasst uns heute gemeinsam in Leipzig demonstrieren, egal ob rechts oder links, egal mit welcher Fahne oder mit welchem Schild oder Transparent."

Ein Redner hier ist auch der extrem rechte Publizist Jürgen Elsässer. Auch er umgarnt die Linken, fordert Sprechchöre für deren wohl prominentes Mitglied, Sahra Wagenknecht.

Jürgen Elsässer: "Und deswegen rufen wir hier alle mal, damit denen da drüben die Ohren klingeln: Sahra, Sahra, Sahra…"

Sahra Wagenknecht, bejubelt von Rechtsextremen? Offiziell grenzt sich die Linkspartei klar vom rechten Rand ab. Auch in der Russland-Frage wurden auf dem Bundesparteitag im Juni klare Beschlüsse gefasst. Unter anderem Sanktionen gegen Putins Machtapparat und Solidarität mit dem Widerstand in der Ukraine. Doch prominente Mitglieder wie Sahra Wagenknecht konterkarieren diese offizielle Parteilinie immer wieder, so wie vergangene Woche im Bundestag.

Sahra Wagenknecht (Die Linke), Bundestagsabgeordnete, 08.09.2022: "Das größte Problem ist Ihre grandiose Idee, einen beispiellosen Wirtschaftskrieg gegen unseren wichtigsten Energielieferanten vom Zaun zu brechen. Und deshalb Schluss mit den fatalen Wirtschaftssanktionen – verhandeln wir in Russland, mit Russland über eine Wiederaufnahme der Gaslieferungen. Wir sind nicht unabhängig!"

Einen Wirtschaftskrieg vom Zaun gebrochen? Genau so klingt das bei der AfD.

Tino Chrupalla (AfD), Fraktionsvorsitzender im Bundestag, 17.07.2022: "Wir haben einen Wirtschaftskrieg begonnen gegen Russland, indem wir Sanktionen gegen Russland beschlossen haben, die hauptsächlich … die hauptsächlich unserer deutschen Wirtschaft, die unserer Bevölkerung schaden werden."

Ein inhaltlicher Schulterschluss also mit der AfD? Sahra Wagenknecht weist das von sich, und schreibt MONITOR:

Zitat: "Wer (...) Kritik an der Politik der Bundesregierung pauschal als rechts diffamiert, spielt den Mächtigen in die Hände (...)."

Wagenknecht also ein Opfer von Diffamierungen? Nein, sagt Martina Renner. Die linke Bundestagsabgeordnete kämpft seit Jahren politisch gegen Rechtsextremismus. Sie hält Äußerungen wie die von Wagenknecht für hochgefährlich.

Martina Renner (Die Linke), Bundestagsabgeordnete, Sprecherin antifaschistische Politik: "Irgendein Teil der Partei versucht – bewusst oder unbewusst – durch den Gleichklang der Forderung Nordstream 2 anschalten, Sanktionen beenden oder eben auch dieses – Deutschland hat den Wirtschaftskrieg begonnen – eine Einladung auszusprechen in einen Teil der gesellschaftlichen Rechten, auch der extremen Rechten, die sehr begeistert aufgenommen wird."

Diese Begeisterung zeigt sich auch hier, Chemnitz am vergangenen Montag. Jede Woche ruft die extrem rechte Kleinstpartei "Freie Sachsen" hier zum Protest auf. Rund Zweitausend marschierten hier durch die Stadt. Es geht gegen die Bundesregierung und um den Ukraine-Krieg. Viele begrüßen die pro-russische Haltung von Teilen der Linken, schwärmen von Sahra Wagenknecht.

Demonstrant: "Ich sehe Sahra Wagenknecht als eine der intelligentesten Politikerinnen in unserem Land. Ich denke, dass Sahra Wagenknecht – aus meiner Sicht – in der falschen Partei ist."

Reporterin: "Also wäre es jetzt für Sie zum Beispiel auch überhaupt nicht ausgeschlossen, wenn die Linke zu einem Protest zum heißen Herbst aufruft, auch dahin zu gehen?"

2. Demonstrant: "Hab ich kein Problem. Linke, AfD... bloß die anderen drei Parteien würd ich mich vollkommen verwehren."

Rechtsextreme und Linke im Protest vereint? Er hat genau diese Strategie formuliert. Götz Kubitschek, bestens vernetzt in die AfD, gilt als rechter Vordenker. Vergangene Woche schreibt er – es gehe jetzt darum

Zitat: "... die Grenzen zwischen den politischen Lagern wenigstens zu verwischen."

und

Zitat: "Der Stärkere wird sich durchsetzen und Leute auf seine Seite ziehen können, mit denen er heute noch nicht rechnen kann. Das war bei den Corona-Maßnahmen-Protesten ja auch so …"

Prof. Matthias Quent, Soziologe, Hochschule Magdeburg-Stendal: "Die Rechte verfolgt in Deutschland im Moment zwei Strategien. Einerseits ist es eine Strategie der Umarmung der Linken. Man versucht, sie durch diese Umarmung auch zu erdrücken, weil man genau weiß, dass wenn Linke mit rechts, mit Rechten oder Rechtsextremen demonstrieren, sie jede Anschlussfähigkeit in die Bevölkerung verlieren. Und zum anderen versucht man, die Linken zu kopieren, ihre Themen zu klauen und dadurch neue Milieus zu erschließen, die Unzufriedenheit – die soziale Unzufriedenheit in diesem Fall – nach rechts abzuleiten und zu … davon zu profitieren."

Für viele an der linken Basis ist diese "Umarmung von rechts" ein großes Problem. Chemnitz am vergangenen Wochenende. Die Linkspartei hat zum Protest aufgerufen. Etwa 80 Menschen sind gekommen. Eigentlich sollte es um soziale Gerechtigkeit gehen, doch die Stadträtin Carolin Juler muss sich immer wieder mit pro-russischen Äußerungen á la Wagenknecht auseinandersetzen.

Carolin Juler (Die Linke), Stadträtin Chemnitz: "Ich bin die, die hier in Chemnitz Politik macht und andere Genossinnen und Genossen machen im ländlichen Raum Politik. Und wir sind dann die, die den Leuten auf der Straße erklären müssen, dass Sahra Wagenknechts Meinung nicht die Parteimeinung ist. Und dagegen anzukommen ist natürlich unfassbar schwer. (...) Ich finde, so ein Verhalten ist eigentlich auch so ein Tritt gegen die Genossinnen und Genossen, die sich tagtäglich ehrenamtlich engagieren und das macht es uns einfach superschwer."

Doch Sahra Wagenknecht ist nicht isoliert in der Linken. Rückendeckung bekommt sie von ihrer Fraktionsspitze. Ihre Rede entspreche den Parteibeschlüssen, teilt man uns mit. Die Fraktionsvorsitzenden Bartsch und Mohammed Ali würden Wagenknecht ganz bewusst nach vorne stellen, meinen Kritiker.

Albrecht von Lucke, Politikwissenschaftler: "Der entscheidende Punkt ist der, dass Sahra Wagenknecht gezielt auch von Kräften in der Partei eingesetzt wird – in dem Fall von Dietmar Bartsch und seiner Kollegin Mohammed Ali – um diejenigen einzusammeln, die auf der rechten Seite nationalistische Positionen bedienen. (...) Und es ist doch ganz klar, was der Grund ist. Man weiß – und jedenfalls Wagenknecht und ihr Lager weiß das ganz genau – sie bedienen die gleichen Argumente, nämlich rechtsnationalistischer Art, um die Klientel der AfD auf ihre Seite zu ziehen."

Die Fraktion weist solche Vorwürfe uns gegenüber als "absurd" zurück. Doch wie glaubwürdig kann sozialer Protest von links sein, wenn Teile der Partei auf Stimmenfang im rechten Milieu gehen? Experten fürchten, dass Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit dadurch delegitimiert werden könnten.

Prof. Matthias Quent, Soziologe, Hochschule Magdeburg-Stendal: "Sollte es in den nächsten Monaten gelingen, dass vor allem die äußerste Rechte diese Proteste kapert, dann wird das dazu führen, dass diese Proteste als weniger legitim erscheinen, sie werden weniger ernst genommen und die eigentlich nachvollziehbaren Anliegen von vielen Menschen werden aus dem Blick geraten. Das führt auch dazu, dass die Polarisierung weiter zunimmt und davon können vor allem rechte Populisten und Extremisten profitieren, die dann sagen, wir haben es euch ja gleich gesagt, wir sind die einzig wahre Opposition."

Vergangener Sonntag in Erfurt, ein überparteiliches Bündnis von Gewerkschaften und anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen hat zum Protest aufgerufen. Auch die Linkspartei protestiert hier mit. Durch solch breite Zusammenschlüsse werde die Brandmauer nach rechts gestärkt, sagt Michael Rudolph vom DGB.

Michael Rudolph, DGB Hessen-Thüringen: "Ich hab ein Problem mit jedem, der rechte Narrative bedient, das ist ganz klar. Diese Diskussionen müssen auch geführt werden. Wir haben an der Stelle als Bündnis ne klare Kante. Wir haben einen Konsens, dass wir diese Narrative nicht bedienen, wir bedienen auch keine Verschwörungsmythen, wir sagen auch klar, es handelt sich um einen Angriffskrieg von Putin verantwortet gegen die Ukraine. Das ist unser Bündniskonsens."

Ein breites Bündnis der Zivilgesellschaft. Wagenknecht-Parolen waren in Erfurt nicht zu sehen.

Georg Restle: "Ein tiefer Riss geht mittlerweile durch die Linkspartei. Zwei ihrer bekanntesten Persönlichkeiten sind diese Woche aus der Partei ausgetreten - auch wegen Sarah Wagenknecht. Da droht jetzt tatsächlich ein heißer Herbst; wohl auch für die Linken selbst."

Startseite Monitor

Kommentare zum Thema

  • Hus, S. 26.09.2022, 19:12 Uhr

    Die meiner Meinung nach grün-68er Vernichtungspolitik um Deutschland abzuschaffen muss beendet werden. Die absolute bedingungslose Unterstützung der ukrainischen Regierung in ihrer Verweigerung Verhandlungen mit Russen über einen Waffenstillstand zu führen, welches scheinbar aufgrund einer Anweisung der USA und England geschieht, zerschlägt die deutsche Wirtschaftskraft in Folge entstehen soziale Unruhen in unserem Land. Aufgrund der Grün-68er geforderten Abschaltungen von Kraftwerken ohne einen ausgleichenden Ersatz zu haben, die Sperrung der Nordstream II, die Kriegsbeteiligung einschließlich Waffenlieferungen an der Seite der ukrainischen Regierung (um sie in ihrer Regierungsmacht zu halten) wird unser Heimatland durch extreme Energiepreise zerstört. Die grün-68er Politik muss sofort verändert werden. Deutschland und die Erde darf nicht zerstört werden nur weil andere Länder die keine NATO-Mitgliedsländer von uns bedingungslos unterstützt werden.

  • Don.Corleone 16.09.2022, 15:09 Uhr

    Sarah Wagenknecht , eine tolle Frau, die d.Finger i.d. Wunde legt ! Und Klartext spricht. Natürlich hat diese Dame objektiv recht ! Der Deutsche-EU+US-Wirtschafts-Sanktions-Terror gegen d. russische Reich ist in d. Menschheitsgeschichte ein einmaliger Vorgang u. defintiv nicht verhältnismäßig ! Die Fakten. USA (Imperium ) will d. ganze Welt beherrschen! 2 Steinchen fehlen noch : China+Russland ! Darum wird jetzt Ukr.hochgerüstet um als Stellvertreter f.USA d. Russen zu schlagen- Parralell läuft d. Wirtschafts-Sanktions-Terror der westl. Welt (Alle aufgeputscht v.d.USA ,sonst gibts Sanktionen ) g. Russland. Die USA will Ru. in die Steinzeit zurückversetzen (siehe Kuba- IRAN Nordkorea usw.) u.Alle helfen, vor lauter Schiss vor d. US-Sanktionen, diesen Auftrag abzuarbeiten. Folge: Mega-Inflation, Märkte brechen ein, Energie nicht mehr gesichert, Dt.Malocher demnächst millionenfach arbeitslos u. das nur, weil ein Krieg i.d. Ukraine ist. vdl u. Co. ma. Druck m. Aussagen: Ukr.vert.auch u.Fre

  • Frank Steinert 16.09.2022, 14:12 Uhr

    Na läuft doch wie geschmiert: 30 Jahre lang hat sich Die Linke für eine Staatsform den Mund fusselig geredet, die George Orwell für die einzig zukunftsträchtige hielt, und wird jetzt, statt wie Die Grünen in der neoliberalen, in der braunen Soße verrührt. Derweil holen wir mit Sanktionen und Waffen die Ukraine heim ins Reich der wertebasierten Weltordnung. Denn in den europäischen Staaten von Deutschland wird man nicht vom Diktator Putin unterdrückt, sondern bekommt von den Medienkonzernen das Gehirn mit der transatlantischen Agenda gewaschen und wählt dann freiwillig die globale Überwachungsdiktatur der NSA.