MONITOR vom 21.04.2022

Gas-Embargo: Panikmache der Bundesregierung?

Bericht: Véronique Gantenberg, Lisa Seemann

Gas-Embargo: Panikmache der Bundesregierung? Monitor 21.04.2022 07:54 Min. Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste Von Véronique Gantenberg, Lisa Seemann

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Georg Restle: "Der Krieg in der Ukraine und das zögerliche Handeln der deutschen Bundesregierung. Es war ein fast schon verstörender Auftritt von Olaf Scholz vorgestern Abend vor der Presse in Berlin. Und es hagelte dann auch jede Menge Kritik, weil Deutschland sich so offensichtlich schwertut, wenn es um die tatkräftige Unterstützung der Ukraine geht. Das gilt für das Thema Waffenlieferungen, aber ganz sicher auch beim Thema Gas-Embargo. Das könne sich Deutschland nicht leisten, heißt es da schon seit Wochen, sonst drohe Massenarbeitslosigkeit, Massenarmut, Wirtschaftskollaps. Kaum ein Horrorszenario wird da von Wirtschaftsvertretern ausgelassen – so scheint es – um möglichst lange am russischen Gas festhalten zu können. Doch wie begründet sind diese Szenarien eigentlich? Véronique Gantenberg und Lisa Seemann."

Putins Angriffskrieg auf die Ukraine fordert täglich neue Opfer. Die Hafenstadt Mariupol soll nach Angaben Russlands unter russischer Kontrolle sein. Doch noch immer harren hier mehr als 100.000 Menschen aus. Nichts scheint Putins Angriffskrieg zu stoppen. Offenbar auch nicht die EU-Sanktionen. Dabei sollten sie das System Putin und die russische Wirtschaft im Kern treffen, wie auch Ursula von der Leyen bei ihrem Besuch in Kiew Anfang des Monats betonte.

Ursula von der Leyen, EU-Kommissionspräsidentin, 08.04.2022 (Übersetzung Monitor): "Wir haben fünf Pakete von noch nie da gewesenen Sanktionen verhängt. Und diese treffen Russland hart."

Allerdings nicht dort, wo es Russland eigentlich treffen würde, sagt Janis Kluge von der Stiftung Wissenschaft und Politik.

Janis Kluge, Russlandexperte, Stiftung Wissenschaft und Politik: "Wir haben nicht die getroffen, die wir eigentlich zuerst treffen müssten, und das ist eben der russische Energiekomplex. Das ist das Zentrum der russischen Macht. Das heißt, wir finanzieren natürlich den russischen Haushalt mit unseren Energieimporten und darüber ermöglichen wir auch, dass dieser Krieg geführt wird."

Mehr als 38 Milliarden Euro hat die EU seit Kriegsbeginn für die Einfuhr russischer Energie bezahlt. Devisen aus dem Ausland, die Russland auch nutzt, um den Rubelkurs zu stabilisieren – offenbar mit Erfolg. Denn der hat sich nach einem Einbruch erholt – ist mittlerweile auf Vorkriegsniveau. Zwar will die EU bald auf russische Kohle verzichten, doch bis Jahresende will Deutschland noch Öl importieren und das Wesentliche bleibt ausgespart – ein Gas-Embargo. Blockiert, vor allem von der deutschen Bundesregierung und Industrie.

Robert Habeck, (B'90/Grüne), Bundeswirtschaftsminister, 13.03.2022: "Wenn man jetzt sofort den Schalter umlegt, wird es in Deutschland zu Lieferengpässen, ja zu Lieferabbrüchen kommen, zu Massenarbeitslosigkeit, Armut."

Stefan Wolf, Präsident Arbeitgeberverband Gesamtmetall, 07.04.2022: "Dann droht ein totaler Kollaps der deutschen Industrie."

Christian Kullmann, Präsident Verband der chemischen Industrie, 06.04.2022: "Dann wird aus frieren für den Frieden ganz schnell zittern um die Zukunft."

Auch wenn der Wirtschaftsminister später etwas zurückruderte. Droht tatsächlich die schwerste Krise seit dem 2. Weltkrieg? Wir fragen nach, worauf diese Szenarien basieren. Aber kein Unternehmen, kein Verband kann uns konkrete Zahlen oder Modelle nennen – auch das Bundeswirtschaftsministerium nicht. Die Antworten, allgemein gehalten. BASF zum Beispiel schreibt ein vollständiges Abschalten der Anlagen sei:

Zitat: "… nicht sehr wahrscheinlich, aber leider auch nicht auszuschließen."

Die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie schreibt, die Folgen

Zitat: "… sind unabsehbar und sollten deshalb unbedingt abgewendet werden."

Und ThyssenKrupp verweist auf interne

Zitat: "… Experten (...) sowie Gespräche mit Kunden und Lieferanten."

Was halten führende Wirtschaftsinstitute von solchen Warnungen? Wir fragen nach beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung.

Prof. Alexander Kriwoluzky, Makroökonom, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung: "Die Aussagen, die wir von der Industrie und von den Gewerkschaften hören, kann man als Panikmache einstufen, denn sie kommen nicht aus Modellen, sie kommen nicht aus wissenschaftlichen Ableitungen, sondern es sind Zahlen, die sich teilweise ausgedacht werden bzw. die aus dem Bauchgefühl herauskommen."

Wie stark das Bruttoinlandsprodukt durch ein Energie-Embargo zurückgehen könnte, haben zahlreiche führende Wirtschaftsinstitute in Modellen berechnet. Ein erstes Modell geht von einem Rückgang des Bruttoinlandsproduktes zwischen 0,5 und 3 Prozent aus. Auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung rechnet mit einem Minus von 3 Prozent. Einen Rückgang von 6 Prozent prognostiziert das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung. In der neuen Gemeinschaftsdiagnose rechnen führende deutsche Wirtschaftsinstitute mit einem Einbruch von 2,2 Prozent. Zum Vergleich: Während der Corona-Pandemie 2020 ist das BIP um 4,9 Prozent eingebrochen. Unbestritten – die deutsche Wirtschaft würde stark leiden – doch bei weitem nicht so stark, wie von der Wirtschaftslobby vorgetragen, sagen führende Ökonominnen und Ökonomen.

Prof. Alexander Kriwoluzky, Makroökonom, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung: "Wir haben uns wirklich überlegt, dass wir den worst case, das heißt, den schlimmst möglichen Fall modellieren, dass die fünf energieintensivsten Branchen in Deutschland aufhören werden von einem Tag auf den anderen zu produzieren. Selbst in diesem Fall, der so nicht eintreten wird, kommen wir eben darauf, dass nur drei Prozent – in Anführungszeichen – des Bruttoinlandsprodukts verlustig gehen werden."

Prof. Veronika Grimm, Ökonomin, Wirtschaftsweise, Leopoldina: "Eine Massenarbeitslosigkeit halte ich jetzt nicht für ein realistisches Szenario, einfach deshalb, weil der Staat ja eben durch Kurzarbeitergeld verhindern kann, dass kurzfristig dann Arbeitslosigkeit entsteht, durch Hilfen für die Unternehmen verhindern kann, dass Unternehmen tatsächlich in die Knie gehen bei einem Lieferstopp."

Veronika Grimm und ihre Kolleginnen und Kollegen der Nationalen Akademie der Wissenschaft Leopoldina, gehen davon aus, die Folgen eines Energie-Embargos wären stark aber handhabbar. Die Industrie warnt dagegen vor dem kompletten Zusammenbruch von Lieferketten – wenn Gas als Rohstoff wegfallen würde – zum Beispiel bei Düngemitteln für die Landwirtschaft. Auch hier gibt es Widerspruch.

Prof. Moritz Schularick, Makroökonom, Universität Bonn: "Wir können an jeder Stelle in diesen Liefer- und Produktionsketten auch auf Produkte anderer Anbieter, auf Produkte aus dem Ausland zurückgreifen. Das heißt, wenn wir etwa in Deutschland keinen Dünger mehr herstellen, dann bricht nicht die Landwirtschaft zusammen, sondern wir importieren den Dünger aus Kanada und mit dem Dünger dann die Energie, die in die Herstellung dieses Produkts geflossen ist."

Die Warnungen vor einem wirtschaftlichen Zusammenbruch. Bei der Bundesregierung haben sie offenbar Wirkung erzielt. Mit einem sogenannten "Schutzschild für vom Krieg betroffene Unternehmen" will sie der Wirtschaft unter die Arme greifen. Auch mit direkten Zuschüssen bei zu hohen Energiekosten. Wirtschaftsinstitute kritisieren, das sei genau der falsche Weg.

Prof. Veronika Grimm, Ökonomin Leopoldina Wirtschaftsweise: "Die Zuschüsse zum Energieverbrauch, die sind kontraproduktiv einfach deswegen, weil sie die Unternehmen nicht maximal anreizen, Energie einzusparen. Und das ist natürlich wie Feuer mit Benzin löschen, in einer Situation, wo es dazu kommen kann, dass Gas tatsächlich sehr knapp wird."

Prof. Moritz Schularick, Makroökonom, Universität Bonn: "Alles, was eine schnelle Anpassung der deutschen Industrie an diese neue geoökonomische, geopolitische Situation verlangsamt – und dazu gehört dieser Schutzschild – ist in dieser Hinsicht kontraproduktiv und hilft Putin."

Hilfe für Putin von der Bundesregierung? Weil weiter Gas aus Russland gekauft wird statt Anreize fürs Energiesparen zu setzen? In der Ukraine führt Putin weiter einen verbrecherischen Angriffskrieg. Die Zweifel wachsen dort, ob Deutschland es mit seiner tatkräftigen Unterstützung wirklich ernst meint.

Georg Restle: "Klar, das ist ein hochkomplexes Thema und Vorhersagen für die wirtschaftliche Entwicklung sind immer mit Vorsicht zu genießen. Am Ende ist es dann eine Frage der gesellschaftlichen Abwägung. Wie viel Risiko sind wir hier in Deutschland bereit zu gehen, um Russlands verbrecherischen Krieg nicht weiter zu finanzieren? Sei es direkt oder indirekt."

Kommentare zum Thema

  • Anonym 12.05.2022, 21:10 Uhr

    Oh Olaf ! Du bist so eine beleidigte Leberwurst !

  • Anonym 12.05.2022, 09:28 Uhr

    Die BRD wird aktuell von der schlechtesten Polittruppe in ihrer Historie regiert: Die Einen machen ihre Sache ordentlich (FDP,Grüne) und die anderen versinken im Korruptions- und Bestechungssumpf ( Sozen) !

  • Anonym 04.05.2022, 17:01 Uhr

    Den armen dt. Sozen bleibt aber auch Nichts erspart ! Jetzt haben sie über ihren Kanzler im Nirgendwo auch noch eine Leberwurstdebatte losgetreten !