Folter-Vorwürfe: Inside Israels Haftlager

Monitor 23.05.2024 10:15 Min. Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste Von Hanna Resch, Achim Pollmeier

MONITOR vom 23.05.2024

Folter-Vorwürfe: Inside Israels Haftlager

Tausende Palästinenser sind im Kampf gegen die Hamas seit dem 7. Oktober festgenommen worden. Viele von ihnen werden in das israelische Haftlager Sde Teiman gebracht und sollen dort auf Terrorverbindungen überprüft werden. Doch gegenüber ARD-Reportern erheben Ex-Gefangene, Whistleblower und Augenzeugen schwere Vorwürfe: Sie berichten von massiven Menschenrechtsverletzungen, Missbrauch und Folter durch israelische Sicherheitskräfte.

Von Hanna Resch, Achim Pollmeier

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Georg Restle: "Luftaufnahmen eines geheimen Gefangenenlagers in der Negev-Wüste in Israel. Ein Haftlager, in dem die israelische Armee palästinensische Gefangene misshandelt und gefoltert haben soll. Guten Abend und willkommen bei MONITOR!

Es sind schwere Vorwürfe, die da erhoben werden, auch von israelischen Menschenrechtsorganisationen. Vorwürfe, die im Verdacht gipfeln, dass hinter den Mauern dieses Haftlagers Kriegsverbrechen begangen wurden. Unsere Israel-Korrespondentin Hanna Resch ist diesen Vorwürfen nachgegangen, hat Augenzeugen gesucht und Betroffene. Keine einfache Recherche, denn Journalisten dürfen das Gelände nicht betreten. Dieses Foto hier ist das einzige, das bisher öffentlich geworden ist. Kaum jemand, der hier inhaftiert war, traut sich heute vor die Kamera. Viele sind offensichtlich traumatisiert und haben Angst, dadurch erneut ins Visier zu geraten. Umso erstaunlicher, dass dann doch jemand ganz offen mit uns darüber gesprochen hat."

Unterwegs im Süden Israels, zu einem israelischen Militärcamp. Schwere Menschenrechtsverletzungen sollen hier an der Tagesordnung sein. Der Name des Lagers: Sde Teiman. Hunderte Palästinenser sind hier eingesperrt, ohne jedes Verfahren. Was passiert hinter diesen Mauern? Er kann uns darauf Antworten geben: Sufyan Abu Salah war dort. Als Gefangener unter Terrorverdacht. Jetzt ist er zurück im Gazastreifen, lebt mit seiner Familie in einem Zeltlager. Der Terrorverdacht – aufgehoben. Aber was er in der Haft erlebt hat, wird ihn für den Rest seines Lebens verfolgen. Sein Bein wurde in der Gefangenschaft amputiert.

Sufyan Abu Salah (Übersetzung Monitor): "Ich habe ununterbrochen Schmerzen. Manchmal bitte ich meine Frau, bei mir zu bleiben, weil ich schlimme Träume habe, die ich schon im Gefängnis hatte. Dass mir jemand das zweite Bein auch noch abschneiden will."

Sufyans Leidensweg beginnt am 24. Februar. Eine Militäroperation des israelischen Militärs in Khan Younis. Sufyan und seine Familie hatten Schutz in einer Schule gesucht. Dann wurde die Schule von israelischen Soldaten umstellt. Die Männer müssen sich entkleiden und werden – wie auf diesen Bildern – zu Sammelpunkten gebracht. Sie alle stehen für die israelische Armee zunächst mal unter Terrorverdacht. An der Sammelstelle seien ihnen die Augen verbunden worden, die Hände mit Kabelbindern gefesselt, erzählt Sufyan. Nach Informationen von Hilfsorganisationen wurden Tausende Männer festgenommen und nach Israel gebracht, um dort verhört zu werden – auch Sufyan. Er kommt nach Sde Teiman in der Negev-Wüste in Südisrael. Vor dem 7. Oktober war Sde Teiman ein reines Militärcamp. Danach baute das israelische Militär hier ein Haftlager für Palästinenser. In offenen Verschlägen sollen hier Hunderte Gefangene untergebracht sein. Kein Kontakt nach draußen, nicht mal zu Angehörigen. Erst wenn sich der Terrorverdacht erhärtet, gibt es ein Gerichtsverfahren. Hier wird Sufyan über Wochen festgehalten, abgeschnitten von der Außenwelt. Den ganzen Tag mussten sie auf einer dünnen Matte sitzen oder knien, nachts darauf schlafen, erzählt Sufyan, permanent gefesselt und mit verbundenen Augen.

Sufyan Abu Salah (Übersetzung Monitor): "Sie haben sich über uns lustig gemacht. Es gab Schläge mit Stangen – die Stimmen, die Schreie, das Jammern. Es gab Insassen, die sich aus Schwäche selbst eingenässt haben – aus Angst, großer Angst vor den Hunden, die reingekommen sind. Es waren sehr große Hunde. Sie haben den Hunden gesagt, beißt sie, zerfetzt sie!"

Bei der Verhaftung ist Sufyan am Fuß verletzt worden. Die Wunde entzündet sich – trotz mehrfacher dringender Bitte habe sich niemand darum gekümmert. Wir fahren selbst nach Sde Teiman. Die israelische Armee hat uns zwar bestätigt, dass Sufyan in dem Lager war, weitere Informationen bekommen wir aber nicht. Generell handele man im Einklang mit israelischen Gesetzen und mit dem Völkerrecht. Stimmt das? Was passiert hier wirklich?

Reporterin: "Hello, we're from the Public German Broadcaster."

Eine Drehgenehmigung hatten wir nicht bekommen. Und auch vor Ort kommen wir nicht weiter.

Mann (Übersetzung Monitor): "Ich darf Ihnen nichts sagen. Ich weiß auch nichts über die Gefangenen."

Wir werden weggeschickt. Was im Lager passiert, wie es dort aussieht, soll offenbar geheim bleiben. Der israelischen Zeitung Haaretz wurde allerdings dieses Foto aus dem Haftlager zugespielt, Häftlinge kauern am Boden, vorne ein Mann am Zaun, wie von Sufyan geschildert. Und alle tragen graue Trainingsanzüge. Auch Sufyan hat noch den Anzug aus der Gefangenschaft. Die grauen Trainingsanzüge, in Gaza erkennen sie daran die Rückkehrer aus den israelischen Haftlagern. Immer wieder erzählen sie von Misshandlungen und Verletzungen – unter anderem verursacht von den scharfen Kanten der Kabelbinder, mit denen sie gefesselt worden seien. Alles Einzelfälle? Das Palästinenserhilfswerk der Vereinten Nationen hat die Schilderungen von über 100 Rückkehrern in einem Bericht zusammengefasst. Darin heißt es:

Zitat: "Unter den freigelassenen Häftlingen waren Männer, Frauen, Kinder, ältere Personen, Menschen mit Behinderungen, Verletzungen und Krankheiten. Und sie alle haben über ähnliche Formen von Misshandlungen berichtet..."

Die Sprecherin sieht darin ein systematisches Vorgehen.

Juliette Touma, UNRWA (Übersetzung Monitor): "Menschen erzählten Horrorgeschichten von sehr schlimmen Schlägen, von Verhören bei extrem lauter Musik und anderem Lärm, von Schlafentzug. Sie haben kein Wasser bekommen, es wurde gedroht, sie umzubringen. Und das zeigt ein Muster – und das ist das entscheidende Problem."

Sufyan hofft, dass die Verantwortlichen für all das zur Rechenschaft gezogen werden. Denn sein Leidensweg ging sogar noch weiter. Denn als die Entzündung an seinem Fuß immer schlimmer wird, kommt er in das Lazarett des Haftlagers.

Sufyan Abu Salah (Übersetzung Monitor): "Im Lazarett haben sie uns die Kleidung weggenommen. Sie haben uns Windeln angezogen. Die Pampers aus dem Krankenhaus haben sie uns im Bett angezogen."

Wir bekommen Kontakt zu einem Arzt, der in dem Lazarett-Zelt gearbeitet hat. Er will anonym bleiben.

Arzt (Übersetzung Monitor): "Auf beiden Seiten des Zeltes lagen Patienten, ich würde sagen 15 bis 20. Und alle, die ich gesehen habe, waren gefesselt an Armen und Beinen und die Augen waren verbunden."

Er bestätigt, dass die Patienten im Lazarett allesamt nackt waren und Windeln tragen mussten – mit verbundenen Augen ans Bett gefesselt. Bedingungen, die ihn schockiert haben.

Arzt (Übersetzung Monitor): "Dieses Ausmaß der Entmenschlichung ist für einen Arzt kaum auszuhalten. Ich meine, selbst wenn wir wüssten, dass es sich um Hamas-Kämpfer handelt, sollten sie trotzdem eine menschenwürdige Behandlung bekommen."

Die Ärzte im Feldlazarett hätten seine Wunde ein paar Mal gereinigt und gesagt, es werde alles gut, erzählt Sufyan. Doch das wird es nicht. Tage später wird er in ein ziviles Krankenhaus gebracht und von anderen Ärzten untersucht. Doch sein Bein war bereits so schwer entzündet, dass es amputiert werden musste.

Sufyan Abu Salah (Übersetzung Monitor): "Ich habe geschrien, ich bin ein Zivilist, ich habe nichts zu tun mit Islamischem Jihad oder Hamas oder so. Sie haben mich gefoltert und geschlagen, haben mein Bein drinnen amputiert, und ich weiß nicht mal, warum sie mich verhaftet haben."

Tal Steiner von der israelischen Menschenrechtsorganisation "Committee against Torture" kennt viele solcher Fälle. Doch Klagen gegen die israelische Regierung hätten kaum Aussicht auf Erfolg.

Tal Steiner, Public Committee Against Torture Israel (Übersetzung Monitor): "Die Chancen, dass solche Klagen zum Erfolg führen, sind winzig. Es gibt kein Gesetz in Israel, das Folter ausdrücklich verbietet oder auch nur definiert und ein Strafmaß vorsieht. Aber nach unserer Analyse finden in den Haftlagern eindeutig Misshandlungen und Folter statt. De facto sind das Kriegsverbrechen."

Kriegsverbrechen – ein schwerer Vorwurf, der die israelische Gesellschaft besonders aufwühlt. Noch immer hält die Hamas viele israelische Geiseln in ihren Tunneln gefangen. Doch wie Terroristen mit Menschen umgehen, dürfe eben nicht der Maßstab sein für einen Rechtsstaat, sagt Tal Steiner.

Tal Steiner, Public Committee Against Torture Israel (Übersetzung Monitor): "Seit wann gelten für Israel die Standards der Terrororganisation Hamas? Soll das unsere Richtschnur sein für Moral und Demokratie? Ist das der Staat, in dem wir leben wollen? Meine Standards sind nicht die von Hamas. Und das bedeutet, eine solche Behandlung von palästinensischen Gefangenen aus Gaza ist nicht zu rechtfertigen!"

Nach der Amputation kommt Sufyan direkt wieder ins Feldlazarett und von dort ins Haftlager, erzählt er. Dann – nach 52 Tagen Haft – wird er an einem Grenzübergang im Gazastreifen ausgesetzt. Handybilder vom Tag seiner Freilassung, nicht mal Krücken hat man ihm gegeben. Die Erlebnisse im Haftlager haben Sufyan und seine Familie schwer verstört. Noch hofft er auf Gerechtigkeit – doch seine Chancen sind gering.

Georg Restle: "Das Auswärtige Amt fordert eine lückenlose Aufklärung von der israelischen Regierung. Und auch in Israel werden die Stimmen lauter, die eine Aufklärung der Foltervorwürfe fordern. Stimmen, die auch zeigen, dass man in Israel sehr genau unterscheiden sollte zwischen einer Regierung, die Krieg führt und einer Gesellschaft, in der die Einhaltung der Menschenrechte vielen ein großes Anliegen ist."

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Stand: 23.05.2024, 21:45 Uhr

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38 Kommentare

  • 38 A.F. 24.05.2024, 15:30 Uhr

    Seltsam, israelische SoldatInnen, die von der Hamas gefangen genommen wurden, sind im hiesigen Sprachgebrauch Geiseln, während palästinensische Zivilisten als Gefangene bezeichnet werden. das vermittelt dann eben doch den Eindruck von Rechtsstaatlichkeit gegenüber Terror. Trotzdem danke für den Bericht, hierzulande hört und sieht man ja sonst kaum was von der Hölle, in die Israel die Palästinenser schickt und mit den Palästinensern solidarische Stimmen werden mundtot gemacht. Die freundliche Betrachtung der israelischen Gesellschaft erscheint mir allerdings doch zu rosig. Im Großen und Ganzen stützt sie offenbar den Terror der Armee und der Siedler. Umso größer ist meine Hochachtung vor Menschen, die sich dem entgegen stellen, denn auch sie werden drangsaliert.

  • 36 Helmut Pünner 24.05.2024, 11:41 Uhr

    Das sind Gräueltaten die denen aus der Zeit 1933 - 1945 in Deutschland sehr, sehr ähneln. Wann wird Israel, wann wird Netanjahu endlich dafür zur Rechenschaft gezogen. Es geht nicht an das Israel uns immer noch für schuldige Deutsche erklärt obwohl unsere Generationen längst im Wiedergutmachungsmodus sind und Netanjahu/Israel ähnliche Verbrechen begeht wie einst das Nazi-Deutschland.

  • 35 Siegreich Saebelzahn 24.05.2024, 11:25 Uhr

    ich erlaube mir auf den von dem Journalisten Glenn Greenwald (Ex-Guardian, dort Betreuer von E. Snowden, und Gruender von 'Intercept') beworbenen Film ueber die Siedler in Gaza hin zu weisen: [Link entfernt. Bitte beachten Sie unsere Netiquette – Anm. der Redaktion]

  • 34 nicht von Belang 24.05.2024, 09:35 Uhr

    Danke für die mutige Berichterstattung!

  • 33 Ali 24.05.2024, 09:29 Uhr

    Jeden Tag sehen wir neue Bilder und Bilder sprechen für sich. Wo doch so gut wie die komplette Welt sich einig darüber ist welche Kriegsverbrechen Israel begeht, redet man in Deutschland von Staatsräson.

  • 31 Kottke , Andreas 24.05.2024, 08:49 Uhr

    Unglaublich !!! Und Herr Steinmeiner hat davon nichts gewusst ?? Das sind seine Freunde ?? Aber danke , dass sich endlich einer traut den Mund aufzumachen. Und jetzt reden wir über die 10000 ermordeten Kinder durch Israel !!

  • 30 Dr. Matthias Schilling 24.05.2024, 08:42 Uhr

    Miserabel recherchiert, einseitig berichtet, Beinamputationen erfolgen auch bei uns in Deutschland bei schweren Infektionen. Es gibt nur ein Bild vom Lager, sonst keinen Beweis. Kein Bezug zu den bestialischen Gräueltaten der palästinensischen HAMAS, die ja der eigentliche Grund für den fürchterlichen Krieg ist. Kein Bezug zu den verschleppten unschuldigen Israeli. — Die Art der einseitigen und schlechten Berichterstattung findet man in Deutschland nur noch in der Zeitung mit den vier Buchstaben.

  • 29 Kerstin 24.05.2024, 08:28 Uhr

    Ich finde es erschreckend wie sich unsere Regierung verhält. Das ist nicht mein Land. War es auch nie.

  • 28 Siegreich Saebelzahn 24.05.2024, 08:17 Uhr

    Ich erinnere an das Interview von Gabi Weber vom 13. Dez 23 (zur Doktorarbeit „Verhaftungen durch die Besatzungsmacht im Zuge einer militärischen Besetzung: der palästinensische Fall. Motivation und Legitimität“) Jede Freundin Israels _muss_ dem palaestinensischem Volk Garantien geben und halten, genauso wie dem israelischen. Schluss mit Waffenlieferungen, und Gaza wieder aufbauen.

  • 27 abc 24.05.2024, 08:13 Uhr

    Israel müsste öffentlich angeklagt werden.

  • 24 Tommy 23.05.2024, 23:29 Uhr

    Sehr gute Berichterstattung, die Lob und Respekt verdient. So sollte stets eine objektive Presse- und Medienarbeit aussehen. Informiert, offen und kritisch.