Bericht: Shafagh Laghai
Achim Pollmeier: „Ein Thema, über das im Moment kaum gesprochen wird, ist die Flüchtlingskrise und der Bürgerkrieg in Syrien. Den haben einige Innenminister der CDU diese Woche schon fast für beendet erklärt. Sie wollen eine neue Beurteilung der Sicherheitslage – um möglichst bald nach Syrien abschieben zu können.
Dass dort Regimegegner gefoltert werden und noch immer der so genannte Islamische Staat wütet, stört sie anscheinend nicht. Währenddessen sitzen an Europas Grenzen immer noch zigtausende fest, die aus ihrem Land geflohen sind. Zum Beispiel im Flüchtlingslager MORIA. Es liegt auf der griechischen Insel Lesbos und ist sowas wie das Bollwerk der EU an ihrer Außengrenze zur Türkei. Immer wieder hört man Berichte über schlimme Zustände in dem Lager – doch der Zutritt ist streng verboten. Shafagh Laghai ist trotzdem reingegangen.“
Lesbos - Ende November. Seit Tagen Dauerregen. Viele Flüchtlinge sollen hier, nahe diesem 1000-Seelen-Dorf, festsitzen.
Von einem Hügel aus sehen wir das Flüchtlingscamp. Moria. Eigentlich ist Moria für 2000 Menschen gemacht. Doch zurzeit leben 6500 Flüchtlinge hier. Sie stehen gerade Schlange. Für die Essensausgabe. Es gibt nie genug für alle, hören wir.
Wir würden uns gerne ein eigenes Bild von der Lage machen. Doch das Camp gleicht einer Festung. Seit Monaten wird Journalisten der Zutritt verweigert. Warum? Wie sieht es hinter den Zäunen aus?
Wir entscheiden, heimlich reinzugehen. Ich mit Kopftuch. Wir drehen verdeckt, mit Handies.
Die Enge ist bedrückend. Weil es keinen Platz mehr in den Containern gibt, wohnen Tausende Menschen in kleinen Sommerzelten. Zu sechst, sogar zu acht. „Bitte zeig unser Elend“, sagen sie mir. Doch viele haben Angst, offen zu sprechen.
Es sind viele Frauen und Kinder hier. Die Kleinen haben oft nicht mal Jacken. Nachts sind es zurzeit nur 5 Grad. Es fehlt an allem. An Essen, an Ärzten, an Platz.
„Schau dir mal mein Buch an“, sagt dieses Mädchen. Es ist ein Supermarkt-Prospekt. Schulen gibt es auch nicht in Moria.
Atefeh traut sich, mit mir zu sprechen. Sie ist aus Afghanistan geflohen, nachdem ihr Vater bei einem Bombenanschlag getötet wurde.
Atefeh: „Die geben uns ständig das gleiche Essen. Wenn man überhaupt was bekommt. Und der Reis ist ungekocht. Ich vertrage das gerade so. Aber ich kann doch meinen Kindern keinen ungekochten Reis geben.“
Sie hätten den Krieg in Syrien überlebt, erzählt diese Frau doch das hier, das sei auch kein Leben. Offen vor der Kamera sprechen will sie nicht darüber. Das Schlimmste sei, dass ihr keiner sage, ob und wann es für sie weitergeht. So geht es Tausenden hier.
Moria spielt eine zentrale Rolle im EU-Türkei-Deal. Der Plan war: Die Flüchtlinge sollten hier registriert und dann am besten zurück in die Türkei geschickt werden. 25 Tage sollten sie hier bleiben. Höchstens.
Doch das funktioniert nicht. Keiner will zurück in die Türkei. Und alle stellen einen Antrag auf Asyl.
Diese Bilder zeigen Menschen, die darauf warten, dass ihre Anträge bearbeitet werden. Doch es gibt nicht genügend Personal.
Und so geht es für die Menschen weder vorwärts noch rückwärts. Und Familien werden zerrissen. So wie bei Amine. Sie will nur von hinten gefilmt werden. Amine hat zwei Söhne hier bei sich im Camp, 16 und 17 Jahre alt. Und sie hat zwei Söhne in Deutschland. Sie haben alle einen Antrag auf Familiennachzug gestellt. Sie dürfte vielleicht nach Deutschland, aber ihre beiden Söhne hier haben ein No - ein Nein - bekommen. Nun weiß Amine nicht, für welche Söhne sie sich entscheiden sollte. Sie könne doch nicht ihre Kinder in Moria alleine zurück zu lassen.
Es gibt viele, die schon seit über einem Jahr hier sind und das hier aushalten müssen. Da sind zum Beispiel die Toiletten. Vier Container mit Toiletten gibt es. Für 6500 Menschen wohlgemerkt. Der Gestank ist unerträglich. Die Duschen sehen nicht besser aus. Das Wasser ist eiskalt. Aber das sei nicht mal das größte Problem.
„Es gibt nur vier Stunden Wasser am Tag und schau wie schmutzig die Duschen sind“, sagt diese Frau.
Alles muss schnell gehen. Sich und die Kinder waschen, die Kleidung. Trinkwasser in Plastikflaschen füllen - alles, bevor das Wasser wieder abgedreht wird. Es sind Zustände, die krank machen. Körperlich und seelisch.
Sechs bis sieben Selbstmordversuche gebe es - pro Woche, sagt ein aktueller Bericht der Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“.
Emilie Rouvroy, Ärzte ohne Grenzen: „Die psychische Verfassung vieler ist beunruhigend. Manche Flüchtlinge kommen an und sie sind psychisch ok. Aber diejenigen, die in Moria länger bleiben, die werden dort erst psychisch krank.“
Die Hoffnungslosigkeit schlägt oft in Wut um. Dieses Video wird uns zugespielt. Nachts kommt es in Moria oft zu Kämpfen. Syrer gegen Kurden. Iraker gegen Afrikaner - jeder gegen jeden.
Die Situation muss dringend entschärft werden - fordern auch die Bewohner von Lesbos. Der Bürgermeister der Insel hat zum Generalstreik aufgerufen. Touristen kämen kaum noch. Sie fordern, dass die Flüchtlinge auf andere Landesteile umverteilt werden.
Spyros Galinos, Bürgermeister Lesbos: „Das was wir und ganz Lesbos verlangen, ist, dass die Flüchtlinge von der Insel aufs Festland gebracht werden. Auf dem Festland gibt es Camps mit genügend Platz. Und hier steht das Leben der Menschen auf dem Spiel. Das ist inakzeptabel.“
Auf Nachfrage teilt uns die EU-Kommission mit: Laut EU-Türkei-Abkommen könnten Flüchtlinge erst auf das Festland, wenn ihre Asylanträge angenommen seien. Wer nicht akzeptiert werde, müsse wieder zurück in die Türkei, direkt von den Inseln.
Und es gibt noch einen Grund: Frans Timmermans, der EU-Vize-Kommissar, sagte kürzlich einer griechischen Zeitung:
Migranten müssen auf den Inseln bleiben, trotz der Schwierigkeiten. Sie auf das Festland umzusiedeln, würde eine falsche Botschaft senden und eine Welle von Neuankömmlingen erzeugen.
Barbara Lochbihler (B`90/Die Grünen), EU-Abgeordnete: „Die Botschaft an die Flüchtlinge in so einem Lager wie Lesbos, die Verhältnisse dort, ist eigentlich ganz klar. Wir wollen euch nicht und wenn ihr kommt, dann behandeln wir euch nicht gut. Wir wollen auch nicht, dass ihr kommuniziert, in Europa kann man als Flüchtling Schutz suchen und wird human behandelt.“
Schlechte Behandlung, um Flüchtlinge abzuschrecken? Moria wird trotzdem voller und voller. Und weil drinnen kein Platz mehr ist, werden Neuankömmlinge mittlerweile draußen, vor dem Camp untergebracht.
Hier gibt es gar kein fließendes Wasser, sagt Mahdi. Nicht mal auf den Klos. Mahdi ist vor einem Monat aus dem Irak hierhergekommen. Er zeigt uns, wo sie sich hier draußen waschen können: etwa 300 Meter durch einen Hain, da haben sie einen Wasserschlauch entdeckt.
Mann: „Der Winter kommt! Wir leiden! Und dann?!“
Und dann - könnte das wieder passieren. Diese Bilder zeigen Moria im vergangenen Jahr.
Mann: „Schau, schau, so leben wir hier“, sagt der Bewohner. „Die halten uns hier wie die Tiere. Ist das normal? Welche Logik hat das?“
Es ist die Logik der EU-Flüchtlingspolitik. Im letzten Winter sind in Moria fünf Menschen gestorben.
Achim Pollmeier: „An Orten wie Moria entscheidet sich, was die europäische Flüchtlingspolitik an Menschenwürde übrig lässt.“
Kommentare zum Thema
Es ist unmenschlich, was wir( ich fühle mich mitverantwortlich, weil auch ich Politikern eine Stimme gegeben habe, die nur Worte ohne Taten, verkünden) diesen Menschen an tun! EUROPA IST KEINE FRIEDENSINITIATIVE
hallo "K.L"..... Menschen streben in unterschiedliche Richtungen und jeder Einzelne der Kommentatoren denkt, er! hätte den Masterplan. Politiker und Journalisten wiegeln auf der Erde die Volksmassen auf? In Deutschland übernimmt das die AfD. Ergo... Auf Herrn Gauland, Herrn Meuthen, Frau Weidel, Frau Storch ( steuert weiterhin immer mehr nach ihrem Parteitag a la Höcke) sollten die Bürger Deutschlands allerdings auch Kontrolle ausüben. Gleiches Recht für alle Bürger Deutschlands!!!!! ___ Sie haben eine interessante Ansicht über die Demokratie (für mich, persönlich). In Deutschland kann jeder fast alles sagen. Politiker und Journalisten sind Brückenbauer, keine Spalter (die sitzen nur in der AfD. Eine Partei mit null Lösungen).
Nachtrag,mind. 3 mal wurden große Teile des Flüchtlingslagers Moria von Flüchtlingen mit voller Absicht niedergebrand!Man versucht das EU Türkei Flüchtlingsabkommen einzuhalten.Ein Großteil soll eigentlich wieder in die Türkei gebracht werden.Das klappt nur nicht richtig.Würde man die Flüchtlinge aufs Festland bringen,wären sie bald in Deutschland,dass will man vermeiden. Sonst haben wir ganz schnell wieder Zustände wie 2015! Das es nur stundenweise Wasser gibt ist auf der Insel normal.Vielen Flüchtlingen in Moria geht es ganz gut(beheizete Wohncontainer und Zelte usw.) Laut dem zuständigen Minister wird schon mehr Verpflegung und Material nach Moria geliefert.An einer Unterbringung in Hotels und Schiffen wird längst gearbeitet. Neue Lager bzw. der Ausbau dieser wurde von den Bürgermeistern verhindert und unmöglich gemacht.Frauen und Kinder kommen im Winter immer in beheizte Zelte bzw. Hotels. Ab dem 15.12 soll es Änderungen geben.Es gibt schon 800 Asyl-Sachbearbeiter vorher 300.