MONITOR vom 19.01.2017

Flüchtlingsdeal mit Libyen: Brutale Milizen als Partner Europas?

Bericht: Nikolaus Steiner

Flüchtlingsdeal mit Libyen: Brutale Milizen als Partner Europas? Monitor 19.01.2017 06:21 Min. Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste

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Georg Restle: „Obergrenzen, Abschiebehaft, sichere Herkunftsländer. Die Flüchtlingsdebatte kannte in den letzten Wochen nur noch eine Richtung: Hauptsache raus! Worüber wir kaum noch sprechen, der grausame Tod tausender Menschen im Mittelmeer. Erst letzte Woche starben wieder Hunderte vor der Küste Libyens. Im vergangenen Jahr erreichte die Zahl einen traurigen Höhepunkt - mehr als 4.000 Menschen wurden 2016 tot aus dem Mittelmeer geborgen. Um den Fluchtweg Libyen zu blockieren, ist der Kanzlerin und der Europäischen Union jetzt offenbar jedes Mittel Recht - sogar ein Deal mit hochkriminellen Vereinigungen. Nikolaus Steiner über unsere neuesten Partner in der Flüchtlingspolitik.“

Unterwegs mit den neuen Partnern der EU. Die libysche Küstenwache von Zuwara nimmt uns mit auf Patrouille, hält Ausschau nach Flüchtlingsbooten. 162.000 Menschen sind im vergangenen Jahr von Libyen nach Europa gekommen.

Sprecher der Küstenwache (Übersetzung Monitor): „Die Ausbildung auf den EU-Schiffen ist sehr gut, wir lernen dort viele Fähigkeiten. Es geht dabei auch um nachrichtendienstliche Informationsbeschaffung, um Kommunikation und technische Dinge. Aber primäres Ziel bleibt natürlich die Bekämpfung der Migration.“

Wir wollen wissen, wer sind diese neuen Partner? Im August unterzeichnete die EU einen Deal mit der libyschen Küstenwache und Marine. Die vertrauliche Vereinbarung liegt MONITOR vor. Ein zentraler Auftrag der Küstenwache lautet demnach:

Zitat: „… Strafverfolgung auf See, besonders um Migrantenschmuggel und Menschenhandel von und nach Libyen zu verhindern.“

Seit Oktober werden deshalb Angehörige der libyschen Küstenwache ausgebildet. Aber in Libyen herrscht Bürgerkrieg, eine richtige Regierung gibt es nicht. Hunderte Milizen ringen um die Vorherrschaft. Wer oder was ist also die libysche Küstenwache? Bastian Voigt war im Oktober für die Organisation „Sea-Watch“ als Retter im Mittelmeer im Einsatz - in internationalen Gewässern. In einer Nacht entdeckte die Crew ein wackeliges Schlauchboot. Zunächst verlief alles ruhig, erzählt er, bis bewaffnete Einheiten der libyschen Küstenwache auftauchten.

Bastian Voigt, Rettungsorganisation „Sea-Watch“: “Wir konnten dann beobachten, dass das libysche Schiff halt rückwärts an das Flüchtlingsboot ranmanövriert ist und sehr nah an den Bug rangefahren. Und genau an der Stelle ist dann später der Schlauch von dem Boot auch geplatzt. Und dann nach einigen Minuten ist das libysche Patrouillenboot einfach im Dunkeln verschwunden. Also die haben tatsächlich ihr Licht dann auch ausgeschaltet und sind mit hoher Geschwindigkeit weggefahren.“

Es kommt zur Panik, Menschen fallen ins Wasser. Vier Leichen werden die Retter in dieser Nacht bergen, wie viele genau umgekommen sind, wissen sie nicht. Die libysche Küstenwache habe die Menschen ihrem Schicksal überlassen - vorsätzlich, so Seawatch. Und es habe noch mehr Fälle gegeben, in denen Rettungseinsätze massiv behindert worden seien, so die Organisation.

Ruben Neugebauer, Rettungsorganisation „Sea- Watch“: „Wir hören auch immer wieder davon, dass die libysche Küstenwache von den Schleppern bestochen wird, dafür, dass sie dann bestimmte Boote durchlassen. Also wir gehen davon aus, dass sie da relativ direkt in dieses Business mit eingebunden sind.“

Sind Teile der libyschen Küstenwache in kriminellen Netzwerken aktiv?

Judith Sunderland, Human Rights Watch (Übersetzung Monitor): „Es ist sehr wahrscheinlich, dass genau die libyschen Beamten, die jetzt von der EU ausgebildet werden, Kontakte zu Milizen haben, die im Menschenschmuggel aktiv sind, oder die Geld von Schleppern genommen haben. Die sich also an dem Leid der Migranten persönlich bereichert haben.“

Ein Vorwurf, der laut UN für die gesamte Küstenwache zutrifft. Denn es gebe Hinweise, dass …

Zitat: “… Mitglieder der libyschen Küstenwache mit bewaffneten Gruppen, Schmugglern und Menschenhändlern zusammengearbeitet haben, um Profit mit Migranten zu machen.“

Kriminelle Menschenschmuggler als Partner? Ein Interview bekommen wir nicht. Schriftlich heißt es vom Verteidigungsministerium und Auswärtigem Amt:

Zitat Bundesregierung: „Kandidaten, die die Auswahl und Sicherheitsanforderungen nicht erfüllen (…) können jederzeit abgelehnt werden oder müssen die Ausbildung abbrechen.“

Aber auch die Bundesregierung weiß, dass einige Angehörige der Küstenwache schwere Straftaten begangen haben. August 2016: Das Rettungsschiff „Bourbon Argos“ von „Ärzte ohne Grenzen“ wird angegriffen. In einer vertraulichen Antwort hat sich die Bundesregierung zu diesem Vorfall explizit geäußert:

Zitat: „Nach Kenntnis der Bundesregierung wurde das Schiff BOURBON ARGOS außerhalb der libyschen Hoheitsgewässer durch ein mit vier Angehörigen der Libyschen Küstenwache besetztes Schnellboot angegriffen und anschließend aufgebracht.“

Wieso setzt die EU auf eine so zweifelhafte Gruppe wie die libysche Küstenwache? Was steckt dahinter? Wenn Flüchtlinge im Mittelmeer in internationalen Gewässern gerettet werden, müssen sie an einen sicheren Ort gebracht werden. Die libysche Küstenwache dagegen bringt die Menschen direkt ins Bürgerkriegsland Libyen zurück.

Judith Sunderland, Human Rights Watch (Übersetzung Monitor): „Das vorrangige Ziel ist, dass die Libyer die Boote stoppen, bevor sie die libyschen Hoheitsgewässer verlassen. Denn das passt zur Strategie der EU, zu verhindern, dass die Menschen die EU erreichen. Man könnte sagen, dass die EU versucht, dass die libysche Küstenwache und Marine das dreckige Geschäft für sie machen.“

Die Flüchtlinge, die von der libyschen Küstenwache zurückgebracht werden, landen dann in solchen Flüchtlingsgefängnissen. Laut den Vereinten Nationen rechtsfreie Räume, oftmals von Milizen kontrolliert. Insgesamt sei die Lage von Flüchtlingen in Libyen katastrophal, so die UN. Es gebe: „willkürliche Festnahmen, Folter, Hinrichtungen, sexuelle Ausbeutungen und viele andere Menschenrechtsverletzungen.“

Barbara Lochbihler (Bündnis90/Grüne), außen- und menschenrechtspolitische Sprecherin EU-Parlament: „Dort sind Menschenrechtsverletzungen, Zwangsarbeit, also sklavenähnliche Verhältnisse für die Flüchtlinge an der Tagesordnung, seit mehreren Jahren. Da darf man nicht dazutun, dass die Küstenwache diese Flüchtlinge dann wieder nach Libyen zurückbringt.“

Menschenleben im Mittelmeer retten ist das erklärte Ziel der Bundesregierung. Die Realität in Libyen sieht anders aus.

Georg Restle: „Ein Flüchtlingsdeal mit Menschenhändlern und Folterknechten? Darüber müsste eigentlich gesprochen werden. Auch wenn sich kaum jemand in diesem Land dafür zu interessieren scheint.“

Kommentare zum Thema

  • Marina Heckmann 31.01.2017, 05:25 Uhr

    Das ist schlimm. Aber können wir so viele Flüchtlinge human versorgen und integrieren, mit Zuzugsrecht? Flüchtlinge aus dem Irak und Afghanistan sollte man mit der Transall Herrn Trump bringen. Ein Afghane z. B. , der im amerikanischen Militärlazarett in Afghanistan tätig war (verfolgt vom IS) hat vier Jahre lang versucht, trotz Besitz aller gültigen Papiere, eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen. Abgelehnt!!! Dann hat er das Schlauchboot nach Europa genommen!!!

  • Miriam S 26.01.2017, 13:54 Uhr

    "Flüchtlingsdeal mit Menschenhändlern und Folterknechten? " was sagt das über diejenigen, die diese deals aushandeln? die Anwort mag sich jeder selbst geben...

  • Miriam S 26.01.2017, 13:45 Uhr

    Partnerschaften ergeben sich doch nur unter Gleichgesinnten und was sagt uns das hier?