MONITOR vom 08.12.2016

Ob Köln oder Freiburg: Die Angst vor dem Flüchtling als Täter

Bericht: Lutz Polanz, Achim Pollmeier, Adrian Oeser, Sammy Khamis

Ob Köln oder Freiburg: Die Angst vor dem Flüchtling als Täter Monitor 08.12.2016 07:12 Min. Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste

Georg Restle: „Silvester 2015 in Köln: Fast ein Jahr sind diese Bilder jetzt alt. Bilder von blankem Chaos einer Nacht, die diese Republik verändert hat. Guten Abend und Willkommen bei Monitor. Junge Männer, vor allem aus Nordafrika, die Frauen bestohlen, sexuell belästigt und gedemütigt haben. Über tausend Anzeigen, Ermittlungsverfahren - und kaum Verurteilungen. Das sind die nüchternen Fakten der Kölner Silvesternacht, wie sie bis heute bekannt sind. Darüber hinaus gibt es jede Menge Geschichten. Geschichten, die vor allem von denen erzählt werden, die daraus politisches Kapital schlagen wollen. Wofür also steht die Kölner Silvesternacht und wofür steht sie nicht?“

Der Kölner Hauptbahnhof in dieser Woche. Keine großen Vorkommnisse, die Polizei demonstriert Präsenz. Fast ein Jahr ist sie nun her, die Silvesternacht, mit der vieles anders wurde. Als die Angst vor kriminellen Flüchtlingen das ganze Land erfasste. Und jetzt ist die Angst zurück. Freiburg: Vergewaltigung und Mord, mutmaßlich durch einen Flüchtling aus Afghanistan. Bochum: Zwei Vergewaltigungen, wieder mutmaßlich ein Flüchtling. Und schon wieder wird Stimmung gemacht - der Flüchtling als Gewaltverbrecher.

Jörg Meuthen (AfD), Sprecher Bundesvorstand: „Wenn sie unkontrolliert hunderttausende junger Männer in dieses Land einreisen lassen - unbegleitet - dann ist es naheliegend, dass irgendwann auch mal so etwas passiert.“

Wären keine Flüchtlinge in Deutschland, dann gäbe es die Taten nicht. Das stimmt. Doch das Argument könnte man auf jede Bevölkerungsgruppe anwenden. Die Fakten: Laut Bundeskriminalamt ist die Zahl der mutmaßlich durch Zuwanderer begangenen Straftaten im ersten Halbjahr 2016 um 36 Prozent gesunken. Der Anteil der Sexualdelikte an diesen Straftaten beträgt gerade mal 1,1 Prozent. Tötungsdelikte 0,14 Prozent. Übrigens, fast alle Opfer vollendeter Tötungsdelikte waren Nichtdeutsche.

Sebastian Fiedler, Bund Deutscher Kriminalbeamter: „Ich will mal ganz allgemein sagen, dass die polizeiliche Erkenntnislage insgesamt an keiner Stelle hergibt, dass Flüchtlinge aus Kriegsgebieten, aus politischer Verfolgung, in welcher Form auch immer, mehr in Erscheinung treten bei der Polizei als zum Beispiel deutsche Tatverdächtige. Das Gegenteil ist der Fall, sie sind unterrepäsentiert in der Statistik und das gilt auch und gerade für die Frage von Sexualdelikten, Tötungsdelikten, Gewaltdelikten oder viel mehr.“

Die „Bedrohung“ durch Flüchtlinge, für viele wurde sie hier trotzdem real. In der Kölner Silvesternacht wurden massenhaft Frauen beraubt und sexuell erniedrigt. Die, die es ja schon immer gesagt hatten, holten jetzt richtig aus.

Dominik Roeseler: „Die Massenvergewaltigung durch arabische und nordafrikanische Moslems.“

Björn Höcke: „Und es kann kein Zweifel geben, Merkel ist schuld am Fanal von Köln.“

Nicht nur die Rechtspopulisten fühlten sich bestätigt - im ganzen Land drehte sich die Stimmung. Das Kölner Silvester-Chaos, der arabische Sexmob - und immer wieder die Behauptung, es habe massenhafte Vergewaltigungen gegeben, zu denen sich die Täter auch noch verabredet hätten.

Ulrich Bremer, Staatsanwaltschaft Köln: „Davon ist im Kern nichts übrig geblieben. Es hat keine tausend Vergewaltigungen gegeben. Angezeigt wurden 28 versuchte und vollendete Vergewaltigungen. Darunter aber kein Fall einer Vergewaltigung, wie man sie sich im typischen Sinne vorstellt, also eines nicht einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs. Der ist in keinem Fall angezeigt worden. Und zur Frage der Verabredung ist das ein Punkt, der stand am Anfang im Raum, hat sich aber durch die Ermittlungen in keiner Weise bestätigen lassen.“

Was wirklich passierte - auch ein Jahr nach Silvester, ist vieles noch unklar. Die Aufarbeitung hat gezeigt, dass es auch an Fehlern der Polizei lag, dass der Abend überhaupt so eskalieren konnte. Den Opfern hilft das nicht. Ihre Anzeigen sprechen von Diebstahl, sexueller Beleidigung, Vergewaltigung - durch Ausländer. 1.200 Anzeigen - schon die bloße Zahl hat die Silvesternacht zum Überereignis gemacht. Nach Neujahr flaute das Anzeigenaufkommen zunächst ab. Erst als die große Medienberichterstattung einsetzte, stieg das Anzeigenvolumen wieder deutlich an - insgesamt drei Viertel aller Anzeigen gingen danach ein. In der öffentlichen Wahrnehmung machte das diese Nacht noch monströser.

Prof. Thomas Feltes, Kriminologe, Universität Bochum: „Hier sind viele Anzeigen erstattet worden, die vielleicht ansonsten nicht erstattet worden wären. Das heißt, ich weiß nicht, wie viele Taten beispielsweise bei einem typischen Kölner oder Düsseldorfer oder Mainzer Karnevalsumzug in diesem Bereich sich ereignen, bin mir aber relativ sicher, dass dort 80 bis 90 Prozent nicht angezeigt werden. Und wenn sie angezeigt werden, zumindest nicht in diesen Dimensionen dann diskutiert werden.“

Was von der juristischen Aufarbeitung übrig bleibt, zeigt sich hier. Amtsgericht Köln am Dienstag. Sexuelle Übergriffe können den Beschuldigten meist nicht nachgewiesen werden, hier geht es um Diebstahl. Dieser Beschuldigte ist Algerier und schon mehrfach wegen Diebstählen aufgefallen. Vor Jahren kam er nach Europa, 2014 über Italien nach Deutschland. Auch das gehört zu den Fakten der Silvesternacht: Fast alle Verurteilten sind Kleinkriminelle aus Nordafrika - Kriegsflüchtlinge sind sie nicht. Menschen aus den Maghreb-Staaten, also Marokko, Algerien und Tunesien machen nur 0,15 Prozent an der Bevölkerung in Deutschland aus. Ihr Anteil an den Tatverdächtigen für Straftaten liegt bei 1,4 Prozent. Im Verhältnis ist das viel, verglichen mit der Zahl aller Tatverdächtigen trotzdem überschaubar. Richtig ist, laut polizeilicher Kriminalstatistik begehen Ausländer mehr Straftaten als Deutsche. Und die Flüchtlinge? Was ist mit Syrern, Afghanen, Irakern, die im letzten Jahr nach Deutschland kamen? Das Bundeskriminalamt schreibt dazu:

Zitat: „Im Vergleich zu ihrem Anteil an der Gruppe der Zuwanderer war der Anteil von Syrern, Afghanen und Irakern an der Gruppe der Tatverdächtigen deutlich niedriger.“

Fakten die schnell verblassen, wenn es um persönliche Erlebnisse und Ängste geht. Wenn Kriminalität von Flüchtlingen zum pauschalen Argument wird gegen Migration und Einwanderung.

Prof. Armin Nassehi, Soziologe, Universität München: „Objektive Daten sagen uns ziemlich eindeutig, dass die Flüchtlingssituation in Deutschland nicht zu einer Erhöhung von Kriminalität geführt hat und das Land nicht wirklich unsicherer geworden ist. Aber das Gefühl lässt sich offenbar leicht bedienen. Als ginge es tatsächlich um Schwarz und Weiß für Einwanderung oder gegen Einwanderung. Anstatt kontrovers zu diskutieren, wie wir sowohl mit der Flüchtlingskrise als auch mit zukünftiger Einwanderung umgehen sollten.“

Die Bedrohung durch Flüchtlinge? Trotz aller Prophezeiungen ist es seit dem letzten Silvester am Kölner Hauptbahnhof ziemlich ruhig geblieben.

Georg Restle: „Die Opfer der Kölner Silvesternacht waren vor allem Frauen. Aber auch der Hass gegen Flüchtlinge ist infolge dieser Nacht deutlich angestiegen. 884 Anschläge auf Flüchtlingseinrichtungen gab es 2016 bis jetzt. Auch das gehört zur Bilanz dieses Jahres.“

Kommentare zum Thema

  • Giggi 11.08.2023, 07:49 Uhr

    „Monitor“ ist das Sprachrohr eines verbitterten Linksextremisten.

  • Lisa 29.08.2017, 16:44 Uhr

    1. Es geht in dem MONITOR-Bericht nicht um die Verharmlosung von Sexualstraftaten, sondern um die gefährliche Mischung mit rassistischen Stereotypen. 2. Das Problem heißt noch immer Rassismus. 3. Sexuelle Gewalt ist nicht tolerierbar. 4. Es gab in Köln auch eine Demonstration von Flüchtlingen, die sich gegen Gewalt an Frauen ausgesprochen haben! Aber das interessiert den deutschen Mob mal wieder nicht!

  • Hydro 16.12.2016, 10:16 Uhr

    Es ist unmöglich, diese Verhöhung der Opfer von Köln. Und das von den Öffentlich Rechtlichen! Kein wunder das Sie weiter Glaubwürdigkeit einbüßen !