MONITOR vom 07.06.2018

Feindbild Russland: Wie der Westen die Konfrontation verschärft

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Bericht: Nikolaus Steiner, Frank Konopatzki

Feindbild Russland: Wie der Westen die Konfrontation verschärft

Monitor 07.06.2018 08:50 Min. Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste

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Georg Restle: „Die Lage der Menschenrechte oder die militärische Intervention in der Ukraine - es gibt sicher viel, wofür man Russlands Regierung und seinen Präsidenten kritisieren kann und muss. Und trotzdem stellt sich die Frage, ob Deutschland und Europa Russland nicht viel dringender brauchen als je zuvor. Vor allem, wenn es um die Konflikte der Zukunft geht. Das Problem daran, in den letzten Jahren ist jede Menge Vertrauen zerstört worden, und dafür ist beileibe nicht nur Russland verantwortlich. Im Gegenteil. Die jüngere Geschichte zeigt: Es war vor allem der Westen, der im Siegesrausch des Kalten Krieges russische Interessen immer wieder ignorierte - und daraus offensichtlich nichts gelernt hat, oder nichts lernen will. Und das bis heute. Nikolaus Steiner.“

Die NATO demonstriert Stärke: Seit Montag üben fast 5.000 Soldaten für den Kriegsfall in der Ostsee. Gleichzeitig läuft in Litauen das US-Manöver „Saber Strike“: 18.000 Soldaten trainieren für den Bodenkrieg. Eine Demonstration militärischer Macht in Richtung Russland. Säbelrasseln in angespannten Zeiten.

Donald Trump, US-Präsident (25.05.2017) (Übersetzung Monitor): „Wir müssen hart, stark und wachsam sein. Die NATO der Zukunft muss sich vor allem auch um die Bedrohungen durch Russland und an den östlichen und südlichen Grenzen der NATO kümmern.“

Russland - einer der größten Feinde des Westens? So steht es zumindest in der Nationalen Verteidigungsstrategie der USA. Die NATO werde „Russlands Abenteurertum“ verhindern, heißt es hier. Und: Russland sei mittlerweile eine der größten Bedrohungen für die Sicherheit und den

Wohlstand der USA.

Prof. Götz Neuneck, Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik, Universität Hamburg: „Es wird rhetorisch, aber auch real aufgerüstet. Und das ist die Rhetorik des Kalten Krieges. Das ist der Beginn eines Wettrüstens, das ist eine Situation, in der man sich auch mit neuen Waffensystemen bedroht.“

Schuld an der neuen Konfrontation sei Russland, sagt die NATO. Erst die Annexion der Krim, dann das militärische Eingreifen in der Ostukraine. Russland sei ein Aggressor und bedrohe Europa, heißt es. Die Folge: Beide Seiten rüsten auf - aber mit extremem Ungleichgewicht. Russlands Militärausgaben liegen aktuell bei etwa 66 Mrd. Dollar pro Jahr. Allein die Ausgaben der NATO-Staaten Großbritannien, Frankreich und Deutschland liegen bei rund 158 Mrd. Dollar. Und die aller europäischen NATO-Staaten zusammen sogar bei etwa 275 Mrd. Dollar. Wenn die europäischen NATO-Staaten künftig - wie angekündigt - 2 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts ins Militär stecken, würden ihre Ausgaben, Stand heute, auf ungefähr 380 Mrd. steigen. Gemeinsam mit dem immensen Budget der Amerikaner lägen die NATO-Ausgaben dann etwa 15-mal so hoch wie die aktuellen von Russland. Eine immense Aufrüstung, von Abrüstung ist schon lange keine Rede mehr.

Prof. Götz Neuneck, Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik, Universität Hamburg: „Es hat auch in den dunklen Zeiten des Kalten Krieges trotzdem Verhandlungen über die Abrüstung strategischer Streitkräfte gegeben. Die gibt es nicht mehr. Man redet nicht mehr miteinander und jegliche Versuche, Vorschläge zu machen, wie in Zukunft strategische Rüstungskontrolle aussieht, werden mehr oder weniger negiert. Das heißt, man schaukelt sich hoch, ohne gleichzeitig ein Forum und einen Dialog aufzubauen.“

Foren und Dialoge, die es schon mal gab. Beispiel KSE-Vertrag. Der Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa sollte eine militärische Konfrontation zwischen Ost und West vermeiden. 1990 wird damit diplomatische Geschichte geschrieben.

Prof. Andreas Heinemann-Grüder, Friedensforschungsinstitut BICC: „Das war ein Vertrag, mit dem man ein hohes Maß an wechselseitigem Vertrauen geschafft hat. Die Russen konnten an NATO-Manövern teilnehmen, unangekündigt Besuche abstatten, wenn irgendwo Truppenbewegungen stattfanden; umgekehrt, NATO-Offiziere konnten mit kurzer Vorankündigung auf russisches Territorium gehen.“

Doch ein paar Jahr später dann die Kehrtwende: Die NATO verlangte weitere Zugeständnisse von Russland. Eine Anpassung des Vertrags platzte: Russland ratifizierte, doch die NATO-Staaten weigerten sich.

Prof. Andreas Heinemann-Grüder, Friedensforschungsinstitut BICC: „Da ist meines Erachtens historisch die NATO selber mit schuld. Heute würden wir froh sein, wenn wir diesen Vertrag hätten.“

Oder der ABM-Vertrag: Er begrenzte das Aufstellen von Raketenabwehrsystemen. 1972 wurde er zwischen den USA und der Sowjetunion unterzeichnet. Dadurch blieb das atomare Gleichgewicht bestehen. Über Jahrzehnte funktionierte das gut, sagen Experten - bis die Bush-Administration an die Macht kam.

George W. Bush, US-Präsident (13.12.2001) (Übersetzung Monitor): „Ich habe heute Russland formell mitgeteilt, dass die Vereinigten Staaten von Amerika aus dem fast 30 Jahre alten Vertrag aussteigen werden.“

Der ABM Vertrag - aufgekündigt. Der Grund: Die USA wollten ein Raketenabwehrsystem in Osteuropa aufbauen - gegen massive Proteste aus Moskau. 2016 wird ein solches System in Rumänien feierlich eingeweiht. Russland befürchtet, es könnte vom Westen mit Raketen angegriffen werden, ohne die Möglichkeit, zurückschlagen.

Horst Teltschik, ehem. Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz: „Also war für die Russen klar, das richtet sich gegen uns. Ja, das reduziert unsere eigenen Möglichkeiten, eine Balance zu halten, eine strategische Balance zu halten. Dann hat man versprochen, Russland wird einbezogen in die Entwicklung eines solchen Raketenabwehrsystems. Ist nie erfolgt.“

Wieder wurden russische Sicherheitsinteressen ignoriert. Das Vertrauen zwischen Ost und West schwand - und die NATO wurde immer größer: Seit dem Ende der Sowjetunion sind 13 osteuropäische Staaten der NATO beigetreten, zuletzt Montenegro vergangenes Jahr. Länder wie die Ukraine und Georgien sind immer noch offizielle Beitrittskandidaten. Und das, obwohl Russland schon seit Jahren immer wieder deutlich macht, dass es sich durch die Erweiterungen massiv bedroht sieht.

Wladimir Putin, russischer Präsident (10.02.2007) (Übersetzung Monitor): „Es ist offensichtlich, dass es bei der NATO-Erweiterung nicht um Modernisierung oder um die Sicherheit Europas geht. Im Gegenteil, das ist eine ernstzunehmende Provokation, die gegenseitiges Vertrauen zerstört.“

Zerstörtes Vertrauen - Immer wieder, auch im UN-Sicherheitsrat. 2011 ging es hier um eine Resolution zum Bürgerkrieg in Libyen. Zum Schutz der Zivilbevölkerung. Russland blockierte sie nicht, machte aber deutlich, dass man keinen gewaltsamen Regime-Wechsel in Libyen wollte. Genau der fand dann aber statt, NATO Jets starteten zum Angriff. Der libysche Diktator Gaddafi, ein Verbündeter Moskaus, wurde ausgeschaltet. Das Land versank im Chaos. Russland fühlte sich vom Westen hintergangen. Der Schutz der Zivilbevölkerung habe nur als Vorwand für den Regime-Wechsel gedient, hieß es.

Prof. Andreas Heinemann-Grüder, Friedensforschungsinstitut BICC: „Weil die Russen gesagt haben, wir erkennen eigentlich die Schutzverantwortung an und haben insofern sich damals der Libyen-Resolution ja gar nicht entgegengestellt, sondern es gibt ja ein legitimes Schutzinteresse der Bevölkerung, die bedroht wird von Gaddafi. Aber wir geben keine Carte Blanche für einen Regimewechsel. Dafür ist es missbraucht worden. Und dann haben sie gesagt, wir werden so etwas wie das Chaos in Libyen, das werden wir in Syrien nicht zulassen.“

Der Krieg in Syrien. Russlands Unterstützung für den Diktator Assad. Für viele Fachleute ist es auch eine Reaktion auf den Vertrauensbruch des Westens in Libyen. Aber was heißt das für die Zukunft? Die zentrale Frage lautet: Wie kann auf beiden Seiten wieder Vertrauen hergestellt werden?

Prof. Andreas Heinemann-Grüder, Friedensforschungsinstitut BICC: „Wir brauchen Russland bei Regionalkonflikten, wir brauchen Russland in Bezug auf Syrien, in Bezug auf Iran brauchen wir es, wir brauchen Russland in Bezug auf Rüstungskontrolle. Sie müssen auch ein bisschen über diese aktuellen Konflikte hinausdenken und sagen, wir haben eigentlich eine gemeinsame Agenda im 21. Jahrhundert.“

Der Testfall heißt Iran. Hier wollen sowohl Europa als auch Russland das Atomabkommen retten, um eine Eskalation im Nahen Osten zu verhindern. Eine gemeinsame Linie gegen die USA? Im Moment schwer vorstellbar. Aber vielleicht ist es ein erster Schritt zu neuem Vertrauen mit einem schwierigen Partner.

Georg Restle: „Säbelrasseln auf beiden Seiten. Heute drohte Putin im russischen Staatsfernsehen der Ukraine unverhohlen: Sollte es während der WM zu ukrainischen Angriffen auf russische Separatisten im Osten des Landes kommen, werde das sehr schwere Folgen für die ganze ukrainische Staatlichkeit haben. Klingt alles andere als beruhigend.“

Stand: 05.06.2018, 15:26 Uhr

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33 Kommentare

  • 33 Aufgeklärter Bürger 22.03.2022, 17:41 Uhr

    Eine gegenseitige Aufrechnung zur Höhe der Militärausgaben sagt zu wenig über das Angriffs- oder Verteidigungspotential von Streitkräften aus. Die a ...weiterlesen

    • Unaufgeklärter Bürger 26.04.2022, 18:39 Uhr

      Komisch nur, dass Nato-Osterweiterung einen Krieg offenbar (Fakt!!!) nicht verhindert hatte. Es sieht sogar danach aus, dass ausgerechnet wegen der ...weiterlesen

  • 29 Ein neuer Krieg gegen Russland wirkt wie Selbstzerstörung 30.06.2018, 18:45 Uhr

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