Fachkräfte-Mangel: Bloß keine Flüchtlinge?

Monitor 08.06.2023 09:12 Min. UT Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste Von Andreas Maus, Luisa Meyer

MONITOR vom 08.06.2023

Fachkräfte-Mangel: Bloß keine Flüchtlinge?

Deutsche Minister:innen reisen gerade um die Welt, um für Fachkräfte zu werben. Dabei sind bereits Tausende qualifizierte Menschen in Deutschland. Menschen, die hier eine Ausbildung gemacht haben oder sogar bereits einen Arbeitsplatz haben. Doch sie werden in der Reform des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes nicht berücksichtigt. Ihnen wird verboten zu arbeiten, manchen droht sogar die Abschiebung.

Von Andreas Maus, Luisa Meyer

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Georg Restle: "Das Bild, das sie hier hinter mir sehen, zeigt eine äußerst ungewöhnliche Demonstration; die Bewohner eines Alten- und Pflegeheims demonstrieren lautstark dafür, dass eine ihrer beliebtesten Pflegekräfte nicht aus Deutschland abgeschoben wird. Leider kein Witz. Während das Land händeringend nach Pflegekräften sucht und der Bundesarbeitsminister sogar persönlich bis nach Brasilien reist, um Pflegekräfte anzuwerben, schicken deutsche Ausländerbehörden Menschen zurück in ihre Herkunftsländer, nur weil sie "auf falschem Wege" eingereist sind, nämlich nicht als Arbeitskräfte, sondern als Asylbewerber. Das alles ist die absurde Folge eines deutschen Ausländerrechts, das immer noch auf Abschottung setzt, statt auf Einwanderung. Andreas Maus und Luisa Meyer. "

Sie gehen auf die Barrikaden. Für viele Pflegekräfte und Bewohner des Seniorenheims Haus Rosental ist es die erste Demo ihres Lebens. "Sali muss bleiben!" Vor dem Ausländeramt in Bergheim machen sie ihrem Ärger Luft, dass einer Pflegehelferin die Abschiebung droht.

Ruth Flöck: "Vor allen Dingen, wo sie die ganze Ausbildung hat und alles gemacht hat, ist das doch sehr, sehr bitter, dass das so eiskalt abgeschmiert wird."

2. Frau: "Es wär wirklich eine Sünde, wenn sie sie abschieben würden, ne."

Und das ist Sali - wie sie hier alle nennen im Bonner Seniorenheim. Salimatou Diallo. die jetzt Angst hat, abgeschoben zu werden. Der 90-jährigen Ruth Flöck ist sie ans Herz gewachsen.

Ruth Flöck: "Wie sie ist? Unheimlich aufmerksam und hilfsbereit und sieht überall, wenn was ist, springt direkt ein und so."

Salimatou Diallo: "Ich bin gut mit den Bewohnerinnen und den Kolleginnen, das macht mich ganz froh."

Bis hierhin war es ein langer Weg. Salimatou Diallo ist vor knapp vier Jahren aus Guinea hierher geflohen, hat inzwischen eine einjährige Ausbildung zur Pflegehilfskraft gemacht und einen unbefristeten Arbeitsvertrag. Dann vor einem halben Jahr die Ablehnung - kein Asyl. Für einen Aufenthaltstitel oder eine längerfristige Duldung erfülle sie die Voraussetzungen nicht, müsste ausreisen. Für die 27-Jährige ein Schock.

Salimatou Diallo: "Das ist so anstrengend für mich mit der Ausländerbehörde und immer mit dem Druck. Ich habe Angst, ich kann nicht gut schlafen."

Das hat auch mit diesem Schreiben der Ausländerbehörde zu tun. Heimleiter Peter Gauchel ist fassungslos. Salimatou Diallo soll innerhalb kürzester Zeit fließend Deutsch sprechen - auf B2-Niveau, mit Prüfung. Sie soll unterschreiben: Wenn sie das nicht schafft, müsse sie sich verpflichten, Deutschland freiwillig zu verlassen."

Zurück bei der Demo. Jetzt lässt sich auch Landrat Frank Rock blicken.

Peter Gauchel, Heimleiter: "Wir haben die Schnauze voll und wir wollen, Sali muss bleiben! Sali muss bleiben!"

Und Heimleiter Peter Gauchel macht klar, was er vom Ultimatum der Behörde hält.

Peter Gauchel, Heimleiter: "… bis zum 31.8. einen 400- oder 500-Stunden-Kurs hinzulegen. Wie soll sie das denn bitte schön machen? Wir haben eine Kollegin, die heult sich jeden Tag die Augen aus, ist seit wenigen Jahren hier in Deutschland, hat bei uns im Hause eine Ausbildung gemacht, Und Ihre Behörde? Deren Auskunft ist immer, es gibt keine Rechtsgrundlage dafür, dass sie bleiben darf."

Der Landrat rechtfertigt das Vorgehen seiner Behörde.

Frank Rock, Landrat: "Und das tut auch weh, wenn wir das Ausländerrecht im Grunde genommen anwenden müssen. Was nicht ein Ausländerrecht der Kreisverwaltung des Rhein-Erft-Kreises ist, sondern das Ausländerrecht der Bundesregierung."

Alles eine Frage des deutschen Ausländerrechts? Wie kann das sein, dass man es Menschen wie Salimatou Diallo so schwer macht? Sie abschieben will, obwohl sie hier arbeitet? Absurd - gerade in dieser Woche ist Arbeitsminister Heil in Brasilien unterwegs, um Pflegekräfte für Deutschland zu gewinnen. Da anwerben, hier abschieben? Wie geht das zusammen? Das liege daran, dass das Recht ganz klar abgrenzt: zwischen Asyl und Arbeitsmigration, sagt die Fachanwältin für Migrationsrecht Anna Fröhlich.

Anna Frölich, Fachanwältin für Asyl- und Ausländerrecht: "In Deutschland gibt es schon seit Jahrzehnten diese strikte Trennung zwischen Asylbewerbern, die hier einreisen und Schutz suchen, und anderen Ausländern, die zur Arbeit oder über den Weg der Arbeitsmigration hierhergekommen sind. Und man schafft es nicht, über diese Klippe zu springen."

Wegen dieser Trennung sind Menschen wie Salimatou Diallo von den sicheren Aufenthaltstiteln für Arbeitskräfte aus dem Ausland ausgeschlossen. Um das zu ändern, bräuchte es den sogenannten "Spurwechsel". Damit etwa Geduldete in der Ausbildung oder mit Job schnell in ein sicheres Bleiberecht wechseln können; in Teilen verspricht das sogar der Koalitionsvertrag. Rund 250.000 Geduldete leben in Deutschland. Viele könnten davon profitieren. Dieser "Spurwechsel" hätte eigentlich ins neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz gehört, sagt die Migrationsforscherin Naika Foroutan. Doch jetzt sei im Entwurf davon - bis auf kleine Verbesserungen - keine Rede.  Ein Versäumnis.

Prof. Naika Foroutan, Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung:"Das führt dazu, dass genau diese Personen, die eben im Gesetz nicht adressiert werden, möglicherweise eine große Gruppe wären, die den Mangel an Arbeitskräften, mit denen wir gerade konfrontiert sind, auf einem anderen Weg als über einen neuen Zuzug abdecken könnten."

Ulf Rinne, Wirtschaftswissenschaftler, Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit: "Wenn da Bürokratie im Weg steht, ist das schlecht. Aus ökonomischer Sicht ist klar, diese Menschen sollten arbeiten und das sollte nicht von ihrem Aufenthaltstitel abhängig sein."

Der falsche Aufenthaltstitel? Für Muhammad Goraya bedeutet das, er darf hier nicht mehr arbeiten, obwohl er hier dringend gebraucht wird. Trotzdem besucht er regelmäßig seinen ehemaligen Chef Anton Hoft in einer Passauer Backstube. Fast vier Jahre lang hat er hier Brot und Brezeln gebacken.

Muhammad Goraya: "Jederzeit, wenn ich komme hierher, die Kollegen, oh, wo bist du? Wann kommst du? Wir vermissen dich!"

Muhammad Goraya ist aus Pakistan geflüchtet. Seit zehn Jahren ist er in Deutschland und hat sich im Betrieb hochgearbeitet, sogar andere noch angeleitet. Doch letzten Oktober verlängerte die Ausländerbehörde seine Duldung nicht und entzog ihm die Arbeitserlaubnis.

Muhammad Goraya: "Ich habe immer gearbeitet. Ich will nicht arbeitslos sein oder so etwas. Naja, ohne Arbeit ist das Leben scheiße, gefällt mir nicht."

Anton Hoft: "Es ist tatsächlich absurd bzw. man kann es schlichtweg nicht verstehen, weil wir Fachkräftemangel haben. Und die, die nicht arbeiten dürfen, aber wollen und engagiert sind und sich integrieren, werden da die sämtlichen Mittel abgewiesen."

Von einem auf den anderen Tag war die Bäckerei eine wichtige Arbeitskraft los. Muhammad Goraya ist verzweifelt, hat täglich Angst vor einer Abschiebung. Warum er nicht bleiben darf? Die zuständige Ausländerbehörde teilt uns dazu unter anderem mit: Herr Goraya sei vor zehn Jahren mit gefälschten Dokumenten eingereist und sei deshalb wegen "Urkundenfälschung" zu 210,- Euro Strafe verurteilt worden. Außerdem habe er seinen Reisepass nicht ausgehändigt und 'keine Integrationsleistungen' erbracht. Deshalb ist er ausreisepflichtig."

"Keine Integrationsleistungen"? Dem widerspricht Reinhard Smolina energisch. Der pensionierte Lehrer ist gehbehindert. Muhammad Goraya wohnt bei ihm und kümmert sich im Alltag um den 83-Jährigen.

Reinhard Smolina: "Der Herr Goraya ist der einzige Helfer, den ich habe. Und plötzlich soll es nicht mehr gehen und er soll raus. Weil ein Paragraph sowieso, Artikel sowieso, Absatz sowieso dagegen spricht. Das ist für mich nicht nachvollziehbar."

Claus-Ulrich Prölß, Kölner Flüchtlingsrat: "Wenn Ausländerbehörden mit Geduldeten zu tun haben, ist immer noch der Blick da, dass es hier um Ausreisepflicht geht, dass die Person potenziell eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt. Das ist ja der Blickwinkel des Aufenthaltsgesetzes als Teil des Ordnungs-Rechts. Man sieht eben nicht mehr die einzelnen Menschen, man sieht nicht mehr ihre Potenziale."

Auch bei Salimatou Diallo scheint es die Behörde nicht wirklich zu interessieren, welches Potenzial sie hat.

Salimatou Diallo: "Ich bin integriert, ich habe einen Beruf gelernt - als Pflegefachassistentin. Ich habe schon alles gegeben, was ich geben kann."

Die Seniorinnen aus dem Haus Rosenthal wollen die Hoffnung nicht aufgeben - und weiterkämpfen: Für ihre Sali!

Georg Restle: "Abschiebung von dringend benötigten Arbeitskräften. So oder so ist Deutschland gerade drauf und dran, seine Zukunft zu verspielen im globalen Wettbewerb um Fach- und Arbeitskräfte.

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Stand: 09.06.2023, 10:15 Uhr

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21 Kommentare

  • 21 Anonym 16.06.2023, 10:26 Uhr

    Dieser Kommentar wurde gesperrt, weil er gegen unsere Netiquette verstößt. (die Redaktion)

  • 20 Ernst 15.06.2023, 18:04 Uhr

    De facto ist es so, daß Migranten aus Schwellenländern so ungebildet und bildungsfern sind, daß sie bestenfalls als Niedriglohnjobber zu gebrauchen wären. Dann verdienen sie aber nicht mehr als Bürgergeld, so daß sie keinen Anreiz haben, überhaupt zu arbeiten, wenn es Bürgergeld bereits gratis gibt. Auch das hat die dumme Ampel durch die Erhöhung des Bürgergeldes für alle weltweit zu vertreten ! Wir wissen doch inzwischen Alle, daß wir aktuell von der historisch dümmsten Regierung in BRD zum Affen gemacht werden . So ist das eben, wenn gefordert wird, daß "Kinder an die Macht " sollen und das auch noch realisiert wird !

  • 19 B Elfert 14.06.2023, 10:14 Uhr

    Ja schade wenn man die Dame doch braucht.Soll man Sie doch arbeiten lassen.Es sind sooo viele Gäste im Land EU die nicht arbeiten wollen und wenn auf die Uhr schauen wann kann ich gehen.Ich bin selber mit einem Flüchtling verheiratet haben 7 schlimme Jahre hinter uns .Aber ist alles gut und er bleibt bei mir

  • 18 Anonym 12.06.2023, 07:44 Uhr

    Dieser Kommentar wurde gesperrt, weil er diskriminierend ist. (die Redaktion)

  • 17 Michael Peter 10.06.2023, 16:22 Uhr

    Sehe ich genauso. Wenn ich jeden Rechtsbruch durch nachgelagertes Wohlverhalten heilen kann, führt sich der Rechtsstaat ad absurdum. Die Vermischung der zugegebenermaßen schlechten Situation im Pflegebereich mit der Problematik der illegalen Migration, dient nur einer durch fehlgeleiteten Humanismus motivierten Masseneinwanderung von Personen, die keinerlei Gründe für politisches Asyl haben, und damit nicht nur schon jetzt unser Land überfordern, sondern unser Land weiter spalten und destabilisieren.

  • 16 Dr. Eckhard Pfister 09.06.2023, 20:27 Uhr

    Im Forum gibt es ein Schwarzes Loch⚫. Kommt vom anthropogenen CO2😉

  • 15 Heinz-Jürgen Siebert 09.06.2023, 12:08 Uhr

    der Beitrag war m.E. sehr einseitig. So gesehen hat man natürlich Sympathie für das Anliegen. Die zuständige Behörde hat doch aber auch ihre Argumente, warum die Dame nicht hierbleiben kann. Und diese Argumente wurden nicht vertieft. Die Behörde macht das ganze doch nicht aus Jux und Dollerei sondern weil sie gesetzlichen Zwängen unterliegt. Und diese Zwänge hätte ich gerne auch vertieft dargestellt bekommen. Ich war mal Beamter; und da interessieren einen immer die Argumente beider Seiten.

  • 14 Antje Herbst 09.06.2023, 08:58 Uhr

    Vielen Dank für diesen wichtigen Beitrag! Wann wird die Politik hier endlich umdenken?

  • 13 Frank Eggert, 58 Jahre 09.06.2023, 00:44 Uhr

    Sie greifen sich eine Person raus, welche sich anscheinend integriert hat und vor der Abschiebung steht und bauschen das Thema auf! Wenn Sie auch nur im Ansatz die Intension hätten, eine vernünftige Berichterstattung zu machen, dann hätte man auch die 300000 Personen erwähnen können, die ausreisepflichtig sind, aber nicht abgeschoben werden, Dank der inkonsequenten Politik, darunter Serienstraftäter, welche immer wieder verurteilt und danach auf freien Fuß gesetzt werden, da gibt es in Berlin einen ganzen Haufen davon. Von den 2015 Geflüchteten in unser Land sind nur gut 30% in sozialpflichtigen Tätigkeit, der Rest liegt in der sozialen Hängematte, auch diese Fakten haben es leider nicht in Ihre Sendung geschafft. Ich habe innerhalb der letzten 2 Jahrzehnte nicht mehr eine so einseitige Sendung gesehen, das ist der schwarze Kanal 2.0 und treibt immer mehr Leute in die Arme der AfD, so einfältig sind die Zuschauer nicht, dass sie Ihr Schmierentheater nicht erkennen würden, unterirdisch!

  • 12 Aga Bellwald 08.06.2023, 22:44 Uhr

    Was ist denn das für eine bescheuerte Politik? Das verstehe, wer will. Aber sicher niemand, der noch alle Tassen im Schrank hat. Ich hoffe, dass es für alle, die von dieser dummen Regelung betroffen ist, eine Lösung gibt.

  • 11 Migrant 08.06.2023, 22:31 Uhr

    Deutscher Wahnsinn, leider nicht erst seid gestern. Ständig wird vo. Asylanten gefordert, das sie arbeiten und sich integrieren sollen. Wenn sie es tatsächlich tun, auch in Bereichen mit Mangel, werden sie nicht etwa belohnt, sondern abgeschoben! Was für Signal ist das: „Wenn Du Asylant bist, strenge Dich bloss nicht an, denn wenn Du es tust, wirst Du abgeschoben. Da sind Betriebe froh, das sie endlich Mitarbeiter haben, welche Arbeiten wollen, andere sogar anleiten. Alles Punkte für eine günstige langfristig gute Sozialprognose, da wird diesen Menschen die Arbeitserlaubnis entzogen und von Abschiebung bedroht. Gleichzeitig wird weltweit um Personal geworben. Wie wäre es, zuerst den Menschen die schon da sind und arbeiten wollen, eine Perspektive zu ermöglichen und keine Drehtür aufzumachen.