Monitor Nr. 622 vom 14.07.2011

Eurokrise: Wie Hedgefonds gegen Südeuropa wetten

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Bericht: Achim Pollmeier, Kim Otto

Eurokrise - wie Hedgefonds gegen Südeuropa wetten

Monitor 14.07.2011 09:03 Min. Verfügbar bis 06.06.2999 Das Erste

Moderation Monika Wagener: "Und jetzt zum Euro. Man schaut in seinen Geldbeutel und fragt sich, wie stabil wird mein Geld wohl morgen noch sein? Denn die Meldungen überschlagen sich. Griechenland, Portugal, Irland, Italien - in atemberaubender Geschwindigkeit gerät ein Euroland nach dem anderen in den Sog der Krise. Und man fragt sich, ob das alles Schicksal ist oder ob da jemand ganz massiv versagt hat? Und da haben wir uns an die letzte Finanzkrise erinnert, die doch allen eine Lehre sein sollte. War sie leider nicht und das kommt uns jetzt in der Eurokrise teuer zu stehen. Achim Pollmeier und Kim Otto mit unbequemen Wahrheiten."

Endspiel um den Euro. Europas Politiker kämpfen um die Gemeinschaftswährung und darum, einen Finanzcrash zu vermeiden. Immer größere Euroländer stehen im Fokus von Banken und Hedgefonds. Überall verzweifelte Versuche, die Lage zu beruhigen. Universität Erfurt, Seminar zur Finanzmarktpolitik. Prof. Helge Peukert diskutiert mit seinen Studenten schon lange nicht mehr, ob uns ein nächster Crash bevorsteht, sondern nur noch, wann er kommt. Denn die gefährlichsten Brandbeschleuniger der letzten Krise hat die Politik noch immer nicht entschärft.

Portraitfoto von Prof Helge Peukert

Prof Helge Peukert, Finanzwissenschaftler

Prof. Helge Peukert, Finanzwissenschaftler Universität Erfurt: "Die nächste Krise kommt, weil wir es versäumt haben, wesentliche Strukturreformen durchzuziehen. Dazu gehört einerseits eine deutliche Beschränkung des Schattenbanksystems, was nicht passiert ist. Dazu gehört zweitens, die nach wie vor exorbitante Macht der Rating-Agenturen. Und dazu gehören zum Beispiel solche Phänomene wie Kreditausfallversicherungen, mit denen man auch einiges Unheil anrichten kann."

Ein Crash mit Ansage. Die Nachrichten von Morgen, sie könnten etwa so aussehen:

Szenario 2012: "Was mit der europäischen Schuldenkrise begann, ist mittlerweile die weltweit größte Finanzkrise aller Zeiten geworden."

Szenario 2013: "Es wird befürchtet, dass nun auch in Deutschland Bankkunden die Schalter stürmen, um ihre Einlagen abzuziehen."

Szenario 2014: "Noch immer rätseln die Aufsichtsbehörden über das Volumen der Kreditausfallversicherungen, die durch die Krise jetzt fällig werden."

Mehr als 20 Jahre lang arbeitete Thierry Philipponnat in der Finanzindustrie. Er handelte mit Derivaten wie Kreditausfallversicherung, kurz CDS. Heute kämpft er darum, dass ein Großteil dieser Finanzderivate einfach verboten wird.

Portraitfoto von Thierry Philipponnat

Thierry Philipponnat, Finance Watch

Thierry Philipponnat, Finance Watch (Übersetzung MONITOR): "Der größte Teil der Kreditausfallversicherungen wird gar nicht genutzt, um etwas zu versichern, sondern um zu spekulieren und auf alles Mögliche zu wetten."

Ein Beispiel: Wenn eine Bank einem Staat Geld leiht, kann sie bei einem Dritten eine Kreditausfallversicherung abschließen, kurz ein CDS. Dieser Dritte muss zahlen, wenn der Staat Pleite geht und der Kredit ausfällt. Das Absurde: Auch Finanzakteure, die diesen Kredit gar nicht vergeben haben, können trotzdem Kreditausfallversicherungen darauf abschließen, sie wetten auf den Bankrott des Staates.

Thierry Philipponnat, Finance Watch (Übersetzung MONITOR): "Das ist, als wenn ich eine Feuerversicherung auf das Haus meines Nachbarn abschließe. Dann bekomme ich Geld, wenn das Haus meines Nachbarn brennt. Und dann habe ich ein Interesse daran, dass das Haus meines Nachbarn brennt. Und im nächsten Schritt helfe ich dann, das Feuer zu legen."

Was das bedeutet, erfahren gerade Euro-Staaten wie Griechenland, Portugal, Italien. Untersuchungen zeigen, je mehr mit Kreditausfallversicherungen gegen ein Land gewettet wird, desto höher steigen erst die Prämien der Versicherungen und dann die Kreditzinsen für die Ländern - ein Teufelskreis.

Prof. Helge Peukert, Finanzwissenschaftler Universität Erfurt: "Das führte dazu, dass der Verschuldungsgrad der Staaten zum Teil drastisch gestiegen ist. Das führte dazu, dass sie zum Teil ein schlechteres Rating bekamen. Infolge dessen mussten sie höhere Zinsen für ihre Staatsanleihen zahlen. Und da haben sich dann wiederum die Banken gefreut, die höhere Gewinne einfahren konnten."

Milliarden-Gewinne für Banken und Hedgefonds - auch dank Spekulationen mit CDS. Egal, ob in Griechenland, Portugal, Irland oder jetzt Italien - die Kreditausfall-Versicherungen sind fast immer ein gefährlicher Brandbeschleuniger. In Brüssel baut Thierry Philipponnat gerade die Organisation Finance Watch auf - als Gegenmacht zu den 700 Lobbyisten der Finanzbranche. Die Forderung: Kreditversicherungen, die nur der Spekulation dienen, sollen verboten werden. Bisher weiß man aber noch nicht mal, wer überhaupt damit spekuliert. Das wollte man längst ändern.

Portraitfoto von Angela Merkel

Angela Merkel, Bundeskanzlerin

Angela Merkel, Bundeskanzlerin, 05.05.2010: "Und deshalb werden wir uns mit Nachdruck für weitere Regulierungsmaßnahmen bei Derivaten, bei Hedgefonds und Leerverkäufen in Europa und weltweit einsetzen."

Was ist aus diesem Versprechen geworden? Berlin Ende Juni. Im Bundestag treffen sich die Größen der Finanzbranche mit der Regierung. Es geht um die Eurokrise und den Stand der Finanzmarktregulierung. Selten hat man Jochen Sanio, Chef der Bafin, Deutschlands oberster Finanzaufsicht - selten hat man ihn so frustriert erlebt. Von der Öffentlichkeit fast unbemerkt lässt er seinem Ärger freien Lauf, weil CDS noch immer kaum reguliert sind.

Portraitfoto von Jochen Sanio

Jochen Sanio, Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstaufsicht

Jochen Sanio, Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstaufsicht: "Im griechischen Umfeld haben wir die äußerst interessante Frage - die wir nicht beantworten können - wer hat auf Griechenland Credit Default Swaps, wie es so schön in der Umgangssprache heißt, geschrieben? Also stellt die Versicherung dar, wer hat sie gekauft? Und das macht mir am meisten Sorgen. Wenn ich als Regulierer, als in dem Falle als operativer Aufseher sagen muss, es gibt Bereiche, in denen es dort dunkle Flecken gibt, von denen keiner weiß, was dort passiert."

Dunkle Flecken, von denen keiner weiß, was passiert. Und davon gibt es noch mehr. Ein Szenario:

Szenario 2012: "In New York hat heute Morgen der drittgrößte amerikanische Hedgefond Insolvenz angemeldet."

Szenario 2013: "Dies könnte auch dramatische Auswirkungen auf Deutschland haben."

Szenario 2014: "Experten hatten jahrelang vor solchen Schattenbanken gewarnt. Die Politik hat sich allerdings nicht auf eine gemeinsame Regelung einigen können."

New York, immer noch Zentrum des Weltfinanzsystems - und Zentrum der Schattenbanken. Das sind in der Regel milliardenschwere Hedgefonds. Wenig reguliert, kaum kontrolliert - im Schatten eben. Sie machen Geschäfte, die normalen Banken verboten sind. Und darum ist die Branche sehr verschwiegen. Einer spricht mit uns: Richard Robb. Sein Fonds ist ein guter Partner deutscher Großbanken. Denn für sie hat er etwas Besonderes im Angebot: Ein Instrument, mit dem sie den aktuell wichtigsten Schritt zur Regulierung gleich wieder aushebeln können: die verschärften Eigenkapitalvorschriften.

Portraitfoto von Richard Robb

Richard Robb, Hedgefond CRC

Richard Robb, Hedgefond CRC (Übersetzung MONITOR): " Mein Fonds hilft Banken dabei, Kreditrisiken aus ihren Büchern heraus zu Investoren außerhalb des Bankensektors zu verlagern. So werden die Risikopositionen der Bank verringert, und die Bank muss weniger Eigenkapital halten."

Es geht um die Kreditrisiken, die eine Bank in ihren Büchern hat. Je mehr Risiko, desto mehr Eigenkapital muss die Bank halten, um sich gegen den Kreditausfall abzusichern. Die Banken wollen das Geld aber lieber gewinnbringend anlegen. Deshalb dieser Deal: Gegen eine deftige Gebühr übernimmt der Hedgefonds die Kreditrisiken - und die Bank muss weniger Eigenkapital halten. So werden die Vorschriften der Finanzaufsicht ausgehebelt und die Risiken landen im unregulierten Reich der Schattenbanken. Und woher haben die Hedgefonds das Geld für solche Geschäfte? Allzu oft wieder von den Banken, denn die Hedgefonds versprechen höchste Renditen. Und ihr Geschäft boomt. Auf dem größten Finanzmarkt der Welt, in den USA, haben Schattenbanken inzwischen ein Volumen von 16 Billionen Dollar, größer und mächtiger als der eigentliche Bankensektor.

Thierry Philipponnat, Finance Watch (Übersetzung MONITOR): "Das macht volkswirtschaftlich überhaupt keinen Sinn, jeder sieht doch, dass das ein geschlossener Kreislauf ist. Der eine kauft von den Banken Kreditrisiken mit Geld, das er sich vorher von den Banken geliehen hat. Und wenn der Kredit dann ausfällt und das Risiko Wirklichkeit wird, ist für beide Seiten die Wahrscheinlichkeit gleich null, dass sie die Sache überstehen."

Nochmal im Berlin im Bundestag. Der Chef der Finanzaufsicht hält die Schattenbanken für eine der derzeit größten Bedrohungen - aber er kann nichts unternehmen.

Jochen Sanio, Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstaufsicht: "Es ist weltweit momentan kein Konsens darüber herstellbar, diesen Bereich richtig so anzugehen, wie den regulierten. Und es kann ja wohl nicht sein, dass wir mit den Schultern zucken, wenn sich einige Pappenheimer dann in den unregulierten Bereich verabschieden."

Commerzbank und HypoVereinsbank geben auf Anfrage von MONITOR zu, Kreditrisiken an Hedgefonds ausgelagert zu haben. Die Deutsche Bank beantwortete unsere Fragen nicht.

Thierry Philipponnat, Finance Watch (Übersetzung MONITOR): "Wenn man sich die Gewinne von großen Banken - nicht allen, aber vielen großen Banken anschaut, dann ist völlig klar, dass diese Gewinne von Spekulation, Handeln und Wetten kommen. Solange sich unser Finanzsystem nicht auf die Realwirtschaft konzentriert, steuern wir auf immer mehr Probleme zu."

Unser Wohlstand, der Euro, ganze Volkswirtschaften sind bedroht, weil die Politik nicht handelt. Währenddessen machen Banken und Hedgefonds wieder Rekordgewinne. Kasino Fatal.

Moderation Monika Wagener: "Sie haben es gehört, 700 Lobbyisten der Finanzbranche allein in Brüssel. Die haben dann wohl ganze Arbeit geleistet."

Stand: 25.02.2014, 12:13 Uhr

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