MONITOR vom 08.07.2021

EURO 2020: Scheiterhaufen der Moral

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Bericht: Jochen Leufgens, Robert Kempe, Sandra Schmidt

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Georg Restle: "Jetzt aber erst mal zum großen Fußballfest, der EURO 2020, die am Sonntag mit dem Finale zu Ende geht. Ein großes Fest, ja – fragt sich nur für wen? Für den Sport oder für‘s Geschäft? Oder eher für die Pandemie, die sich in übervollen Stadien – wie gestern in London – fast ungehemmt ausbreiten kann? Ein Fest, jedenfalls nicht für die Menschenrechte, nicht für Vielfalt und Toleranz und all die anderen Werte, die sich die UEFA so gerne auf die Fahnen schreibt. Das ist uns dann doch einen Kommentar wert. Jochen Leufgens, Robert Kempe und Sandra Schmidt."

Es ist die hochprofitable Lebenslüge des Sports, seine Großveranstaltungen seien Hochämter des Humanismus. Auch hier, bei der ersten paneuropäischen EM in elf Ländern. Nicht weniger als ein "Leuchtfeuer der Hoffnung" auf baldige Normalität, so UEFA-Boss Aleksander Čeferin. Der mit seiner EM Rekordeinnahmen plante. 2,1 Milliarden Euro, 20 Prozent davon durch Tickets. Massenevents trotz Corona. So wurde sein Leuchtfeuer der Hoffnung zum Scheiterhaufen der Moral, wurde die paneuropäische zur pandemischen EURO. 2.000 Schotten, 400 Finnen, insgesamt Menschen aus sieben Ländern infiziert. Sieben Spiele in St. Petersburg, wo gerade etwa 100 Menschen täglich an COVID-19 sterben. Acht Spiele in London, Inzidenz gerade 220, bei EURO-Beginn gut 60. Maskenpflicht und Abstandsregel abgeschafft, ausgerechnet als die Zuschauerzahl stieg. Selbsttests reichen zum Einlass – für 60.000. London beugte sich dem Druck der UEFA.

Prof. Gunter Gebauer,  Institut für Philosophie, FU Berlin: „Sie haben ein Monopol darüber, wer dieses Spiel bekommt, als Austragungsstätte, und wer an diesem Spiel teilnehmen kann und welche Sanktionen möglicherweise erlassen werden, wenn jemand das Spiel nicht mitmacht."

Der Sport erzählt gerne von Tragödien und Triumphen – einfache Narrative in einer komplexen Welt. Schafft so einen Wohlfühlort, der kaum hinterfragt wird. Das macht ihn anfällig für die, die ihn instrumentalisieren. Wie seine UEFA, oder deren Freunde. Einer der besten: Viktor Orbán. Er war sogar im Gespräch, das Finale zu bekommen, solange London noch nicht die UEFA-Forderungen erfüllt hatte. Er, der mitten in der EURO lesben- und schwulenfeindliche Gesetze verabschieden ließ. Die UEFA kritisiert das nicht, färbte nur ihr Logo regenbogenbunt, will für Toleranz, Gleichheit, politische Neutralität stehen – aber bitte nicht in Orbáns Ungarn.

Ákos Hadházy, ehem. Mitglied Regierungspartei Fidesz (Übersetzung Monitor): "Die UEFA sagt, dass sie unabhängig ist. Aber sie ist es nicht. Sie hilft einer Diktatur. Es geht hier ja nicht um eine politische Frage, sondern um Menschenrechte. Und wenn die UEFA dann sagt, sie sei unabhängig, hilft sie einer Diktatur."

Ein buntes Stadion in München wäre ein Zeichen gewesen, genau das nicht zu tun – nicht mehr. Aber selbst das wollte die UEFA nicht setzen. Lässt stattdessen zu, dass die Regenbogenfahne auf der Tribüne konfisziert wird. So geschehen in Aserbaidschan am Turnierort Baku. Alles verhandelbar, selbst unteilbare Menschenrechte. Die bei ihm ohnehin nichts gelten. Ilham Alijew, Aserbaidschans Autokrat, der weiß, wie man die große Sportbühne nutzt: Für die Präsentation nach außen und die Repression nach innen. Oppositionellen wird demonstriert, die Welt schaut her, aber nicht auf Euch. Das darf man wissen, auch als UEFA.

Seymur Hazi, Vizeparteichef Aserbaidschanische Oppositionspartei (Übersetzung Monitor): "Das Schweigen der UEFA und ihre Hilfestellung, das Image von denjenigen zu säubern, die Menschenrechte missachten, erlaubt der Regierung uns gegenüber zu kommunizieren: 'Seht her: wir haben internationale Freunde, wir sind die Guten!' Und das stärkt die Position der Regierung und schwächt die derjenigen, die Menschenrechte verteidigen."

Der staatliche Ölkonzern Socar war übrigens bis vor kurzem einer der Hauptsponsoren der UEFA. Knapp 80 Millionen sollen über die Jahre geflossen sein. Ach ja, zwei der aktuellen Hauptsponsoren stehen im Verdacht, in China von der Zwangsarbeit inhaftierter Uiguren zu profitieren. Auch das kann man wissen –  wenn man nicht wegschaut.

Georg Restle: "Ein Vorgeschmack nur auf das, was uns dann im nächsten Jahr bei der Fußball-WM in Katar erwartet. Wo Menschenrechte, Vielfalt und Toleranz keine Grundwerte sind, sondern eher ein Grund, jahrelang weggesperrt zu werden. Mehr dazu gibt’s dann am Sonntag in der Sportschau."

Stand: 08.07.2021, 22:15 Uhr

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17 Kommentare

  • 17 Gerald Wilfried 27.07.2021, 00:01 Uhr

    So ist diese Welt - erkennbar an vielen kleingeistigen Kommentaren um DEN um DIE um DAS. Immer noch nicht gecheckt von den meisten: EM-, WM-Theater ...weiterlesen

  • 16 Kai Zimmermann 17.07.2021, 13:17 Uhr

    Dieser Kommentar wurde gesperrt, weil er gegen unsere Netiquette verstößt. (die Redaktion)

  • 15 Klardenker 09.07.2021, 02:35 Uhr

    Eines vorweg, ich habe nicht den Anfang, des Beitrags gesehen... aber aus den Kommentaren hier, schliesse ich dass da ganz schön wild durcheinander ...weiterlesen

    • Max 11.07.2021, 13:49 Uhr

      Die "Regenbogenfahne" gibt es schon weitaus länger als Greenpeace, die Regenbogenfahne der LGBTQ Bewegung unterschieden sich zudem auch in der Farb- ...weiterlesen