Bericht: Stephan Stuchlik, Andreas Maus, Hüseyin Topel
Georg Restle: "Der türkische Präsident als Held der Massen, umzingelt von Feinden und siegreich am Ende. Bilder aus einem Kinofilm, der letzte Woche in zahlreichen deutschen Kinos anlief. Passgenau platziert in eine Kampagne, die auch in Deutschland dafür wirbt, dass der türkische Präsident künftig schalten und walten kann, wie er will.
Guten Abend und willkommen bei Monitor. Seit Wochen läuft die Kampagne für die Verfassungsänderung in der Türkei, die nur ein Ziel hat: Präsident Erdoğan die alleinige Macht im Land zu sichern. Eine Kampagne, die auch die Stimmung in der türkischen Community hier in Deutschland vergiftet. Und in der jeder zum Terroristen erklärt wird, der es wagt, gegen den Präsidenten mit Nein zu stimmen. Es ist eine gezielte Kampagne, die einen tiefen Keil hineintreibt zwischen Türken und Deutsche, Türken und Kurden, Türken und Türken. Wer hier in Deutschland dahintersteckt, zeigen Ihnen jetzt Stephan Stuchlik, Andreas Maus und Hüseyin Topel."
Köln-Deutz. Dieser Mann hat Angst, will nicht gezeigt werden. Dabei ist die Geschichte, die er zu erzählen hat, mittlerweile Alltag in Deutschland. Spätestens seit jetzt auch hier der Wahlkampf zum Referendum in der Türkei läuft, wird er als Türke von anderen Türken auf der Arbeit geschnitten, weil er für Nein ist.
Mann: "Man hatte früher im Betrieb immer politische Meinungsunterschiede gehabt, aber man konnte immer miteinander reden. Wenn du jetzt reinkommst ins Büro, grüßen wir uns nicht mehr und sprichst du über irgendeine harmlose Sache, gehen die Kollegen, die anderer Meinung sind, demonstrativ raus. Die Community ist einfach gespalten. Und durch das Referendum wird alles nochmal eskaliert."
Eine Spaltung, die jetzt immer weiter vorangetrieben wird. Aber wer steckt dahinter? Wir sind in Ahlen, Westfalen, einer Kleinstadt mit großer türkischer Community. Gereizte Stimmung schon auf dem Markt, offener Streit. Es geht um eine einfache Frage: Ja oder Nein beim Referendum in der Türkei. Die Frage: Wer ist hier echter Türke, wer Vaterlandsverräter?
Frau: "Ich liebe mein Land auch, aber ich liebe nicht Tayyip Erdoğan. Weil seine Politik ist falsch. Keine Meinungsfreiheit, jeder, der irgendwas anderes sagt, kommt in den Knast. Alles ist zensiert, alles geht …"
Mann: "Ich glaube nicht daran. Man dramatisiert. Ich glaube nicht daran."
Die einsame Erdoğan-Gegnerin eckt hier überall an.
Aber auch wir selbst sind in der türkischen Gemeinde alles andere als erwünscht. Feindseligkeit. Vor der Moschee werden wir heftig angegangen. Deutsche Medien würden Tatsachen verdrehen, seien voreingenommen gegen Erdoğan, wollten nicht akzeptieren, dass hier alle mit Ja stimmen wollten. Die Stimmung ist mehr als gereizt.
Keine zweihundert Meter von der Moschee entfernt liegt das Side-Reisebüro, der Besitzer ist einer der wenigen, der sich traut, offen zu sprechen. Niyazi Güler hat die Erdoğan-Partei AKP offen kritisiert, seither bleiben bei ihm viele Kunden weg.
Niyazi Güler, Integrationsrat Ahlen: "Da ich politisch Stellung bezogen habe, sind einige Menschen, die ich seit Jahren betreut habe, mir ferngeblieben. Ich sehe es mal und ich merke es mal, höre ich mal, dass sie, die Menschen, also die AKP-Anhänger, die Leute gegen mich auch aufhetzen."
Niyazi Güler ist Mitglied im Integrationsrat. Er wehrte sich dagegen, dass AKP-Anhänger sich ins Gemeindeleben einmischten und ging zum Bürgermeister.
Niyazi Güler, Integrationsrat Ahlen: "Drei Leute haben mich angerufen, haben gesagt: 'Du gehst zu weit. Musst du ein bisschen vorsichtig sein.' Und am Abend haben sie meine Fensterscheiben sozusagen kaputt gemacht vom Reisebüro. Auch die Café-Besitzer haben mir gesagt, komm lieber nicht zu unserem Café."
Ausgeschlossen aus der Gemeinschaft als Vaterlandsverräter, wo kommt dieser Hass her?
Von hier: Der türkische Staatspräsident Erdoğan stellt in dieser Rede alle, die vorhaben, mit Nein zu stimmen, quasi mit Terroristen gleich.
Recep Tayyip Erdoğan, Präsident Türkei 12.2.2017 (Übersetzung Monitor): "Auf der einen Seite haben wir eine separatistische Terrororganisation, die das Land spalten will und es gibt die, die mit der Terrororganisation gemeinsames Geschäft machen. Und wir sehen jetzt: Die Terrororganisation sagt Nein!"
Eyüp Alikılıç arbeitet für die türkisch-deutsche Internetseite KuKü. Als die Redaktion sich für den inhaftierten Journalisten Yücel einsetzt, gibt es Beschimpfungen im Internet. Eyüp aber, ein klarer Vertreter für Nein, wurde sogar beim LKA als Terrorist anzeigt. Er ist sich sicher, dass Erdoğan-Anhänger dahinterstecken.
Eyüp Alikılıç: "Ich wurde namentlich genannt in der Mail. Und da wurde gesagt, ich bereite Terroranschläge vor und was weiß ich was. Und weil es halt … ich denke mal, die Aktion von der Polizei, vom Staatsschutz war präventiv. Natürlich ist es auch gut so. Nur, das ist schon traurig, dass man sich dann rechtfertigen muss, warum man keine Pässe fälscht oder Terroristen mit Geld unterstützt, mit denen man absolut nichts zu tun hat."
Wer Nein sagt, ist ein Terrorist. Diese Gleichung aus der Türkei setzt sich anscheinend auch hier durch.
Die Stimmung in Deutschland wird vor allem von der sogenannten UETD, der Union Europäisch Türkischer Demokraten angeheizt. "Evet", also "Ja", das sind die Guten. "Nein", das sind Terroristen. Auf einigen UETD-Seiten ist unter "Hayir", also "Nein" sogar der IS-Terrorist Abu Bakr al-Baghdadi zu sehen.
Und dann das hier: In den großen Kinos startet deutschlandweit ein Film, der in den Wahlkampf zum Referendum passt wie gemalt. Reis, das Haupt, eine Verfilmung des Lebens von Erdoğan. Der Film wird fast nur auf türkischen Internetseiten beworben, das Zielpublikum ist klar.
Reporter: "Guckst du den Erdoğan-Film?"
Kinobesucher: "Auf jeden Fall! Ich bin extra von Aachen nach hier hingekommen."
Reporter: "Echt?"
Kinobesucher: "Um den Film zu gucken."
Reporter: "Und warum? Ein großer Fan von Erdoğan?"
Kinobesucher: "Er ist der beste Mann!"
Reporter: "Es gibt jetzt eine Kampagne für oder gegen Verfassungsänderungen. Was sagen Sie dazu?"
Frau: "Für! Evet! Wir sind Evetsche, wir wollen, dass Evet besteht."
Der Film verherrlicht den türkischen Staatspräsidenten und enthält laut Pressetext die bezeichnende Zeile: "Die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind." Die Demokratie ist nur eine Übergangsphase sagt der Film, ist das Wahlwerbung? Und: Wer hat den Film in die Kinos gebracht? Beworben wird er im Internet auf den Seiten der UETD, einzelne Büros wie in Hof organisieren sogar die Aufführungen.
Ist die UETD schuld an der Spaltung der Türkischen Gesellschaft in Deutschland? Laut Aussage ihrer Funktionäre ist sie "gemeinnützig und überparteilich". Sie ist perfekt organisiert und hat etwa 60 lokale Ableger in Deutschland, bis hinein in kleinste Gemeinden. Ist sie in Wirklichkeit die Operationsbasis für Erdoğans Staatspartei AKP in Deutschland?
Hasan Tuncer, Stadtverordneter in Mülheim, hat persönlich Erfahrung mit der UETD gemacht. Nach einem Erdoğan-kritischen Artikel habe ein lokaler UETD-Vertreter im Internet eine persönliche Kampagne gegen ihn begonnen, sagt er.
Hasan Tuncer, Stadtverordneter Mülheim/Ruhr: "Der Pressesprecher der Union Europäisch Türkischer Demokraten hat dazu beigetragen, dass die Beleidigungen und Bedrohungen aggressiver wurden. Indem er das Ganze nochmal hochgeladen hat mit meinen Daten, mit meiner Telefonnummer."
Und so bekam Tuncer alles direkt ab: "Unterstützer der Terroreinheiten", "Wer ist diese Missgeburt?" und "Solche Ratten muss man vergiften." Der UETD-Funktionär schreibt uns, er dulde keinen Aufruf zur Gewalt, habe die Hasskommentare mittlerweile gelöscht.
Kommt der Druck auf die Nein-Sager und die Kampagne für Ja aus ein und derselben Ecke? Wir wollen nachfragen, haben die UETD um ein Interview gebeten, wir werden erst vertröstet, dann erhalten wir tagelang keine Antwort. Wir versuchen es trotzdem.
Reporter: "Stuchlik hier von der Redaktion Monitor. Hallo? Wir wollten uns mit Ihnen darüber unterhalten, wie Sie hier Wahlkampf für Erdoğan betreiben. Hallo?"
Klar ist auf jeden Fall: Der Vorsitzende der angeblich "überparteilichen" UETD, Zafer Sirakaya, macht unverblümt Werbung für das Erdoğan-Ja. "Wir werden alle beim Verfassungsreferendum selbstverständlich für Ja stimmen", sagt er auf dieser Veranstaltung. Der Moderator bedankt sich und nennt den UETD-Chef dann "den Vizepräsidenten von Erdoğans-Ja-Kampagne im Ausland", der Chef der UETD im Zentrum von Erdoğans Wahlkampf in Deutschland. Nach Überparteilichkeit sieht das nicht aus.
Wir fahren nach Leverkusen, zu einer türkischen Kultur-Veranstaltung. Eingeladen ist der türkische Wirtschaftsminister, der eigentlich auf Wahlkampf-Tour ist. Der Veranstalter versichert, sein Programm habe nichts mit dem Referendum zu tun.
Ali Inceören, Veranstalter: "Wir sind ein Kulturverein. Er ist auch nur wegen Kultur-Veranstaltung hier und wegen dem Konzert."
Nur Kultur also. Die versammelten Kameras filmen den triumphalen Empfang für den Minister. Er sagt - kein Wort. Danach folgen zwei Stunden Musik und Tanz. Das interessiert die Medienvertreter wenig, außer uns verlassen fast alle die Halle. Draußen auf dem Gang entdecken wir plötzlich den Mann wieder, der als Vize-Präsident von Erdoğans Ja-Kampagne gilt: Zafer Sirakaya, Vorsitzender der UETD. Was hat er hier zu suchen?
Reporter: "Guten Abend, Stuchlik vom Deutschen Fernsehen. Zafer-Bei, Würden Sie uns ein Interview geben?"
Als im Saal fast nur noch die Handys der Zuschauer filmen, wird klar, warum der Mann eigentlich hier ist. Plötzlich nämlich betritt der Minister die Bühne. Wir schaffen es, seinen Auftritt von den Kulissen aus zu drehen. Und was folgt, ist wenig Kultur und viel Wahlkampf: "Ich überbringe euch die Grüße des türkischen Staatspräsidenten Recip Tayyib Erdoğan!" Und dann zitiert er direkt Erdoğans Wahlkampfslogan: "Nichts kann uns aufhalten!" Zwei Stunden später in Köln versuchen wir den Minister zu der Veranstaltung in Leverkusen zu befragen, der Mann kann ja nach offiziellen Angaben fließend Deutsch.
Reporter: "Eine Frage fürs Deutsche Fernsehen. Warum machen Sie hier Wahlkampf?"
"Ach", sagt er, "lassen Sie uns das später besprechen, nicht hier im Gewühl!" Aber - man hätte es ahnen können - diese Gelegenheit ergibt sich leider nicht mehr.
Rückfahrt, nicht nur die Minister werden aus der Türkei importiert, auch Hass und Aggression. Der Wahlkampf zum Referendum gehe jetzt erst richtig los, heißt es aus Ankara, es klingt wie eine Drohung.
Kommentare zum Thema
Das dieser Verein ein Erdogan-Jubel-Verein ist ist ja nichts neues. Nur unsere lieben Politiker stecken da lieber den Kopf in den Sand. Man schaut ja schon seit Jahrzehnten dem entstehen einer Parallelgesellschaft tatenlos zu. Das werden wir alle noch bitter bereuen.
Ich ziehe den Hut vor unseren Nachbarn, die Niederlande. Das geht so einfach, aber unsere Regierung ist nicht in der Lage ein klares Wort zu sprechen. Haben wir es nötig, uns beschimpfen zu lassen und dann noch die Menschen in unsere Heimat zu lassen, um Wahlwerbung zu betreiben. Demokratie ist das eine, Diktatur das andere. Für wem zählt denn die Demokratie? Doch nicht für Diktatur! Raus mit den Menschen dich uns nicht achten, die sollen in ihrer Heimat Wahlwerbung machen.
Mir ist es vollkommen unverständlich, warum unsere Regierung sich weiterhin von dem Despoten am Nasenring durch die Manege ziehen lässt. Was ist daran nicht zu verstehen, dass über 80 Prozent der Deutschen hier keinen türkischen Wahlkampf will. Uns fehlen leider Politiker, wie in Holland und Österreich, die noch Rückgrat besitzen.