Bericht: Kim Otto, Jochen Taßler
Georg Restle: „Dass die Schere zwischen Arm und Reich in diesem Land immer weiter auseinander geht ist bekannt. Was wir allerdings nicht wissen: Wie groß ist die Kluft zwischen Arm und Reich wirklich? Das Erstaunliche ist nämlich: Es gibt zwar jede Menge Daten über den ärmeren Teil der Bevölkerung, die Reichen dagegen sind - statistisch gesehen - ziemlich unbekannte Wesen. Was Deutschlands Topverdiener tatsächlich verdienen oder was sie an Steuern bezahlen, darüber gibt es selbst in den offiziellen Statistiken nur vage Vermutungen. Das aber könnte sich bald ändern. Wir haben jetzt nämlich neue, bislang unveröffentlichte Daten erhalten, Einkommensdaten von Spitzenverdienern aus mehr als 1.300 Unternehmen. Und diese Zahlen zeigen, wie ungerecht es in diesem Land tatsächlich zugeht. Jochen Taßler und Kim Otto.“
Das ist Thomas Müller, 48 Jahre alt, aus Herford bei Bielefeld. Und auch das ist Thomas Müller, 56 Jahre alt, aus Pforzheim. Die beiden haben einiges gemeinsam: Sie tragen denselben Namen, sind ungefähr gleich alt, führen beide einen Betrieb. Aber es gibt einen entscheidenden Unterschied: das Einkommen. Dieser Thomas Müller betreibt einen kleinen Laden mit Post-Shop. Nichts, um reich zu werden. Rund 30.000 Euro brutto verdiene er im Jahr, sagt er.
Thomas Müller: „Es ist schon recht schwer geworden in der heutigen Zeit. Es gibt Schübe, da läuft's gut, da hab ich mal was. Aber es gibt andere Zeiten, da bleibt nichts über. Es ist ein Klarkommen. Ich möchte nicht sagen, es bleibt genug über.“
Dieser Thomas Müller führt eine Firma, die unter anderem Metallscharniere herstellt. Das Geschäft läuft gut. Mit seinem Geschäftsführergehalt liegt Thomas Müller statistisch im obersten Einkommensprozent in Deutschland. Das beginnt bei rund 150.000 Euro brutto im Jahr.
Thomas Müller: „Der Einsatz, den man bringt, der ist schon groß. Man reist durch die Welt. Man hat internationale Kunden zu bedienen. Und das muss natürlich auch entsprechend honoriert werden, dieser Einsatz. Und das passt bei mir.“
Die Müllers stehen für zwei Einkommensgruppen, die immer weiter auseinander driften. Während Menschen wie er tendenziell kaum vom wirtschaftlichen Boom profitiert haben, haben Besserverdienende wie er statistisch stark profitiert. Das zeigen auch die einschlägigen Statistiken. Danach sind die Durchschnittseinkommen seit Ende der 90er Jahre deutlich langsamer gestiegen als die Einkommen im obersten Prozent. Im Mittelwert gerade einmal um 8,4 Prozent, bei den hohen Einkommen dagegen um 31,5 Prozent. Die Ungleichheit ist also gewachsen. Experten vermuten aber schon länger, dass die Kluft zwischen Arm und Reich viel größer ist. Denn gerade bei den Reichen ist die Datenbasis dürftig. Und was man weiß, stammt überwiegend gar nicht aus objektiven Quellen, sondern aus Umfragen. Vor allem aus dem so genannten Sozio-ökonomischen Panel, einer repräsentativen Befragung. Auf deren Ergebnissen beruhen zahlreiche Studien, auch der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung.
Prof. Wolfgang Lauterbach, Reichtumsforscher: „Diese eine Prozent ist eigentlich eine Gruppe, über die wir wie im Nebel blind herumstochern. Sie sind aber für die Gesellschaft extrem wichtig. Wer sind die denn? Was wissen wir überhaupt über die Höhe der Steuern jener Personen? Was wissen wir damit über deren Vermögen? Und wir wissen darüber, ehrlich gesagt, nichts. Das ist ein bisschen wie eine Blackbox.“
Monitor liegt nun ein bislang unveröffentlichter Satz an Einkommensdaten vor, der einen seltenen Blick in diese Blackbox erlaubt. Daten von der Unternehmensberatung Kienbaum. Die Einkommen von Topverdienern aus mehr als 1.300 Unternehmen. Vorstände, Geschäftsführer, leitende Angestellte. Es sind brisante Zahlen, denn sie stellen die bisherigen Annahmen zu den Beziehern hoher Einkommen in Frage. So haben sich die Einkommen der Beschäftigten seit 1997 im Schnitt entwickelt. Ein Anstieg von 15 Prozent. Zum Vergleich: Bei Geschäftsführern etwa stiegen die Einkommen im Schnitt um 42 Prozent. Für Vorstände ging es satte 59 Prozent nach oben. Die großen Abräumer waren aber die Superreichen. Die Einkommen der DAX-Vorstände schossen im Schnitt um 186 Prozent in die Höhe.
Prof. Peter Bofinger, Wirtschaftsweiser der Bundesregierung: „Der Datensatz zeigt, dass wir ab 1997 ein starkes Auseinanderlaufen der sehr hohen Einkommen und der Durchschnittseinkommen haben. Und er zeigt natürlich auch, dass die hohen Einkommen in diesem Datensatz deutlich stärker gestiegen sind als die Einkommen der obersten ein Prozent im Sozio-ökonomischen Panel. Das heißt, man sieht hier: Die Schere zwischen Arm und Reich hat sich weiter geöffnet als das in den bisherigen Statistiken abgebildet wird.“
Experten sind überrascht: So hat sich das Durchschnittseinkommen des obersten Prozents nach den gängigen Annahmen entwickelt. 2013 etwa lag es bei 198.000 Euro brutto. Laut Kienbaum-Daten verdienten Geschäftsführer und Vorstände aber deutlich mehr. Im Jahr 2013 durchschnittlich 442.000 brutto, mehr als das Doppelte! Das zeigt, dass der Reichtum ganz oben in Deutschland bisher offenbar unterschätzt wird. Für Experten wie den Wirtschaftsweisen Peter Bofinger ergeben sich daraus auch politische Fragen.
Prof. Peter Bofinger, Wirtschafsweiser der Bundesregierung: „Man würde ja erwarten, dass die Politik versucht, ein solches Auseinanderlaufen der Einkommen durch die Steuerpolitik zu korrigieren. Aber es ist genau das Gegenteil geschehen.“
Seit der Ära Kohl ist der Spitzensteuersatz nämlich schrittweise gesenkt worden. Von damals 53 Prozent auf heute 42 Prozent. Für Einkommen ab 250.000 Euro wurde 2007 zwar die Reichensteuer eingeführt, aber selbst die liegt mit 45 Prozent deutlich unter dem früheren Satz.
Prof. Peter Bofinger, Wirtschaftsweiser der Bundesregierung: „Aus meiner Sicht würde es nahe liegen, wieder zu den Steuersätzen zurückzukehren, die wir bei Kohl hatten in den 90er Jahren. Und das war ein Spitzensteuersatz in der Einkommenssteuer von 53 Prozent. Die deutsche Wirtschaft ist damals gut gelaufen, sie war dynamisch. Deswegen würde ich daraus auch keine negativen Wachstumseffekte erwarten.“
Er zahlt Spitzensteuersatz - und gehört damit zu denen, die entlastet worden sind. Obwohl es ihm überdurchschnittlich gut geht. Ein sorgenfreies Leben, Urlaub, Altersvorsorge. Für den Unternehmer Thomas Müller ist das selbstverständlich. Und er weiß das auch zu schätzen. Wenn es der Gesellschaft nutzt, könnte er auch mit höheren Steuern leben, sagt er.
Der Ladenbesitzer Thomas Müller ist von Spitzensteuersatz weit entfernt, zur Seite legen kann er kaum etwas. Seit 1999 ist er selbständig. Am Anfang hat er nur Computer verkauft. Seitdem ist viel Arbeit dazu gekommen - Einkommen dagegen kaum. Und wenn es mal etwas mehr wird, rutscht er automatisch in eine höhere Steuerklasse.
Thomas Müller: „Ehrlich gesagt sieht es fast so aus für mich, als ob wir immer mehr zahlen müssen, und die oben kriegen halt mehr oder müssen weniger zahlen. Und wenn ich mir Gesellschafter angucke, die sich Millionen einstecken können, dann wäre es schön, wenn ich mal einen Euro einstecken dürfte. Aber da guckt das Finanzamt schon drauf und sagt, hallo, das ist unser Euro.“
Höhere Steuern für Reiche. Thomas Müller weiß, dass das allein seine Probleme nicht lösen würde. Er wird weiter hart arbeiten müssen, um genug zu verdienen. Aber es würde sich etwas gerechter anfühlen.
Kommentare zum Thema
Es ist erfreulich, dass sich die ARD bemüht, Licht ins Dunkle der Ungleichheit zu bringen. Doch auch ohne dies endgültig herauszufinden, kann man schon heute etwas dagegen tun. Jede Gemeinde kann sofort beschließen, die Grundsteuer Jahr für Jahr anzuheben und den erzielten Ertrag pro Kopf an die Bevölkerung zurück zu verteilen. Die Verdoppelung der jetzigen Grundsteuer würde für jeden Bürger ein Jahresbonus von circa 180 € erbringen, einschließlich jedes Kindes. Leicht ließe sich sehen, dass bei der Rückverteilung nur ganz wenige Haushalte stärker belastet werden als bisher. Selbst bei einer Verzehnfachung der derzeitigen Grundsteuer würden lediglich Haushalte mit mehr als einer Immobilie zu Nettozahler werden. Haushalte wohl gemerkt deren Vermögen sich durch die allgemeine Bodenpreisentwicklung in den letzten 15 Jahren um viele 100.000 € vermehrt hat. Die Bodenrente ist über Jahrhunderte die Quelle, die wenige Reiche Familien mühelos und vor allem ohne Risiko reicher macht. Mehr ...
Einkommen ist das eine. Was jedoch unbedingt betrachtet werden muß, sind die (verborgenen) Vermögen. In diesem Kontext ist ein Bestseller aus 2015 vom Beck-Verlag sehr hilfreich: Thomas Piketty: Das Kapital. Ein sehr aufschlußreiches und lesenswertes Buch!
Liebes Monitor-Team, ich finde es grundsätzlich gut, dass Ihr über Einkommens-Unterschiede berichtet, aber greift es nicht etwas kurz lediglich die Lohneinkommen zu betrachten? Ohne mich mich ernsthaft damit beschäftigt zu haben, gehe ich doch stark davon aus, dass die wirklich großen Einkommen aus Miet- und vor allem Kapitaleinkünften stammen, diese werde leider vollständig ignoriert und das Gesamtbild hierdurch arg verfälscht. VG, Krischan