Verkehrte Welt: Deutsche ohne Wahlrecht Monitor 27.07.2017 04:25 Min. Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste

MONITOR vom 27.07.2017

Verkehrte Welt: Deutsche ohne Wahlrecht

Bericht: Naima El Moussaoui, Stephan Stuchlik

Georg Restle: „Und jetzt drehen wir die ganze Sache mal um. Was ist eigentlich mit Deutschen, die schon länger im Ausland leben? Sollen die im Ausland wählen dürfen? Nein, werden Sie jetzt vielleicht sagen, die können doch in Deutschland wählen. Stimmt allerdings nicht. Wer länger im Ausland lebt, verliert nämlich hier sein Wahlrecht, und das, obwohl er einen deutschen Pass hat. Verkehrte Welt? Wir haben eine Deutsche getroffen, die in Österreich lebt - und jetzt nirgendwo mehr wählen darf.“

Susanne Meyer ist Deutsche, ihre Heimat aber ist seit 35 Jahren Wien.

Susanne Meyer: „Ich bin Deutsche und Wienerin. Ich lebe so leidenschaftlich gern in dieser Stadt hier. Ich möchte eigentlich nirgendwo anders leben als in Wien. Ich fühle mich hier so dermaßen wohl, das ist meine Stadt.“

Die deutsche Staatsbürgerschaft hat sie bis heute behalten, trotzdem hat ihr die Bundesrepublik das Wahlrecht entzogen. Sie darf nicht mehr wählen, das ist die Regel, wenn man mehr als 25 Jahre durchgehend im Ausland lebt. Nein, nicht jeder Deutsche darf in Deutschland wählen.

Susanne Meyer: „Ich hätte nie gedacht, dass mir mein Land mal mein Wahlrecht wegnimmt. Ich bin davon ausgegangen, dass ich bis an mein Lebensende - ganz egal wo ich lebe - für Deutschland wählen darf. Und es mir dann zu entziehen, nur weil ich nicht in Deutschland lebe und mir damit quasi zu unterstellen, dass mich da nichts mehr berührt und beschäftigt, ist verletzend, eigentlich.“

Leben in Wien und Interesse für Deutschland, das ist für Susanne Meyer kein Widerspruch. Aufmerksam verfolgt sie zum Beispiel die deutsche Innenpolitik. Im September aber darf sie trotzdem nicht mehr mitwählen.

In ihrer neuen Heimat wiederum könnte sie wählen. Dafür aber müsste sie die deutsche Staatsbürgerschaft endgültig aufgeben. Einen Doppelpass gibt es in Österreich für sie nicht. In Deutschland aber hat Susanne Meyer viele Freunde, ihre Mutter lebt noch dort, aber es ist nicht nur das.

Susanne Meyer: „Ich bin Deutsche und das werde ich auch immer bleiben. Also das würde ich auch dann sein, wenn ich die Staatsangehörigkeit abgeben würde. Das ist einfach meine Identität, das ist das Land, das mich geprägt hat, dort habe ich meine Wurzeln, dort habe ich meine Familie, dort bin ich groß geworden. Und daran ändert das überhaupt nichts, wo ich lebe. Ich bin beiden Ländern verbunden.“

Mit der momentanen Regelung aber darf sie weder in Österreich noch in Deutschland wählen, de facto ist sie vom politischen Leben vollständig ausgeschlossen. Wie viele Deutsche im Ausland mit so einer Situation wie Susanne Meyer leben müssen, ist unbekannt, diese Zahl wird nicht erfasst. Susanne Meyers Freunde und Kollegen haben ihre Geschichte anfangs gar nicht glauben wollen. Den deutschen Pass abgeben, um in Österreich zu wählen?

Jenny Lachmann: „Also ich bin in Deutschland geboren, bin deutsche Staatsbürgerin und die möchte ich auch bleiben. Das möchte ich nicht ablegen, um wählen zu können, also das finde ich Erpressung, und das finde ich nicht richtig.“

Susanne Meyer: „Ich finde, das ist ein unglaublicher Widerspruch, dass man mir das Wahlrecht entzieht, weil ich nicht ansässig bin, obwohl ich die Staatsbürgerschaft hab. Denn das Argument dahinter ist ja, dass mich deutsche Politik nicht interessiert, nicht betrifft. Dass das, was in dem Land passiert, für mich nicht wichtig ist und umgekehrt, wenn man dieses Argument anwendet, müsste man aber Menschen, die schon seit genau der gleichen Zeit in Deutschland leben, auch dann das Wahlrecht ja zubilligen, wenn sie keinen Pass haben. Und das ist aber ja nicht der Fall, und das ist eine absolute Ungerechtigkeit.“

Das Wahlrecht in Deutschland ungerecht? Dazu muss man es vermutlich am eigenen Leib erfahren haben, so wie Susanne Meyer.

Georg Restle: „Ein Wahlrecht für Ausländer? Geht gar nicht, sagen viele. Nirgendwo auf der Welt dürften Ausländer schließlich wählen. Auch das stimmt so nicht, nicht mal in Europa. In der Europäischen Union zum Beispiel dürfen bei Kommunalwahlen alle EU-Ausländer dort wählen, wo sie ihren Wohnsitz haben. In zwölf der EU-Staaten dürfen das sogar alle Ausländer, ganz egal mit welchem Pass. Und in unserem Nachbarland der Schweiz dürfen in zwei Kantonen Ausländer sogar bei Kantons-, also Landtagswahlen mit abstimmen. Voraussetzung: Sie müssen mindestens fünf bzw. zehn Jahre dort leben. Andere Länder gehen sogar noch weiter. Zum Beispiel Uruguay, wo Ausländer sogar bei nationalen Wahlen wählen dürfen, wenn sie 15 Jahre in Uruguay leben. In Chile muss man nur fünf Jahre leben, um wählen zu dürfen. Und im fernen Neuseeland reicht dafür sogar schon ein Jahr aus.“

Kommentare zum Thema

  • Benny 08.06.2018, 01:13 Uhr

    Mich würde mal interessieren ob ich als deutscher Staatsbürger für die Türkei abstimmen darf, da die Wahlen ja im eigenen Land stattfinden und man hier Wahlrecht als Grundrecht ansieht. Ausgeschlossen sind nicht deutsche Staatsbürger, Kriminelle etc. was bei mir nicht zutrifft. Mir würde ja sogesehen mein Wahlrecht aberkannt werden und eine Zone im eigenen Land entstehen die für mich nicht zugänglich ist.

  • joerg salecker 18.01.2018, 20:25 Uhr

    Es läuft vieles schwer in Deutschland aber das kommt wahrscheinlich daher weil diese gesamten angeblich demokratisch gewählten Politiker dieses Land zu Grunde gerichtet haben

  • Timo Mahler 08.09.2017, 18:12 Uhr

    Ich lebe seit meiner Geburt durchgehend in Deutschland und habe auch nur die deutsche Staatsbürgerschaft. Schon seit mehreren Jahren bin ich jedoch nicht mehr wahlberechtigt. Ich habe mir nie etwas zuschulden kommen lassen und bin auch nicht geistig eingeschränkt oder dergleichen - ich habe nur irgendwann keine Wahlbenachrichtigung mehr erhalten. Gehe ich ohne diese Karte zur Wahl, werde ich egal in welchem Wahllokal nach einem Blick auf meinen Ausweis mit der Begründung weggeschickt, ich sei nun mal nicht wahlberechtigt. Auf Anträge zur Briefwahl habe ich nie eine Antwort erhalten.