Demonstrationen in Ostdeutschland: Alleine gegen die AfD? Monitor 07.03.2024 10:25 Min. Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste Von Lara Straatmann, Julius Baumeister

MONITOR vom 07.03.2024

Demonstrationen in Ostdeutschland: Alleine gegen die AfD?

Große Demonstrationen gegen Rechtsextremismus bekommen aktuell viel Aufmerksamkeit. Dabei ist es in kleinen Städten – gerade in Ostdeutschland – häufig viel schwerer und gefährlicher, Demos gegen verfassungsfeindliche Bestrebungen auf die Beine zu stellen. Anmeldende und Teilnehmende werden bedroht oder verhöhnt und selbst bürgerliche Kräfte wollen häufig nicht mitmachen. Lassen sich die politischen Gräben überhaupt überbrücken?

Von Lara Straatmann, Julius Baumeister

Georg Restle: "Europawahl, Kommunalwahlen und schließlich drei Landtagswahlen im Osten der Republik. Da wähnte sich die AfD schon fast an der Regierungsmacht. Doch jetzt scheinen den Rechtsextremisten in Thüringen, Sachsen und Brandenburg mutige Menschen in die Quere zu kommen. Menschen, die sich trauen, Flagge zu zeigen. Die auf die Straße gehen, um den Verfassungsfeinden vom rechten Rand die Stirn zu bieten. Seit Wochen schon tun sie das – mit erstaunlichem Erfolg. Selbst in ostdeutschen Kleinstädten formiert sich gerade eine Zivilgesellschaft, die in den letzten Jahren schwer unter Druck geraten ist, weil sie von Rechtsaußen massiv bedroht wurden und ihnen die Unterstützung aus der gesellschaftlichen Mitte oft fehlte. Lara Straatmann und Julius Baumeister waren am letzten Wochenende in zwei Kleinstädten in Sachsen unterwegs."

Wir sind unterwegs nach Wurzen in Sachsen, Landkreis Leipzig. Auch hier wollen sie demonstrieren – gegen Rechtsextremismus. In einer Stadt, wo jeder Dritte die AfD wählen will, die in Sachsen als gesichert rechtsextrem gilt. Kein leichtes Umfeld für Heike Krause und Thomas Keller. Aber die bundesweiten Proteste haben ihnen neue Kraft gegeben:

Thomas Keller: "Darf ich Ihnen den Flyer geben? Nein, okay, na gut."

Heike Krause: "Das ist der Flyer dazu, da steht noch mal alles drauf, wann es losgeht …"

Passantin: "Bloß, ich verstehe das alles nicht. Im Allgemeinen wird nur demonstriert, rechts, rechts. Und dann geht das immer gegen die AfD."

Gegen die AfD – das kommt bei vielen nicht gut an.

Passant: "Wir werden von den Lügnern, Betrügern und Schwerstverbrecher regiert. Lasst mich mit dem ganzen Schwachsinn in Frieden.

Thomas Keller: "Aber wir sind keine Politiker, sondern wir sind Leute, die im Prinzip wollen, dass wir alle friedlich miteinander reden."

Passant: "Das haben wir gesehen. Ihr habt Protest gemacht gegen die AfD. Entschuldige mal, das ist keine Demokratie."

Die Gräben scheinen tief. Wie schwer ist es, in einer sächsischen Kleinstadt gegen Rechtsextremismus aufzustehen? Kann hier ein neuer Aufbruch gelingen? Genau darauf hofft Heike Krause, sie ist Lehrerin am Wurzener Gymnasium.

Heike Krause, Lehrerin in Wurzen: "Ich finde dieses "Kante zeigen" gerade hier in Wurzen ist ganz, ganz wichtig, dass viele Leute, die vielleicht jetzt noch nicht sagen, sehen, also das sind Menschen, die wollen das nicht. Die wollen ein anderes Miteinander, die wollen ein buntes Wurzen."

Kante zeigen, sich für Demokratie einsetzen – das wollen sie auch hier, 50 Kilometer entfernt – in Markranstädt.

David Heidler: "Darf ich Ihnen einen Flyer in die Hand drücken? Wir machen morgen eine Demo gegen Rechtsextremismus. 16:00 Uhr am Bahnhof."

Mann: "Ne, den nehme ich nicht."

David Heidler: "Schade."

Eine Demonstration gegen Rechtsextremismus – schon in zwei Tagen. David Heidler ist selbstständiger Unternehmer, er und seine Mitstreiter wollen möglichst viele Markranstädter mitnehmen. 16.000 Einwohner hat die Kleinstadt bei Leipzig.

Frau: "Wir haben eine Demonstration vom Bahnhof zum Marktplatz organisiert, für Vielfalt, für Demokratie, für ein buntes Markranstadt."

David Heidler: "Moin, darf ich euch einen Flyer in die Hand drücken? Wir machen morgen eine Demo gegen Rechtsextremismus."

Mann: "Nein danke!"

David Heidler: "Warum nicht?"

Mann: "Weil wir keine Zeit haben."

Nicht alle sind von seiner Idee begeistert. Auf vielen Wegen bitten sie um Unterstützung. 200 E-Mails hat David Heidler verschickt – an Vereine, Unternehmer und Parteien – sein Appell:

David Heidler, "Markran steht auf – Bündnis für Demokratie und Courage: "Das ist wichtig, dass ihr teilnimmt und ihr seid Multiplikatoren, die das Ganze weiterbringen können. Und auf die E-Mails, die an Vereine gegangen ist, habe ich dann eine Antwort-E-Mail, in der uns Besuch von – Zitat "stabilen Männern" – angekündigt wurde, was ich als Drohung verstanden habe."

In der anonymen E-Mail heißt es:

Zitat: "Wir sind da mit circa 30 bis 40 stabilen Leuten und gesellen uns dann in einem überraschenden Moment mit zu euch. Also immer schön vorsehen und aufpassen."

Einschüchterungsversuche auch auf seiner Facebookseite. Ein rechter Account hat nach Anmeldung der Kundgebung etliche Beiträge geliked.

David Heidler, "Markran steht auf – Bündnis für Demokratie und Courage": "Das Zeichen ist angekommen, die wissen, wer ich bin, die wissen, wo ich arbeite, was mein Geschäft ist. Und ich glaube, die wollten einfach mir genau das deutlich machen."

Einschüchtern lassen sie sich davon nicht: Plakate, Luftballons – fast alles ist vorbereitet. Werden die Markranstädter auch kommen?

Zurück in Wurzen, Sonntagmorgen, der Tag der Kundgebung. Etwa 50 Menschen sind zum Gottesdienst gekommen. Alexander Wieckowski ist seit vielen Jahren evangelischer Pfarrer in Wurzen. Selbst im Gottesdienst zeigt er Flagge:

Alexander Wieckowski, Evangelischer Pfarrer: "Nicht jede Meinung ist eine Meinung. Israelhass.

Nationalismus. Rassismus. Sexismus. Das sind keine Meinungen."

Klare Worte, denen ein Aufruf zur Kundgebung folgt. Auch wenn er weiß, dass er längst nicht mehr alle erreicht.

Alexander Wieckowski, Evangelischer Pfarrer: "Es haben sich viele entschieden, die auch jetzt nicht in die Diskussion mehr eintreten wollen. Und dies ist auch eine Art Echokammer, in der sich befinden. Und die wieder zu sensibilisieren, auch zu berühren, das ist eine tägliche Kraftarbeit."

Und Kraft habe er genug. Aber lohnt sich das? Kommen die Menschen wirklich? Nicht weit von der Kirche entfernt bringen sich Neonazis in Stellung. Sie haben zur Gegendemo aufgerufen und beschwören den nationalen Kampf um jeden Preis.

Auch Blut vergießen. Vor Gewalt schrecken sie hier offenbar nicht zurück. Mit rechten Parolen marschieren sie Richtung Marktplatz. Ihr Ziel: die Kundgebung für Demokratie.

Zur gleichen Zeit in Markranstädt: Letzte Vorbereitungen. Die Vorfreude steigt, trotz der Drohmail im Vorfeld.

Fokko Baars, "Markran steht auf – Bündnis für Demokratie und Courage": "Wir haben jetzt noch so unter einer Stunde. Wir hoffen jetzt, dass ganz viele kommen. Der Puls geht langsam ein bisschen hoch, aber wir freuen uns auch."

Eine Stunde später. Etwa 300 Menschen ziehen durch Markranstädt und zeigen Flagge gegen die extreme Rechte. Viele Menschen für die Kleinstadt in Sachsen. Wie angekündigt, versuchen Rechtsextreme die Demonstrierenden einzuschüchtern. Es wird gefilmt und gepöbelt. Und was sagen sie hier zu den Bedrohungen gegen das Organisatoren-Team?

Frau: "Finde ich richtig!"

Reporter: "Drohmails?"

Frau: "Ja. Weil sie vernichten doch unser Land. Die vernichten unser Land."

Genau gegen diesen Hass gehen die Markranstädter auf die Straße.

Demonstrant: "Ich komme aus der ehemaligen DDR, bin jetzt Rentner, war 1989 sehr aktiv, um das zu erreichen, wo wir jetzt sind. Und wir sind froh, dass wir jetzt in einem freien Land leben können und da möchten wir auch weiterleben."

Von einem breiten Bündnis für die Demokratie kann allerdings kaum die Rede sein. David Heidler hatte Stadträte der örtlichen Parteien eingeladen. Doch offenbar sind weder Stadträte von CDU und SPD gekommen noch die Bürgermeisterin.

2. Demonstrant: "Ich bin weit über 80, aber ich bin da, weil ich mir Sorgen mache, wie das hier ausgeht. Und was mich traurig macht und vielleicht sogar beunruhigt ist, dass – wie gesagt wurde – kein Unternehmer hier war, nur zwei Stadträte von 22. keine Bürgermeisterin."

Zurück bei Heike Krause auf dem Marktplatz in Wurzen.

Thomas Keller: "So viel bunte Menschen! Vielen, vielen Dank, dass ihr alle da seid, das ist großartig."

Es ist ein ungewöhnliches Bild in Wurzen: 220 Menschen protestieren gegen die extreme Rechte. Heike Krause ist kämpferisch:

Heike Krause: "Lasst uns gemeinsam dafür einstehen!"

Seit Jahren hat es hier keine solche Kundgebung gegeben. Wer hier im sächsischen Wurzen Gesicht zeigt, braucht Mut.

Demonstrant: "Man weiß nicht, ob der Nachbar einen noch grüßt, wenn man hier ist. Aber das darf die Aktion nicht unterlassen."

Demonstantin: "Es macht mich sehr froh, dass es aufbricht und dass das Schweigen einfach bricht und einfach sichtbar wird, was sonst nicht sichtbar ist."

Der Bürgermeister hat seinen Urlaub abgebrochen Vertreter von SPD, Grünen und Linken sind gekommen. Und die CDU? Mitglieder der Fraktion beobachten die Kundgebung vom Rand, eigens eingeladen hatte man sie nicht. Die Gräben scheinen tief. Die Rechtsextremen kommen derweil näher, die Polizei lenkt sie am Marktplatz vorbei. Niemand soll allein nach Hause gehen, raten sie hier später.

Thomas Keller: " Wir sind mehr! Das ist auf jeden Fall … ein ganz, ein ganz wichtiges Zeichen."

220 Demokraten, 60 Rechtsextreme – heute waren sie mehr.

Heike Krause: "Hier auf dem Markt, das waren so viele und das ist ein sehr, sehr schönes Gefühl und das macht auch Mut, das weiterzumachen."

Weitermachen – auch in Markranstädt. Heidler und sein Team finden es wichtig. Obwohl die Unterstützung oft fehlt, die Gräben tief sind.

David Heidler, "Markran steht auf – Bündnis für Demokratie und Courage": "Ich glaube schon, dass wir noch Leute abholen können, die vielleicht noch nicht ganz verloren sind und die vielleicht dann bis zur Landtagswahl sagen, Mensch, vielleicht haben die inhaltlich gar nicht so Unrecht."

Fokko Baars, "Markran steht auf – Bündnis für Demokratie und Courage": "Hoffnung gibt’s immer, ja, und wenn wir nur einen, zwei, drei Leute irgendwie wieder abholen können und die einfach mitnehmen. Wir sind hier in der Kleinstadt. Wir kennen uns alle hier aus irgendwelchen Netzwerken, Vereinen, irgendwo und alle müssen einfach diesen Extrameter gehen jetzt.”

Sie kämpfen weiter für die Demokratie – trotz aller Widerstände. In Markrandstädt und in Wurzen und in vielen anderen ostdeutschen Kleinstädten.

Georg Restle: "Ob die Demonstrationen im Osten wie im Westen sich auch auf Wahlergebnisse auswirken, bleibt noch abzuwarten. Nach dem neuesten ARD-Deutschlandtrend von heute liegt die AfD bei 19 Prozent. Das sind minus drei Prozentpunkte im Vergleich zu Anfang Januar."

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Kommentare zum Thema

  • Anonym 10.03.2024, 01:32 Uhr

    Die couragierte Mitte der Bevölkerung an der Seite der Antifa? Man kann nur hoffen, dass wenigstens einige aufgeklärte Zuschauer wissen, dass der ansich wichtige Widerstand gegen Rechtsextremismus in den Bildern dieses Beitrages von Linksfaschisten der Antifa missbraucht wird. Mir fehlt hier die ganz klare Distanzierung von Seiten der Initiatoren und der krirische Hinweis der Redaktion dieses Beitrages.

  • Anonym 09.03.2024, 17:55 Uhr

    Dieser Kommentar wurde gesperrt, weil er gegen unsere Netiquette verstößt. (die Redaktion)

  • Karsten 08.03.2024, 12:06 Uhr

    Wenn ich im obenstehenden Foto die Transparente lese, drängt sich mir gleich eine Frage auf: Auf dem einen Plakat steht "Fck AfD", und auf dem nächsten "Hass macht hässlich". Sind damit die Träger des ersten Plakats nicht auch häßlich??? Und nein, ich bein kein Freund der AfD.