Bericht: Niklas Schenk, Golineh Atai
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Georg Restle: „Diese Bilder versetzten vor zwei Monaten viele in Angst und Schrecken. Militärtransporter im norditalienischen Bergamo, die Särge voller Covid-19-Toten in Krematorien brachten. Es gibt nicht wenige, die sagen, dass es genau diese Bilder waren, die die gesellschaftliche Stimmung in Sachen Corona damals entscheidend drehten. Doch welche Geschichten verbergen sich tatsächlich dahinter?
Guten Abend und willkommen bei MONITOR. Ganz weit weg wirken diese Bilder heute; in Zeiten, in denen es nur noch um Lockerungen, Staatshilfen und Urlaubsplanungen zu gehen scheint. Dabei sollten wir sehr genau hinschauen, was sich da in Norditalien abspielte. Bisher war es für Journalisten aus Deutschland praktisch unmöglich, länger dorthin zu reisen. Jetzt aber konnten wir uns ein eigenes Bild machen. Und sind dafür in den Ort Nembro bei Bergamo gefahren – in einen der so genannten Hotspots der Corona-Krise. Eine kleine Stadt, die schon sehr früh und besonders heftig vom Corona-Virus heimgesucht wurde. Niklas Schenk und Golineh Atai.“
Kurz vor der italienischen Grenze. Auf dem Weg in ein Land, in das aktuell kaum jemand einreisen darf und will. Wir fahren nach Norditalien. Keine andere Region in Europa wurde so heftig vom Corona-Virus getroffen wie die Lombardei. Fast 16.000 Menschen sind hier schon gestorben. Nembro, ein Ort mit 11.500 Einwohnern unweit von Bergamo. „Insieme ce la faremo” – zusammen schaffen wir das. Diese Plakate hängen an fast jedem Haus. Alleine in den ersten Monaten dieses Jahres sind fast 200 Menschen in Nembro verstorben. Viel mehr als sonst, noch mehr als in anderen Orten der Lombardei. Es ist, als ob man die Atmosphäre des Todes atme, erzählen sie sich.
Flavio Persico (Übersetzung Monitor): „Auf diesem Platz da, da in diese Richtung, da haben wir uns immer zu zehnt getroffen, fünf davon sind tot. Fünf von zehn sind gestorben! Und einem ist die Frau gestorben. Und einer der Mann.“
Die Angst geht nicht weg. Die Nähe zu den Liebsten ist immer noch gefährlich. Jeder hat hier jemanden verloren – so wie Bäcker Salvatore Mazzola.
Salvatore Mazzola (Übersetzung Monitor): „Mein Vater starb nach neun Tagen. Wir fragten nach Hilfe, aber niemand kam. Jetzt müssen wir weitermachen. Wir arbeiten hart hier, weil das Leben weitergehen muss.“
Die Cafés in Nembro – kaum besucht, am Mittag meist schon wieder zu. Die Hygienestandards sind hoch. Überall werden Hände desinfiziert, Namen in Listen eingetragen – auch vor dem Betreten der gerade erst wieder eröffneten Kirche. Die Vergangenheit lässt sie nicht los.
Marika Mologni (Übersetzung Monitor): „Draußen war es völlig still. Wir hörten nur die Sirenen der Krankenwagen und die Totenglocken – das war surreal. Und wir drinnen eingeschlossen – mit dieser großen Angst.“
Ganz langsam kehrt das Leben zurück – aber wie schlimm war es hier wirklich? Wir begeben uns auf Spurensuche in Nembro. Das Altenheim – seit Wochen leben alle Bewohner isoliert von der Außenwelt. Zum Höhepunkt der Corona-Krise sind hier Duzende gestorben, erzählt uns Valerio Poloni, der neue Leiter des Heims.
Valerio Poloni, Präsident Pflegeheim Nembro (Übersetzung Monitor): „Wir haben vom 1. Januar bis Ende März 37 Bewohner verloren, das ist ein Desaster gewesen. Auch unser Arzt ist gestorben. Auch der Direktor, mein Vorgänger, ist gestorben. Dieses Haus wurde besonders schlimm getroffen.“
Was uns erstaunt, kein einziger der Verstorbenen aus dem Heim wurde auf das Corona-Virus getestet. In der gesamten Lombardei ist die Zahl der Toten in Pflegeheimen bis Mitte April deutlich angestiegen. Insgesamt starben über 3.000 – nach offiziellen Zahlen. Hier im Pflegeheim erhalten wir eine Erklärung dafür. Die Gesundheitsverwaltung der Lombardei entschied damals, viele Corona-Patienten mit milden Symptomen ausgerechnet in den Pflegeheimen der Region unterzubringen. Mitten unter Hochrisikogruppen. Deshalb ermittelt nun die Staatsanwaltschaft.
Valerio Poloni, Präsident Pflegeheim Nembro (Übersetzung Monitor): „Für sich genommen – so gesehen ist es klar – das war eine absurde Entscheidung. Ich nehme Kranke und stecke sie in eine Einrichtung mit Patienten, die extrem schwach sind. Das ist doch absurd!“
Aber nicht nur alte Menschen starben in Nembro. Warum so viele Tote, ausgerechnet hier? Riccardo Munda ist Hausarzt. Er ist wütend, will uns unbedingt seine Praxis zeigen. Diese hat er erst Mitte März übernommen.
Dr. Riccardo Munda, Hausarzt (Übersetzung Monitor): „Ich bin in die Praxis eines Kollegen gekommen, der unter Corona-Verdacht war, und es gab keinerlei Ausrüstung, außer den Masken, die ich Ende Februar selbst gekauft hatte.“
Die Politiker hätten ihn im Stich gelassen. 600,- Euro habe er aus eigener Tasche für Ausrüstung ausgegeben. Dabei haben Hausärzte wie Riccardo Munda in Italien eine wichtige Rolle. Sie empfangen Patienten nicht nur in ihrer Praxis, sondern machen viele Hausbesuche. Dort verabreichen sie Medikamente, behandeln – verhindern so, dass die Patienten überhaupt ins Krankenhaus müssen. Schlecht ausgerüstet steckten sich viele an. 165 Ärzte starben in Italien bislang. Am Ende habe kaum noch jemand zu Hause behandelt.
Dr. Riccardo Munda, Hausarzt (Übersetzung Monitor): „Telefonisch kann man leider die Patienten nicht retten, vielleicht noch nicht mal mit einer einfachen Krankheit, geschweige denn beim Corona-Virus. Tatsächlich sind hier Tausende Menschen aus diesem Grund gestorben.“
Unterwegs nach Bergamo, wenige Kilometer von Nembro entfernt. Das Krankenhaus Papa Giovanni. Auf dem Höhepunkt der Krise haben Militärtransporter die unzähligen Leichen aus dem Krankenhaus abgeholt und in Krematorien gebracht. Wir wollen von Chefarzt Marco Rizzi wissen, warum musste damals das Militär zu Hilfe kommen?
Dr. Marco Rizzi, Chefarzt Krankenhaus Papa Giovanni XXIII. (Übersetzung Monitor): „Irgendwann war kein Platz mehr in unserem Krankenhaus, war kein Platz mehr in den Räumen der Friedhöfe. Es gab also die dringende Notwendigkeit, all diese Särge an einen anderen Ort außerhalb unserer Region zu bringen. In Italien ist es üblich, bei großen Katastrophen wie Explosionen und Erdbeben, wo schnelle Hilfe nötig ist, das Militär einzusetzen.“
In den schlimmsten Wochen platzte Marco Rizzis Krankenhaus aus allen Nähten. Dabei hätte man einige der Patienten in benachbarten Kliniken unterbringen können.
Dr. Marco Rizzi, Chefarzt Krankenhaus Papa Giovanni XXIII. (Übersetzung Monitor): „Es war sehr schwer, Plätze für unsere Patienten in anderen Krankenhäusern in der Lombardei, in Piemont oder in Venezien zu finden während der schlimmsten Tage der Krise.“
Reporter (Übersetzung Monitor): „Und dort waren Betten frei, wo Patienten hätten untergebracht werden können?“
Dr. Marco Rizzi, Chefarzt Krankenhaus Papa Giovanni XXIII. (Übersetzung Monitor): „Ja, zu einem gewissen Grad schon.“
Die Katastrophe in Bergamo hätte also zumindest abgeschwächt werden können, wenn Kliniken besser zusammengearbeitet hätten. Einer von vielen tragischen Fehlern, die in der Lombardei gemacht wurden und die zu der hohen Zahl von Covid-19-Toten führten. Die ist offenbar sogar noch viel höher als offiziell angegeben. Das erzählt uns dieser Mann. Der Mathematiker Luca Foresti hat sich die Todeszahlen von Nembro genau angeschaut – mit einem erstaunlichen Ergebnis. Pro Monat sterben in Nembro normalerweise durchschnittlich zehn Menschen. Von Ende Februar bis Mitte April waren es aber 166. In einer Studie mit der Berliner Charité kommt er zu dem Ergebnis: Nur gut die Hälfte der Toten, die in dieser Zeit registriert wurden, gelten offiziell als Covid-19-Tote. Viele Tote wurden überhaupt nicht getestet.
Luca Foresti, Mathematiker (Übersetzung Monitor): „Das bedeutet, die offiziellen Zahlen zeigen wesentlich weniger Tote. Ich gehe davon aus, dass etwa doppelt so viele gestorben sind.“
Mehr Covid-19-Tote als offiziell bekannt? In anderen Orten in der Lombardei zeigt sich ein ähnliches Bild. Deshalb warnt der Bürgermeister der Gemeinde Nembro davor, das Virus zu unterschätzen.
Claudio Cancelli, Bürgermeister Nembro (Übersetzung Monitor): „An das deutsche Volk würde ich die Botschaft richten, dass wir höchst vorsichtig sein müssen. Man muss sehr zeitig agieren und darf es nicht unterschätzen, denn in der Unterschätzung oder in der verspäteten Reaktion gab es dann Dramen. Das, was uns passiert ist, kann in jeglicher anderen Situation wieder passieren.“
Kommentare zum Thema
Ich als naiver Bürger hatte in der Pandemie wirklich an den Staat geglaubt und den "Fachleuten". Brav meine Maske getragen, brav drei Impfungen und das volle Programm. Nun stellt sich raus, das falsche Bilder gezeigt wurden, gelogen und betrogen, die Reichen noch reicher wurden, während normale Menschen ihre Existenz verloren. ich kann gar nicht in Worte fassen, wie mich das alles anwidert, wie mich mittlerweile dieser verlogene Staat anwidert. Ich habe daraus gelernt. Vertrauen, nur noch mir selbst. Bevormunden lasse ich mich nie wieder, sondern verlasse mich auf meinen ehrlichen und gesunden Verstand, und nicht auf unsere verlogenen Staatsvertreter und Staatsdiener. Das ist nun vorbei. Danke für die einmalige Lektion.
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Na habt ihr mal wieder ein altes Bild rausgesucht?! Richtiger Journalismus ist ja nicht mehr nötig... Habt ihr Euch Euren Beruf so vorgestellt?
Sie spielen auf die Bilder der Särge in Lampedusa an? Dann posten Sie einen einzigen Link mit einem Foto aus Lampedusa, auf dem die Särge und Menschen mit weißen Schutzanzüge und Masken zu sehen sind oder das in einer Kirche aufgenommen wurde. Sie werden keines finden! Die Bilder mit Särgen, die Monitor zeigt, sind aus Bergamo. Ich wundere mich, dass so viele Menschen den Hangar einer Flugzeughalle nicht von einer Kirche unterscheiden können.