Bericht: Achim Pollmeier, Stephan Stuchlik, Lutz Polanz
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Georg Restle: „Heil Trump, Sieg Heil, Sieg der weißen Rasse. Das ist der Schlachtruf US-amerikanischer Rechtsextremisten, die an die weiße Überlegenheit, die „white supremacy“ glauben. Ein Extremismus, der auch direkt in den Terror von Christchurch mündete, dem vor drei Wochen in Neuseeland fünfzig Menschen zum Opfer fielen. Guten Abend und willkommen bei Monitor.
Es ist ein Terror von ganz Rechtsaußen, der immer noch von vielen verharmlost wird. Wo immer noch von isolierten Einzeltätern und Psychopathen die Rede ist und rechtsextremistische Zusammenhänge ignoriert werden - auch in Deutschland. Dabei wächst die Gefahr des Rechtsterrorismus dramatisch an - und das weltweit. Allein in den USA stieg der Anteil rechtsextremistischer Terroranschläge auf zuletzt bis zu 35 Prozent aller Anschläge an. Mehr als jeder dritte Anschlag, und mehr als alle islamistischen Attentate - auch wenn die Zahl der Opfer hier noch höher ist. Was die Rechtsterroristen von heute vereint, ist ihre Ideologie. Beim Attentäter von Christchurch heißt die „great replacement“. Es ist die Wahnvorstellung eines politisch gesteuerten großen Austauschs der weißen Rasse. Was solche Terroristen bestärkt? Dass diese Ideologie immer weiter in die Mitte der westlichen Gesellschaften vordringt, ob bei den sogenannten Identitären in Österreich oder der AfD in Deutschland. Sie liefern den Nährboden für die rechtsextremistischen Terroristen von Christchurch, Pittsburgh oder München. Achim Pollmeier, Stephan Stuchlik und Lutz Polanz.“
Der Schock ist längst nicht überwunden - und vielleicht wird er es nie sein. Der 15. März hat Neuseeland verändert.
Hishan el Zeiny (Übersetzung Monitor): „Man hörte eine Gewährsalve und dann kurz Stille, dann wieder eine Salve - Stille - zwei, drei Salven, jede etwa 15 Schüsse - und es kam näher. Dann holte er ein anderes Gewehr, kam wieder zur Moschee zurück, er machte das in aller Ruhe.“
Das Inferno dauert über eine halbe Stunde. Als der Täter schließlich festgenommen wird, hat er 50 Menschen kaltblütig ermordet, viele weitere schwer verletzt.
Hishan el Zeiny (Übersetzung Monitor): „Menschen, die man kennt - tot. Menschen, die gerade noch gelebt haben, die nur gebetet haben.“
Ausgerechnet Neuseeland, wo Menschen aus vielen Kulturen friedlich zusammenleben. Ein Frieden, den der Terrorist nicht ertragen konnte - erfüllt vom Hass gegen Einwanderer und Muslime. Dass es eine rechtsterroristische Tat ist, daran besteht schon bei der ersten Vernehmung kein Zweifel. Aber sofort heißt es auch: er war ein Einzeltäter. Für den US-Präsidenten ein Grund, die Gefahr herunterzuspielen.
Reporter (Übersetzung Monitor): „Glauben Sie, dass der weltweite weiße Nationalismus eine wachsende Bedrohung ist?“
Donald Trump, US-Präsident, 15.03.2019 (Übersetzung Monitor): „Nein, nicht wirklich. Das ist eine kleine Gruppe von Leuten, die sehr ernste Probleme haben.“
Wer oder was machte Brenton T. zum Massenmörder und Terroristen? Welche Ideologie, welche Netzwerke? Er wächst in der australischen Kleinstadt Grafton auf, besucht die Highschool, ist Mitglied im Rugby-Team, gilt als unauffälliger Typ. Irgendwann - so viel scheint sicher - verliert er sich in den dunklen Kammern des Internets.
Marie Fitzgerald, Großmutter von Brenton T. (Übersetzung Monitor): „Er verbrachte die meiste Zeit am Computer, surfte im Internet und spielte Computerspiele.“
Ein kleines Comic-Mädchen, das ist sein mutmaßliches Konto auf der Plattform Steam. Eigentlich kann man hier Spiele kaufen und darüber diskutieren. Aber es gibt auch Chaträume mit Namen wie „schwule Nazi Nigger“ und „Hitlers Nazis“.
Robert Evans, bellingcat (Übersetzung Monitor): „Viele Leute, die zunächst in die Falle dieser Chaträume gingen - und da ist Brenton Tarrant nur einer von vielen - wollten keine Neo-Nazis werden. Das begann bei den meisten als ein Tabubruch, als ein Witz. Die wollten Holocaust-Witze tauschen und Witze über das dritte Reich. Sie dachten, das sei lustig und subversiv, aber aus dem Spaß wird dann nach und nach Ernst, bei ihm lässt sich das in seinen Online-Aktivitäten von 2013 bis 2019 gut nachvollziehen.“
Der wirklich ernste Teil spielte sich dann in antisemitischen Chaträumen wie 8chan ab, hier hatte der Attentäter als Profilbild einen prügelbereiten Australier, ein Bild aus der rechten Szene. Er schreibt, er würde jetzt aufhören „Scheiß zu posten“ und endlich mal was „Richtiges” tun. Auf Facebook werde er sein Blutbad gegen die „Invasoren“ live übertragen. Die Kommentare, die noch während des Attentats hier auflaufen, zeigen, welche Netzgemeinde ihm zu dieser zynischen Show applaudiert: Nazi-Symbole, sogenannte Hitler-Memes. Hier werden ihm Glück und viele tote Nigger gewünscht. Als arischer Gruß ein Bild des norwegischen Rechtsterroristen Anders Breivik; „Ich helfe mit“, schreibt dieser hier. Alles Leute, die der Attentäter „seine Kumpels“ nennt. Und immer wieder verlinkt jemand die Livebilder des Blutbads in der Moschee. Eine dunkle Ecke des Internets, die anscheinend von niemandem kontrolliert wird.
Matthias Quent, Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft: „Die Vernetzung, der Austausch und auch die Radikalisierung, die in rechtsradikalen Onlinesubkulturen seit einigen Jahren zu beobachten ist, wirkt sich auch in der realen Welt aus. Zum Beispiel in Demonstrationen, in Mobilisierung, aber auch in der Absprache zu Gewalttaten, in der Entwicklung von Begriffen und Theorien.“
Theorien, die sich online und offline in die Köpfe fressen. Der Attentäter von Christchurch jedenfalls hatte ein ziemlich geschlossenes rechtsextremes Weltbild, das er in seinem sogenannten Manifest niederschrieb. Schon der Titel ist kein Zufall: „Der Große Austausch - The Great Replacement”. Es beginnt mit einer Art Faktenkern: Es sind die Geburtenraten, schreibt er, „it’s the birthrates”. Wegen der niedrigeren Geburtenraten in westlichen Ländern werde die weiße Rasse durch Zuwanderer verdrängt, also ausgetauscht. Es sei ein „Genozid” am weißen Volk, gegen den es sich wehren müsse. Er prägte den Begriff des „großen Austauschs”. Der französische Philosoph Renaud Camus veröffentlichte 2012 ein Essay mit diesem Titel: „Le Grand Remplacement”. Ein Standardwerk unter Rechtsextremen, dessen Ideen es bis in die Parlamente geschafft haben.
Alexander Gauland (AfD),Bundessprecher, 23.06.2018 „Die Bundesregierung will, dass wir für die Einwanderer arbeiten. Damit die in Ruhe Kinder in die Welt setzen und den Bevölkerungsaustausch vollenden können.“
Gottfried Curio (AfD), Bundestagsabgeordneter, 04.10.2018 „Diese als Geflüchtete getarnten Eroberer sehen unsere Gesellschaft als Beute an.“
Björn Höcke (AfD), Fraktionsvorsitzender Thüringen, 17.01.2017: „Unser liebes Volk ist im Inneren tief gespalten und durch den Geburtenrückgang sowie die Masseneinwanderung erstmals in seiner Existenz tatsächlich elementar bedroht.“
Daniel Köhler, Forschungsinstitut für Radikalisierung (GIRDS): „Die Übereinstimmungen zwischen der Ideologie des Attentäters von Christchurch und rechtsextremen, rechtspopulistischen, rechtskonservativen Ideologien und Bewegungen in anderen westlichen Ländern ist sehr groß. Das heißt, die Idee, dass die westliche Kultur, die westlichen Völker unter einer Bedrohung und einer existentiellen Gefahr stehen durch andere Menschen und Kulturen und dass dieser Austausch bewusst vorangetrieben wird in einer großen Verschwörung gegen eben westliche, weiße, christliche Kulturen, ist ein zentraler Bestandteil von sehr, sehr vielen, wenn nicht gar allen rechtsextremen Ideologien.“
Sie haben den angeblichen „großen Austausch” zum Kampfbegriff erhoben - die sogenannte Identitäre Bewegung in Europa. Sie geben sich jung, hip und gewaltfrei, setzen auf spektakuläre Aktionen. In Deutschland sind sie im Visier des Verfassungsschutzes. Martin Sellner, führender Akteur der Identitären in Deutschland und Österreich. Ausgerechnet Sellner musste zugeben, dass der Attentäter von Christchurch ihm 2018 1.500,- Euro gespendet hat - auf sein Privatkonto. Sellner bestreitet, den Mann damals gekannt zu haben, sieht sich als Opfer. Aber warum bekommt ausgerechnet er in Österreich Geld von einem Rechtsterroristen aus Neuseeland?
Matthias Quent, Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft: „Die Spende des Attentäters an die Identitäre Bewegung zeigt die ideologische Sympathie, zeigt die Nähe. Er hat auch selber gesagt, noch weiteren nationalistischen Bewegungen gespendet zu haben. Das ist natürlich ein sehr deutlicher Indikator dafür, dass der Attentäter von Christchurch ein Fan der sogenannten Identitären Bewegung war.“
Der Umgang mit Gewalt ist in der rechten Szene umstritten. 2017 organisierten neurechte Vordenker dazu eine eigene Tagung in Sachsen-Anhalt. Sellner spricht sich gegen den Einsatz von Gewalt aus - aus taktischen Gründen.
Martin Sellner, Identitäre Bewegung Österreich, 18.02.2017: „Gewaltfreiheit und Gewaltlosigkeit im Aktivismus bedeutet nicht Wehrlosigkeit, sondern sie ist meiner Meinung nach gerade parallel zu laufen mit einer echten Wehrhaftigkeit. Sondern wir machen es aus einer bewussten Überlegung, aus einer metapolitischen Überlegung heraus, aus einer strategischen Überlegung. Wir wissen, dass es besser ist und besser wirkt.“
Gewaltlosigkeit, weil es besser wirkt! Bei der Konferenz sind mehrere AfD-Politiker dabei und ein prominenter Redner. Jack Donovan ist Teil der rassistischen Alt-Right-Bewegung in den USA. Zur Frage der Gewalt nimmt er kein Blatt vor den Mund.
Jack Donovan, Alt-Right-Bewegung (Übersetzung Monitor): „Natürlich kann man aus strategischen Überlegungen mit dem Begriff von der „bösen Gewalt” spielen, das ist in Ordnung. Aber diejenigen, die die Moral der Herren der Moral der Sklaven vorziehen, müssen aufpassen, dass die Sklaven mit ihrer Vorstellung von Gewalt nicht unseren Geist und unsere Kultur infizieren. Für den edlen Barbaren stellt sich die Frage nicht, ob Gewalt gegen Leute, die nicht die eigenen Leute sind, gut oder böse ist oder moralisch berechtigt.“
Eine rechtsextremistische Gewaltideologie, die bei Attentätern offenbar ankommt. Fest steht, weltweit nimmt die Zahl rechtsterroristischer Attacken zu. Besonders betroffen, die USA. 2012, Oak Creek, Anschlag auf einen Sikh-Tempel. Ein weißer Rassist ermordet sechs Menschen. 2015, Charleston. Ein 21-jähriger ermordet neun Schwarze bei einer Bibelstunde - angeblich im Namen der weißen Rasse. Oder 2018, Anschlag in einer Synagoge in Pittsburgh. Elf Menschen werden ermordet, weil sie Juden waren.
Eine Untersuchung der Universität von Maryland sagt, in den 2000er Jahren gab es neun rechtsextremistische Anschläge in den USA, seit 2010 bereits 40. Der Anteil der rechtextremistischen Taten an allen Terrorakten stieg von sechs Prozent auf 35 Prozent. Die Gründe sind vielfältig. Klar aber ist, die geistigen Brandstifter sind auch in den USA im Aufwind.
Richard Spencer, White-Supremacy-Aktivist, 19.11.2016 (Übersetzung Monitor): „Weiß zu sein bedeutet, du bist ehrgeizig, du bist ein Kreuzritter, ein Entdecker und ein Eroberer.“
Richard Spencer gehört zu den wichtigsten Führern der Rassistenbewegung in den USA. Er bezeichnet sich als weißen Europäer und ist weltweit vernetzt. Er unterstützt Rechtsextremisten in Russland und auch in Westeuropa. Der aktuelle Präsident Donald Trump gilt ihm als Symbol für die Verteidigung der weißen Identität.
Richard Spencer, White-Supremacy-Aktivist (Übersetzung Monitor): „Heil Trump! Heil unserem Volk! Sieg Heil!”
Prof. Seth Jones, Center for Strategic and International Studies (CSIS) (Übersetzung Monitor): „Es gibt in den Vereinigten Staaten eine dynamische, virtuelle Community der extremen Rechten. Genauso gibt es sie zwischen den USA und Deutschland, Italien, der Ukraine oder anderen extrem rechten Communities in Europa. Da passiert viel unter der Oberfläche. Was wir sehen, sind nur die gelegentlichen Ausbrüche.“
Ausbrüche, die sich auch in Europa häufen. Aus einer renommierten norwegischen Datenbank geht hervor, dass die Zahl rechtsextremer Terrorakte, Morde und Mordversuche in Westeuropa seit dem Jahr 2000 deutlich zugenommen hat. Noch deutlicher ist das Bild bei den Opfern. Von 2001 bis 2005 gab es noch 136 Tote und Verletzte. Von 2011 bis 2015 waren es mehr als dreimal so viele. Viele solcher Taten werden von den Behörden nicht als Rechtsterrorismus benannt, auch in Deutschland nicht. Beispiel München 2016: Anschlag am Olympia-Einkaufszentrum. Der Täter tötet gezielt neun Menschen, bei denen er einen Migrationshintergrund vermutet. Die bayerischen Behörden sehen in dem Täter einen Psychopathen. Das Mahnmal für die Opfer. Florian Hartleb hat die Attacke als Gutachter untersucht. Der junge Attentäter David S. hatte ein Manifest verfasst, hetzte gegen „ausländische Untermenschen”. Trotzdem gilt die Tat für die bayerischen Behörden bis heute nicht als politische Tat, sondern als Amoklauf. Für Hartleb ein typisches Beispiel, wie die Bedrohung durch rechtsextreme Gewalt immer wieder unterschätzt wird.
Florian Hartleb, Politikwissenschaftler: „Das heißt, dass die politischen Hintergründe ausgeblendet werden, Rassismus, auch der zunehmende Hass auf Migranten, auch die Ablehnung vom Islam, die Beschwörung eines Kulturkampfes. Wenn solche Fragen nicht gestellt werden, wird es eben sehr schwierig, solche Taten dann auch letzten Endes zu verhindern und auch eine gesellschaftliche Debatte über solche Radikalisierungstendenzen zu führen.“
Wie der Christchurch-Attentäter hatte auch David S. ein Profil auf Steam, der Spieleplattform. Er stand weltweit in Kontakt zu Gleichgesinnten, über Chatgruppen wie der „Anti-Flüchtlings-Gruppe”. Einer seiner dortigen Chatfreunde schlägt eineinhalb Jahre später zu, ermordet in den USA zwei Schüler mit lateinamerikanischen Wurzeln. Unter welchen Bedingungen rechte Ideologie zu Terror und Gewalt umschlägt, ist bisher kaum erforscht. Doch die Bedrohung wächst. Der Terrorist von Christchurch war vielleicht ein Einzeltäter - doch er war nicht allein.
Georg Restle: „Genau darum geht es: Zu erkennen, dass Terrorismus eben nicht ohne die dazugehörige Ideologie gedacht und damit auch bekämpft werden kann. Nicht mit Waffen, sondern mit Argumenten.“
Kommentare zum Thema
Auch nach dem Terroranschlag auf Sri Lanka möchten das Monitor Team und einige andere sicher das wir uns unsere Leichtgläubigkeit und Naivität bewahren.
Wenn es in so vielen Gesellschaften eine so radikale Ablehnung von Einwanderen gibt dann macht es doch keinen Sinn ständig mehr Einwanderung zu fordern, denn das bedeutet dann logischerweise mehr Opfer. Was für ein verantwortungsloser Quatsch.
Ach Ronald, du hast ja so recht. Danke das es Dich gibt.