Chemnitz: Der lange Marsch der Rechtsextremen

Monitor 31.08.2023 10:42 Min. Verfügbar bis 30.12.2098 Das Erste Von Andreas Maus, Julia Regis

MONITOR vom 31.08.2023

Chemnitz: Der lange Marsch der Rechtsextremen

Vor fünf Jahren rotteten sich in Chemnitz tagelang Rechtsextreme zusammen. Es kam zu massiven Gewaltausschreitungen und zum offenen Schulterschluss der AfD auch mit gewaltbereiten Neonazis. Was damals für Empörung sorgte, ist mittlerweile nahezu alltäglich. Die Ausschreitungen waren ein Schlüsselmoment für eine Radikalisierung, die mittlerweile weit in die so genannte "Mitte der Gesellschaft" vorgedrungen ist.

Von Andreas Maus, Julia Regis

Kommentieren [33]

Georg Restle: "Dieses Bild hier ist fast auf den Tag genau fünf Jahre alt. Chemnitz im Spätsommer 2018 – eine Stadt im Ausnahmezustand. Die gesamte rechtsextreme Szene Deutschlands hatte damals mobil gemacht, um sich mit der AfD auf der Straße zu vereinigen. Ein Schulterschluss, den vor allem ein Mann organisierte, Björn Höcke, damals noch umstrittener Rechtsaußen der Partei. Fünf Jahre später hat sich die AfD verändert und mit ihr auch dieses Land. Björn Höcke ist mittlerweile die nahezu unumstrittene Leitfigur der AfD. Und während sich die einen immer weiter radikalisieren, scheinen sich immer mehr Menschen im Land genau daran zu gewöhnen, dass sich Rechtsextremisten in der Gesellschaft breit machen, und das nicht nur auf den Straßen. Julia Regis und Andreas Maus."

Chemnitz im Spätsommer 2018 – Rechtsextreme rotten sich in der Stadt zusammen und machen Jagd auf Menschen. Nach einem tödlichen Messerangriff auf den Deutsch-Kubaner Daniel H. beherrschen Neonazis und ihre Parolen tagelang die Straßen. Die AfD ruft schließlich zu einem sogenannten Schweigemarsch auf; Tausende schließen sich an. Neonazis, Hooligans, rechtsextreme Kampfsportler – am Ende vereinen sie sich alle. Ein offener Schulterschluss, der in Gewalt mündet; immer wieder werden Unbeteiligte, Gegendemonstranten und Journalisten attackiert – entfesselte Aggression. Schon kurz nach Chemnitz zeigt sich die Wirkung dieser Ereignisse. Auch dieser Mann lief mit, beim sogenannten Schweigemarsch, Stephan Ernst. Ein Dreivierteljahr nach Chemnitz erschießt er den CDU-Politiker Walter Lübcke, weil der sich für die Unterbringung von Geflüchteten eingesetzt hatte. Die Ereignisse in Chemnitz beschreibt Ernst später vor Gericht als einen Auslöser, danach seien die Pläne für die Tat konkret geworden. Und bereits kurz nach den Ausschreitungen schließen sich acht Männer im September 2018 zur Gruppe "Revolution Chemnitz" zusammen. Mitglieder der Gruppe attackieren und verletzen mehrere Menschen. Später fliegen Pläne für einen Terroranschlag auf.

Prof. Matthias Quent, Rechtsextremismusforscher, Hochschule Magdeburg-Stendal: "Diese Tage in Chemnitz waren eine Art Inkubator, ein Beschleuniger für rechtsterroristische Mobilisierungen, für rechtsterroristische Kampagnen. Weil dieses Erwachungserlebnis, das dort inszeniert wurde, das Fanal, das gesetzt wurde; jetzt beginnt der nationale Aufbruch. Das war ja das, was die Menschen nicht nur im Internet geschrieben haben, sondern was sie auch gefühlt und nach außen getragen haben."

Die Tage in Chemnitz, die Radikalisierung auf der Straße, sie haben Einfluss bis heute. Auch für die AfD war Chemnitz ein Schlüsselmoment. Ein geplanter Schulterschluss selbst mit gewaltbereiten Neonazis, orchestriert vom extrem rechten Flügel um Björn Höcke. Damals noch umstritten, heute DIE Leitfigur der AfD. AfD-Parteitag in Magdeburg vor wenigen Wochen. Hier zeigte sich endgültig, Höcke und seine Anhänger sind mittlerweile tonangebend in der Partei, ideologisch und personell. Und, die Verbindungen aus Chemnitz, sie bestehen weiter. Zum Beispiel dieser Delegierte beim AfD-Parteitag: Arthur Österle. Vor fünf Jahren in Chemnitz war er noch Ordner und Wortführer bei der rechtsextremen Versammlung, die sich der AfD anschloss:

Arthur Österle: "Meinetwegen bindet euch den rechten Arm an. Wir sind heute hier als Volk und nicht als politische Gesinnung."

Den rechten Arm anbinden, die Gesinnung verstecken. Heute ist Österle als Parteimitglied in der AfD etabliert. Und auch Höcke selbst ist weiter eng verbunden mit den rechten Wortführern von damals. Gera, Anfang Oktober 2022 - zum Tag der Deutschen Einheit haben rechtsextreme Gruppierungen zum Protest aufgerufen. Knapp 10.000 sind gekommen. Höcke lässt sich auf der Bühne feiern. Auf derselben Bühne spricht auch dieser Mann: Martin Kohlmann. Genau wie Höcke spielte er bereits 2018 in Chemnitz eine wichtige Rolle. Als Organisator jener rechtsextremen Demo, die mit der AfD gemeinsame Sache machte.

Michael Nattke, Kulturbüro Sachsen e. V.: "Diejenigen, die damals die Protagonisten waren, die haben sich weiter radikalisiert. Die haben sich nicht gemäßigt, in keiner Form. Und ein großer Teil der Demonstrierenden von damals wurde mitgenommen bei dieser Radikalisierung."

Die Netzwerke und die Strategien haben sich weiterentwickelt. Das zeigt sich insbesondere an dieser rechtsextremen Partei: den Freien Sachsen, gegründet 2021. Entscheidende Führungsfigur ist hier wieder er, Martin Kohlmann, der 2018 den rechtsextremen Aufmarsch in Chemnitz mit anführte. Die Freien Sachsen sind vor allem auf der Straße präsent. Man fordert ein Ende der Sanktionen gegen Putin, hetzt gegen Asylsuchende. Statt einer Großdemonstration – wie 2018 – organisiert man jetzt viele kleinere Proteste - Woche für Woche. Wie hier in Bautzen – im Erzgebirge in Grünhain – oder im sächsischen Hirschfelde. Räume besetzen, ein Prinzip, das rechte Gruppierungen nicht nur in Sachsen verfolgen. Wie hoch das rechte Mobilisierungspotential vor allem im Osten Deutschlands ist, zeigen diese Zahlen: allein am vergangenen Montag wurde in Sachsen-Anhalt zu 19 Protesten aufgerufen, in Thüringen waren es insgesamt 61, in Sachsen wurden die meisten rechten Märsche angekündigt, 115. An einem einzigen Tag.

Prof. Beate Küpper, Rechtsextremismusforscherin, Hochschule Niederrhein: "Solche Proteste sind eben auch klassische Raumergreifungsstrategien und Zeigen von Dominanz auf der Straße; sie erzeugen auch Aufmerksamkeit. Zum Zweiten signalisieren sie aber auch, wir sind diejenigen, die die Straße besetzen und auch Angst und Schrecken verbreiten."

Diese Woche in Chemnitz, wieder rechter Protest. Fünf Jahre nach den großen Krawallen versammeln sie sich jeden Montag hier. Am Rande der Demo hat sich eine kleine Gruppe zum Gegenprotest aufgestellt. Hier versuchen sie es noch, jede Woche dagegen zu halten. Es sei nicht leicht, erzählen sie uns.

Sabine Uhlmann, "Aufstehen gegen Rassismus Chemnitz: "Wir haben immer mal versucht, Protest zu organisieren, das ist sehr schwer und die Leute sind auch irgendwo müde oder hilflos … es sind nur diejenigen auf der Straße, die gegen alles hetzen, was irgendwo demokratisch oder solidarisch ist. Und dann sich dann jede Woche noch hinzustellen, ist für viele, die sagen, das bringt doch nichts, wir machen ja und wir denken ja so, aber die sehen die Notwendigkeit, die sehen die Gefahr nicht und die Notwendigkeit auch auf der Straße Gesicht zu zeigen."

Gesicht zeigen gegen rechts. An diesem Montag sind es hier knapp zwanzig. Seit Jahren beobachtet Michael Nattke vom Kulturbüro Sachsen, wie rechte Propaganda vielerorts immer mehr zum Alltag wird.

Michael Nattke, Kulturbüro Sachsen e. V.: "Also, diese Normalisierung seit Chemnitz, die ist tatsächlich ein Problem, weil, weil wir uns an die Sachen gewöhnen. Also, die Gesellschaft gewöhnt sich daran, dass jede Woche zahlreiche Demonstrationen stattfinden, es wird überhaupt nicht mehr darüber berichtet, das ist gar nicht, es ist gar nicht mehr wert, eine Auseinandersetzung damit zu führen, weil es so viele Demonstrationen und so viel Mobilisierung von rechts ist. Das ist natürlich besorgniserregend, das gibt den Rechten Kraft und das drängt zivilgesellschaftliche Kräfte immer mehr zur Seite."

Und oft gibt es gar keinen sichtbaren Gegenprotest mehr auf der Straße. So wie hier in Sebnitz - ausgerechnet hier. Am 22. Juli kommt es in dem Städtchen im Erzgebirge zu einem Angriff auf eine Unterkunft für Geflüchtete. Die Hintertür wird eingetreten, vier maskierte Männer dringen ein, werfen Gegenstände nach Bewohnern. Auch kleine Kinder befinden sich offenbar in unmittelbarer Nähe. Wenige Wochen später lädt die Kirche zu einem Gebet für Solidarität und ein friedliches Miteinander ein; es kommen rund 40 Menschen. Draußen sind es deutlich mehr. Rund 450 marschieren bei einem sogenannten "Brennpunkt-Protest". Nicht aus Mitgefühl, im Gegenteil, hier geht es gegen die eigentlichen Opfer, gegen die Aufnahme von Asylsuchenden. Der Angriff auf die Geflüchteten erfährt hier sogar offene Zustimmung.

Frau auf der Straße: "Na, was soll ich denn dazu sagen, eigentlich alles richtig gemacht."

Mann auf der Straße: "Find ich geil, find ich in Ordnung."

Frau auf der Straße: "Also ganz ehrlich, die richtige Antwort, wenn Reden nicht mehr hilft, was will man machen?"

Gewalt als legitimes Mittel. Getragen von Bürgern einer Stadt, die auch hier gemeinsam mit Neonazis, den rechtsextremen Freien Sachsen, der AfD auf die Straße gehen.

Prof. Beate Küpper, Rechtsextremismusforscherin, Hochschule Niederrhein: "Gefährlich ist, dass der Rechtsextremismus seinen Schrecken verliert. Und da haben die Entwicklungen der letzten Jahre ja peu à peu zu beigetragen. Er hat es geschafft, relativ erfolgreich, ganz in breite Milieus der Bevölkerung mit Slogans hineinzusickern, so dass eben auch Gewalttaten gerechtfertigt werden als Widerstand, also es bleibt einem ja nichts anderes übrig. Und auch hierfür sind ja die Slogans zugeliefert worden."

Georg Restle: "Parolen die in Gewalt münden. Im ersten Halbjahr 2023 kam es laut Bundesregierung zu 74 rechtsmotivierten Straftaten gegen Asylunterkünfte. Außerhalb der Unterkünfte zählt die Bundesregierung 600 rechte Straftaten gegen Geflüchtete und Asylsuchende. Die Ausschreitungen in Chemnitz, sie waren ein Schlüsselmoment – für eine Gesellschaft, die sich in weiten Teilen immer stärker radikalisiert - und das zunehmend normal findet."

Startseite Monitor

Stand: 01.09.2023, 11:35 Uhr

Kommentare zum Thema

Kommentar schreiben

Unsere Netiquette

*Pflichtfelder

Die Kommentartexte sind auf 1.000 Zeichen beschränkt!

33 Kommentare

  • 33 Frieden statt Krieg 04.09.2023, 10:48 Uhr

    Nach derzeitiger Prognose für die nächste Bundestagswahl steht unser Deutschland wieder vor dem gleichen Problem wie vor der letzten Bundestagswahl. Unser Volk wünscht der Sonntagsfrage nach an 1. Stelle eine Koalition CDU/CSU - AfD oder 2. wieder eine Große Koalition zwischen CDU/CSU und SPD. Doch wir vom Volk werden auf die Regierungsbildung wieder kaum Einfluss haben weil die Politiker wie letztens durch Koalitionsbildung entscheiden wer regiert, nicht das Volk. So wie es aussieht will niemand der Parteien die AfD in einer Regierung sehen. Die „Königsmacher“ der SPD (SED/PDS-Schwärmer) wollen zusätzlich nicht mit der Union und nicht mit den heutigen Linken koalieren. Also wird es denkbar wieder zu einer Art aufgestockte Ampel kommen. Einer Regierung welche uns weiter durch Kriegsbeteiligung gefährdet. Welche die Zeit durch grün-68er radikale Umweltgesetze zurückdrehen will, welches die große Investitionsangst im Volk und in der Wirtschaft weiter steigert. Keine guten Aussichten!

  • 31 Victor Jara 04.09.2023, 07:38 Uhr

    Rechte Gewallt wird deshalb normal weil sie vom Staat überhaupt nicht verfolgt wird .Das führt zu einem Freifahrtsschein für alles und jedes was Unrecht zu Recht macht , obwohl es Unrecht ist was da täglich passiert. Zahlen sprechen bekanntlich für sich ; seit 1990 sind durch Rechtsmotivierte Straftaten 198 Menschen mit Immigrationshintergrund ums Leben gekommen . Selbst die Polizei schreckt vor Morden nicht zurück ,weil wie ist sonst das verbrennen im Gewahrsam der Polizei zu erklären . Man denke nur an Oury Jalloh der in der Obhut der Polizei verbrannte . Für mich war das Mord . Und warum geht die Polizei so Menschenverachtend gegen Antifaschisten vor ? Diese werden regelrecht bekämpft . Obwohl die sich eindeutig für Menschenrechte einsetzen . Dies erinnert mich doch sehr an die Zeit wo Nazis die Macht ergriffen ,da stand auch die Polizei Gewehr bei Fuß. Also was wundern wir uns . Alles schon mal dagewesen . Geschichte wiederholt sich ,völlig Krank .

  • 30 L. 03.09.2023, 20:49 Uhr

    Dieser Kommentar wurde gesperrt, weil er gegen unsere Netiquette verstößt. (die Redaktion)

  • 29 Kirche 03.09.2023, 18:54 Uhr

    Dieser Kommentar wurde gesperrt, weil er gegen unsere Netiquette verstößt. (die Redaktion)

  • 28 Harmonie 03.09.2023, 13:21 Uhr

    Die Unionsparteien könnten verhindern dass die Grün-68er unser Heimatland Deutschland weiter zerstören, abschaffen. Leider ist für mich bei denen dafür nur ein Unwillen erkennbar. Sie hoffen denkbar nach der nächsten BT-Wahl mit den Grünen, der FDP eine Regierungskoalition zu bilden. Meine Vermutung ist darin begründet dass Unionspolitiker sich der AfD gegenüber gleichartig verhalten wie die ideologisch strenggläubigen Grün-68er. Vor der Wahl fast täglich betonen dass sie „nicht mit der AfD zusammen arbeiten, sprechen wollen“ (und das obwohl die AfD sich vor Jahren teils aus Unionspolitiker zusammen setzte) das lässt vermuten dass auch nach der BT-Wahl es keine andere unserem Staat gegenüber freundlichere, nützlichere Politik zu erwarten gibt. Der einstmals wirtschaftlich starke Staat Deutschland wird weiter im US-Interesse geschwächt werden. Die Grundgesetzforderung dass unsere Regierung für den Staat, nicht gegen unseren Staat Politik zu führen ist offensichtlich bedeutungslos.

  • 27 Harmonie 03.09.2023, 12:45 Uhr

    Dieser Kommentar wurde gesperrt, weil er gegen unsere Netiquette verstößt. (die Redaktion)

  • 26 Wahn 03.09.2023, 11:43 Uhr

    Interessant dass keine Straftaten seitens Anhänger der grün-68er Ideologie gezählt werden. Die vorhandene Einseitigkeit unsere vorwiegend in ideologisch grün-68er Führung befindlichen Medien hat neben der, meiner Meinung nach unseren Staat zerstörenden grün-68er Politik mit dazu beigetragen dass die AfD derzeitig in den sogenannten Sonntagsfragen auf den derzeitigen hohen Wert angewachsen ist. Dass die AfD derzeitig auf dem „Siegerpodest“ steht das liegt glaube ich nicht am sympathischen Wirken der AfD-Politiker sondern an der propagandistischen Hetz- und Hasspolitik der Grün-68er. Die grün-68er Politik zerstört durch ihre Politik des Anhaltens von Leben der zukünftigen Umwelt wegen, durch ihre Kriegs-Unterstützung der Ukraine mit unserem Geld und unseren Waffen, durch ihre Forderung nach unbegrenztem Zuzug von Menschen aus dem nahöstlichen und südländischem Raum, durch ihre Sanktionen, Verweigerung des preisgünstigeren sibirischen Erdgases, ihren Heizungswahn unser Deutschland….

  • 25 Denkwürdig 03.09.2023, 09:58 Uhr

    Dieser Kommentar wurde gesperrt, weil er gegen unsere Netiquette verstößt. (die Redaktion)

  • 24 Frieden 03.09.2023, 09:44 Uhr

    Dieser Kommentar wurde gesperrt, weil er gegen unsere Netiquette verstößt. (die Redaktion)

  • 22 Habenichts 02.09.2023, 13:30 Uhr

    Dieser Kommentar wurde gesperrt, weil er gegen unsere Netiquette verstößt. (die Redaktion)

  • 20 Michael Block 01.09.2023, 02:27 Uhr

    Für den Zuwachs der Rechten ist die etablierte Politik der kapitalistischen Klassengesellschaft verantwortlich. Der Kapitalismus ist das Fundament des Faschismus. Nur der demokratische Sozialismus kann Ausbeutung, Raubbau und Faschismus stoppen.