Bericht: Lutz Polanz
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Georg Restle: "83 Abgeordnete schickt die AfD in den neuen Bundestag. Wäre es nach ihrem bundesweiten Zweitstimmenergebnis gegangen, wären es aber eigentlich nur 69 gewesen. Und ähnliches gilt für alle anderen Fraktionen im Bundestag. Überhangmandate, Ausgleichsmandate, so viele wie noch nie – am Ende haben wir jetzt den größten und teuersten Bundestag aller Zeiten. Und das alles nur wegen einer Partei, der CSU: Sie ist die größte Profiteurin einer verkorksten Wahlrechtsreform, die sie selbst maßgeblich mit vorangetrieben hat – und die sogar fast dazu geführt hätte, dass Markus Söder aus einem verzerrten Wahlergebnis einen ganz eigenen Regierungsanspruch abgeleitet hätte. Fast – wie das alles sein kann? Lutz Polanz klärt Sie auf."
Wahlnachlese in München-Mitte. Unterwegs mit Dieter Janecek. Der Grünen-Politiker sitzt zwar im Bundestag, aber er hat den Kampf um das Direktmandat in seinem Wahlkreis verloren. Gerade mal 137 Stimmen fehlten, um seinen Mitbewerber von der CSU, Stephan Pilsinger, aus dem Rennen zu werfen. Ein hauchdünnes Ergebnis – mit weitreichenden Folgen für den Bundestag.
Dieter Janecek, Bündnis 90/Die Grünen, Mitglied des Bundestages: "Wenn ich gewonnen hätte, dann wären jetzt 17 Abgeordnete des Deutschen Bundestages nicht im Bundestag. Und der Steuerzahler hätte circa 35 Millionen Euro gespart und ein CSU-Abgeordneter wäre weniger im Bundestag."
137 Stimmen Unterschied, und dafür sitzen jetzt 17 Abgeordnete mehr im Bundestag? Kann das sein? Ja, es kann. Doch der Reihe nach. Bei der Bundestagswahl geht die Union baden. Die CDU verliert mehr als ein Viertel ihrer Wähler, und fast ebenso viele Sitze im Parlament. Auch die CSU verliert deutlich, vor allem bei den Zweitstimmen. Bei der Zahl ihrer Abgeordneten verliert die Partei aber nur einziges Mandat, kommt fast ungeschoren davon.
Markus Söder, Ministerpräsident Bayern, 27.09.2021: "Wir haben in Deutschland das beste Ergebnis, was die Direktmandate betrifft. 45 von 46. Das ist deswegen so bemerkenswert, weil wir in einigen Teilen in Deutschland kaum mehr Direktmandate für die Union gewonnen haben."
Was CSU-Chef Markus Söder nicht sagt: Ginge es nach den Zweitstimmen, hätte ihr historisch schlechtes Abschneiden der CSU gerade mal 34 Sitze im Bundestag beschert. Weil sie aber dank der Erststimmen in 45 bayerischen Wahlkreisen den Sieger stellte, erhält die CSU jetzt 11 Sitze mehr, die sogenannten Überhangmandate. Und das hat Folgen für die Größe des Bundestages. Denn damit die Verteilung der Sitze trotzdem gerecht bleibt, müssen die Überhangmandate der CSU bei den anderen Parteien ausgeglichen werden, mit sogenannten Ausgleichsmandaten. So erhält die CDU 29 Abgeordnete dazu, die SPD 36, und so weiter bei allen anderen Parteien. Deshalb gibt es im neuen Bundestag jetzt insgesamt 137 Abgeordnetenmandate mehr als eigentlich vorgesehen.
Prof. Thomas Gschwend, Wahlforscher, Universität Mannheim: "Es liegt in … bei dieser Wahl eindeutig an Bayern und an der CSU. Die CSU hat fast alle Wahlkreise gewonnen in Bayern und hat dadurch so viel mehr Sitze bekommen wie ihr eigentlich zustehen würde nach den Zweitstimmen. Und deswegen werden diese Sitze ausgeglichen mit Ausgleichsmandaten. Und das führt dazu, dass der Bundestag dann anwächst."
Aber warum bläht gerade das Wahlergebnis der CSU den Bundestag so auf? Auch andere Parteien haben bei dieser Bundestagswahl Überhangmandate gewonnen. CDU, SPD und auch die AfD. Ihre Erfolge in einigen Bundesländern werden aber in anderen Bundesländern verrechnet. Bei der CSU geht das nicht, weil sie ja nur in Bayern antritt. Und deshalb geht es in Berlin weiter nur in eine Richtung. Der Bundestag wächst und wächst. Statt der Sollgröße von 598 Abgeordneten auf die Rekordgröße von 735. Dabei kommt die Bundestagsverwaltung schon jetzt mit dem Bauen kaum hinterher. Aktuell entstehen Hunderte neuer Büros im Regierungsviertel.
Joachim Behnke, Wahlforscher, Zeppelin Universität, Friedrichshafen: "Es wird teurer, weil wir mit jedem Abgeordneten ungefähr drei Millionen Euro pro Legislaturperiode zusätzlich bezahlen müssen. Das heißt, für diese 137 Abgeordneten fallen Mehrkosten an in der Größenordnung von mehr als 400 Millionen Euro. Und gleichzeitig wird das Parlament aber schlechter arbeiten, weil die Funktionsfähigkeit darunter leiden wird."
Mit der Reform des Wahlrechts 2020 wollte die GROKO das ungebremste Wachstum des Bundestages eigentlich beenden. Doch die CSU stritt verbissen um ihre Sitze, und um weitere Vorteile. So werden von ihren elf Überhangmandaten nur acht ausgeglichen, also so, dass auch die anderen Parteien profitieren. Drei Abgeordnetensitze darf die CSU dagegen als Bonus für sich behalten – ohne jeden Ausgleich! Klingt nicht viel, kann aber entscheidend sein. Das zeigte sich schon am Wahlabend. In der ersten Hochrechnung der ARD lag die SPD nach den Zweitstimmen zwar mit 0,2 Prozent vor der Union, hatte aber trotzdem einen Abgeordneten weniger.
Jörg Schönenborn: "CDU 155, CSU 43, sind zusammen 198. Die SPD-Fraktion käme nur auf 197. Ursache dafür, die CSU hat durch Überhangmandate vermutlich einen Mandatsvorteil von drei Sitzen.”
Drei Bonusmandate für die CSU. Kein Wunder, dass Parteichef Söder trotz der Wahlschlappe umgehend Machtansprüche anmeldete.
Markus Söder (CSU), Ministerpräsident Bayern, Berliner Runde (26.09.2021): "Es schwankt auch zwischen Prozenten und dann den Sitzen im Deutschen Bundestag. In einigen Umfragen bei der ARD liegt die Union sogar bei der Fraktionszahl von Abgeordneten vorne, was auch ein eigener Führungsanspruch noch mal zusätzlich wäre."
Ein eigener Führungsanspruch aufgrund einer selbst herbei geführten Verzerrung des Wahlergebnisses. Fast wäre die CSU damit durchgekommen, wäre es bei diesem Ergebnis geblieben. Was bleibt, ist der größte und teuerste Bundestag aller Zeiten. Dagegen hilft dann wohl nur noch eine Reform der Wahlrechtsreform.
Georg Restle: "Ob es bei einer Ampel-Koalition dazu kommt? Ergebnis offen. Schließlich war es auch die SPD, die uns diesen neuen Riesen-Bundestag mit eingebrockt hat. Warum auch immer."
Kommentare zum Thema
Sagen wir es einfach: Wenn man einen Teich trocken legen will/muss, soll man nicht die Frösche fragen!
Warum hat Herr Restless (=Problem der Autovervollständigung, aber passt doch) wohl zu erwähnen vergessen, dass die Linken mit 4,9 % abgewählt wurden und dennoch wegen dreier Direktmandate mit fast 40 Abgeordneten (aus der Erinnerung 39) in den neuen Bundestag eintreten werden? Wer denkt Böses … Natürlich, viel zu viele Abgeordnete und leider kaum Produktivität. Grundsätzlich bin ich eher ein Befürworter der Direktkandidaten, die meist noch an der Basis DIENST leisten. Viele Listenkandidaten, egal welcher Partei, habe ich leider in den vergangenen Legislaturperioden kaum noch wahrgenommen. Herr Restle, ich teile die Vorwürfe rund um den zu großen Bundestag, aber warum immer wieder Ihre einseitigen Schuldzuweisungen.
Könnte Monitor nicht mal die Zahlen - aus dem Bundeshaushalt - offen auf den Tisch legen. Wer mag schon die Zahlen vom BMF selber herausfiltern, da wäre doch ein Volontär einen halben Tag lang gut beschäftigt und würde etwas über trockene Recherche lernen! In 2011 kostete uns Berlin mit der angehängten Verwaltung für die politische Führung ca. 5 Mrd Euro, in 2021 waren es fast 23 Mrd. Euro - in diesen Beträgen sind die Rückstellungen für die Übergangs- und Ruhestandsansprüche enthalten - die machten in 2021 übrigens schon fast die Hälfte aus...... Aber ich bin ja nur ein gemeiner Bürger, das glaubt mir keiner, der nicht selber beim BMF nachforscht - nur warum sollte er, es ändert ja nichts.