MONITOR vom 22.02.2018

Konjunkturprogramm für Ärzte? Was von der Bürgerversicherung übrigblieb

Bericht: Jan Schmitt, Herbert Kordes

Konjunkturprogramm für Ärzte? Was von der Bürgerversicherung übrigblieb Monitor 22.02.2018 05:41 Min. Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste

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Georg Restle: „Zum Beispiel das hier. 70 Prozent der Inhalte gingen auf die SPD zurück, das behaupten Wissenschaftler. Fragt sich nur, ob das auch für die zentralen Themen der Sozialdemokratie gilt. Zum Beispiel beim Thema Gesundheit. Hier wollte die SPD bis zuletzt die Bürgerversicherung gegen die Zwei-Klassen-Medizin einführen, aber daraus wurde ja bekanntlich nichts. Stattdessen gibt es jetzt wieder die paritätische Finanzierung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, die von der SPD mal abgeschafft wurde. Und eine neue Honorarordnung für Ärzte über die, wann auch immer, eine Kommission entscheiden, soll. Was das überhaupt bringen soll, und was das Ganze mit Zwei-Klassen-Medizin zu tun hat, das zeigen Ihnen jetzt Jan Schmitt und Herbert Cordes.“

Die SPD fordert: Endlich soll Schluss sein mit der Zwei-Klassen-Medizin. Ihr großes Projekt die:

Mehrere Bürger auf der Straße: „Bürgerversicherung, Bürgerversicherung“.

Eine einheitliche Krankenversicherung für alle, auch für Beamte und Selbständige. Alle zahlen ein, je nach Einkommen und alle bekommen gleiche Leistungen. Bis zum Schluss wollte die SPD dafür kämpfen. Im Koalitionsvertrag dann aber kein Wort mehr von der Bürgerversicherung.

Rudolf Dreßler (SPD), Sozialexperte: „Es war für die SPD in Richtung Parteitagsbeschluss wichtig, es war für sie in allen Reden während des Wahlkampfes wichtig, und jetzt bei den Koalitionsverhandlungen war es offensichtlich nicht mehr wichtig. Dieses muss die SPD, das heißt die Verhandlungsführer in den letzten Tagen, die müssen das öffentlich erklären. Ich kann das nicht.“

Was blieb übrig vom Kampf für die Bürgerversicherung und gegen die Zwei-Klassen-Medizin? Im Koalitionsvertrag vor allem das hier: die ambulante Honorarordnung für niedergelassene Ärzte soll reformiert werden. Dazu wird eine Kommission eingesetzt.

Karl Lauterbach (SPD), Stellv. Fraktionsvorsitzender: „Das Ziel der Kommission ist, einen Weg zu finden, wie man die Honorare zwischen Privatversicherten und gesetzlich Versicherten zusammenbringen kann, idealerweise in einer Honorarordnung.“

Denn bislang können Ärzte für Privatpatienten viel mehr abrechnen als für Kassenpatienten. Einfaches Beispiel: Für eine Ultraschalluntersuchung eines Kassenpatienten bekommt ein Arzt 16,73 Euro. Für den Privatpatienten bei gleicher Untersuchung aber 37,53 Euro - mehr als doppelt so viel. Das soll sich nun ändern. Für Privatversicherte sollen die Arzthonorare sinken, für gesetzlich Versicherte steigen, bis sie etwa gleich hoch sind. Damit steht fest: Gesetzlich Versicherte müssten dann höhere Beiträge zahlen. Aber dafür gäbe es auch Zusatzleistungen, sagt SPD-Gesundheitsexperte Lauterbach.

Karl Lauterbach (SPD), Stellv. Fraktionsvorsitzender: „Die gesetzlich Versicherten bekämen neue Leistungen, die es bisher für sie nicht gibt. Für die Privatversicherten würden einige Leistungen verschwinden, die derzeit sozusagen ohne Wert sind, aber trotzdem abgerechnet werden können.“

Nutzlose Leistungen sollen also verschwinden? Daran glaubt Hausarzt Michael Janßen in Berlin-Neukölln nicht. Im Gegenteil, die Ärzte würden das Plus bei Kassenpatienten zwar gerne mitnehmen, das Minus bei Privatpatienten aber zu verhindern wissen.

Michael Janßen, Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte: „Die Honorarangleichung ist eine Nebelkerze, sie wird nicht zu mehr Gerechtigkeit im System führen. Und natürlich werden diejenigen, die vermeintlich oder tatsächlich benachteiligt werden, Auswege und Umwege finden, um diesen Nachteil wieder auszugleichen. Selbstverständlich. Und die Ärzte sind da sehr erfindungsreich.“

Daraus machen auch die Privaten Krankenversicherungen und die Bundesärztekammer keinen Hehl. In einer aktuellen Stellungnahme heißt es unverblümt:

Zitat: „niemand kann der PKV oder Ärzten (…) verbieten, neue Zusatzangebote auf den Markt zu bringen, die zum Beispiel einen Honorarzuschlag auf die einheitliche Vergütung nach sich ziehen würden.“

Neue Zusatzangebote würden die Kosten allerdings explodieren lassen. Denn wenn die Honorare der Ärzte angeglichen werden, zahlen die gesetzlich Versicherten mehr. Die Privatversicherten zahlen aber dann auch wieder mehr für die angekündigten Zusatzleistungen. Am Ende zahlen also alle mehr. Und statt dem Ende der Zwei-Klassen-Medizin, entsteht eine neue Zwei-Klassen-Medizin, und die wird noch viel teurer als zuvor. Profitieren würden vor allem die Ärzte, die in den letzten Jahren sowieso schon immense Honorarzuwächse hatten. Seit 2003 ist der jährliche Verdienst niedergelassener Ärzte nach Abzug aller Kosten, von durchschnittlich 126.000 auf 190.000 Euro gestiegen - ein Plus von 51 Prozent. Gesundheitsökonom Gerd Glaeske kritisiert: Statt der Bürgerversicherung für alle käme nun ein Konjunkturprogramm für Ärzte und Pharmaindustrie.

Prof. Gerd Glaeske, Gesundheitsökonom Universität Bremen: „In der Bürgerversicherung standen die Patientinnen und Patienten wirklich im Mittelpunkt, da stand die gesetzliche Krankenversicherung oder überhaupt die Krankenversicherung im Mittelpunkt. Jetzt hat man das Gefühl, dass die Interessen derer, die im System entscheiden - nämlich Krankenhäuser oder Ärztinnen und Ärzte oder die Pharmaindustrie - in den Mittelpunkt rückt, weil offensichtlich mehr Geld in das System kommt.“

Aber die SPD-Spitze will regieren. Dann eben ohne Bürgerversicherung und mit einem System, das zwar nicht unbedingt gerechter, aber dafür teurer wird.

Sendungsübersicht

Kommentare zum Thema

  • Sch. 24.02.2018, 12:20 Uhr

    In solchen populistischen Diskussionen wird so gut wie nie darüber berichtet was ein sogenannter „Privatpatient“ in älteren Lebensjahren gegenüber „Kassenpatienten“ an Krankenversicherungsbeiträge zahlen muss. Welcher bisher in KV-Beiträgen weitaus günstiger dastehender Kassenpatient möchte zukünftig wie ältere Privatpatienten monatlich rund 800,00 € als Krankenversicherunfsbeitrag zahlen? Und das noch vor dem Hintergrund dass es in unserem Land als älterer Mensch nicht mehr möglich ist sich in einer sogenannten „Gesetzlichen“ anzumelden, welche zusätzlich in verschiedenen Bereichen auch mehr Leistungen erstattet als Privatversicherungen (z.B. Familienmitversicherungen, Kuren, bestimmte Behandlungen usw.). Die immer wieder sehr hoch genannten Verdienstangaben der Ärzte beruhen zum hohen Teil auf die Einnahmen durch Privatpatienten welche für gleiche Behandlungen ein mehrfaches zahlen müssen als Kassenpatienten. Hier steckt die wahre „Zweiklassenmedizin“.

  • G. 24.02.2018, 12:08 Uhr

    Reportagen, Diskussionen und Beiträge in Foren über Bürgerversicherungen sind durchweg populistisch nach sozialistischem Muster geprägt. Geht es um genannte Erträge werden fast immer Umsatzerträge einer Praxis genannt und nicht was der einzelne Arzt der Praxis nach Abzug seiner persönlichen Abgaben (Krankenversicherung, Rentenversicherung, Haftpflichtversicherung, Unfallversicherung, Steuern, Abgaben für Berufsorganisationen, Weiterbildung usw.) als Lohn für seine persönliche Arbeit erhält. Eine Praxis funktioniert kaum als „Einpersonenbetrieb“, es werden Mitarbeiter entlohnt, Immobilien und Mobilien bezahlt. Zudem, würden die privaten Krankenversicherungen abgeschafft und müssten deren Patienten sich pflichtmäßig in einer der über hundert „gesetzlichen Krankenversicherungen“ versichern, fehlen vielen Arztpraxen erheblich Einnahmen weil Privatpatienten leider für gleiche Behandlungen oft ein mehrfaches an Behandlungskosten bezahlen müssen. Es werden viele Praxen schließen müssen.

  • Klaus Kirschner 23.02.2018, 22:56 Uhr

    Wer sich über die in der monitor Sendung genannten Einkommen der Ärzte und Zahnärzte informieren will, braucht nur das Statistische Bundesamt "Fachserie Kostenstruktur bei Arzt- und Zahnarztpraxen anklicken: Reinertrag je Arztpraxis (2015) 191.000 Euro, je Allgemeinmediziner 167.000 Euro. Dort finden sich alle weiteren Daten zu den einzelnen Arztgruppen, Einnahmen und Aufwendungen. Vielleicht hilft dies zur notwendigen Sachlichkeit.